1. Antrag der Linksfraktion und der Fraktion der SPD zum Thema: „Schlussfolgerungen aus den Verfassungsgerichtsurteilen zu den Volksbegehren in Berlin“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Schulstrukturreform gerät aus dem Tritt: Schulzugang wieder völlig offen – faktisch keine zusätzlichen Lehrer – kein einheitlicher Start der Bezirke“,
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Landesverfassungsgericht stoppt rot-rote Ignoranz – Kitagesetz verabschieden und Konsortialverträge offenlegen!“,
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes: Rot-Rot muss Qualitätsverbesserungen in den Kitas endlich realisieren und darf den Bürgerwillen nicht länger ignorieren“.
Zur Begründung der Aktualität der Anträge rufe ich nun für die SPD-Fraktion den Kollegen Gaebler auf. – Bitte schön, Herr Gaebler, Sie haben das Wort!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Die Urteile des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin vom 6. Oktober 2009 hatten konkret zwei Klagen zu Volksbegehren zur Grundlage. Im Ergebnis ist eine erste verfassungsrechtliche Bewertung der von allen Fraktionen eingebrachten Verfassungsänderung erfolgt, die wir am 18. Mai 2006 hier im Plenum beschlossen haben, die parallel zu den letzten Abgeordnetenhauswahlen in einer Volksabstimmung bestätigt wurde und die am 26. Oktober 2006 in Kraft getreten ist.
Mit dieser Verfassungsänderung haben wir damals weitreichende Vereinfachungen und Erweiterungen der direkten Demokratie auf den Weg gebracht. Das soll auch nicht infrage gestellt werden. Aber es ist heute Gelegenheit, Bilanz zu ziehen, inwieweit sich die von uns dort gemeinsam getragenen Änderungen bewährt haben, wie praktikabel sie sind und – auch vor dem Hintergrund dieser Gerichtsentscheidung –, was eventuell an weiteren Ergänzungen notwendig oder sinnvoll wäre.
Das betrifft zum einen das unverbindliche Volksbegehren. Wir haben damals den Weg für Volksbegehren geöffnet, die kein Gesetz zur Grundlage haben, sondern einfach eine Willenserklärung sind. Wir haben aus dem Verfassungsgerichtsurteil insbesondere die Haushaltswirksamkeit als Problem erkannt. Das hatten wir damals in den Beratungen auch schon, müssen es aber heute vielleicht noch einmal besprechen, wie wir künftig damit umgehen. Auch ein wichtiger Punkt ist die Prüfungsmöglichkeit durch den Senat, inwieweit ein Verstoß gegen die Verfassung oder höherrangiges Recht vorliegt.
Vier Fraktionen sind sich hier einig, dass dies heute im Mittelpunkt der Plenarsitzung in der Aktuellen Stunde stehen sollte, eine Fraktion leider nicht. Deshalb müssen wir diese etwas merkwürdige Runde machen, in der vier Fraktionen erklären, warum sie ein gemeinsames Thema haben und eine Fraktion davon abweicht, nämlich die Fraktion der CDU. Ich bedauere das. Ich bedauere das auch deshalb, weil die CDU, nachdem sie anfänglich den Veränderungen bei der direkten Demokratie skeptisch bis ablehnend gegenüberstand, sich dann dem unter der Federführung des Kollegen Henkel, der inzwischen Fraktionsvorsitzender ist, angenähert hat und dort einen konstruktiven Einstieg in die Verhandlungen begonnen hat. Wir haben dort gemeinsam die Sachen auf den Weg gebracht, auch das gemeinsam abgewogen, was sinnvoll ist und wie weit wir gehen wollen. Leider hat dann der Kollege Pflüger von der CDU das als Instrument für blinden Populismus einer Opposition, der nichts einfällt, entdeckt. Und Herr Steuer will heute nicht über diese Fragen des Volksbegehrens, sondern wiederholt zum Thema Schule reden. An dem Sachverhalt, hat sich, Herr Steuer, aber in den letzten vier Wochen nichts geändert. Insofern können Sie zwar gerne hier Ihren üblichen Pflichtbeitrag ableisten, aber ich glaube, es ist sinnvoll, hier und heute über wichtige Fragen unserer Verfassung und des Verhältnisses von direkter und repräsentativer Demokratie zu sprechen, auch über die Inhalte der beiden verhandelten Volksbegehren und wie wir in Zukunft damit umgehen wollen.
Für uns als SPD-Fraktion bleibt die repräsentative Demokratie der Schwerpunkt der Gesetzgebung, unter anderem, weil nur hier der notwendige gesellschaftliche Interessensausgleich stattfinden kann. Die direkte Demokratie ergänzt dies. Das ist aktuell. Das ist relevant. Die Diskussion ist notwendig. Deswegen wollen wir sie heute hier führen und bitten um Unterstützung für unseren Antrag. – Vielen Dank!
Danke schön, Herr Kollege Gaebler! – Jetzt geht es weiter mit dem Kollegen Steuer von der Fraktion der CDU. – Bitte schön, Herr Kollege Steuer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wochenlang – wir erinnern uns alle daran – hat Rot-Rot in Berlin geschachert, wie viel Prozent der Schulplätze nach sozialen Gesichtspunkten vergeben werden sollen, ob es eine Schülerlotterie geben, wie das Leistungsprinzip als Zugang zum Gymnasium ausgestaltet werden solle, 50 Prozent, 25 Prozent, 30 Prozent – ein ständiges Hin und Her und eine totale Verunsicherung in Berlin. Das Gymnasium sollte so wie die Sekundarschule auch eine Schule für alle werden. Am Ende haben Sie sich auf 30 Prozent Schülerlotterie verständigt und haben dann erst gespürt, wie groß der Widerstand in dieser Stadt wird. Letztlich
gab es sogar bei den Anhängern der SPD null Prozent Zustimmung für Ihrer Schülerlotterie. Wochenlang haben Sie uns hier erklärt, dass dieser Zugang der richtige sei und dass es gar nicht anders sein könne.
Wir haben den Widerstand dagegen in der Stadt mitorganisiert. Dann sind Sie unter dem Widerstand in der Stadt vor einigen Tagen zusammengebrochen.
man werde abrücken davon, man werde jetzt zu einer anderen Regelung kommen, die sich doch am Leistungsprinzip orientiere; also alles wieder zurück auf null, eine ganz neue Zugangsregelung. Gleich sprang ihr der Bildungssenator bei, und auch die Linksfraktion hatte dagegen nichts auszusetzen.
Dann erleben wir jetzt wieder die Rolle rückwärts. Alles geht wieder zurück auf die Schülerlotterie. Die SPDFraktion hat die Bildungspolitiker ihrer Partei abblitzen lassen, ein ständiges Hin und Her! Man weiß gar nicht, ob in der Koalition die eine Hand noch weiß, was die andere tut. Was wollen Sie überhaupt? – Ich kann Ihnen ganz deutlich sagen: Wir werden in dieser Stadt weiter den Widerstand gegen Ihre leistungsfeindliche Schülerlotterie organisieren. Und Sie werden dafür auch die Quittung bekommen.
Offensichtlich geht es bei Ihnen nicht nur bei dem Zugang zu den Schulen wie in einer Lotterie zu, sondern Ihre ganze Politik ist dem Zufallsprinzip geschuldet. Jeden Tag wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Gestern erklärte der Bildungssenator dazu im Hauptausschuss, er sei mit Basta-Politik noch nie in Verbindung gebracht worden. Das sei nicht sein Stil. – Aber genauso wie eine Basta-Politik falsch ist, ist es eben auch falsch, wie ein Blatt im Wind zu sein, Herr Zöllner. Man muss doch eine Linie haben. Sie haben keine Linie.
Man fragt sich mittlerweile, ob Sie dieser Funktion überhaupt gewachsen sind. Sie führen Ihr Ressort nicht, Sie sind nur Briefträger der Koalition.
Mit diesem Hin und Her haben Sie Ihre eigene Reform schon diskreditiert, bevor sie überhaupt begonnen hat.
Ein zweiter Punkt, der heute ganz aktuell ist: Noch Anfang dieses Jahres haben Sie der Stadt versprochen, eine Schulstrukturreform werde es mit Ihnen nur geben, wenn es dafür zusätzliche Lehrer gebe. – Und alle haben das als pädagogische Verbesserung für jeden einzelnen Schüler an den künftigen Sekundarschulen verstanden. Dann legen Sie dem Hauptausschuss vor einer Woche ein Pa
pier vor, in dem steht, dass Sie von heute 20 880 Lehrern die Lehrerzahl bis auf 20 505 im Jahr 2015 absenken. Das sind gut 300 Lehrer weniger! Das ist das Ergebnis Ihrer Politik: keine zusätzlichen Lehrer, weniger Lehrer. Das ist am Ende dabei herausgekommen. Das ist Wortbruch, Herr Senator!
Noch ein dritter Punkt ist heute aktuell. Es ist mittlerweile klar, dass die Bezirke bei der Umsetzung der Schulstrukturreform völlig uneinheitlich vorgehen werden. Es gibt die sozialdemokratischen Musterknaben, die ein Papier vorlegen, das sie am grünen Tisch des Bezirksamts geschrieben haben, sagen, die Schule geht mit der zusammen, die schließen wir mal, und mit den Schulen ist darüber kein Wort gesprochen worden.
Wer es ernst meint, macht es so wie die Kollegen in Hamburg, die den Schulen Zeit gegeben haben, die gesagt haben, setzt euch zusammen, findet Kooperationen und überlegt, welche Schwerpunkte ihr setzen wollt. Aber dann kann man die Reform auch erst im Jahr 2011 umsetzen und nicht übers Knie brechen. – Es ist doch ein Wahnsinn, dass wir im Jahr 2010 gleichzeitig Haupt- und Realschulen, Gesamtschulen, Gymnasien und Sekundarschulen haben werden und sich in diesem Bildungssystem niemand mehr zurechtfindet. Weichen Sie davon ab, die Reform übers Knie zu brechen! Geben Sie Zeit für Kooperationen! Reden Sie mit den Schulen, und kommen Sie dazu, die Reform in einem Schritt, nämlich 2011, umzusetzen! Haben Sie keine Angst vor dem Wahljahr, es wird sonst noch viel schlimmer im Wahljahr werden. Es wird ein riesiges Chaos in dieser Stadt geben, das werden Sie 2011 auch zu spüren bekommen.
Wir appellieren an Sie: Machen Sie die Berliner Schülerinnen und Schüler nicht zu Versuchskaninchen Ihrer Zufallspolitik, Ihres Chaos. Die Stadt hat so eine Lotterie, solch einen Wortbruch und solch ein Durcheinander nicht verdient. Dafür ist die Reform zu wichtig. Wir appellieren an Sie, seriös vorzugehen, die Reform nicht über das Knie zu brechen, einen Bildungskonsens zu finden, um das Beste für alle Schülerinnen und Schüler dieser Stadt zu erreichen. – Herzlichen Dank!
Danke schön, Herr Kollege! – Nun hat für Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Ratzmann das Wort. – Bitte schön, Herr Ratzmann!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das waren deutliche Worte, die das Landesverfassungsgericht gefunden hat. Ich glaube, deutlicher kann ein
Verfassungsgericht einer Regierung kaum sagen: Ihr misstraut dem eigenen Volk, ihr mauschelt und seid intransparent. Deshalb kassieren wir diese Entscheidung, mit der ihr versucht habt, die Volksentscheide zu unterbinden. – Das war eine mutige Entscheidung und ein guter Tag für die Demokratie hier im Land.
Es hat mittlerweile Methode, dass von diesem ach so linken, ach so demokratischen, ach so volksnahen und sozialen Senat immer mit großen Worten Reformen angekündigt, manchmal sogar auf ein Stück Papier geschrieben werden, dann aber die kleinen Wadenbeißer, die Besserwisser, die Technokraten
kommen, die in der Praxis alles wieder zurückdrehen und mit Tricksereien à la „Ach so war das nicht gemeint“ die Rolle rückwärts antreten. Das haben Sie beim Thema Wasser so gemacht. In Ihrem Koalitionsvertrag steht etwas von Rekommunalisierung – dass ich nicht lache! –, das haben Sie bei der Auslegung des Anwendungstarifvertrags gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes gemacht – denen haben Sie versprochen, wir reden mit euch, wenn es Tariferhöhungen im Bund gibt –, nichts haben Sie gemacht, Sie haben das Gespräch verweigert – und das haben Sie jetzt auch wieder mit den Volksbegehren versucht.
Dieses Haus hat 2006 einstimmig die Verfassung geändert, oder – um es mit den Worten des Verfassungsgerichts zu sagen:
Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat damit zu erkennen gegeben, dass er dem Volk im Hinblick auf die verantwortungsvolle Handhabe direktdemokratischer Berechtigung gesteigertes Vertrauen entgegenbringt.
Der Gesetzgeber ja, die Regierung nein – und die Regierungsfraktionen haben das gebilligt. Dieses Urteil trifft deshalb auch Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen.
Jetzt wollen Sie mit Krokodilstränen in den Augen technokratisch darüber reden, welche Schlüsse aus diesem Urteil zu ziehen sind. Ich habe Herrn Gaebler sehr genau zugehört, als er ausgeführt hat, man müsse jetzt die Frage klären, was mit dem Haushaltsbezug sei. – Nein, das muss man nicht mehr klären, das ist klar, dazu hat das Verfassungsgericht eindeutig Stellung genommen: Nur der Eingriff in das Haushaltsgesetz selbst ist ausgeschlossen, alles andere ist möglich. Das, bitte schön, haben Sie zu respektieren.