Protocol of the Session on September 11, 2008

eben beschriebenen Gesprächen mit ausländischen Besuchern durchaus deutlich geworden.

Wir dürfen die Chance, an dieser Stelle ein hochwertiges Stadtquartier zu schaffen, das einer europäischen Metropole würdig ist, Wirtschaft und Lebensqualität für die Bewohnerinnen und Bewohner ebenso wie für die Gäste Berlins miteinander verbindet, nicht verspielen!

Die Entwicklung Londons in den letzten 30 Jahren zeigt durchaus die Risiken einer vorrangig an Konzerninteressen orientierten Stadtplanung mit immer neuen Bürotürmen und kaum noch Wohnbevölkerung in den entsprechenden Quartieren. Diese Fehler gilt es zu vermeiden.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Aber wer von den politisch für Berlin Verantwortlichen hier in diesem Hause würde nicht die wirtschaftliche Prosperität Londons gern gegen die von Berlin eintauschen? Uns muss klar sein, dass wir ökonomisch meilenweit von London oder Paris entfernt sind, was ebenfalls mit den besagten historischen Gründen zusammenhängt, und auch im innerdeutschen Vergleich haben wir Mühe, Anschluss zu halten.

Herr Abgeordneter Jahnke! Entschuldigen Sie bitte die Unterbrechung. – Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mutlu?

Im Moment nicht, nein!

[Zurufe von den Grünen]

Mit Kleinmut und dem Bewahren einer zweifelhaften Kiezidylle aus Mauerzeiten haben wir keine Chance, den Anschluss zu finden.

Die Pläne der Stadtentwicklungsverwaltung zeigen Wege auf, wie der Spreeraum für alle Bürgerinnen und Bürger erschlossen werden kann, was er derzeit ja nicht ist mit den alten Gewerbegrundstücken, die bis ans Ufer heranreichen. Es gibt durchaus Konzeptionen, wie das Wohnumfeld an der Spree und in den angrenzenden Quartieren verbessert werden kann, wie eine neue Kreuzberger Mischung entstehen kann. Natürlich soll es einen durchgängigen Uferweg entlang der Spree geben, aber keinen durchgängig 50 Meter breiten Streifen, der viele Nutzungen erschwert oder unmöglich macht.

Es gibt zum Glück auch Investoren, die das wirtschaftliche Potenzial dieses großartigen Stadtraums erkennen. Zum Teil haben sie bereits Baurecht, und es kann nicht ernsthaft unser Interesse sein, dass sie wieder abspringen oder gar Schadensersatzansprüche gegen Berlin geltend machen. Manchmal höre ich den Einwand: Warum bauen sie nicht längst, wenn sie das Grundstück haben und das Baurecht dazu? – Sie dürfen mir glauben, dass mir dieses Thema aus meinem eigenen Wahlkreis rund um den

Breitscheidplatz keineswegs unbekannt ist. Aber so, wie es dort nun endlich vorangeht mit dem Zoofenster, müssen wir alles tun, damit der Spreeraum endlich seine Potenziale entfalten kann.

Gewiss gibt es mitunter Phasen des Stillstands, weil Investoren die von ihnen gewünschte Verwertung des Grundstücks noch nicht gewährleistet sehen. Auch der Bau der Anschutz-Halle lag über Jahre auf Eis. Nun ist sie jedoch eröffnet und ein Pluspunkt für Berlin. Die Bebauung des umliegenden Areals sollte so schnell wie möglich in Angriff genommen werden. Über den Anteil der Wohnbebauung, über Gestaltungsfragen und Ähnliches kann man mit dem Investor verhandeln. Aber wir können doch nicht ernsthaft wollen, dass er abspringt und womöglich Schadensersatz nach Atlanta oder sonstwohin überwiesen werden muss.

Dies alles kann ebenso wenig unser Ziel sein wie die manchmal auch zu hörende Forderung, zumindest auf den Grundstücken, die dem Land Berlin oder einem seiner Unternehmen gehören, den 50 Meter breiten Streifen oder die Traufhöhe oder anderes vorzuschreiben. Das Grundstück der BSR wäre in diesem Fall nicht mehr sinnvoll zu nutzen. Ähnliches gilt für die BEHALA. Dies wäre weder ein verantwortungsvoller Umgang mit unserem Landesvermögen, noch würde hier ein irgendwie geartetes einheitliches Bauplanungsverfahren möglich.

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, in dessen Händen die Planungshoheit liegt, muss verantwortungsvoll mit der Situation umgehen, die durch den Bürgerentscheid entstanden ist. Mit Sicherheit bricht ein Bürgerentscheid kein Baurecht. Doch auch unterhalb der Ebene rechtsverbindlicher Bebauungspläne sollte der Bezirk sehr genau hinsehen, wo eventuell Verhandlungsspielraum gegeben ist und wohingegen ein planerischer Flickenteppich zurückbleiben würde, der weder wirtschaftspolitischen Zielsetzungen noch der Ästhetik des Stadtbildes förderlich wäre und im Endeffekt den Berlinerinnen und Berlinern schaden würde

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Özcan Mutlu (Grüne)]

in ihrer Eigenschaft als Bewohnerinnen und Bewohner – Sie wohnen, glaube ich, dort, Herr Mutlu – ebenso wie in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Ich bin überzeugt, dass eine vorausschauende Politik keine künstlichen Gegensätze zwischen den Bürgerinteressen und denen der Wirtschaft aufbauen wird, sondern diesem hochinteressanten Gebiet zwischen Schilling- und Elsenbrücke die Entwicklung ermöglicht, die es verdient. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Jahnke! – Für die CDUFraktion hat jetzt der Abgeordnete Dr. Lehmann-Brauns das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Regierende Bürgermeister hat vor ein paar Wochen auf einer Kaffeefahrt mit Gefolge seinen Unmut über die Architekturqualität eines Kaufhauses am Alex ausgedrückt – für mich das erste Mal, dass er sich überhaupt, seit er amtiert, zum Thema Stadtgesicht geäußert hat. Immerhin!

Die Kaffeefahrt hat ihn auch zum Spreeufer, dem Gegenstand dieser Aktuellen Stunde, gebracht. Hierzu hat sich Wowereit leider nicht geäußert, jedenfalls nicht inhaltlich. Berlin verfügt – lassen Sie mich das kurz erwähnen – über eine Anzahl wunderbarer Stadtquartiere in Ost, in der Mitte, in West, trotz Krieg und Nachkriegszerstörung.

Aber Berlin hat auch ein anderes Gesicht, ein zerstörtes, ein lebloses. Die Aufgabe, die sich an einem so zentralen Ort wie dem Spreeufer stellt, lautet deshalb: Wie kann man erreichen, dass das Ufer, vor allem auf Friedrichshainer Seite, nicht mit leblosen Klötzen zugepflastert wird? Wie kann man gleichzeitig erreichen, dass die für Berlin am Spreeufer so wichtigen Investoren angesiedelt werden? Beide Interessen miteinander zu verbinden, die qualitativen mit den ökonomischen, statt zuzusehen, wie sie aufeinanderprallen – eben darin besteht die politische Aufgabe.

[Beifall bei der CDU]

Wie lautet nun die Antwort des Senats, vor allem des Regierenden Bürgermeisters? – Sie lautet: nicht zuständig, soll doch der Bezirk zusehen, wie er mit dem Spreeufer, dem Bürgerentscheid, den Investoren fertig wird! – Verantwortungs- und hilfloser kann man auf dieses Problem nicht reagieren!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Wir befinden uns in der Mitte der Stadt – der Kollege Jahnke hat es eben schon gesagt –, da, wo die Spree eine repräsentative Breite zeigt, viel mehr ist als ein linker Nebenfluss der Havel. Im Rücken die neue O2-Halle, links die Oberbaumbrücke, rechts die Jannowitzbrücke – „Spiegel“ und „FAZ“ haben dem Thema mehrere Seiten gewidmet: Berlin – Spree-Athen – macht sich einfach lächerlich, wenn es den Fluss zum Kiezgewässer, die Stadtzuständigkeit an den Bezirk verschiebt.

[Beifall bei der CDU]

Das Gleiche ist auch dieser ehrenwerten Bürgerinitiative mit dem martialischen Namen „Mediaspree versenken!“ entgegenzuhalten. Die Versenker sind offenbar überall in dieser Stadt. Es kann nicht angehen, dass knapp 30 000 von 185 000 Bezirksbewohnern verbindlich über das Schicksal dieses für die Gesamtstadt so wichtigen Pro

jekts entscheiden. Immerhin verdanken wir der Initiative – wie damals auch den Hausbesetzern –, dass sie auf das Problem der Urbanität aufmerksam gemacht hat. Es geht allerdings – anders, als diese Initiative vorgibt – dort nicht um die Erhaltung eines Kiezes auf Friedrichshainer Seite, denn dort gibt es weit und breit keinen Kiez. Es ist im Gegenteil ein Glück für diese Gegend, die aus Tristesse und Eastside-Gallery besteht, dass sich dort neues Leben entwickeln wird.

Schließlich sind wir bei den berechtigten Ansprüchen der Investoren, für die Stadt wichtige Namen darunter. Nur wer es schlecht mit der Stadt meint, kann versuchen, sie vom Spreeufer zu vertreiben. Die Investoren gilt es aber zu überzeugen, dass die Architekturqualität ihrer Bauvorhaben der Bedeutung des Ortes entsprechen muss. Auch das ist die Verantwortung dieses Senats.

[Beifall bei der CDU]

Da bin ich bei dem zentralen Stichwort Architekturqualität. – Frau Senatorin! Was Ihre Senatsbaudirektorin Lüscher als Erweiterungsbau von Labels abgesegnet hat, spottet jeder Beschreibung!

[Beifall bei der CDU]

Bestellen Sie ihr einen verständnislosen Gruß! Diese Parkhausarchitektur, wie sie in einigen Zeitungen auch veröffentlicht wurde, würde das Spreeufer steril und leblos machen. Eine solche Stadtverfremdung muss verhindert werden! Das betrifft übrigens ein Ufer, das schon heute von der jungen Szene Berlins entdeckt wurde und mit Namen wie „Maria am Ufer“, „Oststrand“ oder „Yaam-Club“ als erste oder zweite Stadtadresse gilt. Auch diese Szene hat ein Recht zu erwarten, dass an dem Ufer, von dem aus zu DDR-Zeiten auf Flüchtlinge geschossen wurde, ein Stück Freizeitromantik nicht gänzlich verschwindet.

[Zuruf von Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion)]

Resümee: Meine Fraktion fordert erstens, dass der Senat endlich seine Zuständigkeit für dieses Spreeufer anerkennt und wahrnimmt.

[Beifall bei der CDU]

Zweitens soll gleichwohl die Bürgerinitiative angehört werden – wobei ich davon ausgehe, dass sie ihr Heil nicht in Gewaltaktionen wie gestern bei O2 – falls sie dahintersteckt – sucht.

Entschuldigen Sie, Herr Dr. Lehmann-Brauns, wenn ich Sie unterbreche! – Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Braun?

Herr Dr. Lehmann-Brauns! Stört es Sie eigentlich, dass die Bausenatorin gelangweilt in ihren Akten liest, während Sie sprechen, und offensichtlich nicht bereit ist, sich die Argumente wenigstens anzuhören?

Lieber Herr Kollege Braun! Das darf mich als viel geprüfter Abgeordneter in diesem Hause nicht stören. Ich habe eine Korrespondenz mit ihr begonnen, die sie allerdings noch nicht beantwortet hat.

Ich komme zu meiner dritten Forderung: Die Investoren dürfen nicht durch ein jahrelanges Hin und Her zwischen Bezirk und Senat abgestoßen, sondern müssen angeregt werden, ihre Bauabsichten stadtverträglich zu machen.

Viertens: Frau Senatorin! Der Senat soll in Sachen Architekturqualität endlich tätig werden. Es geht nämlich nicht nur um die Stadtoberfläche, sondern um das Stadtgesicht Berlins. Launige Bemerkungen des Regierenden Bürgermeisters auf Kaffeefahrten helfen da nicht weiter! – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Lehmann-Brauns! – Für die Linksfraktion hat jetzt Herr Dr. Lederer das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben einen Antrag des Abgeordneten Dr. Pflüger und anderer vorliegen, der – wie manche Ereignisse der vergangenen Tage – zeigt, dass das, was die CDU in Berlin treibt und trieb, offenbar nicht ganz ernst gemeint ist und dementsprechend auch nicht ganz ernst genommen werden darf. Das gilt auch für die zwischenzeitlich entdeckte Liebe der Hauptstadtunion zur direkten Demokratie. Zu Anfang stand sie ihr sehr ablehnend gegenüber. Dann, als es ihr gerade in den Kram passte, lobte sie die direkte Demokratie über den grünen Klee. Die stürmische Liebe ging zwischenzeitlich sogar so weit, dass ein inzwischen entsorgter Fraktionsvorsitzender selbst das Scheitern des Volksbegehrens zum Flughafen Tempelhof an einer demokratisch festgelegten Hürde noch als „tollen“ Sieg kennzeichnete. Und die Hauptstadtunion forderte, so zu tun, als sei die Hürde übersprungen worden.

Jetzt, nur wenige Monate später, hat die Union offenbar zu ihrer alten Haltung zurückgefunden. Der Bürgerentscheid über die Gestaltung des Spreeraums war zweifellos erfolgreich – im Gegensatz zu dem Bürgerentscheid zum Flughafen Tempelhof. Jetzt verlangt die CDU, die Meinung der Bürgerinnen und Bürger kurzerhand außer Kraft zu setzen und das Verfahren seitens des Senats an sich zu

ziehen. – Das, meine Damen und Herren von der CDU, ist eine merkwürdige Demokratieauffassung. Sie sind für direkte Demokratie, aber nur, wenn die Bürgerinnen und Bürger auch in Ihrem Sinne entscheiden. Das ist nicht meine Auffassung von Demokratie, und das ist auch nicht die Auffassung der rot-roten Koalition von Demokratie.