Protocol of the Session on September 10, 2009

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Schauen wir uns noch einmal die Ausgabenseite an. Hierzu ein Zitat aus dem aktuellen Statusbericht Berlins:

Die Transferausgaben in Gänze, Kosten der Unterkunft, Hilfe zur Erziehung, Hilfe in besonderen Lebenslagen werden in unserem Land dieses Jahr prognostiziert 351 Millionen Euro über den Ansätzen liegen.

21 Millionen Euro Mehrausgaben allein für Kosten der Unterkunft! Jetzt suggerieren uns einige, das sei Ausfluss kommunalen Handelns, oder – wie Kollege Goetze es eben getan hat – das sei Ergebnis rot-roter Politik. Ich zitiere den Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Dr. Stephan Articus:

Die Städte haben aufgrund der Wirtschaftskrise und der steigenden Arbeitslosigkeit mit wachsenden Sozialausgaben zu kämpfen, mit zunehmender Tendenz ab dem zweiten Halbjahr 2009.

Der Deutsche Städtetag rechnet damit, dass die Kommunen im Jahr 2010 rund 1,7 Milliarden Euro mehr allein für die Unterkunftskosten werden zahlen müssen. Das ist die zweite Nachricht des Doppelhaushalts, die wir feststellen. Wir sind in Berlin kein Einzelfall mehr. Wir können uns letztendlich auch nur in einem gemeinschaftlichen Versuch mit der Bundesebene im Rahmen der nächsten vier Jahre dahin gehend stark machen, dass wir, was die Steuern betrifft, tatsächlich besser ausgestattet werden. Wir wissen sehr genau, was auf uns zukommt. Das unterscheidet uns ganz wesentlich von Ihnen, Kollege Goetze.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ich komme jetzt zu einem sehr schwierigen Feld, und zwar den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes, deren Vergütung mit 6,5 Milliarden Euro im Jahr natürlich einen riesigen Batzen im Haushalt ausmacht. Ich zitiere erneut eine Einschätzung zum Ende des Kitastreiks und der Vereinbarung mit den Gewerkschaften aus der „Mitteilung des Deutschen Städtetages“:

Die Vereinbarungen für die davon betroffenen rund 220 000 Beschäftigten in kommunalen Kindertagesstätten und Sozialeinrichtungen werden in vielen Städten neue Haushaltslöcher reißen. Besonders einschneidend ist dies für Städte, die bereits mit hohen Defiziten zu kämpfen haben.

Diese Feststellung können wir eins zu eins für Berlin übernehmen. Ja, es wird zu einer Erhöhung der Vergütung im öffentlichen Dienst auch in Berlin kommen, kommen müssen! Alles andere ist Augenwischerei. Aber genau diese eben zitierte Feststellung, dass wir damit neue Haushaltslöcher reißen, trifft auch uns in Berlin. Deswegen, nicht weil wir ihre Arbeit nicht schätzten, hat der Regierende Bürgermeister in dieser Frage eine klare Haltung an den Tag gelegt. Der Haushalt sieht das Auslaufen des Anwendungstarifvertrages vor. Rund 150 Millionen Euro mehr – natürlich ist das Verhandlungsgrundlage, mehr nicht –, Rücknahme der vertraglich vereinbarten Opfer. Aber es ist auch Ausdruck der Sorge, dass sich letztendlich alles mehr und weiter wegbewegt von einer

Situation, in der wir nur das ausgeben, was wir einnehmen.

Deswegen appelliere ich von dieser Stelle aus zu Beginn der Haushaltsberatungen an beide Tarifparteien, sich zu bewegen, und das im Sinn einer vernünftigen Einigung, im Sinn der Stadt. Sonst – glaube ich – stehen wir schlecht da. Planungssicherheit für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber hoher Preis für kommende Generationen ist das eine Szenario. Innere Emigration, aber ausgeglichene Finanzen ist das andere Szenario. Ich glaube, es ist Konsens, dass es hier irgendwo einen Mittelweg geben muss.

Ich gebe zu, es wird die Herausforderung sein, in den kommenden Haushaltsberatungen deutlich zu machen, dass wir an einer Politik des Mitnehmens festhalten. Nicht Kunst gegen Feuerwehr, Richter oder Richterinnen gegen Erzieherinnen oder Erzieher, Bezirke gegen Land. Gerade die Bezirke zeigen, dass es sich gut anlässt, die Akteure dieser Stadt nicht im Regen stehen zu lassen. Eine Erhöhung der Zuweisung bei HzE auf 360 Millionen Euro im Jahr 2010, ein Ist-Ansatz 2011, der wahrscheinlich noch höher sein wird, eine 50-prozentige Abfederung, keine Mindestveranschlagung im Bauunterhalt – das ist doch nicht nichts, das kann man nicht leugnen, das kann man nicht wegdiskutieren, Herr Goetze!

Trotzdem haben Sie recht, denn es gilt auch hier das strucksche Gesetz: Kein Gesetz verlässt das Plenum so, wie es hereingekommen ist. – In den Beratungen haben wir sicherlich noch einige Fragen zu klären. Es kann nicht sein, dass wir den Bereich „Kampf gegen Rechtsextremismus“ nicht gebührend ausstatten. Es kann auch nicht sein, dass wir nicht alles tun, um die Schulstrukturreform finanziell auf guten Grund zu packen. Wir erwarten vom Senat – idealerweise bis zum Ende unserer Beratungen – eine hoffentlich baldige Grundsatzentscheidung zur Zukunft es Bettenhochhauses der Charité und der Krankenversorgung im Land Berlin.

Damit lande ich bei der mittelfristigen Finanzplanung. Die mittelfristige Finanzplanung spiegelt die in der Föderalismuskommission II vereinbarten Haushaltsregelungen wider. Es steht auch so dort. Ich zitiere:

Die rot gestrichelte Linie verbindet die Ausgaben des Jahres 2011 mit den Einnahmen des Jahres 2020, wie sie sich aus der vorangehenden Einnahmenprojektion ergeben.

Ich weiß, Kollege Esser wünscht sich mehr Inhalt, mehr gemeinsame Erörterung dieses Konsolidierungspfades. Aber lassen Sie mich für einen Moment die Beschreibung des angestrebten Mechanismus der Schuldenbremse wie sie im Bericht der Deutschen Bundesbank steht, auf der Zunge zergehen lassen. Ich zitiere:

Um zu vermeiden, dass die Regelgrenze im Haushaltsvollzug systematisch überschritten wird, werden Differenzen zwischen den Ist-Werten und der Schuldengrenze auf einem Kontrollkonto erfasst.

… Übersteigen die dort auflaufenden Schulden einen Schwellenwert von 1 Prozent BIP, so sind sie konjunkturgerecht abzubauen. Mit der neuen Regelung kommt der Schätzung der konjunkturbereinigten Haushaltslage eine wichtige Rolle zu. Diesbezüglich besteht jedoch eine beträchtliche Unsicherheit.

Einen Vorgeschmack dessen, was uns in den kommenden Jahren erwartet, werden Sie, Kollege Esser, uns – das vermute ich – gleich liefern. Natürlich werden wir uns in den kommenden Jahren finanzpolitisch regelmäßig und trefflich streiten können über das, was nun Trendwachstum ist, über das, was der konjunkturbereinigte Haushalt sein könnte oder sein sollte – die ersten Hinweise darauf haben Sie ja schon versucht in der Sitzung des Hauptausschusses zu geben – und Fragen wie: Wie berechne ich das BIP zum Zweck der Schuldenbremse? Das alles wird lange Diskussionen auslösen.

Am Ende des Tages aber glaube ich nicht an die Durchschlagsfähigkeit eines abstrakten Regelwerks, wie es das Schuldenverbot 2020 ist. Allenfalls glaube ich an einen ausgabedämpfenden Charakter. Das mag man zubilligen. Einen reformatorischen Ansatz, geschweige denn einen revolutionären hat die Föderalismuskommission nicht gestemmt. Was mich betrifft, so prognostiziere ich der Schuldenbremse im Übrigen auch eine eher beschränkte Lebensdauer.

Ich habe mir aber – und das zum Schluss – auch die Frage gestellt, wie geht es grundsätzlich weiter. Historisch gibt es dazu eigentlich zwei Wege. Diese beiden Wege will ich kurz skizzieren.

Es gibt die aggressive, prozyklische Politik. Das ist zum Teil das, was wir vorhin vom Kollegen Goetze gehört haben: Senkung von staatlichen Leistungen, Erhöhung von Steuern in Richtung einer harten Konsolidierung. – In Deutschland – Sie wissen oder ahnen es – verbindet man diese Politik mit der Person des ehemaligen Reichskanzlers Brüning. Schaut man in die USA – zu Anfang der 90er-Jahre –, erkennt man das andere Modell: monetär eine Phase von Niedrigzinsen, fiskalpolitisch ein Sparprogramm. – Das ist die sogenannte Triangulation von Präsident Clinton, ein gelungener Policy-Mix aus Konsolidierung und notwendigen Maßnahmen für den Erhalt des sozialen Netzes. Im Ergebnis gelang Clinton zu Beginn seiner zweiten Amtszeit mit dieser Vorgehensweise des Balanced Budget Act ein Rahmenabkommen zur Beseitigung des Defizits. Und genau das ist es, was wir hier brauchen. Genau das: Einen präsenten Staat für die Schwachen, einen starken Staat gegenüber den Starken! – Und das ist es, was dieser Haushalt entsprechend ausweist. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wir sind hier noch kurz mit der Technik beschäftigt, aber das verschafft mir die Gelegenheit, folgende Durchsage zu machen: Vor ca. zwanzig Minuten ist der Herr Abgeordnete Luchterhand Großvater geworden. Es ist ein Mädchen, und wir dürfen ihr alles Gute wünschen.

[Allgemeiner Beifall]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Abgeordneter Esser das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Zackenfels! Zum Thema „starker Staat“: In der letzten Woche war zu lesen, dass die Cayman-Inseln vor dem Staatsbankrott stehen. Da kommen uns die Tränen. Die Steueroase wandte sich hilfesuchend an die britische Regierung im ehemaligen Mutterland. Der britische Außenminister hat die Regierung der Cayman-Inseln daraufhin wie folgt beschieden: Ich fürchte, es wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben, als die Einführung neuer Steuern zu erwägen. – Ich wiederum fürchte, dass ein unvoreingenommener Beobachter von außen, der sich nicht im hiesigen Wahlkampf befindet, über die Lage in Deutschland ähnlich urteilen würde. Und dabei schaue ich – nachdem der Finanzsenator, wie ich finde, sehr viel Richtiges zur bundespolitischen Einbettung des Berliner Haushaltsproblems gesagt hat – in erster Linie zu Ihnen, meine Damen und Herren von CDU und FDP, weil Sie momentan in verzweifelter finanzpolitischer Lage den Wählerinnen und Wählern, wie ich glaube, wider besseres Wissen Steuersenkungen und ausgeglichene Haushalte zugleich versprechen.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Ich habe noch nie einen derart gespenstischen Bundestagswahlkampf erlebt. Mit Getöse wird über Dienstwagen auf Mallorca oder Geburtstagsessen im Kanzleramt gestritten, aber wenn es um die wirklich großen Skandale geht – und ich bleibe nur bei den finanzpolitischen –, retten sich die Kombattanten in Schweigen – allen voran die Bundeskanzlerin, Frau Merkel.

Ein wirklicher Skandal ist es, dass die Banken mit Milliardenaufwand auf Kosten der Allgemeinheit saniert werden, ohne dass es eine wirksame parlamentarische Kontrolle gibt und ohne dass sich an den Boni der Nieten in Nadelstreifen etwas ändert.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Ein Skandal ist es, dass 5 Milliarden Euro an Steuergeldern für die vielgepriesene Abwrackprämie ausgegeben wurden, ohne Mindestanforderungen an Spritverbrauch oder Schadstoffausstoß zu stellen.

[Beifall bei den Grünen]

Ein Skandal ist es, dass in Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, Vermögen aber so niedrig besteuert werden wie fast nirgendwo sonst auf der Welt.

[Beifall bei den Grünen]

Und ein Skandal ist es, dass die Bundesrepublik als Folge dieser Politik auf einen kaum vorstellbaren Schuldenberg zuläuft und keine Wege aufgezeigt werden, wie es nachfolgenden Generationen gelingen soll, diese Last wieder in den Griff zu bekommen. Der größte Skandal ist dabei, dass Frau Merkel und Herr Westerwelle den Wählern trotzdem weismachen wollen, dass sich die Deutschen nach der Wahl auf Steuersenkungen und stabile Sozialabgaben freuen können.

[Zuruf von links: Unerhört!]

Für Berlin ist es von existenzieller Bedeutung, dass dieser Crashkurs gestoppt wird.

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Denn nur – und das ist auch schon von anderen gesagt worden – eine gemeinsame Anstrengung von Bund, Ländern und Gemeinden wird uns aus der Misere herausführen. Eine Arbeitsteilung, wo wir in Berlin überall den Rotstift ansetzen, derweil die FDP im Bund das Geld zum Fenster hinauswirft und unsere Einnahmebasis untergräbt, wäre nicht nur unerträglich, sondern kann auch nicht funktionieren.

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Zurufe von der FDP]

Die unangenehme Wahrheit der Berliner Situation liegt ja inzwischen offen zutage: Der Haushaltsnotstand ist zurück. Die Ausgangslage gleicht dem Katastrophenjahr 2001 fast auf das Haar. Wie damals beträgt der Konsolidierungsbedarf – wenn man mal bis 2020 guckt – über 4 Milliarden Euro. Wenn man den aufarbeiten will, sind rund 0,3 Prozent jährliche Ausgabensteigerung allenfalls möglich – so sagt es Senator Nußbaum, und das sagt neuerdings auch der Senat mit seinem Beschluss zur Finanzplanung. Ich denke, das ist richtig gerechnet, jedenfalls dann, wenn sich die Rahmenbedingungen für den Landeshaushalt auf Bundesebene nicht verändern. Aber ich glaube nicht, dass die Konsequenzen, die eine solche Ausgabenlinie nach sich zieht, schon überall verstanden worden sind, und ich finde, Herr Nußbaum, Sie haben vorhin auch noch einiges unterschlagen.

Hierbei hilft ein Blick in die Vergangenheit, der in diesem Fall auch ein Blick in die Zukunft ist. 2002 bis 2008 wurden die Ausgaben des Landeshaushalts in Berlin – unterm Strich – konstant gehalten, um zum Haushaltsausgleich zu kommen. Ein Inflationsausgleich fand also sieben Jahre lang nicht statt. Heftiger noch: Wenn man nur die Ausgaben betrachtet, die Berlin im weitesten Sinne selbst beeinflussen kann – also ohne Zinsen, ohne Kosten der Unterkunft, ohne BAföG und ohne Grundsicherung –, dann mussten in diesen sieben Jahren 1,2 Milliarden Euro abgesenkt werden, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen.

Nun meine Frage an Sie alle: Kann man eine solche Rosskur noch einmal schaffen? – Ich liefere meine Antwort gern mit: nicht in dieser Größenordnung, denn nach der ersten Hungerkur ist das Fett im Berliner Haushalt zum großen Teil weg! Deshalb sind höhere Steueraufkommen und Verbesserungen der Gemeindefinanzen zur Sanierung hier in Berlin unerlässlich. Und deshalb ist es für die Menschen in Berlin von elementarer Bedeutung, dass es bei der Bundestagswahl nicht zu einer schwarzgelben Koalition der Steuersenkung kommt.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Nun bin ich nicht so blauäugig zu glauben, die Sanierung des Berliner Haushalts – und das sollte sich auch sonst hier niemand einbilden – werde allein über Mehreinnahmen laufen. Haushaltssanierung erfolgt am Ende immer über Mehreinnahmen und Ausgabenkürzungen, und das ist in unserem Fall auch nachvollziehbar, weil der Berliner Eigenanteil am erneuten Haushaltsnotstand auch nicht gerade klein ist.

Am 30. März dieses Jahres tat der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Michael Müller, der sich diese Debatte jetzt schenkt, in der „Berliner Morgenpost“ noch so, als hätte Rot-Rot die Lage im Griff. Er gab Folgendes zum Besten:

Wir müssen ganz einfach an unserer Vereinbarung festhalten, dass Mehrausgaben auf der einen Seite Minderausgaben auf der anderen Seite nach sich ziehen.

Als ich das damals gelesen habe, bin ich fast vom Stuhl gefallen, und ich würde Herrn Müller, wenn er hier wäre, jetzt gern fragen, auf welchem Planeten er in den letzten Jahren gewesen ist. Denn seit Beginn dieser Legislaturperiode, Herr Zackenfels, haben SPD und Linke die Ausgaben um 900 Millionen Euro hochgetrieben, und wenn der heute vorliegende Haushaltsplan unverändert umgesetzt wird, werden es zum Ende dieser Legislaturperiode 1,4 Milliarden Euro sein. Die Sparvereinbarung, von der Herr Müller in der Zeitung spricht, ist bloß roter Treibsand, den Sie den Zeitungslesern in die Augen streuen. Herr Zackenfels! Keine der Sparmaßnahmen, die Sie aufgezählt haben, stammt aus dieser Legislatur. Sie sind alle aus der Zeit vor den Wahlen. In Wahrheit sind Sie in dieser Legislaturperiode mit den Ausgaben den in der Hochkonjunktur steigenden Einnahmen hinterhergeklettert, haben aber keinerlei Vorsorge für den Krisenfall getroffen, und das rächt sich jetzt.