Wir werden uns am 24. Januar im Verfassungsschutzausschuss sachlich damit befassen. Wir werden dann zu prüfen haben, ob neue verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen oder nicht. Ich möchte der kommenden Ausschusssitzung nicht vorgreifen, aber eines ist klar: Die Bewertung wird der Ausschuss zu treffen haben.
Was ist eigentlich Scientology? – Im Mittelpunkt des scientologischen Denkens steht die Gewinnerzielung und nicht das religiöse Gedankengut. Ihre Techniken führen häufig zu psychischen und finanziellen Abhängigkeiten. Sie versuchen, Einfluss auf die Politik insgesamt zu gewinnen – in Österreich und Deutschland bisher erfolglos. Scientology ist heute streng hierarchisch durchstrukturiert und eine weltweit operierende Organisation. Wie ist die Situation in Deutschland? – Im Jahr 1979 wurde die Scientology-Kirche Deutschland e. V. in München gegründet. In sieben Großstädten ist diese Organisation tätig, darunter sind München, Hamburg, Frankfurt und Stuttgart. In Deutschland gibt es weniger als 10 000 Mitglieder, in Berlin stagniert die Zahl seit Jahren bei 200 Mitgliedern. Das sind alles Fakten, die man kennen muss, wenn man sich mit dem Thema auseinandersetzt. Natürlich darf man diese Organisation nicht verharmlosen, aber Panik zu verbreiten, statt aufzuklären, ist der falsche Weg.
Ich verstehe voll und ganz, dass die Bürger vor Ort verunsichert sind. Politik muss einen Beitrag dazu leisten, dass diese Verunsicherung ein Ende hat. Es gehört zu der Offenheit einer Großstadt, die Seelenkäufer dort zu lassen, wo sie stehen, nämlich im Regen.
Der Staat muss dort aktiv werden, wo insbesondere Kinder und Jugendliche betroffen sind. Dort hat der Senat seine Schutz- und Wächterfunktion. Gerade beim Erstkontakt mit Scientologen brauchen wir eine immunisierte Bevölkerung. In den Fällen, wo Wirtschaftsdelikte beispielsweise im Immobilienbereich vorliegen und Straftaten begangen werden, handelt der Staat mit polizeilichen
und juristischen Mitteln. Dennoch müssen Straftaten angezeigt und nicht nur öffentlich erwähnt werden.
Ich möchte zum Schluss kommen. – Drei wesentliche Faktoren spielen in den nächsten Wochen eine Rolle: erstens die politische Bewertung der neuen Erkenntnislage über Scientology in Berlin, zweitens Aufklärungsarbeit insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, aber auch bei Erwachsenen und Senioren und drittens die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema. Das ist unsere sozialdemokratische Grundlinie. Ich bin überzeugt, dass wir mit dieser Linie, die von Wachsamkeit geprägt ist, dem Thema Scientology gerecht werden. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schreiber! – Das Wort für eine Kurzintervention hat jetzt der Herr Abgeordnete Henkel. – Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Schreiber! Ihre offenbar vorbereitete Rede hätten Sie vielleicht im Lichte meiner Rede noch einmal überarbeiten sollen.
Ich habe es Ihnen bereits im Ausschuss gesagt. – Liebe Leute! Parteipolemik, ich bin auch ein Freund davon – geschenkt! Die schenke ich auch Ihnen, Kollege Schreiber. Es geht aber nicht – das sage ich für das Protokoll, aber auch deutlich in Ihre Richtung –, dass Sie mir ein Wording in den Mund legen, das ich nicht benutzt habe.
Ich zitiere hier ein Strategiepapier von Scientology. Die sprechen vom „Krieg gegen Europa“. Sie sagen, Sie befänden sich im „Krieg gegen die westlichen Demokratien“. Das sagt nicht Frank Henkel von der CDU. – Das war der erste Punkt.
Zweiter Punkt: Ich bin weit entfernt davon – und meine Fraktion ist es auch –, hier Panik oder Angst zu verbreiten. Ich will keine Panik und keine Angst verbreiten, und ich verbreite sie auch nicht. Die Menschen in dieser Stadt, insbesondere in der Umgebung der Otto-Suhr-Allee, haben Angst. Mein Verständnis von Politik ist, dass wir Politiker hier die Ängste und Sorgen der Menschen vor Scientology aufnehmen. Darum geht es. Wir müssen die Menschen ernst nehmen. – Kollege Schreiber! Wegschauen und Nichtstun helfen in der Sache nicht weiter. Ich habe heute dem Senator und Ihnen die Hand meiner Fraktion gereicht. Lassen Sie uns gemeinsam an Lösungen arbeiten, um dieses Problem zu bewältigen, aber lassen Sie uns nicht über Paragrafen und Gerichtsurteile
streiten! Das war, was ich gesagt habe. Es hilft nichts. – Wir müssen die rechtlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung schaffen. Ich bin der Auffassung, dass wir das können. Warum auch nicht? – In Bayern, BadenWürttemberg, Hamburg und Nordrhein-Westfalen ist es möglich. Mir will nicht einleuchten, warum es in Berlin nicht möglich ist.
Wenn wir davon reden, dass die Scientology-„Gemeinde“ in Berlin nur 150 bis 200 Mitglieder hat, dann haben wir – verdammt noch mal – die Verpflichtung, uns zu überlegen, warum hier eine so große Dependance mit 4 000 qm auf sieben Stockwerken gebaut wird. Hier sollte man sich zumindest einmal Gedanken machen, ob man es nicht wirklich mit einem strategisch konzentrierten Umzug zu tun hat. Darum geht es. Hierüber führen wir die Auseinandersetzung und nicht darüber, wer zu welchem Zeitpunkt Panik verbreitet. – Danke schön!
Herr Henkel! Es nützt wenig, wenn Sie hier ins Mikrofon bellen. Das ändert nichts an der Tatsache, dass Sie sich stets und ständig diese Zitate zu eigen machen und sie in Pressemitteilungen und Interviews wiederholen. Dafür kann ich nichts. Ich würde es nicht tun. – Das ist der eine Punkt.
Der Ruf nach mehr Staat, mehr Polizei und Verfassungsschutz mag Ihr Weg sein. Richtig ist aber, dass wir es in dem Gremium zu bewerten haben, wo es stattzufinden hat: im Verfassungsschutzausschuss. Richtig ist aber auch, dass wir in der Politik dazu beitragen müssen, aufzuklären und nicht wie Sie die Leute aufzuscheuchen und alle fünf Minuten Pressemitteilungen hinauszujagen und die Situation noch zu dramatisieren. Wichtig ist – da kommen Sie uns wieder ein Stück weit entgegen –, dass wir gemeinsam einen Beitrag dazu leisten, dass wir die Ängste, die es in der Bevölkerung gibt, nicht weiter schüren – insbesondere Sie –, und dass wir daran arbeiten, aufzuklären und mit dem Problem umzugehen. – Danke!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schreiber! – Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Jotzo das Wort!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was diese Debatte letztlich notwendig gemacht hat, waren die Äußerungen von Innensenator Körting Anfang bis Mitte Januar, wonach das Unternehmen Scientology keine Gefährdung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung darstelle. Dies war, wie der Innensenator inzwischen durch seine jetzigen Relativierungen selbst eingesteht, jedenfalls in dieser Pauschalität eine Fehleinschätzung. Der Blick in die uns vorliegenden Erkenntnisse aus anderen Bundesländern, auf die Bundesebene und in andere Länder verdeutlicht, dass Scientology zwei wesentliche Ziele verfolgt: erstens, sich selbst zu finanzieren, und zweitens, die Machtbasis des Unternehmens durch Unterwanderung wesentlicher Entscheidungsstrukturen in der Gesellschaft zu erweitern. Scientology ist deshalb nicht nur – wie Herr Körting zutreffend sagte – eine „miese Organisation“, nicht nur ein Unternehmen, das labile Menschen wirtschaftlich ausbeutet, sondern auch eine Organisation, die ihr zweifelhaftes Wertefundament zur Grundlage einer Gesellschaftsordnung machen will. Das Ziel dieser Organisation ist, Andersdenkende von der gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen. Die Umsetzung einer solchen Zielsetzung darf in einer Demokratie wie unserer nicht hingenommen werden.
Wenn eine solche Organisation ihre bundesweit größte Niederlassung in Berlin errichtet, dann müssen wir uns fragen: Wie können wir darauf hinwirken, dass dieses Unternehmen in Berlin auch in Zukunft keinerlei Erfolg haben wird?
Die Politik muss dabei zwei Zielrichtungen verfolgen: Zum einen ist der Senat gefordert, die Öffentlichkeit über die Organisation aufzuklären. – Leider muss man konstatieren, Herr Zöllner, dass die Aufklärungsarbeit unseres Senats im Jahr 2002 stehengeblieben ist.
Schaut man auf die Internetseiten des Senats, kommt man irgendwann vielleicht darauf, bei der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung unter dem Thema Familie nachzuschauen. Dort findet man tatsächlich nach einigem Herumsuchen eine fünf Jahre alte Datei. Sie enthält eine 168 Seiten starke Textbroschüre über sogenannte Sekten. Wenn man das Paket heruntergeladen hat – mit ISDN geht das in etwa 2 Minuten –, kann man dann lesen, was Berlin vor fünf Jahren zum Thema Scientology beizutragen hatte. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass ein solches Informationsangebot nicht geeignet ist, Kinder und Jugendliche adäquat über Sekten und insbesondere Scientology aufzuklären.
Die FDP fordert den Senat daher auf, auch insoweit endlich sichtbar aktiv zu werden. Wir müssen zielgruppenadäquate Angebote für betroffene Personengruppen, besonders für gefährdete Kinder und Jugendliche beispielsweise auch im Ethikunterricht zur Verfügung stellen.
Die zweite delikatere Frage ist aber die, der wir uns heute widmen. Soll die Beobachtung der Scientology-Organisation durch den Verfassungsschutz in Berlin wieder aufgenommen werden? Die maßgebliche Fragestellung ist daher, ob Scientology jetzt oder in Zukunft in Berlin Bestrebungen entwickelt, die sich gegen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung richten. Schaut man sich die Erkenntnisse über das bisherige Auftreten von Scientology in Berlin an, so zeigt sich, dass die Geschäftsaktivitäten von Scientology in Berlin bisher so beschränkt sind, dass sie bezogen auf das Schutzgut der freiheitlich demokratischen Grundordnung bisher kaum eine Rolle gespielt haben. Die meisten der 5 000 bis 6 000 Mitglieder hat die Organisation in anderen Bundesländern. In Berlin sind es etwa 200.
Hieraus aber den Schluss zu ziehen, dass von der Organisation auch in Zukunft keinerlei Gefährdung ausgehen kann, ist verfehlt. Die neue Präsenz in Berlin ist ein unmissverständliches Signal dafür, dass Scientology beabsichtigt, in Berlin wesentlich aktiver zu werden. Wenn aber eine Organisation mit den erklärten Zielen von Scientology in Berlin massiv auftritt, bietet das für uns Anlass für erhöhte Wachsamkeit.
Es ist die Aufgabe des Senats eingehend zu prüfen, wie sich Scientology in Zukunft verhalten wird. Genau das ist auch der Gegenstand des Antrags der FDP-Fraktion. Wir wollen, dass die Senatsverwaltung innerhalb eines lang angelegten Zeitraums die neuen Betätigungen von Scientology prüft. Neben dem Gewinn neuer Erkenntnisse wollen wir mit diesem Antrag ein unmissverständliches Signal an Scientology senden. Dieses Signal lautet: Hier in Berlin steht Scientology im Blickpunkt einer informierten Öffentlichkeit und wird mit klandestinen Methoden keinen Erfolg haben.
Nachdem die Ergebnisse des Zwischen- und Abschlussberichts des Senats vorliegen, können wir unter Einbeziehung der neuesten Erkenntnisse aus den Ländern, dem Bund und unserer europäischen Partner über unser weiteres Vorgehen entscheiden. Keinen Sinn ergibt es jedoch, bereits jetzt unbedingt die Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu fordern. Die Beobachtung könnte nur dann wieder aufgenommen werden, wenn sich maßgeblich neue Erkenntnisse für verfassungswidrige Bestrebungen von Scientology ergeben. Würden wir beschließen, die Beobachtung sofort wieder aufzunehmen, so wie Sie es fordern, würde Berlin damit sofort vor Gericht scheitern. Die einstweilige Verfügung hätten wir nächste Woche auf dem Tisch. Eine solche Entwicklung wäre kontraproduktiv. Meine Meinung ist, dass wir im Land Berlin das nächste Verfahren gegen Scientology gewinnen sollten.
Wichtiger als eine kurzfristige Beobachtung durch den Berliner Verfassungsschutz ist es daher, Scientology in
Berlin mittelfristig die Geschäftsgrundlage zu entziehen, zum einen durch Aufklärung und Information der Öffentlichkeit, zum anderen durch ein klares Signal der Politik gegen Scientology. Dieses Signal geht vom Antrag der FDP-Fraktion aus. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Jotzo! – Für die Linksfraktion hat das Wort der Abgeordnete Udo Wolf. – Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute eigentlich schon hinreichend das Thema Scientology und ihre Bedeutung im Abgeordnetenhaus diskutiert. Aus Orkangründen versuche ich mich kurz zu fassen, weil alle dringend nach Hause wollen.
Die spannende Frage, die die Union bisher in keiner Debatte – sie läuft seit geraumer Zeit in Berlin – beantwortet hat, ist, was eigentlich die Beobachtung von Scientology durch den Verfassungsschutz real bringen soll. Das Ergebnis in Hamburg fällt so aus, dass Scientology in Hamburg nach wie vor ausgesprochen stark ist. In Berlin ist sie nicht stark. Das Argument, der Druck müsse auf Scientology durch eine Beobachtung des Verfassungsschutzes erhöht werden, kann nicht wirklich zielführend und hilfreich sein. Die spannende Frage – darin sind sich alle einig – ist, wie man sich gesellschaftlich gegenüber solchen Sekten wie Scientology immunisiert. Wenn Sie, Herr Jotzo, einen Antrag geschrieben hätten, wie man überlegt, Aufklärung im Jugend- und Bildungsbereich besser und effektiver zu gestalten, jetzt nach dem Umzug möglicherweise noch nachjustieren und nachsteuern kann, hätte man darüber reden können. Warum soll aber gleich als erstes bei einer Sektenfrage nach dem Verfassungsschutz gerufen werden mit dem Hinweis, er müsse beobachten. Die gesamte Debatte hat gezeigt, dass man keinen Geheimdienst braucht, um etwas herauszubekommen darüber, was für eine miese Organisation Scientology ist und wie sie ihren Opfern schadet.
Deswegen, Herr Henkel, bekommt die Redundanz, mit der Sie den Innensenator wegen Untätigkeit und anderem angreifen, natürlich auch Geschmäckle. Die Debatte über Scientology scheint offensichtlich das Vehikel zu sein, einen erfolgreich, klug abwägenden Innensenator, der sich wohltuend von der Law-and-order-Revolistik früherer CDU-Innensenatoren unterscheidet, in irgendeiner Art und Weise ins Unrecht setzen zu wollen.
Der Innensenator zeigt in dieser Frage keine Versäumnisse. Er hat angekündigt, dass natürlich jede neue Sachlage geprüft wird, um dann zu entscheiden, ob es sinnvoll ist, den Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Ich glaube, dass wir bei dieser Prüfung das Verhältnis zwischen Schutzbedürfnissen von Opfern und dem Schutzbedürfnis