Protocol of the Session on November 27, 2008

[Özcan Mutlu (Grüne): Schon lange beendet!]

Einen Satz, Frau Präsidentin! – Dann waren Ihre Diskussionsbeiträge und Forderungen – gerade vor einer halben Stunde noch zu PISA – reine Krokodilstränen.

[Benedikt Lux (Grüne): Haben Sie unseren Änderungsantrag gelesen?]

Dann geht es Ihnen nicht um eine effiziente Schulplanung, –

Frau Abgeordnete Hertel! – Bitte kommen Sie zum Schluss!

sondern es geht Ihnen rein um Oppositionspolitik.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Özcan Mutlu (Grüne)]

Vielen Dank! – Für die CDU hat jetzt der Herr Abgeordnete Steuer das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die leichte Konfusion gerade entspricht auch meiner Konfusion darüber, dass der Senator sich für den Senat das Wort nimmt – was selten vorkommt – und ein Gesetz begründet, was von der Koalition eingebracht wird. Die Rednerin der SPD und der Senator geben dem Gesetz durch sehr gestelzte Worte und einen bestimmten Habitus eine Bedeutung, die das Gesetz nicht hat. Es geht um eine Datei, nicht um die Bildungsrepublik Deutschland, Herr Zöllner, wie Sie gerade gesagt haben.

[Zuruf von Markus Pauzenberger (SPD)]

Nun haben wir das Gesetz vorliegen. Die Ziele des Gesetzes sind völlig richtig. Es kann nicht sein, dass die Schulen erst am ersten Schultag, nachdem die Sommerferien zu Ende sind, wissen, wie viele Schüler sie haben und wie viele von denen, die sich angemeldet haben, bei ihnen tatsächlich ankommen. Es kann auch nicht sein, dass wir in einem halben Schuljahr 16 000 Schüler haben, die die Schule mehr als einen Tag schwänzen und darüber keine Kenntnis auf Landesebene besteht, wie mit diesen 16 000 Schülern umgegangen wird. Darüber wissen nur die Bezirke Bescheid, das Land ist relativ ahnungslos.

Hier hat uns Hamburg etwas voraus. In Hamburg gibt es seit zwei Jahren eine Schülerdatei auf Landesebene, womit genau an die Familien – Schüler und Eltern – herangetreten wird, wo die Kinder dauerschwänzen. Dort wird mit einem klaren Verfahren nach drei Tagen ein Bußgeld gegen die Eltern verhängt. Danach werden weitere Schritte unternommen. So etwas brauchen wir auch in Berlin. Deshalb ist diese Schülerdatei der erste Schritt in diese richtige Richtung. Aber es kann nicht sein, dass der Senat sich monatelang nicht einig ist, über dieses Gesetz zwischen den Senatsverwaltungen offensichtlich gestritten wird, dann das Abgeordnetenhaus befasst und von diesem erwartet wird, dass wir das Gesetz im Hauruckverfahren durch die Ausschüsse prügeln, wenn es geht ohne Anhörung.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Deshalb steht für uns ganz klar fest: Dieses Gesetz muss eine breite Basis in der Bevölkerung und im Abgeordnetenhaus haben. Das Thema ist zu sensibel, um es nur auf einer schmalen Basis durchzupeitschen. Dafür brauchen wir eine breite Beteiligung, dafür brauchen wir eine Anhörung. Und dafür ist es notwendig, die datenschutzrechtlichen Einwände ernst zu nehmen, um die notwendige Akzeptanz für dieses im Kern sinnvolle Gesetz in Berlin und im Abgeordnetenhaus zu erreichen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Steuer! – Jetzt hat für die Linksfraktion der Abgeordnete Zillich das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das vorliegende Gesetz hat neben der Umsetzung der Schulpflicht vor allem das Ziel, die Organisation der Schulen zu verbessern, ihre Ausstattung transparenter und genauer zu machen. Dass dies nötig ist, dürfte in diesem Haus, aber auch weithin in Berlin unumstritten sein. Es geht darum, Planungsprozesse so zu gestalten, dass sie auf einer aktuellen, zutreffenden Datengrundlage stattfinden. Es soll in Zukunft vermieden werden, dass Doppelanmeldungen und falsche Angaben die Planungssicherheit erschweren, die die Schulen für ihre pädagogische Arbeit brauchen.

Die Schulverwaltung soll in die Lage versetzt werden, wenn es um die Ausstattung der Schulen geht, genau nachzuvollziehen, auf wie viele Lehrerinnen und Lehrer, auf wie viele Erzieherinnen und Erzieher eine Schule Anspruch hat. Sie ist dann auch in der Pflicht zu reagieren, wenn Pädagogen fehlen. Die Schulen sollen davon entlastet werden, wieder und wieder Berichte schreiben zu müssen und doch nicht davon ausgehen zu können, dass die Entscheidungen, die über sie getroffen werden, tatsächlich auf der Grundlage der von ihnen gelieferten Daten erfolgen.

Wenn eine Schülerdatei geplant ist, dann ist Misstrauen allerdings Pflicht.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Beifall bei den Grünen]

Die Befürchtung ist alles andere als aus der Luft gegriffen, dass Verwaltungen in ihrem Bestreben, möglichst viel zu wissen, die Sensibilität dafür verlieren, dass Sammlungen und Speicherung von Daten einen Eingriff in die Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern darstellen. Aber Misstrauen allein reicht nicht. Es geht um eine genaue Prüfung. Uns ging es darum, dass die Datei genau auf das beschränkt wird, was für ihre Ziele erforderlich ist. Hier wird nichts gesammelt einfach nur, weil es geht. Hier gibt es auch keine Blankoschecks. Es ist in Berlin so, dass Schulen ihre Personalausstattung auch danach erhalten, wie viele Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache an ihnen lernen und wie viele Kinder wegen der sozialen Situation der Familien von der Zuzahlung zu den Lernmitteln befreit sind. Deswegen braucht man diese Daten für die Ausstattung der Schulen. Aber es ist dafür nicht nötig, in der Schulverwaltung zu wissen, welcher Schüler, welche Schülerin nichtdeutscher Herkunftssprache und von der Zuzahlung befreit sind. Deshalb ist der Zugriff so begrenzt, dass ein Rückschluss auf einen individuellen Schüler/Schülerin nicht möglich ist.

Genaue Prüfung ist Pflicht. Aber Legenden nutzen einem Prüfungsprozess, in dem es um Aufklärung geht, nichts.

Ein paar davon will ich gleich ausräumen, damit der Blick auf den Kern der Diskussion nicht verstellt wird. Erstens: Diese Datei ist kein Beitrag für das Vorhaben der Kultusministerkonferenz, eine bundesweite Schülerdatei zu errichten und für jeden Schüler ein Sozialprofil und Bildungsverläufe zu speichern. Im Gegenteil, die dafür notwendigen Daten werden in der Datei nicht erhoben, eine zentrale Speicherung von Bildungsverläufen wird in Berlin dadurch ausgeschlossen. Dass das nötig ist, zeigt die Tatsache, dass die Datenerfassung für die KMK-Datei vor Monaten in Berlin bereits begonnen hatte und erst von Senator Zöllner dankenswerterweise gestoppt wurde.

Zweitens: Alle Daten, die in dieser Datei gespeichert werden sollen, werden bereits jetzt erhoben. Nichts wird zusätzlich dafür erhoben.

Drittens: Es wird nicht möglich sein, dass in der Schulverwaltung oder beim Schulträger ein eifriger Mitarbeiter sich das Profil eines Schülers oder einer Schülerin heraussucht, weil der Zugriff auf die Daten, die besonders sensibel sind, so organisiert werden muss, dass eben gerade kein Rückschluss auf eine konkrete Schülerin, auf einen konkreten Schüler möglich ist. Das ist ausgeschlossen. Ausgeschlossen bedeutet in diesem Zusammenhang nicht einfach, dass eifrige Mitarbeiter sich die Augen zuhalten müssen, weil bestimmte personenidentifizierende Daten nicht angesehen werden dürfen, das wäre in der Tat ein reichlich lebensfremdes Szenario, sondern ausgeschlossen bedeutet in diesem Zusammenhang, dass es tatsächlich unmöglich ist, dass, wenn der eifrige Mitarbeiter seinen Computer anmacht, der komplette Datensatz eines Schülers erscheint.

Viertens: Es werden durch diese Datei nicht die Fehlzeiten von Schülerinnen und Schülern zentral gespeichert, sondern es geht darum zu verhindern, dass ein Kind an der Schulpflicht vorbeirutscht, und Schulpflichtverletzungsverfahren in den Bezirken finden statt.

Fünftens: Es findet kein automatisierter Abgleich mit anderen Behörden, weder mit der Polizei noch mit der Ausländerbehörde statt. Im Gegenteil: Auskünfte an die Ausländerbehörde sind ausgeschlossen. Auskünfte an die Polizei gibt es ausschließlich im Einzelfall.

[Özcan Mutlu (Grüne): Warum denn überhaupt?]

Dort gibt es nur die Auskunft, an welcher Schule der Schüler ist, und gegebenenfalls Kontakt zu den Erziehungsberechtigten.

Wir haben mit diesem Gesetzentwurf eine Diskussionsgrundlage. Diese Diskussion ist nicht beendet, auch in unserer Fraktion nicht, wie Sie wissen. Wir werden in einen sehr konzentrierten und gründlichen Beratungsprozess eintreten. Wir werden Betroffene und Experten anhören, selbstverständlich – auch im Ausschuss. In den Beratungen werden wir genau prüfen, ob die Datei und die einzelnen in ihr erfassten Daten dazu beitragen, die Schulorganisation zu verbessern und zu verhindern, dass Kinder der Schulpflicht entzogen werden, ob dieser Beitrag den

mit der Datei verbundenen Grundrechtseingriff rechtfertigt und ob die erhobenen Daten und die Zugriffsberechtigung auf das für diesen Beitrag notwendige Maß beschränkt sind. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Zillich! – Für die Grünen hat das Wort der Abgeordnete Mutlu. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich feststellen, dass es interessant ist festzuhalten, dass für die SPD die Innenpolitiker zu so einem Vorhaben sprechen und nicht die Bildungspolitiker. Da kann man sich denken, wes Geistes Kind das ist. Wie dem auch sei: Eine Schülerdatenbank zum Zweck einer besseren und effektiveren Organisation des Schuljahrs ist im Allgemeinen zu begrüßen, ohne Frage, weil dadurch in der Tat ein gezielter und besserer Personaleinsatz erreicht wird und wir nicht wie jedes Jahr bisher ein Kuddelmuddel haben, sondern zielgerichtet die Lehrer planen und in die Schulen schicken können.

Es ist sicherlich auch sinnvoll, Daten zu erheben, um konkrete und gezielte Fördermaßnahmen einzuleiten, damit die Schülerinnen und Schüler individuell gefördert werden können. Das betrifft insbesondere Schüler mit Sprachförderbedarf oder Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Dagegen ist in der Tat nichts einzuwenden. Sie gehen aber mit Ihrem Gesetzesvorhaben viel weiter. Sie erheben Sozialdaten, die im Worst Case der Stigmatisierung Tür und Tor öffnen, weil Datensätze nicht getrennt erfasst werden und damit per Knopfdruck, etwas Böswilligkeit sei hier unterstellt, sofort alle Daten für die Person herausgefunden werden können und damit Missbrauch möglich ist! – Ja, Herr Zillich, Misstrauen ist hier angesagt, weil Missbrauch möglich ist. Da, wo Daten erfasst werden, gibt es auch Datenmissbrauch. Sie können tun und lassen, was Sie wollen, wenn die Daten da sind, können die Datensätze immer missbraucht werden – auch von Sicherheitsbehörden. Das sage ich ganz deutlich.

[Beifall bei den Grünen]

Die Schule vor Ort braucht diese Datensätze gar nicht in der Form. Andererseits hat Frau Hertel recht: Für die Schulbehörde, für die Schulverwaltung ist nicht das Individuum wichtig, sondern wie viele Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder Sprachförderbedarf eine Schule hat. Die Zahl x ist wichtig. Aus diesem Grund fordern wir, dass eine Trennung der Sozialdaten und der Personendaten vorgenommen wird, und die Sozialdaten noch anonymisiert werden, damit keine Verbindungen und Querverweise zu einzelnen Schülern hergestellt werden können.

Wir haben ein Problem mit diesem Gesetz, denn wenn das so realisiert wird, wie Sie es sich vorstellen, steht am En

de des Prozesses der gläserne Schüler. Und das ist etwas, was wir auf keinen Fall wollen.

[Beifall bei den Grünen]

Sie wollen auch – aus welchen Gründen auch immer, was Sie genannt haben, hat mich nicht überzeugt – den Sicherheitsbehörden und der Polizei Zugang zu dieser Schülerdatenbank ermöglichen. Sie meinen, es ist eingeschränkt, es ist in Ordnung. Aber warum? Wozu braucht denn die Polizei überhaupt einen Zugriff auf diese Daten? – Wir sagen: Nicht mit uns! Wir wollen keine Datenschnüffelei in der Schule à la Schäuble.

[Beifall bei den Grünen]

Und dass sich die Linken in der Gestalt von Herrn Zillich hier hinstellen und versuchen, krampfhaft zu begründen, warum sie es dennoch unterstützen, finde ich ganz schön scheinheilig.

[Beifall bei den Grünen]

Die Schülerverbände, die Elternverbände, der Verband der Schulen in Trägerschaft und viele andere lehnen dieses Gesetz in der bestehenden Form ab. Ich sage: zu Recht, und Sie können mir nicht mit sicherheitspolitischen Argumenten kommen. Die Polizei hat genügend Datenbanken. Die Polizei hat auch zu viele Datensätze, da braucht sie nicht noch eine zusätzliche Schülerdatei.

[Beifall bei den Grünen]

Auch das Argument, dass man damit dem Problem der Schulschwänzerei oder den Schulschwänzern begegnen will, greift hier zu kurz. Diese jungen Menschen brauchen sozialpädagogische Hilfen. Diese jungen Menschen brauchen Maßnahmen, die ihnen helfen, und keine Kriminalisierung und keine Schnüffelei. Wir werden deshalb dieses Gesetz in der vorliegenden Form nicht unterstützen. Ich kann nur hoffen, dass die wenigen Vernünftigen in der linken Fraktion das genauso sehen wie wir und dieses Gesetz ablehnen.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Hertel.

Herr Mutlu! Für Sie zur Kenntnis noch einmal ganz kurz: Hier hat nicht die Innenpolitikerin Hertel gesprochen, sondern,

[Zuruf von der FDP: Die Mutter!]