Ja! Wir sind nicht bei Stunde null, Herr Kollege Steuer! Seit zwei Jahren diskutieren wir in dieser Stadt diesen Prozess.
Mindestens! – Der Landeselternausschuss hat mehrmals dazu getagt. Der RdB hat dazu getagt. Wir haben im Ausschuss Anhörungen gemacht.
Es haben etliche Arbeitsgruppen in Zusammenarbeit mit den bezirklichen Schulträgern diesen Prozess längst diskutiert und Vorschläge zur Umsetzung gemacht. Was der Senat in sein Gesetz gießt, ist nicht nur seine Erfindung, sondern das ist das Ergebnis eines Prozesses. Da nehme ich auch gerne den Senat in Schutz, weil dieser Prozess längst läuft und auf den Weg gebracht worden ist, und jetzt sollten wir den Zug nicht aufhalten, sondern dafür sorgen, dass der Zug rechtzeitig am Bahnhof ankommt.
„Zwischenbahnhof“ war gut! – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit! Ich hoffe nochmals, dass die Koalition so vernünftig ist, hier gemeinsam, wenn auch nur mit einer Oppositionspartei, nach vernünftigen Lösungen im In
teresse unserer Schülerinnen und Schüler, im Interesse einer besseren Bildung in dieser Stadt zu suchen. Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten. Leisten Sie Ihren!
[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]
Herr Präsident! Verehrte Kollegen und Kolleginnen! Ich will jetzt nicht unbedingt meine Rede wiederholen, die ich vor der Sommerpause gehalten habe, ähnlich wie meine anderen Kolleginnen und Kollegen.
Ich möchte Ihnen auch nicht unser eigenes liberales Bildungskonzept vorstellen. Das kennen Sie. Ich möchte mich grundsätzlich äußern.
Im Vorblatt zur Beschlussfassung des vorliegenden Gesetzes definieren Sie, dass die bestehende Schulstruktur die Ursache für mangelhafte individuelle Förderung und Bildungschancenungerechtigkeit ist. Etwas einfacher ausgedrückt: Die neue Schulstruktur löst die anstehenden Probleme, bietet Lösungen insbesondere, um die vorhandene Bildungsungerechtigkeit nachhaltig zu bewältigen. Sie beweisen eines damit, und zwar sehr eindrucksvoll: Rot-rote Bildungspolitik hat in den letzten Jahren nichts, aber auch gar nichts zuwege gebracht,
gerade zum Thema Bildungsgerechtigkeit. Herr Senator! Im Übrigen auch zum Thema Leistungsgerechtigkeit haben Sie nichts zuwege gebracht. Nach wie vor liegt Berlin bei den Ausgaben pro Schüler bundesweit an der Spitze, aber nach wie vor kommt hinten nichts dabei rum.
Verehrte Kollegen meiner Fraktion, aber viel mehr geht es um die Eltern in dieser Stadt. Wir sollen nämlich jetzt eines kapieren, uns soll eines weisgemacht werden: Schuld an dieser Misere ist die Struktur unseres Bildungssystems. Von wegen! Wir sind zwar liberal, wir sind aber nicht doof. Schuld an fehlender Bildungsgerechtigkeit, an fehlender Leistungsgerechtigkeit ist die Unfähigkeit und die Untätigkeit des rot-roten Senats.
Es ist nicht allein die Schulstruktur. Acht Jahre rot-rote Bildungspolitik – da wollen wir mal ein bisschen genauer hinschauen. Ich habe ja heute Zeit. Acht Jahre PISA,
dadurch wurden wir kräftig wachgerüttelt. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von Rot-Rot! Ihre Analyse heißt: Schuld ist die Dreigliedrigkeit, Viergliedrigkeit, Fünfgliedrigkeit, wie auch immer. Schuld ist die Gliedrigkeit unseres Systems. Haben Sie eigentlich schon die IGLUErgebnisse vom Dezember 2008 zur Qualität der sechsjährigen Berliner Grundschule, unserer sechsjährigen Gemeinschaftsschule, vergessen? Was haben denn eigentlich Schülerinnen und Schüler von dieser sechsjährigen Gemeinschaftsschule? – Nüscht, jar nüscht, wie der Berliner sagt, denn in Europa nimmt Berlin gemeinsam mit Rumänien den letzten Platz in Sachen Chancengerechtigkeit ein.
Ihre Analyse, Herr Professor, heißt immer noch: Schuld ist die Dreigliedrigkeit. Hat der Professor aus Mainz nicht mehr zu bieten als diese Analyse? Ein Professor aus München, genannt Prenzel, ehemaliger PISA-Koordinator, sieht das anders. Er weist auch 2009 zum wiederholten Male darauf hin, die Schulstruktur ist weder national noch international der ausschlaggebende Faktor für Bildungsqualität.
Er sagt, der Schlüssel für bessere und gerechtere Bildung ist die bessere Unterrichtsqualität und mehr individuelle Förderung. Das hat mit Schulstruktur nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Und nun noch mal zu dem Professor aus Mainz: Seit Jahren liefert Ihre eigene Schulinspektion immer wieder die gleichen Ergebnisse. Nach wie vor gibt es einen erheblichen Entwicklungsbedarf, vor allem in puncto individuelle Förderung. Und was machen Sie? – Sie stellen lediglich den schlechtesten fünf Prozent der untersuchten Schulen Experten an die Seite. Fünf Prozent! Das ist nicht üppig. Andererseits geben Sie für die Inspektion richtig viel Knete aus, mehr z. B. als für die qualitätsverbessernden Maßnahmen. Das finde ich schizophren. Da müssen wir uns nicht über die jährlichen miserablen Ergebnisse der Inspektion wundern. Und dann müssen wir uns auch nicht darüber wundern, dass es keine merklichen Verbesserungen des Unterrichts in dieser Stadt gibt. Herr Senator! Zwingen Sie die Pädagogen nicht in neue Strukturen, gewähren Sie endlich die Fort- und Weiterbildung, die sie brauchen!
Zurück zu PISA: Was sagt uns PISA-E von 2006 eigentlich bezüglich der bestehenden integrierten Gesamtschulen? – Die hinken im Schnitt den Realschulen anderthalb Jahre hinterher – auch das nicht gerade ein ermutigendes Signal für die anstehende Berliner Strukturreform. Und noch einmal PISA: Andreas Schleicher von der OECD und Manfred Prenzel – wahrlich nicht immer Freunde, geschweige denn immer einer Meinung, in einem aber sind sich beide einig: Mehr Bildungserfolg wird nicht
durch von oben verordnete Maßnahmen erreicht, notwendig sind größere Freiräume, wirksame Unterstützungssysteme bei definierten Bildungsstandards.
Freiräume – was für ein Wort! Für Sozialdemokraten und Linke allerdings eher ein Fremdwort. Freiräume bedeuten nämlich mehr Freiheit, mehr Eigenverantwortung für die einzelne Bildungseinrichtung. Davon kennen Sie nichts. Und davon halten Sie auch nichts, aber auch gar nichts. Und das beweist dieser Gesetzentwurf immer wieder an allen Ecken und Enden.
Herr Prof. Zöllner! Präsentieren Sie fachliche Ansätze, um die dringlichen Ziele zu erreichen! Achten Sie dabei die Reform und Anstrengungsbereitschaft aller Beteiligten! Achten Sie den Elternwillen! Und ich finde, Sie sollten die Ideologen von SPD und Linken und auch den Grünen auf das bildungspolitische Abstellgleis stellen, dorthin, wo sie hingehören!
Das ist mir egal. Dann hören es die anderen. Der Senator ist eigentlich kein unhöflicher Mensch. Es wundert mich, dass er nicht zuhört.
Jetzt hört er zu! Wunderbar! Apropos Ideologie: Herr Prof. Zöllner! Nehmen Sie eigentlich die angekündigten Schulschließungen nach dem Gesichtspunkt der pädagogischen Qualität vor oder weil die Schulen nicht in Ihre Struktur hineinpassen? Worum geht es Ihnen – Qualität oder Struktur? Zweitens: Warum erhalten nicht alle Schulen, die es nötig haben, eine bessere Förderausstattung und nicht nur die, die sich der neuen Struktur anschließen? Drittens: Warum gibt es Bundesmittel aus dem Konjunkturpaket II eigentlich ausschließlich in die neue Struktur? Die Gymnasien bekommen ein bisschen was, aber – Sie wissen es – zu wenig.
Nun folgende Fragen zum Thema Eigenverantwortung: In der Gesetzesvorlage reden Sie von Eigenverantwortung, kassieren sie aber gleich mit der Rechtsverordnung Ihrer Verwaltung wieder ein. Ein Beispiel, Frau Dr. Tesch hat es eben auch schon genannt: Schulen dürfen in ihrem Schulprogramm die Form der Fachleistungsdifferenzierung festlegen – § 8. Doch letzten Endes hat mal wieder die Verwaltung per Rechtsverordnung die genauere Ausstattung in der Hand. – Gott sei dank, Frau Dr. Tesch! – Da heißt es nämlich: „Die für das Schulwesen zuständige Senatsverwaltung wird ermächtigt... durch Rechtsverordnung zu regeln.“ Das ist aber eigentlich eine Drohung, denn wir wissen alle, wie diese Verwaltung – die Berliner Verwaltung –, insbesondere die Berliner Schulverwaltung funktioniert. Wir kennen alle die Qualität dieser Arbeit. Ich will mich dazu nicht weiter äußern.
Ich sage Ihnen aber eines: Die Schulen brauchen mehr Eigenverantwortung und weniger Rechtsverordnungen!
Herr Senator! Wo ist die angekündigte Superausstattung für die Sekundarschule? Das ist meine ernsthafte Frage. Wir sind gerade bei den Haushaltsberatungen, und da haben Sie das nicht dargestellt. Da musste erst ein Berichtsauftrag der Opposition her, um das hoffentlich zu klären. Wir haben die Ergebnisse noch nicht. Die Sekundarschule findet im Haushalt nicht statt – vielleicht als Platzhalter, aber ohne Substanz, und das ist mehr als peinlich.
Herr Senator! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zum Abschluss würde ich gern noch einmal auf die Losquote bzw. den Übergang auf die Sekundarschule und das Gymnasium eingehen, die Losquote für nachgefragte Schulen. Man hat sich nach Hickhack in der Politik, zwischen Rot-Rot, auf 30 Prozent geeinigt, aber nicht aufgrund von Expertenmeinung. Das ist schon einmal ein Fehler. Das Losverfahren verfehlt das Ziel, mehr Bildungsgerechtigkeit herzustellen. Es sagt aber weit mehr über rot-rote Bildungspolitik aus. Es steht für linke Bildungsideologie.
Denn erstens: Eine Schülerlotterie untergräbt das Leistungsprinzip, denn Begabung, Anstrengung und Mühe werden zweitrangig. Das Schulprofil als Aufnahmekriterium wird geschwächt, und das widerspricht dem Prinzip der eigenverantwortlichen Schule. Das Gymnasium wird bewusst geschwächt, und damit wird der Weg für die Einheitsschule für alle frei. Drittens konterkariert der Griff in die Lostrommel den Bildungsauftrag des Gymnasiums, nämlich allen Schülern bereits nach zwölf Jahren eine akademische Laufbahn zu ermöglichen.
Dieser zwölfjährige Weg zum Abitur ist härter als der auf einer Sekundarschule, und das sollte dann auch bei der Schülerauswahl berücksichtigt werden. Ziel der Sekundarschule soll es doch gerade sein, Schüler auf einem anderen Weg zum Zentralabitur zu führen – in dreizehn Jahren, in kleineren Klassen, mit mehr Personal und bei einem obligatorischen Ganztagsbetrieb. Die hervorragend ausgestattete Schule, die besser ausgestattet ist als das Berliner Gymnasium, das ist Sinn, das soll die Sekundarschule darstellen. Sie soll mehr Schülerinnen und Schülern die Chance geben, nach dreizehn Jahren das Abitur abzulegen. Insofern sage ich hier ganz deutlich: Es sind andere Wege, die zu einem Ziel führen. Das müssen wir endlich anerkennen.