Protocol of the Session on December 11, 2008

Wir brauchen mehr Angebote. Wir brauchen eine Aufstockung der Projekte. Wir brauchen Dialoge und bessere Angebote im Bildungsbereich.

[Beifall bei der CDU]

Aber, um es ganz deutlich zu sagen, Integration ist in erster Linie eine Aufgabe der Migranten in dieser Stadt. Herr Birk, ich will niemanden vertreiben. Das habe ich nie gesagt. Das haben Sie nirgends von mir gelesen. Ich finde, die Migranten sollten sich überlegen und entscheiden, ob sie in dieser Stadt mit unseren Regeln von Zusammenleben und gesellschaftlicher Liberalität und unseren Freiheiten leben wollen. Können sie so glücklich werden in dieser Stadt? Dann sind sie herzlich willkommen. Wer aber nicht bereit ist, auf unseren Regeln von Zusammenleben und dieser Gesellschaftsordnung hier zu leben, und damit unglücklich ist, sollte sich entscheiden, unser Land zu verlassen.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Diesen Schalter im Kopf umzulegen, ist ein Schritt erfolgreicher Integration in unsere Gesellschaft. Diese bewusste Entscheidung sollte getroffen werden. Ein Aktionsplan, der diesen Entscheidungsprozess in Gang setzt, der eine klare Linie verfolgt, hat unsere Unterstützung. – Ich danke Ihnen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Steuer! – Das Wort für die Linksfraktion hat nunmehr der Kollege Dr. Lederer. – Bitte schön, Herr Dr. Lederer!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Überfälle auf Lesben und Schwule werden anders wahrgenommen. Das heißt aber nicht, dass es sie bislang nicht gegeben hat. Bei denjenigen, die sich permanent auf die Simon-Studie berufen, frage ich mich, wo wir eigentlich früher gelebt haben. Es gibt reichlich Materialien und statistisches Dokumentationsmaterial wie beispielsweise eine vom Bundesforschungsministerium finanzierte repräsentative Studie von 1991, nach der 42 Prozent der West- und 36 Prozent der Ostdeutschen folgender vorgegebener Aussage zustimmen:

In der Gegenwart von Homosexuellen kann einem körperlich unwohl werden.

Der Soziologe Michael Bochow zieht daraus die Schlussfolgerung, dass noch mindestens ein Drittel der deutschen Bevölkerung als stark homophob eingestuft werden muss. Ein weiteres Drittel ist ambivalent, aber keinesfalls frei von ablehnenden oder klischeehaften Einstellungen.

Zwar kann ein Rückgang von Homophobie seit den 70er-Jahren aus einigen ernst zu nehmenden Hinweisen abgeleitet werden, aber jüngere Erfahrungen wie die repräsentative Befragung von 669 12- bis 17-jährigen Jugendlichen des Marktforschungsinstituts Iconkids & Youth von 2002 zeigen alarmierende Befunde: 71 Prozent der Jungen und 51 Prozent der deutschen weiblichen Jugendlichen haben negative Einstellungen gegenüber Lesben und Schwulen.

Homophobie und Heterosexismus haben ihre Ursachen in sozialem Erlernen von Vorurteilen und Stereotypen. In einer Gesellschaft, die von Heteronormativität geprägt ist, gibt es viele Gelegenheiten, eine heterosexistische Einstellung zu erwerben, und wohl auch, eine solche Einstellung auszuleben. Wir sprechen hier über die in der Breite der Gesellschaft verankerten Denkweisen, die darauf beruhen, dass es ein bestimmtes vorzugswürdiges Bild von sexuellen und lebensweltlichen Identitäten gibt. Dieses Bild kann ein bestimmtes Geschlechterrollenverständnis als Grundlage haben, kann in der Beschwörung besonderer heteronormativer Beziehungsmuster bestehen, ist vor allem unter Männern sehr verbreitet und gedeiht in autoritären gesellschaftlichen und sozialen Verhältnissen besonders gut. Hier muss angesetzt werden, um Homophobie zu bekämpfen.

Das Ganze hat drei Ebenen: erstens die rechtliche Gleichstellung unterschiedlicher Lebensweisen und Entwürfe, zweitens die gesellschaftliche Ächtung von und Auseinandersetzung mit heteronormativen und sexistischen wie homophoben Einstellungen, drittens Verfolgung und Verurteilung von Straftaten, denen ein heterosexistischer und homophober Hintergrund zugrunde liegt.

Zu erstens und drittens kann man sagen, dass die Gleichstellung hier in Berlin gut läuft. Auf Bundesebene läuft sie noch nicht ganz so gut. Aber leider ist das noch kein Konsens im ganzen Haus. Nachdem ich eben von Herrn Steuer die Bekenntnisse gehört habe, bin ich überzeugt davon, dass die nächste Abstimmung über die Gleichstellung von Lebenspartnerschaften und Ehe hier im Parlament auch von der CDU-Fraktion komplett getragen wird und nicht nur von knapp der Hälfte.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Was die Verfolgung von Straftaten angeht, ist die größere Aufmerksamkeit ein gutes Zeichen. Daran entzündet sich auch die Debatte um heterosexistische Einstellungen. Der zweite Punkt ist der schwierigste, weil Einstellungen von Menschen nicht angeordnet werden können. Es passiert

zwar schon viel; es könnte aber immer noch mehr sein. Das enthebt uns nicht der Pflicht zu evaluieren, was passiert, und zu schauen, welche Ansätze richtig waren, welche möglicherweise neu justiert werden müssen.

[Zuruf]

Ich höre schon wieder das Wort Beauftragte. Herr Birk! Ich habe die Befürchtung, wir werden zukünftig nur dann einen Verantwortlichen haben – –

[Zuruf des Abg. Thomas Birk (Grüne)]

Das Problem ist, es landet dann im Fach des Sekretariats eines überarbeiteten beauftragten Lehrers. In der Sache selbst ändert sich jedoch gar nichts. Das Problem sind die Schulkollektive. Unterhalten Sie sich mit Menschen, die in solchen Projekten täglich arbeiten!

Den Antrag kann man zum Anlass nehmen, darüber zu diskutieren. Bekenntnisse und Aktionismus bringen jedoch wenig. Das ist eher ein Bohren dicker Bretter, und der Versuch des Kollegen Steuer, schlimme homophobe Gewalttaten dazu zu nutzen, um sich als Tabubrecher zu inszenieren und das gesellschaftliche Problem Homophobie – übrigens ein zutiefst europäisches Phänomen – auf dem Rücken der ohnehin strukturell diskriminierten Migranten zu entsorgen, ist zurückzuweisen, ganz klar.

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den Grünen]

Stattdessen sollten wir Lesben, Schwule und Transgender in Migrantencommunities unterstützen und spezifische Ansprachen für spezifische Personengruppen entwickeln. Herr Steuer, Ihre Fraktion ist Ihr Handlungsfeld. Sie können dort beweisen, welche Durchsetzungskraft Sie haben. Damit haben Sie genug zu tun!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Wir sind in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung gefragt. Dazu kann die Befassung mit dem Thema im Parlament ein Beitrag sein. Wir werden uns an dieser Diskussion beteiligen. Es kommt aber vor allem darauf an, etwas zu tun und nicht zu lamentieren. Dazu braucht es keine Abgeordnetenhausbeschlüsse, sondern kontinuierliches Handeln.

Lieber Herr Birk! Wenn Sie mich schon zitieren, dann zitieren Sie mich vollständig. Ich habe im „Tagesspiegel“ gesagt: „Diesen Kampf nimmt uns niemand ab, aber der Staat kann uns dabei helfen.“ An welcher Stelle er und wie effektiv er uns dabei helfen kann, werden wir diskutieren. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Herr Dr. Lederer! – Für die FDP-Fraktion hat nunmehr der Kollege Lehmann das Wort. – Bitte schön, Herr Lehmann!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Berlin ist eine liberale, tolerante und weltoffene Stadt.

[Beifall bei der FDP]

Bereits Anfang des letzten Jahrhunderts, spätestens seit der Weimarer Republik entwickelte sich eine homosexuelle Szene in dieser Stadt. Nach zwei Diktaturen hat die Szene wieder sichtbar ihre Räume in der Stadt besetzt und ist munterer und kreativer Teil des Stadtlebens.

[Beifall bei der FDP]

Der Christopher Street Day ist von einem politischen Happening zu einem Mega-Event in dieser Stadt mutiert, das nicht mehr nur Homosexuelle und Lesben anzieht, sondern auch Berliner sowie Touristen aus aller Welt. Ebenso ist das jährliche Fest in der Motzstraße zu nennen, das auch für viele von uns zum gern wahrgenommenen Pflichtvergnügen geworden ist.

Leider muss ich hier die Einschränkung machen, dass offenes homosexuelles Leben nur in einigen Teilen dieser Stadt normal ist. So tolerant und offen diese Stadt und der größte Teil seiner Bewohner auch ist, gibt es viele, die noch Probleme mit Homosexualität haben. Diese Probleme äußern sich in Vorurteilen, blöden Witzen oder abfälligen Bemerkungen. Diese werden wir auch in einigen Hinterzimmern unserer eigenen Parteien finden.

Es häufen sich brutale Überfälle auf Lesben, Schwulen und Transgender. Im Sommer gab es im Tiergarten eine Reihe von Übergriffen. Die Vorfälle der letzten Wochen dürften uns noch im Gedächtnis sein. Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang jedoch auch der schändliche Anschlag auf das Mahnmal für homosexuelle Opfer der NS-Zeit. Diese Taten zeigen eine Entwicklung, die wir nicht akzeptieren dürfen. Hier müssen Politik und Gesellschaft Grenzen setzen. Homophobie muss genauso bekämpft werden wie Rassismus und Antisemitismus.

[Beifall]

Ein großer Teil der gewalttätigen Übergriffe geht zumindest im Westen dieser Stadt von islamischen männlichen Jugendlichen aus. Im Osten sind es russischstämmige und rechtsgerichtete deutsche Jugendliche. Umfragen belegen die große Verbreitung schwulen- und lesbenfeindlicher Einstellungen unter jungen Männern mit türkischer, arabischer oder russischer Abstammung. Wer fordert, man dürfe die Probleme nicht ethnisieren, ruft dazu auf, sie zu ignorieren.

[Beifall bei der FDP]

Wer Probleme lösen will, muss sie auch benennen können. Das ist es nämlich. Dazu gehört auch die Benennung der Verursacher. Wir können nur präventiv wirken, wenn wir wissen, wo wir ansetzen müssen. Von allen hier lebenden Menschen erwarte ich Toleranz und Weltoffenheit, auch von den hier lebenden Migranten.

Herr Kollege Lehmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein! – Deren Interessenverbände sind in der Pflicht, dazu ein deutliches Signal zu setzen. Wenn ich mir dann aber ansehe, was der Senat in diesem Zusammenhang tut bzw. eher nicht tut, frage ich mich, wir ernst er dieses Thema überhaupt nimmt.

[Beifall bei der FDP]

Der Runde Tisch gegen Homophobie beim Integrationsbeauftragten war ein Schlag ins Wasser. Hier wurde Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners betrieben, mit dem wir nicht weiterkommen. Herr Piening weigert sich, den Dialog zwischen Homosexuellen und migrantischen Organisationen weiterzufördern.

[Unglaublich! von der SPD]

Die Weigerung, den Dialog gegen Homophobie am Runden Tisch fortzusetzen, zeigt, welchen Stellenwert der Berliner Senat diesem Thema gibt. Kampf gegen Homophobie und für Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensweisen muss in den Familien und Schulen beginnen. Es reicht nicht, einen Maßnahmenplan nach dem anderen zu verabschieden und Projekt auf Projekt zu finanzieren. Das alles sind nur Kriseninterventionen, die an den Symptomen herumdoktern.

[Beifall bei der FDP]

Gute Bildung und Erziehung haben auch die Aufgabe, Toleranz und Gewaltfreiheit zu fördern. Dazu müssen Schulen und Kitas gut ausgestattet sein. Aber auch in diesem Bereich zeigt sich, wie fahrlässig der Senat mit diesem Thema umgeht. Der rot-rote Senat hat vor einigen Jahren der Bildungseinrichtung Kombi, Kommunikation und Bildung, die Fördermittel gestrichen. Der Regierende Bürgermeister und ich haben damals noch gemeinsam die Unterschriftenaktion initiiert, um Kombi zu erhalten. Diese Bildungseinrichtung, die unter anderem Lehrerinnen und Lehrer vorbildlich in den Bereichen Diversity, Gender und sexuelle Identität fortbildet, erreicht nun bei weitem nicht mehr so viele Lehrerinnen und Lehrer wie früher. Die beiden Mitarbeiter machen das jetzt nämlich ehrenamtlich. – Das ist nur ein Beispiel dafür, wie die notwendige Infrastruktur zur Förderung von Toleranz und Weltoffenheit beschnitten wird.

Zum Kampf gegen Homophobie gehört mehr, als einmal im Jahr prominent auf dem CSD vertreten zu sein und auf dem Wagen herumzuturnen, auch wenn es Spaß macht. Ich erwarte vom Berliner Senat, dass er das Problem der Homophobie ernst nimmt und endlich handelt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Lehmann! – Gegen den Vorschlag des Ältestenrats, den Antrag federführend an den Ausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche Bildung und Soziales und mitberatend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie und den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung zu überweisen, höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.