Insofern ist es ganz und gar sinnlos, was Sie hier gerade sagten, dass man nicht einen Wunschzettel eröffnen soll, nachdem man jahrelang regiert, sondern es zeigten sich gerade die Früchte dieser Politik, als eine externe Krise kam, die weiß Gott nicht in Berlin ihren Ausgang genommen hat.
Die Zahl der Arbeitslosen ging noch bis ins dritte Quartal des Jahres deutlich zurück. Die Auftragslage insbesondere der wiedererstarkten Berliner Industrie war noch immer recht gut, je nach Branche, die Baukonjunktur zog an. Bei den Ausbildungsplatzzahlen gab es für das neue Ausbildungsjahr noch mal nach 2007 ein deutliches Plus in Industrie und Handel von 9 Prozent, im Handwerk sogar 13 Prozent. Das sind die Zahlen, die auch auf unserer Wirtschaftspolitik basierten.
Doch ähnlich wie bei einem Hurrikan, dessen baldige Ankunft vorhergesagt ist und der Bewohnerinnen und Bewohner der betroffenen Gebiete ihre Häuser verrammeln und noch bei schönstem Wetter die Flucht antreten lässt, wurde auch bei uns in Europa, in Deutschland, in Berlin spätestens im September dieses Jahres klar, dass diese globale Finanz- und Wirtschaftskrise auch uns erreichen würde. Aber jeder Vergleich hinkt, und jede Analogie hat ihre Grenzen. Erstens handelt es sich um eine Wirtschaftskrise und nicht um eine zwangsläufig Tod und Verwüstung bringende Naturkatastrophe; zweitens haben wir mit unseren Handlungen einen gewissen Einfluss auf den Verlauf der Krise. Aus beiden Gründen sollten wir uns vor einer irrationalen Panikstimmung hüten, denn gerade in der Wirtschaft führen Erwartungen häufig in Form einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu genau jenen Effekten, die man befürchtet.
Analysieren wir also nüchtern die Situation, wie sie sich im zu Ende gehenden Jahr 2008 darstellt. Es handelt sich um eine Krise, deren Ursachen zum ganz überwiegenden Teil in der monetären Ebene der Weltwirtschaft zu suchen sind, in einem Finanzsystem, das sich zunehmend von realwirtschaftlichen Grundlagen gelöst hat – auf der Jagd nach Renditen, wie sie in normalen realwirtschaftlichen Wertschöpfungsprozessen nicht erreichbar sind. Bestes Beispiel sind jene 25 Prozent Rendite, die Herr Ackermann für die Deutsche Bank anpeilte, da ihm 15 Prozent noch zu wenig waren. Normale Wachstumsraten im industriellen Wertschöpfungsprozess liegen im Durchschnitt nicht über 5 Prozent. Bei neuen Produktentwicklungen gibt es eine gewisse Phase des Vorsprungs gegenüber der Konkurrenz. Dies ist volkswirtschaftlich durchaus erwünscht, um Innovationen voranzutreiben. Aber Renditen von 20 oder mehr Prozent können nur im weltweiten Spielcasino erzielt werden, und dies auch nicht dauerhaft, wie die gegenwärtige Krise einmal mehr belegt.
Sogenannte Papphäuser in Amerika, ohne Eigenkapital finanziert, Spekulationen auf weiter fallende Zinsen, jährliche Umschuldungen, was man bei uns zum Glück bei Immobilienfinanzierungen in Deutschland nicht kennt, haben dazu geführt, dass dort Kredite ausgegeben wurden, die nicht mehr bedient werden konnten. Sie wurden in Wertpapiere verpackt, die weltweit vertrieben wurden. Sogenannte Wertberichtigungen waren die Folge, Herabstufungen. Ratingagenturen, die vorher dazu beigetragen hatten, dass diese Papiere weltweit als gute Renner liefen, all dies trug dazu bei, dass jetzt auch deutsche Banken in Schwierigkeiten kamen, spätestens nach dem Zusammenbruch der Lehman Brothers. Auch deutsche Landesbanken – das räume ich ein – haben wegen der versprochenen Renditen kräftig zugegriffen: die Sachsen LB, die schon 2007 fast vor dem Konkurs stand, die nur durch die Landesbank Baden-Württemberg noch gerettet werden konnte, aber auch die WestLB, die BayernLB und – wie man jetzt erfährt – auch die Landesbank Baden-Württemberg.
Auch die Landesbank Berlin war nicht ganz frei von diesen Geschäften. Sie hat einen deutlichen Verlust hinzunehmen. Aber immerhin sind wir in Berlin mit einem blauen Auge davongekommen. Die Rolle der Berliner Landesbank ist nicht zu vergleichen mit denen der anderen. Man kann jetzt im Nachhinein bloß noch einmal feststellen, dass der Verkaufszeitpunkt im vergangenen Sommer für die Berliner Landesbank ein ausgesprochen günstiger war. Die Verzögerungen, die insbesondere damals von Haushältern der Grünen ins Spiel gebracht wurden, waren sehr gefährlich. Jedes Zuwarten um einen Monat hätte uns gleich dreistellige Millionenbeträge kosten können. Es war der entscheidende Zeitpunkt, und der Senat hat eine ausgezeichnete Arbeit für Berlin geleistet.
Der Glaube an dauerhaft sich selbst regulierende Märkte sollte diskreditiert sein. Herr Ackermann hat schon vor einem Jahr relativ unauffällig gefordert, dass der Staat
eingreifen solle, einen Schutzschirm für Banken eventuell zur Verfügung stellen müsse. Die Verstaatlichung der amerikanischen Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac war schon ein deutliches Zeichen, was man zuvor kaum für möglich gehalten hätte, in Deutschland die Hilfe für die IKB, schließlich für die Hypo Real Estate der milliardenschwere Schutzschirm, und dann schließlich der Schutzschirm für den ganzen Bankensektor.
Berlin war auch beteiligt an dem Konjunkturprogramm. Da kann man über den Sinn reden. Der Finanzsenator hat in letzter Zeit einiges über die Funktion dieses Konjunkturprogramms gesagt. Ich komme gleich dazu. Was auf jeden Fall hier Conclusio ist: Es besteht kein Vertrauen der Banken mehr untereinander, und der Staat ist in der Rolle, die man ihm im 19. Jahrhundert einmal unter dem Begriff „lender of last resort“ zugeschrieben hat: die letzte Institution, an die die Banken dann noch glauben, auch die Banken. Und auch die Großmäuler der marktliberalen Auffassung müssten im Grunde genommen einsehen, dass der Staat die letzte Institution ist, die dann noch Vertrauen schaffen kann. Und das hat sich ja in dieser Krise gezeigt.
[Dr. Martin Lindner (FDP): Jetzt erzählen Sie uns mal, was Sie tun! – Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]
Ungeachtet dessen ist das vielleicht das Deprimierende an der ganzen Geschichte, dass man sich, wenn man ideologisch verblendet ist, von Fakten nur begrenzt beeindrucken lässt. Die Verweigerung der Realität ist gerade bei der FDP stark, nach wie vor werden die alten, verstaubten Konzepte der Steuersenkung hervorgeholt – – Ja, was würde denn eine Steuersenkung im breiten Sinn für die Reicheren bringen? – Die würde nur mehr vagabundierendes Kapital, das durch die Welt zieht und Anlage sucht, erzeugen, aber keine Nachfrage. Dies erreicht man doch nur dann, wenn die Massenkaufkraft steigt.
Seien Sie doch bitte mal ruhig, Herr Lindner. Sie unterbrechen mich dauernd! – Herr Präsident! Können Sie bitte für Ruhe sorgen?
Als direkte Folge der Finanzkrise könnten in Berlin durchaus einzelne große Investprojekte in Schwierigkeit geraten. Ich werde absichtlich keine nennen, denn es soll
keine sich selbst erfüllende Prophezeiung werden, wie ich eingangs sagte. Wir haben noch keine Kreditklemme, auch nicht für kleine und mittelständische Unternehmen. Die Bauwirtschaft ist immer noch am Laufen, der Tourismus ist immer noch positiv. Was wir aber bereits haben, ist das Einbrechen der industriellen Konjunktur, auch in Berliner Unternehmen. Die Zulieferer im Automobilbereich merken, wenn in Stuttgart, in Wolfsburg nicht mehr produziert wird.
Also auch Berliner Zulieferer sind betroffen: Daimler, ZF-Lenksysteme, Kurzarbeit, verlängerte Werkferien sind auch in Berlin die Folge. Siemens, noch relativ wenig betroffen, hat im Jahr 2008 sogar noch 500 Arbeitsplätze unter dem Strich in Berlin aufbauen können.
Gegensteuern bedeutet auf der Ebene einer einzelnen Stadt natürlich sinngemäß so etwas wie ein Boot gut durch den Strom zu bringen, und nicht, wie man es schafft, als kleines Land Berlin quasi diesen Strom zu beeinflussen.
Das kann man nationalstaatlich vielleicht probieren, ich bezweifele aber, dass Dinge wie die Kfz-Steuersenkung eine sinnvolle Maßnahme sind,
aber wir in Berlin können zumindest die Industriepolitik weiter betreiben, die wir in den letzten Jahren begonnen haben,
die bereits dazu geführt hat, dass die Wachstumsraten der Beschäftigung in Berlin höher sind als im Bundesdurchschnitt. Unsere Beschäftigung hat im Industriebereich 2007 stärker zugenommen als bundesweit! Wir sind auch jetzt nicht schlecht aufgestellt. Wir haben vor allem in den Kompetenzfeldern eine vernünftige Strategie, dort sind die Wachstumsraten überdurchschnittlich. Das neue Kompetenzfeld Energietechnik ist eines, von dem wir uns eine Menge versprechen. Denn eines muss man sehen: Die veralteten Techniken, die „Dinosaurier“, die in die falsche Richtung investiert haben, die haben keine Zu
kunft. Berlin kann davon profitieren, eine ökologische Umsteuerung anzustreben im Bereich Energie, im Bereich Gebäudesanierung.
Selbstverständlich spielt es auch eine Rolle, wie Berlin investiert. Der Regierende Bürgermeister hat eine Aufstockung des Schul- und Sportstättensanierungsprogramms vorgeschlagen.
Das wird im makroökonomischen Sinn keinen Konjunkturimpuls auslösen – dafür ist ein Bundesland zu klein –, aber es ist ein wichtiger Impuls, um für die Berliner Bauwirtschaft und Berliner mittelständische Unternehmen Aufträge zu sichern. Dies halte ich für entscheidend. – Vielen Dank!
[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Dr. Martin Lindner (FDP): Da beantragt ihr eine Aktuelle Stunde, und dann nichts erzählen! – Mario Czaja (CDU): Da war Herr Liebich ja geradezu unterhaltsam!]
Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat die Vorsitzende Frau Eichstädt-Bohlig – bitte!
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Liebich hat seit gestern im Hauptausschuss, wo unser Antrag, 60 Millionen Euro in ein Kitasanierungsprogramm zu geben, von Rot-Rot, Schwarz und Gelb abgelehnt worden ist,
und heute einiges gelernt. Bei dem Kollegen Jahnke von der SPD habe ich lediglich verstanden, dass das 50Millionen-Programm, von dem der Regierende Bürgermeister vorgestern erstmals gesprochen hat, nicht ausreicht, um die Konjunktur anzureizen. Danke schön, dass Sie heute diese Aktuelle Stunde beantragt haben! –
Wir hatten dieses Thema bereits für die letzte Sitzung beantragt. Da hätten wir uns noch prospektiv über das Bundesprogramm zur Beschäftigungssicherung und Wachstumsstärkung unterhalten können. Ich gehe davon aus, dass es von Rot-Rot im Bundesrat mit verabschiedet worden ist.
Als erstes muss generell festgestellt werden, dass das Problem – wir reden heute nicht über die Finanzkrise, Herr Kollege Jahnke, sondern über die Konjunktur- und Wirtschaftskrise –