Protocol of the Session on September 10, 2009

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Otto! Auch uns ist das Anliegen, die Verdienste der Bürgerrechtsbewegung des Herbstes 1989 zu würdigen, ans Herz gewachsen und wichtig. All jenen Menschen, die Sie beschrieben haben, die Mut und persönlichen Einsatz aufbrachten, um die friedliche Revolution in der DDR voranzubringen und herbeizuführen, gebührt unser und Ihr Dank und unsere Hochachtung. Sich gegen Willkür und Diktatur aufzulehnen, war – daran haben Sie erinnert, daran erinnere ich noch mal – mit Gefahren und Nachteilen verbunden. Wenn dennoch immer mehr Menschen Mut fassten und die undemokratischen Verhältnisse nicht mehr hinnehmen wollten, so ist das auch dem Neuen Forum zu verdanken. Aber, sehr geehrter Herr Otto, die Bürgerrechtsbewegung der DDR bestand nicht allein aus dem Neuen Forum.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die DDR-Bürgerrechtsbewegung hatte eine sehr viel breitere Basis.

[Joachim Esser (Grüne): Wie weit kann man sich eigentlich noch biegen, um gegen so einen harmlosen Antrag zu sprechen?]

Hören Sie erst mal zu! – Im Monat September haben sich neben dem Neuen Forum in wenigen Tagen mehrere Gruppierungen gegründet, sodass man gar nicht mal sagen kann, hier gibt es eine zeitliche Vorrangstellung. Das Neue Forum ist gar nicht denkbar ohne die anderen. Aber lassen Sie mich bitte fortfahren.

Ich möchte daran erinnern, dass sich schon im August 1989 eine Initiative zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei formiert hatte.

[Özcan Mutlu (Grüne): Jetzt wissen wir, warum!]

Am 12. September, nur zwei Tage nach dem Tag, an dem das Neue Forum in die Öffentlichkeit trat – –

[Ramona Pop (Grüne): Unglaublich!]

Ich sage das nur deswegen, weil es deutlich macht, dass in diesen Zeiten so viele Aktivitäten entstanden, dass das Neue Forum eben nicht einmal primus inter pares war, sondern Gleiche unter Gleichen. – Zwei Tage später bereits datiert der Aufruf zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei. Ebenfalls am 12. September 1989, auch nur zwei Tage nach der Bekanntgabe des Aufrufs des Neuen Forums, tritt die Bürgerrechtsbewegung Demokratie Jetzt mit ihrem Aufruf in die Öffentlichkeit. Hier sei noch einmal daran erinnert: Wichtige Repräsentanten waren Wolfgang Ullmann und Ulrike Poppe. Auch der Demokratische Aufbruch, der sich später mit der CDU zusammenschloss, meldete sich wenige Tage danach ebenfalls mit einem programmatischen Aufruf zu Wort. Ein führender Vertreter dieser Gruppierung war Rainer Eppelmann, der spätere Abrüstungsminister. Nicht zu vergessen ist in dem ganzen Kontext das Engagement der Evangelischen Kirche, die der Opposition Raum und Podium, aber auch Schutz bot.

Der Erfolg der friedlichen Revolution, der zur Überwindung der DDR und zur deutschen Einheit führte, ist das Ergebnis des Zusammenwirkens aller dieser Gruppen.

[Beifall bei der SPD]

Ich finde, dass es diesem Parlament überhaupt nicht gut zu Gesicht steht, wenn es uns nicht gelingt, parteiübergreifend die Initiativen zu würdigen und wir eine allein herausgreifen.

[Özcan Mutlu (Grüne): Das liegt ja nicht an uns!]

Dann würden wir hinter den Ansatz jener Menschen zurückfallen, die gemeinschaftlich diesen SED-Staat zum Teufel gejagt haben.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ich wiederhole noch mal: Träger des revolutionären Umbruchs waren nicht das Neue Forum allein, nicht die SDP allein, auch nicht der Demokratische Aufbruch allein, auch nicht Demokratie Jetzt allein und auch die Kirche nicht allein. Es waren alle gemeinsam. Und nicht zu vergessen die vielen Menschen, die damals auf die Straße gegangen sind. Es ist mir sehr wichtig, auch darauf noch einmal hinzuweisen.

Die von Ihnen vorgelegte Entschließung ist daher zu eng gefasst. Wir können Ihrem Antrag daher in dieser Form nicht zustimmen, denn wir halten eine Gesamtwürdigung aller Oppositionsgruppen durch das Abgeordnetenhaus in einer von allen Parteien getragenen gemeinsamen Entschließung für anstrebenswert.

[Beifall bei der SPD]

Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang, an die gemeinsame Erklärung der Oppositionsgruppen vom 4. Oktober 1989 zu erinnern. Herr Otto, ich würde Sie bitten, lesen Sie sich einmal durch, was diese Gruppen am 4. Oktober geschrieben haben. Diese Gruppen bestanden aus Demokratie Jetzt, Demokratischer Aufbruch, Gruppe Demokratischer Sozialistinnen, Initiative Friede und Menschenrechte, Sozialdemokratische Partei der DDR, Neues Forum und Friedenskreis. Alle haben sich gemeinsam an die Öffentlichkeit gewandt in dem Wissen, dass sie nur gemeinsam dieses Regime in die Vergangenheit befördern können. Hinter dieses Bewusstsein sollten wir nicht zurückfallen. Wir, dieses Haus, sollten gemeinsam all jene würdigen, die sich dafür eingesetzt haben, dass wir heute in einer Demokratie leben können.

Ich will das Neue Forum gar nicht kleinreden. Ich glaube, das wir im Ausschuss uns einvernehmlich auf ein Papier verständigen können. Mir widerstrebt diese Partikularisierung mitzumachen, die allzu durchsichtig ist.

[Beifall bei der SPD]

Danke schön! – Frau Kollegin Ströver hat das Wort zu einer Kurzintervention. – Bitte schön, Frau Ströver!

[Christian Gaebler (SPD): Das ist jetzt die bürgerbewegte Frau Ströver!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Ihnen schon zu Beginn dieses Jahres gesagt, dass wir die Vielfalt der Erinnerungstermine im Jahr 2009 und unsere Verpflichtung für uns als Fraktion, aber auch für dieses ganze Haus sehen, diese vielen Daten des Erinnerns in diesem Jahr zum Anlass zu nehmen, dass sich dieses Haus aktiv mit den einzelnen Daten befasst. Und so ein Datum jährt sich heute. Heute ist der 20. Jahrestag der Gründung oder des Verfassens des Aufbruchtextes des Neuen Forums. Wenn Sie heute Morgen das Inforadio gehört hätten, dann hätten Sie gehört, dass ein großer Themenschwerpunkt zu dem Bereich gekommen ist und dort z. B. ein langes Gespräch mit Sebastian Pflugbeil stattgefunden hat, einem der Initiatoren dieses Aufrufs am 10. September 1989.

Verehrter Herr Hilse! Was für ein Problem haben Sie eigentlich mit unserem Antrag?

[Christian Gaebler (SPD): Das hat er doch gesagt!]

Es ist so, dass wir heute – und es ist immer etwas Symbolisches, wenn ein Parlament eine Entschließung verfasst – symbolisch exemplarisch erinnern, weil es das heutige Datum ist, um das es geht, um an die Vielfalt der breiten Bürgerbewegung in den Zeiten des Aufbruchs im Sommer und Herbst 1989 zu erinnern.

[Beifall bei den Grünen]

Ich finde, und ich denke, mit mir in Ost und West politisch engagierte Menschen, dass es ein gutes Zeichen gewesen wäre, wenn wir dieses heute zum Ausdruck bringen, 20 Jahre danach. Es wäre sicherlich richtig gewesen, wenn die SPD zur SDP-Gründung eine Resolution herausgebracht hätte und wir zur Grünen-Partei. Aber darum geht es doch gar nicht.

[Christian Gaebler (SPD): Doch, es geht darum!]

Uns nicht! Uns geht es nicht um kleinkariertes Parteigehabe,

[Beifall bei den Grünen]

sondern uns geht es darum, hier einen breiten Konsens der Demokraten hinzubringen. Und ich möchte Ihnen sagen, Herr Gaebler: Gerade Ihr Verhalten in der letzten Woche – wir haben Ihnen frühzeitig diesen Antrag gegeben,

[Christian Gaebler (SPD): Am Freitag!]

in der Hoffnung, dass wir hier einen breiten Konsens aller hinbekommen. Auch für uns ist es nicht ganz einfach, mit den ehemaligen Blockparteileuten, die sich hinter CDU und FDP verbinden, diesen Antrag zu bringen. Aber gerade Sie hätten es gut gemacht, wenn Sie Ihren Koalitionspartner dazu gebracht hätten, in einen aktiven Erinnerungsprozess einzutreten und hier eine gemeinsame Resolution zu unterzeichnen und zu beschließen.

[Christian Gaebler (SPD): Das hat nichts mit unserem Koalitionspartner zu tun!]

Das wäre gut gewesen. Es geht hier nicht um Kleinigkeiten. Es geht hier nicht um Eifersüchteleien. Ich denke, es wäre ein gutes Zeichen dieses Parlaments gewesen, dies heute nach außen zu schicken als eine aktive Form der Erinnerungspolitik, der sich ein Parlament sehr gut anschließen könnte.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Frau Kollegin! – Herr Kollege Hilse, möchten Sie replizieren? – Dann haben Sie das Wort!

[Christian Gaebler (SPD): Immer die fundierten Westler, die die Bürgerbewegten geben!]

Sehr geehrte Frau Ströver! Wenn es Ihnen um einen Konsens gegangen wäre, hätten Sie das erstens nicht als dringlichen Antrag eingebracht, denn es steht seit 20 Jahren fest, dass sich dieses Thema heute jährt

[Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne): Oh nein!]

beziehungsweise vor wenigen Tagen gejährt hat. Zweitens hätten Sie sehr viel besser alle Fraktionen einbinden können

[Özcan Mutlu (Grüne): Hätten Sie doch auch mal was machen können!]

wir machen ja etwas –, und drittens sage ich Ihnen noch etwas, Frau Ströver: Ich will die Leistungen des Neuen Forums überhaupt nicht kleinreden. Überhaupt nicht. Aber ich persönlich und wir Sozialdemokraten möchten uns nicht auf eine Schiene setzen lassen, die partikular die Bewegungen des Herbstes 1989 zerlegt und sich das herausgreift, was gerade gefällt. Stellen Sie sich vor, wir kämen mit einem Antrag zur Würdigung der Gründung der Sozialdemokratischen Partei,

[Özcan Mutlu (Grüne): Sie haben wirklich nichts verstanden!]

oder die CDU mit einem Antrag zur Würdigung der Fusion von Demokratischem Aufbau und CDU. So kommt jeder, und wer gerade niemand im Parlament sitzen hat, geht leer aus. Das ist unhistorisch und ungeschichtlich. Das machen wir nicht mit.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Kollege! – Jetzt geht es weiter mit dem Kollegen Dr. Lehmann-Brauns. – Bitte schön, Herr Lehmann-Brauns, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Ströver! Ihre kleine Nebenbemerkung mit Block und so nehme ich zum Anlass, um Sie daran zu erinnern, dass nicht alle grünen Abgeordneten von Anfang an auf Seiten der Bürgerbewegung waren. Wir hatten eine Menge im Ausschuss aufzuarbeiten. Aber dabei will ich es bewenden lassen.