Protocol of the Session on September 10, 2009

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Ströver! Ihre kleine Nebenbemerkung mit Block und so nehme ich zum Anlass, um Sie daran zu erinnern, dass nicht alle grünen Abgeordneten von Anfang an auf Seiten der Bürgerbewegung waren. Wir hatten eine Menge im Ausschuss aufzuarbeiten. Aber dabei will ich es bewenden lassen.

Ich finde auch nicht, dass sich dieser Antrag dazu eignet, dass wir uns streiten. Verzeihen Sie, dass ich so naiv bin – ich bin noch gar nicht so lange in diesem Parlament –, aber ich habe nicht verstanden, Herr Hilse und meine Damen von der SPD, weshalb Sie gegen diesen Antrag sein können. In meiner Vorbereitung habe ich mich nicht nur auf das Neue Forum kapriziert. Na, selbstverständlich meinen wir mit dem Neuen Forum alle Oppositionsbewegungen, jeden Widerstand, jeden Bürgerrechtler.

[Beifall bei den Grünen – Lars Oberg (SPD): Dann schreibt es auch!]

Das ist kein Ausgrenzungsantrag, den wir hier vorliegen haben. Das ist ein exemplarischer Antrag, weil es auf dieses Datum fällt. Wir sollten uns nicht gegenseitig irgendwelche schmutzige Wäsche vorhalten, sondern sollten diesem Antrag zustimmen. Ich werde ganz zum Schluss noch eine Bitte äußern, an der Sie merken, dass wir an einer gemeinsamen Würdigung interessiert sind.

Lassen Sie mich noch einmal ein wenig Wasser in den Wein gießen, denn die Politik des vereinigten Deutschlands hat für diejenigen, die sich mit so viel Mut gegen eine Diktatur gewehrt haben, gegen Aussperrung, gegen

Quälereien, gegen Gewalt, klammheimliche und rohe, doch zu wenig getan. Ich finde – Herr Hilse hat bereits zwei Namen genannt – insgesamt sind zu wenige von diesen Bürgerrechtlern, von diesen Widerständlern in der Politik angekommen und bestimmen zu wenig mit. Eher mitgekommen und mitgelaufen sind diejenigen, die die DDR und die Diktatur mitgetragen haben und dort zum Teil auch Mittäter waren. Das ist bedauerlich.

Ich möchte auch noch auf eine zweite bedauerliche Sache hinweisen. Das ist die Art und Weise mit der die deutsche Rechtsprechung mit diesem Thema umgeht. Die verbietet den Bürgerrechtlern, zum Beispiel neulich Frau Birthler über das ZDF, das zum Ausdruck zu bringen, was sie selbst erfahren oder in den Akten gefunden haben. Diese Art und Weise der Bewältigung ist unerfreulich. Das ist eine Bewältigung von Diktatur, die in Deutschland eine schlechte Tradition hat. Wir sollten alle die Gelegenheit ergreifen – und zwar übergreifend über die Fraktionen –, diese Rechtsprechung zu kritisieren.

Vielleicht noch Eines: Wir sind als CDU-Fraktion gegen jede Art von Schlussstrichmentalität. Wir wollen niemanden ächten, wir wollen niemanden ausgrenzen. Wir wissen, auch wir sind keine besseren Menschen als diejenigen, die damals mitgemacht haben. Aber wir wollen den offenen Dialog, wir wollen entsprechend der Situation in Südafrika eine wahrheitsgemäße Diskussion.

Damit bin ich bei unserem Antrag, der nichts weiter tut, als den tapferen Menschen von damals eine Ehre zu erweisen, die ihnen gebührt – nicht nur den Mitgliedern des Neuen Forums, sondern auch allen anderen.

Zum Abschluss: Wir sollten es nicht bei dieser Erklärung, wenn sie denn doch zustande kommt, belassen. In unserer Gedenkstättenlandschaft fehlt ein Zentrum für alle Widerständler – ein Zentrum für den Kampf des Neuen Forums und vieler anderer Oppositioneller, auch vieler Namenloser, Bürgerrechtler und Menschenrechtler. Wir sollten gemeinsam ein solches Zentrum in Berlin vorbereiten und irgendwann beschließen. Ich habe allen Fraktionen einen entsprechenden Vorschlag gemacht. Ich hoffe auf Zustimmung und Verständnis aller Fraktionen. Es würde den Mut der Menschen, die sich in der Diktatur für unsere Werte eingesetzt haben, aufbewahren. In diesem Sinne bitte ich Sie, diesem Antrag zuzustimmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Kollege! – Für die Linksfraktion hat nunmehr Frau Seelig das Wort. – Bitte schön, Frau Seelig!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte zeigt, dass es doch nicht immer gut ist, zu

jedem einzelnen Ereignis in einem solchen Gedenkjahr wie dem Jahr 20 nach dem Mauerfall eine Debatte zu führen. Das Problem, meine Damen und Herren von den Grünen, besteht darin, dass Sie uns Ihre historische Darstellung auf den Tisch legen und wir in der Kürze der Zeit zu überlegen haben, wie wir das ergänzen sollen, erweitern können.

[Andreas Gram (CDU): So neu ist das Thema ja nun auch nicht!]

Es ist eine schwierige Art des Herangehens. Ich muss sagen, dass es mich ziemlich befremdet hat, in welcher Art und Weise der Kollege von der SPD hier behandelt worden ist. Dass er in einer besonderen Stellung zur Gründung der Sozialdemokratischen Partei steht, ist klar. Nur ein Datum, nur eine Gruppe herauszunehmen, auch wenn wir heute den 10. September haben, halte auch ich für schwierig. Das Wesen dieser Bürgerbewegung, dieser Gruppen bestand bei allen Unterschieden und Streitereien darin, gemeinsam an dem Ziel festzuhalten, dieses System zu überwinden, zu reformieren und eine neue Form des Zusammenlebens, eine demokratische Form zu finden. Gleichwohl ist es richtig, dass das Neue Forum, das am 10. September 1989 in Grünheide von 30 Oppositionellen insbesondere aus der Initiative „Frieden und Menschenrechte“ gegründet wurde, in der Öffentlichkeit eine riesige Resonanz gefunden hat. In Windeseile verbreitete sich der Aufruf, und mehr und mehr Menschen unterschrieben die Forderung, öffentlich einen Dialog zwischen Bevölkerung und Regierung zu führen.

Das Problem, das ich mit diesem Entschließungsantrag habe – so ging es mir bereits mit dem einen oder anderen Antrag, den die Grünen hier zur politischen Würdigung der Ereignisse von 1989 eingebracht haben –, ist die Tatsache, dass sich in diesem Jahr die Ereignisse, die zu dieser friedlichen Revolution und zur Maueröffnung am 9. November geführt haben, regelrecht überschlugen und dass eigentlich jedes seinen eigenen Stellenwert hat. Deshalb ist es schwierig für ein Parlament, will es nicht einer gewissen Beliebigkeit unterliegen, in kurzem Rhythmus verschiedene Ereignisse herauszuheben und andere zu übergehen. Allein die Menge an Protagonisten und Geschehen um den 10. September herum macht eine Einordnung schwer. Am 4. September fand im Anschluss an der Friedensgebet in der Nikolaikirche die erste Leipziger Montagsdemonstration statt. Das war ja wohl auch nicht nichts.

Am 12. September wird der Gründungsaufruf von Demokratie Jetzt veröffentlicht. Am 18. fordern prominente Rockmusiker und Liedermacher: „Die Zeit ist reif“ ebenfalls einen Dialog mit den oppositionellen Gruppen ein. Vor dem 10. September ist bereits die Böhlener Plattform verabschiedet worden, die zur Gründung der Initiative „Vereinigte Linke“ führte. Das ist ganz wichtig, bereits am 24. September trafen sich eben all diese Vertreter des Neuen Forums, des Demokratischen Aufbruchs, von Demokratie Jetzt, der Vereinigten Linken und weiterer oppositioneller Gruppen. Diese Gemeinsamkeit ist ja

nicht umsonst auch von meinem Vorredner von der SPD hervorgehoben worden.

[Beifall von Wolfgang Brauer (Linksfraktion) – Zuruf von Alice Ströver (Grüne)]

Schließlich wird am 7. Oktober, am 40. Gründungstag der DDR, in Schwante die Sozialdemokratische Partei gegründet, was zugegebenermaßen nicht nur hochsymbolisch, sondern auch eine Art von Kampfansage an die DDR-Führung war. Wenn ich persönlich damals auch nichts von Parteibildungen hielt, so hatte man aber doch verstanden, dass sich statt Dialog hier möglicherweise die Machtfrage stellte – auch ein ganz herausragendes Ereignis.

Nun ja, es ist alles ein wenig anders gekommen, aber der Fülle der Ereignisse wird man durch das Herausheben von einigen wenigen nur schwer gerecht, und wenn, dann auch nicht unbedingt in so einer Parlamentsdebatte. Ich fand zum Beispiel, statt eines Entschließungsantrags die Veranstaltung zu Jürgen Fuchs zu machen und ihn auf eine andere Art zu würdigen, eine gute Gelegenheit, sich mit den Ereignissen vor 20 Jahren auseinanderzusetzen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Zuruf von Alice Ströver (Grüne)]

Wir schlagen vor, diesen Antrag in den Ausschuss zu überweisen und ihn sozusagen als Material für einen gemeinsamen Antrag zum 9. November anzusehen, der das Jahr der friedlichen Revolution umfänglicher würdigt. Ich glaube, ich konnte Ihnen anhand nur einiger weniger weiterer Daten deutlich machen, dass die Dynamik der Entwicklung nicht am 10. September allein festgemacht werden kann. Ich möchte auch noch daran erinnern, dass dieses Haus ja noch die Freude hatte, ganz zu Beginn der gemeinsamen Zeit, das Neue Forum als eigene Fraktion in diesem Hause beherbergen zu können. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin Seelig! – Für die FDPFraktion hat nunmehr der Kollege von Lüdeke das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wundere mich etwas über die Scharfmacherei, die es hier angesichts dieses doch ernsten Themas gibt, und wundere mich auch etwas über die Kollegin Ströver, das muss ich ganz ehrlich sagen. Ich möchte auf diese Anwürfe, die die Blockparteien betreffen, nicht eingehen. Sie wissen ganz genau, wir haben hier nicht um Formulierungen oder sonst was gekämpft, sondern sie haben es mit einer FDPFraktion zu tun gehabt, die dieser Sache sehr gerne und ohne große Umstände gefolgt ist.

[Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Hätten Sie mal hingeguckt!]

Ich gehe darauf nicht ein, aber ein bisschen verärgert sind wir trotzdem.

[Beifall bei der FDP]

Der Antrag ist im Übrigen – deshalb wundere ich mich über die Diskussion – ein weiterer Beitrag zum Themenjahr „20 Jahre Mauerfall“. Er ist auch ein Beitrag zur Demokratiegeschichte, die untrennbar mit einem zentralen Gut verknüpft ist. Und dieses zentrale Gut sind die Bürgerrechte. Grundwerte eines bürgerlichen und damit demokratischen Systems waren in der totalitären DDR verpönt. Ihr Einfordern wurde als größte Bedrohung des Staates überhaupt gewertet und entsprechend geahndet. Die Forderung stellte vor 20 Jahren das Neue Forum. Diese Forderung nach einem demokratischen Dialog zwischen Staat und Bürgern und Bürgern und Staat war wahrlich revolutionär.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Volker Ratzmann (Grüne) und Andreas Otto (Grüne)]

In aller Öffentlichkeit, gemeinsam und im ganzen Land sollte sich ein gesellschaftlicher Reformprozess vollziehen. Die historische Analyse macht deutlich, dass die DDR mit ihrem repressiven Charakter zwar den Kapitalismus als überlegenes Wirtschaftssystem fürchtete, vielmehr aber noch fürchtete die DDR Forderungen nach einer Gesellschaft mit demokratischen und freiheitlichen Strukturen, die selbstbewusste Bürger mit Anspruch auf Teilhabe und Gestaltung erhoben. Dieses Verdienst hatten die Gründer des Neuen Forums.

[Beifall bei der FDP]

Mit hohem persönlichen Mut und unbeirrbarem Einsatz forderten sie das Recht auf Mit- und Umgestaltung einer Gesellschaft, die schon längst nicht mehr ihre war. Die Ideale der Französischen Revolution, der Aufklärung, des deutschen Idealismus – alles das wurde Ansporn des Engagements und politisches Ziel zugleich. Subjektive Teilhabe an der Gesellschaft, Wahlfreiheit, Gleichheit aller vor dem Gesetz, Freiheit und Unabhängigkeit der öffentlichen Meinung – mit diesem Wertekanon sah sich die politische Führung der DDR konfrontiert. Die DDR beugte sich zwar dem öffentlichen Druck und ließ das Neue Forum am 8. November 1989 als politische Gruppierung zu, aber da war es längst zu spät. Die Abstimmung mit den Füßen in Richtung Westen hatte eingesetzt. Die öffentlichen Dialoge im Lande fanden längst ohne die politische Führung statt. Die Mauer fiel. Und so wurde das Neue Forum zum Symbol, zum Sargnagel eines Staates, der nicht mehr reformierbar war.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Margit Görsch (CDU)]

Ich möchte gerne an dieser Stelle Bärbel Bohley zitieren, die in einem Interview im letzten „Spiegel“ sagte:

Dieses Gefühl, das den Osten wirklich bewegt hat und das so viel Energie besaß, ist leider sehr schnell untergegangen.

Bald war die DDR Geschichte, Deutschland wieder ein Staat. Das Neue Forum wandelte sich – Herr Otto hatte es vorhin schon in seiner Rede drin –, es spaltete sich, ging in den Parteien auf, auch in der liberalen Partei, und überlebt bis heute als Bürgerrechtsbewegung auf kommunaler Ebene. So trug der Kampf des Neuen Forums für eine Reformierung des DDR-Systems entscheidend zur Einheit Deutschlands bei.

[Beifall bei der FDP]

Solch mutiges Eintreten für Demokratie und Freiheit muss parlamentarisch gewürdigt werden. An den Kampf für Bürgerrechte zu gemahnen, ist für jede Partei richtig und wichtig. Deshalb wundere ich mich über diese Beiträge, die hier heute stattfinden. Sie waren nicht mal in der Lage, einen Alternativantrag zu präsentieren. Sie wussten, dass dieser Antrag auf Sie zukommt. Sie wollen mit diesem Antrag so umgehen, dass Sie ihn in den Ausschuss bringen und dort in irgendeiner Form loswerden. So geht das nicht. Da Sie keinen eigenen Antrag präsentiert haben, wäre es geradezu peinlich, diesem Antrag heute nicht zuzustimmen. Ich fordere Sie auf, denken Sie noch mal darüber nach, ob Sie den wirklich ablehnen können! – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU und den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird um Überweisung an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten gebeten. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 42 B:

Dringlicher Entschließungsantrag

Null Toleranz für rechtswidrige CDU-Werbung am Charlottenburger Tor

Entschließungsantrag der Grünen Drs 16/2620

Der Dringlichkeit wird nicht widersprochen.

Wortmeldungen sehe ich auch nicht.

[Zurufe von Uwe Goetze (CDU) und Björn Jotzo (FDP)]