Zu einigen Elementen des Aktionsplans: Härtere Strafen halten wir für kein geeignetes Abschreckungsmittel – die Jungs kommen homophober aus dem Vollzug, als sie reingehen –, aber eine zeitnahe Gerichtsverhandlung schon. Dazu müssen aber erst einmal Anzeigen erstattet werden, oder die Staatsanwaltschaft müsste ermitteln. Umfragen zufolge gehen aber 90 Prozent der Opfer nicht zur Polizei, weil sie befürchten als Opfer homophober Gewalt nicht ernst genommen zu werden. Unter Herrn Glietsch hat sich da erfreulicherweise einiges getan, aber die Reaktion auf seine Regenbogenfahnenaktion zeigt einmal mehr, dass es noch viel Fortbildungsbedarf gibt.
Projekte zur Opferbetreuung und Prävention leiden unter Finanznot. Das schwule Antigewaltprojekt Maneo, das jeder hier wahrscheinlich kennt, verfügt nur über eine hauptamtliche Stelle und arbeitet inzwischen mit Wartelisten für die Opferberatung. Eine entsprechende Struktur
für Lesben gibt es nur rudimentär, und für Transgender fehlt sie gänzlich. Es muss eine gesicherte Struktur her.
Die Aufklärung über sexuelle Identität muss im Rahmen eines Diversity-Ansatzes Pflichtprogramm in Kitas, Schulen und Jugendeinrichtungen werden. ABqueer erreicht mit seinen Schulbesuchen gerade einmal 0,6 Prozent der Schüler. Das ist viel zu wenig. Wir fordern DiversityBeauftragte in allen Schulen, damit die Aufklärungsmaterialien nicht schon im Sekretariat im Müll landen, wie es schon oft geschehen ist. In der Jugendkultur haben wir selbst mit unserem Konzert Rap´n Respect gesehen, wie Jugendliche Hip-Hop ohne Schwulen-Bashing machen können und trotzdem Spaß dabei haben. Solche Projekte müssen gestärkt werden.
Homophobie muss zielgruppenspezifisch begegnet werden. Bei den Skins werden wir anders herangehen müssen als bei Jugendlichen, deren Eltern aus Ländern eingewandert sind, die noch immer eine homophobe Staatsdoktrin haben. Diese Migrantenkinder haben aber ähnliche Erfahrungen in der S-Bahn hinter sich wie ich, ohne dass sie sich verleugnen können. Da müssen wir anknüpfen, wie es beispielsweise Türkiyemspor vorbildlich macht.
Vertreibungsphantasien à la Sascha Steuer machen überhaupt keinen Sinn. Das sind Berliner, und wir müssen die Probleme hier in Berlin lösen.
Dazu muss auch der Runde Tisch Homophobie bei Herrn Piening fortgeführt werden. Herr Lederer, Sie sagten im „Tagesspiegel“, kein Staat nehme uns Schwulen und Lesben den Kampf ab. Wir dagegen meinen, dass Homophobie keineswegs eine Angelegenheit der Betroffenen allein ist. Sie muss in gemeinschaftlicher, gesamtgesellschaftlicher Anstrengung bekämpft werden. Deswegen braucht Berlin einen Aktionsplan gegen Homophobie.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anlass des Antrags sind die in den letzten Monaten aufgetretenen brutalen Übergriffe auf Lesben und Schwule sowie die vor einem Jahr vorgelegte sogenannte SimonStudie, die auch in der Begründung des Antrags zitiert ist. In der Studie wurde festgestellt, dass homophobe Einstellungen besonders stark bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund vertreten sind. In einem in Berlin erscheinenden arabisch-deutschen Magazin steht – ich zitiere –:
Es steht fest, dass Homosexualität in vielen arabischen Staaten strafrechtlich verfolgt wird. Das war übrigens in Deutschland bis in die 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts auch der Fall. In der Türkei kommt es häufig zu brutalen Übergriffen auf Schwule bis hin zu Mord, wie erst kürzlich in „Kulturzeit“, dem „3sat“-Magazin, berichtet wurde. Dass sollte sachlich angesprochen werden, ohne dass man sich wechselseitig Homophobie oder Rassismus vorwirft.
Dieser Dialog hat erst begonnen. Er sollte nicht durch forsche Forderungen schon im Keim erstickt werden.
Die Simon-Studie gibt auch Hinweise auf die Ursachen von homophoben Einstellungen. Zwei der nachgewiesenen Zusammenhänge möchte ich kurz zitieren. Aus ihnen ist auch ein Handlungsbedarf für die Mehrheitsgesellschaft abzuleiten. Erstens: Je integrierter sich die befragten jungen Migranten fühlen, desto weniger homosexuellenfeindlich sind sie. – Zweitens: Je mehr sie sich diskriminiert fühlen, desto homosexuellenfeindlicher sind sie.
Doch wir machten es uns zu leicht, wenn wir Homophobie als Migrantenproblem abtäten. In der Simon-Studie gaben immerhin 47,7 Prozent der befragten männlichen deutschen Jugendlichen an, dass sie es abstoßend finden, wenn sich Männer auf der Straße küssen. „Schwule Sau“ ist leider überall in Deutschland ein weitverbreitetes Schimpfwort auf allen Schulhöfen. Das ist der Ort, wo viel stärker als bisher Präventionsarbeit geleistet werden muss.
Es ist aber nicht so, dass bisher nichts gemacht wurde. Das Thema Homosexualität ist in den Lehrplänen in verschiedenen Fächern in allen Schulformen verankert. Weiterbildungen zu dem Thema werden angeboten, aber leider nicht genügend wahrgenommen. Ein bekannter Grünen-Bundespolitiker schreibt auf seiner Homepage:
Wie man Erröten verhindern kann, weiß ich nicht genau. Es bedarf aber der Offenheit der Lehrer, sich von außen Unterstützung zu holen, wenn sie sich selbst nicht zutrauen, das Thema zu behandeln. Es gibt in Berlin mehrere Projekte, die in die Schulklassen gehen und wo dann junge Schwule und Lesben mit den Jugendlichen über das Thema sprechen. In vielen Bereichen, die im Antrag der
Grünen aufgelistet werden, wird bereits einiges getan. Beispielsweise gibt es spezielle Fortbildungsangebote für Lehrer und Erzieher. Der Senat fördert mehrere Projekte, die sehr gute Aufklärungs- und Beratungsarbeit leisten – beispielsweise ABqueer, Gladt oder Maneo.
In der Jugendhilfe gibt es die Leitlinien zur Verankerung geschlechtsbewusster Ansätze in der pädagogischen Arbeit mit Mädchen und Jungen. Auch die Polizei unternimmt vertrauensbildende Maßnahmen, sei es das Hissen der Regenbogenflagge oder die Ausstellung von Maneo über die Opfer homophober Gewalt in der Lobby des Polizeipräsidiums. Berlin war auch das erste Bundesland, in dem es bei der Polizei einen eigenen Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen gibt. Der Verein lesbischer und schwuler Polizeibediensteter hat auf dem Motzstraßenfest eine Befragung zur Sicherheit von Lesben und Schwulen durchgeführt. Aber auch die Lesben- und Schwulenorganisationen müssen für Vertrauen in die Polizei werben. Vertrauen ist immer zweiseitig.
Selbstverständlich kann und muss noch mehr gegen Homophobie unternommen werden. Aber man muss auch anerkennen, dass Berlin schon eine ganze Menge macht. Über die Frage, ob ein Aktionsplan die Arbeit gegen Homophobie verbessert, werden wir in den Ausschüssen diskutieren. Ein Aktionsplan darf nicht den Eindruck erwecken, die Politik könne es schon richten. Hier ist die gesamte Gesellschaft gefragt.
Da ein Bezug zum Fußball im politischen Reden meist nicht fehlen darf, möchte ich meine Rede mit einem Zitat von Philipp Lahm beenden. Das Zitat stammt aus seiner Dankesrede anlässlich der Übergabe des ToleranziaPreises von Maneo. Ich zitiere:
Schon in unserem Grundgesetz stehen die Rechte des Menschen und seine Würde an erster Stelle. Dies ist für mich eine Selbstverständlichkeit, denn Würde ist unabhängig von Rasse, Religion, Geschlecht oder auch sexueller Orientierung. Ich lebe gerne in einer liberalen, offenen Gesellschaft, in der ein tolerantes Miteinander ohne diskriminierende Vorurteile möglich ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Würde des Menschen ist unantastbar. Menschenfeindlichkeit – egal, von wem sie kommt, und egal, gegen wen sie ge
gerichtet ist – ist inakzeptabel. Es ist eine Kernaufgabe einer wehrhaften Demokratie, gegen Extremismus, Unterdrückung und Menschenverachtung vorzugehen und Demokratiebewusstsein, Toleranz und Dialogfähigkeit zu stärken.
Deshalb gibt es zu Recht zahlreiche Programme gegen Rechtsextremismus, ein Extremismus, der nach unseren Erfahrungen und Verfehlungen des letzten Jahrhunderts in allen Anfängen bekämpft werden muss.
Doch so entschlossen unsere Arbeit gegen den Rechtsextremismus ist, genauso klar muss auch gegen jede andere Form der Menschenfeindlichkeit vorgegangen werden. Seit einigen Jahren steigen die Übergriffe auf Homosexuelle in der Stadt. Immer wieder sind schwere körperliche Schäden die Folge. Vor wenigen Wochen wurde ein junger Mann im U-Bahnhof Hallesches Tor krankenhausreif geprügelt, ohne etwas getan zu haben – nur weil er schwul ist. Die Täter waren in diesem Fall Jugendliche mit Migrationshintergrund. Das ist kein Einzelfall, denn immer häufiger haben die Täter einen Migrationshintergrund. Diejenigen, die Toleranz in vielerlei Hinsicht selbst brauchen, verhalten sich hier intolerant. Diese Gewaltübergriffe sind leider nur die Spitze einer Intoleranz unter vielen Migranten gegenüber westlichen Vorstellungen und Regeln des Zusammenlebens. Dazu gehört Homosexualität genauso wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die freie Entscheidung zur Eheschließung, der gemeinsame Schulunterricht, der gemeinsame Sport oder die Akzeptanz anderer religiöser Überzeugungen.
Im vergangenen Jahr analysierte eine Universitätsstudie – hier schon mehrfach genannt – die Homophobie unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Die Ergebnisse sind erschreckend: 79 Prozent der Gesamtschüler und Gymnasiasten mit Migrationshintergrund hatten homophobe, menschenverachtende Einstellungen. – Diese Ergebnisse sind erschreckend und zeigen letztlich die mangelnde Integration vieler Jugendlicher mit Migrationshintergrund. Um es klar zu sagen: Selbstverständlich sind die Ursachen vielschichtig. Sie liegen in der Perspektivlosigkeit, in sozialen Schieflagen, falschen Vorbildern, aber eben häufig auch in einer rückwärtsgewandten Gesellschaftsvorstellung in den Heimatfamilien und in Radikalisierungen in muslimischen Gemeinden.
Die Gründe sind vielfältig, aber das Ergebnis muss klar sein: Es kann kein Zurückweichen gegenüber menschenverachtenden Einstellungen geben – aus welchem Grund auch immer.
Der Senat ist aufgefordert zu handeln. Es kann nicht sein, dass es dem Einzelnen aufgebürdet wird, unsere Freiheiten und Vorstellungen von Zusammenleben durchzuset
zen. Doch dem Senat fehlt eine klare Linie. Seit Jahren schmort die Handreichung „Islam und Schule“ in der Bildungsverwaltung. Die „Berlin Respect Gaymes“ sollen nicht in Brennpunktkiezen durchgeführt werden, weil man nicht provozieren will. Der Runde Tisch gegen Homophobie mit Migrantenverbänden läuft ergebnislos auseinander. Der Senat ist nur bereit, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden und Migrantenverbände aus der Pflicht zu entlassen. Damit sind wir nicht einverstanden.
Wir brauchen mehr Angebote. Wir brauchen eine Aufstockung der Projekte. Wir brauchen Dialoge und bessere Angebote im Bildungsbereich.