2005 haben wir die Möglichkeit für bezirkliche Bürgerentscheide eingeführt. Diese sind nicht verbindlich, Herr Kollege Lehmann-Brauns! Dabei haben wir uns seinerzeit etwas gedacht. Wir sollten das auch weiterhin im Blick behalten. Wir haben die Volksentscheide in dem Wissen darum eingeführt, dass sich die meisten voraussichtlich konträr mit uns auseinandersetzen und nicht nur Zustimmung und Rückendeckung für die Politik dieses Senats oder der Bezirksverwaltungen geben werden. Kurz gesagt, haben wir den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit eingeräumt, Widerspruch einzulegen – in dem Wissen und Bewusstsein, dass eine lebendige Demokratie des Widerspruchs und der Kontroverse bedarf. Das schließt dann allerdings auch ein, dass man diesen Widerspruch ernst nimmt und dass man ihn aushält.
Die Bürgerinnen und Bürger von FriedrichshainKreuzberg haben am 13. Juli für die drei Forderungen des Bürgerbegehrens „Spreeufer für alle!“ gestimmt. Da hilft es wenig, auf die im Vergleich zur Einwohnerzahl geringe Beteiligung zu verweisen oder darüber zu spekulieren, was diejenigen getan hätten, die von ihrem demokratischen Recht nicht Gebrauch gemacht haben. Wir wissen es nicht. Und es gibt in einer Demokratie auch das Recht, keine Meinung zu einem Thema zu haben und keine Meinung zu äußern. Das alles rechtfertigt aber nicht, die Meinungsbekundung als unerheblich oder gar als schädlich für das Instrument der direkten Demokratie abzutun. Es gilt vielmehr, diese Willensbekundung ernst zu nehmen, auch wenn es einem im Ergebnis nicht gefällt.
Der Spreeraum gehört zu den wichtigsten städtischen Entwicklungsgebieten Berlins. Im Herzen der Stadt haben sich im einstigen Niemandsland der Mauer Teile der Stadtbevölkerung ein eigenes und in gewisser Weise einzigartiges Refugium geschaffen. Sie konnten das, weil die viel gepriesenen Investoren seit Anfang und Mitte der 90er Jahre zwar viel über das Potenzial des Gebietes geredet, aber seinerzeit wenig zu dessen Entwicklung beigetragen haben.
Die Ausstrahlung, die heute diesem Gebiet zugeschrieben wird, haben nicht in erster Linie die Investoren, sondern die Menschen und die kreative Szene dieser Stadt erzeugt. Dass sie damit die Aufmerksamkeit insbesondere von Unternehmen, die die Nähe zur kreativen Szene suchen, auf sich gezogen haben, ist normal und auch gut so. Es ist gut für Berlin, dass sich die Stadt in den zurückliegenden Jahren zu einem der bedeutendsten Anziehungspunkte der Kultur-, Medien-, und Modebranche in Deutschland und über die Grenzen des Landes hinaus entwickelt hat. Das
ist wichtig für die Stadt, und das ist auch – ja, Herr Dr. Lindner! – wichtig für die Herausbildung einer neuen wirtschaftlichen Basis. Das hat Rot-Rot erkannt und deshalb hier zu Recht einen Schwerpunkt der Wirtschaftsförderung gesetzt.
Es ist richtig, dass der Entwicklung des Spreeraums in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zukommt. Zugleich muss man sich aber mit den Problemen in diesem Gebiet auseinandersetzen und mit den Konflikten, die mit der Ansiedlung neuer Unternehmen in diesem Bereich verbunden sind. Ein Großteil der Planungen, die für den Spreeraum vorliegen, stammt aus einer Zeit, in der die heutige Entwicklung lediglich grob absehbar gewesen ist. Diese Pläne heute noch einmal auf den Prüfstand zu stellen und zu sehen, in welcher Hinsicht sie noch Bestand haben und wo gegebenenfalls noch einmal nachgebessert werden sollte, ist keine grundsätzlich unsinnige Forderung.
Deshalb begrüßt meine Fraktion ausdrücklich das Vorgehen des Bezirks, sich in den kommenden Monaten in einem Sonderausschuss die Planungen noch einmal grundstückskonkret anzusehen. Das muss kein Prozess sein – und ist es in meinen Augen auch nicht –, der sich gegen die dortigen Grundstückseigentümer und Investoren richtet. Ich rufe an dieser Stelle dazu auf, dass sich diese in die Diskussion einbringen. Wir stehen dazu, dass Recht gilt. Wer Baurecht hat und bauen will, kann das tun. Berlin braucht Investitionen in diesem Bereich. Angesichts der begrenzten finanziellen Mittel wird die öffentliche Hand die Entwicklung des Gebiets kaum aus eigener Kraft leisten können, so wünschenswert dies auch an der einen oder anderen Stelle wäre. Die Investoren sollten aber auch aus eigenem Interesse im Hinterkopf behalten, dass das, was diesen Standort so attraktiv macht – Offenheit für unterschiedliche Lebensvorstellungen, Freiraum für Kreativität, Lebendigkeit, aber auch das Unfertige – auch in ihrem Sinne erhaltenswert ist. Nur wenn das Flair dieses Gebiets und sein Ruf über die Grenzen der Stadt hinaus beibehalten werden kann, wird es auch in Zukunft ein Interesse der Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft geben, sich dort anzusiedeln. Wenn die kulturelle und kreative Szene hier verschwände und sich andernorts in der Stadt niederließe, dann würden sich die Unternehmen ebenfalls neu orientieren. Dann wäre für den Spreeraum nichts gewonnen – weder wirtschaftlich, praktisch oder entwicklungspolitisch. Deshalb liegt es im objektiven Interesse der Investoren, sich mit dem auseinander zu setzen, was dort passiert und mit den Betroffenen zu Lösungen zu kommen und nicht gegen sie. Nicht nur das. Es gilt auch, Lösungen mit den Menschen im Umfeld des Spreeraums zu finden – und nicht gegen sie!
Es gibt Befürchtungen, die sich bei der Abstimmung über das Bürgerbegehren ebenfalls manifestiert haben. Herr Dr. Lindner! Das zu denunzieren, wird der Realität nicht gerecht.
Das gilt beispielweise für die Befürchtung, dass Berlin eine Entwicklung nehmen könnte, die wir aus vielen anderen Metropolen kennen, wo lebendige Orte von Investoren in gesichtslose, austauschbare und damit beliebige Stadtlandschaften verwandelt worden sind. Es ist die Sorge vor Verdrängung, die Sorge, dass man dort, wo man heute noch wohnt, sich trifft, seine Freizeit genießt, morgen nicht mehr sein kann, weil man nicht über das notwendige Kleingeld dafür verfügt. Es ist die Sorge, dass ein Lebensraum, ein Stück Kreativität und Unkonventionelles, Dinge, die Berlin so liebenswert und anziehend machen, verloren gehen. Es ist kurz gesagt die Befürchtung, dass nicht die Interessen der Menschen in dieser Stadt, sondern in erster Linie die Verwertungsinteressen der Grundstücksbesitzer die Gestaltung des Spreeraums dominieren. Diese Sorge ist nicht ganz unberechtigt. Dafür braucht es nicht einmal den Blick in andere Städte, Indizien dafür finden wir auch in Berlin. Wenn der Regierende Bürgermeister ausspricht, was alle denken und feststellt, dass die Entwicklung am Alexanderplatz nicht gerade der Ästhetik letzter Schluss ist, dann hat er völlig recht. Auch für diesen Raum ist vollmundig vieles versprochen worden: Urbanität und Lebendigkeit. Das Ergebnis sieht jedoch anders aus. Auch damals hat man diejenigen, Herr Dr. Lindner, als Miesmacher bezeichnet, die vor Entwicklungen gewarnt haben, die heute an der einen oder anderen Stelle eingetreten sind.
Deshalb sind wir für die Diskussion zwischen den Betroffenen vor Ort, mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der Kieze, den Grundstückseigentümern, Investoren und den Verantwortlichen in Land und Bezirk. Herr Dr. Lindner! Ihre Rede hat bereits im Subtext gezeigt, wie sehr Sie diese Stadt hassen, wie mistig Sie sie finden. Das hat man gespürt. Das einzige, was Sie lieben, ist Ihr Job, Ihre FDP-Ideologie, die Sie bei wirklich jedem Thema versuchen, auf die Tagesordnung dieses Hauses zu setzen.
Wir finden es gut, dass sich das Land und die landeseigenen Unternehmen an diesem Prozess beteiligen. Der richtige Ort für diese Diskussion ist der Bezirk. Das ändert nichts daran, dass das Land in der Verantwortung steht. Die Entwicklung des Spreeraums ist längst Chefsache.
Chefsache heißt nicht, dass man sich in das stille Kämmerlein zurückzieht und versucht, im Kreis seiner Getreuen etwas auszubrüten. Dass das nicht funktioniert, hat die CDU in den letzten Tagen gerade erlebt.
Wir erwarten von den Verantwortlichen im Bezirk, dass ein ernsthafter Umgang mit der geschaffenen Realität des Ortes und der bisherigen Planung erfolgt. Es geht allerdings nicht so, wie die Grünen es tun. Ich erinnere daran,
dass der jetzige grüne Bürgermeister als ehemaliger Baustadtrat an allen Planungen beteiligt war, sie zum Teil sogar maßgeblich vorangetrieben und damit Fakten geschaffen hat, die sich jetzt nicht ignorieren lassen. Deshalb hat es auch nichts mit Ernsthaftigkeit oder Seriosität zu tun, wenn die Grünen im Bezirk jetzt versuchen, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen und erklären: Wir setzen den Bürgerentscheid um und die aus einer solchen Umsetzung resultierenden horrenden Kosten soll das Land bezahlen.
Lieber Herr Mutlu! Man kann nicht einerseits beklagen, dass Berlin zu wenig konsolidiere und andererseits über zwei- oder gar dreistellige Millionensummen verfügen, um sich aus den eigenen Problemen und Widersprüchen freizukaufen.
So geht das nicht, liebe Grüne! Das ist alles andere als ernsthaft. Das ist nichts weiter als purer Opportunismus gegenüber städtischen Stimmungen, in denen ihr Grüne euer Milieu vermutet.
Eines ist klar: Es kann und wird im Spreeraum nicht alles so bleiben, wie es ist. Nimmt man die Forderungen der Initiatoren des Bürgerbegehrens ernst – wir tun das –, muss man feststellen, dass teilweise durch die Entwicklung Räume im Uferbereich erstmalig zugänglich geworden sind. Das gilt für den Osthafen, ebenso für den Eastside-Park. Es wird weitere Veränderungen geben müssen, wenn wir wirklich ein Spreeufer für alle schaffen wollen und nicht nur ein Spreeufer für Strandbar- und Club-Betreiber.
Deswegen steht die Linke zu ihrer Forderung, einen durchgängig begehbaren öffentlichen Uferstreifen zu errichten. Mit ist dabei, offen gestanden, relativ egal, ob dieser 10, 20 oder 50 Meter breit ist.
Mein letzter Satz lautet: Es lohnt sich, den ebenfalls populistischen Anklängen, denen manche aus der Initiative
„Mediaspree versenken!“ folgen – dass sind übrigens genau die Kolleginnen und Kollegen, Herr Dr. LehmannBrauns, aus den Initiativen, Bars und Kneipen, die sich dort am Spreeufer entwickelt haben –, etwas entgegen zu setzen. Das werden wir tun.
Vielen Dank, Herr Dr. Lederer! – Für die Fraktion Bündnis 90/Grüne hat jetzt Frau Abgeordnete Eichstädt-Bohlig das Wort – bitte sehr!
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst an die Adresse des Kollegen Lindner gerichtet: Ich glaube, Sie haben ein Stück weit die Tagesordnung nicht richtig gesetzt, denn unabhängig davon, wie die Planungen der Mediaspree weitergehen, so oder so werden die erträumten 40 000 Arbeitsplätze mit diesem rot-roten Senat und Berlins Rolle als wirtschaftspolitisches Schlusslicht noch sehr lange auf sich warten lassen. Darüber hinaus hat Berlin über 1 Million Quadratmeter leer stehende Büroflächen, kann noch nicht einmal den Hauptbahnhof bebauen und verfügt über riesige Areale, in denen Dienstleistungen und Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Die Frage für Mediaspree muss deshalb lauten, wie dort guter, sinnvoller Städtebau und eine sinnvolle Anbindung an die sich anschließenden Quartiere umgesetzt werden kann. Darüber sollten wir intensiv diskutieren – unabhängig von der Frage des Bürgerentscheids.
Der dritte Punkt, weshalb Ihre Ambition, dort 40 000 Arbeitsplätze zu sehen, eine Illusion ist, besteht in dem Umstand, dass bei den Bauanträgen, Anfragen und Vorbescheidanfragen sehr viel virtuelle Planung enthalten ist. Wir sind alle froh, dass MTV und Labels dort sind und hinziehen, dass das Hotel Osthafen entsteht, das alles ist gut. Aber behaupten Sie nicht, dass die gesamten Planungen morgen oder übermorgen für Arbeitsplätze sorgen könnten. Genau diese Illusion wird in der Debatte erzeugt. Ziel muss es aus meiner Sicht sein, die wirtschaftliche mit der städtebaulichen Entwicklung positiv zu verknüpfen.
Zum Umgang mit dem Bürgerbegehren: Ich war nicht in die Entscheidung des Parlaments über Bürgerbegehren und Volksentscheide involviert. Ich unterstütze dieses Instrument. Wenn ich richtig informiert bin, hat auch die FDP das unterstützt. Wenn ich richtig informiert bin, hat das auch Rot-Rot unterstützt. Aber es kann doch nicht sein, dass man jetzt der Reihe nach eines der Begehren oder der Entscheide nach dem anderen diffamiert und sagt: Die Leute, die das machen, sind entweder bekloppt oder irgendwie wirre Strandbarfans. – Das mag alles im Einzelnen sein,
aber wer das Instrument Bürgerentscheid einführt, der muss es dann auch ernsthaft respektieren und sich dem stellen und daraus konstruktive Konsequenzen ziehen.
Nein, Kollege Lindner, darüber will ich jetzt nicht im Einzelnen mit Ihnen streiten! Ich möchte Sie nur daran erinnern, dass Sie einmal zu einer bürgerbeteiligungsfreundlichen Partei gehört haben.
Mein Hauptadressat ist aber der Senat. Was ich nicht möchte ist, dass Sie auf der einen Seite erklären: Soll doch der Bezirk jetzt arbeiten und das machen, wir lassen dem Bezirk die Zuständigkeit, aber ob wir den vielleicht morgen am Nasenring vorführen, ob wir ihm dann auch Entscheidungen überlassen, mit dem Bürgerentscheid konstruktiv umzugehen, wo es planungsrechtlich und baurechtlich möglich ist, das behalten wir uns vor, vielleicht werden wir morgen wie der Oberlehrer die Schüler herzitieren, dann wird das alles anders gehen.
Da möchte ich eine klare Entscheidung des Senats. Wir würden das als Grüne sehr begrüßen, denn wir halten erstens von Bezirksautonomie generell viel, sind zweitens überzeugt, dass unser grüner Bezirk KreuzbergFriedrichshain kompetent und solide agiert und handelt, und wir sind drittens der Meinung, dass es nicht geht, dass Sie in laufenden Verfahren plötzlich die Planungshoheit wieder an sich ziehen. Dieses Hü und Hott darf nicht passieren.
Insofern ist meine zentrale Forderung: Wir unterstützen es, dass Sie sagen, Planungsentscheidungen und das Verfahren sollen beim Bezirk sein. Aber wenn der Bezirk die Planungszuständigkeit hat, dann muss er auch das Recht haben, planerische Änderungen und Anpassungen da vorzunehmen, wo das planungs- und verfahrungsrechtlich geht, ohne dass zugesagte Rechte infrage gestellt werden. Das ist die Linie, auf der der Bezirk agiert. Das fordern wir von Ihnen, Frau Senatorin, ganz deutlich ein!
Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, der mir der wichtigste ist, weil ich zu denen gehöre, die völlig unabhängig von diesem Bürgerentscheid sagen: Es ist städtebaulich sinnvoll, an einigen Stellen, wo im Lauf der letzten zehn Jahre die Areale und Planungen immer mehr überfrachtet und immer stärker verdichtet worden sind, im Interesse jeweiliger Grundstückseigner – einmal öffentlicher Unternehmen, einmal schon privatisierter –, nicht plötzlich 50 Meter Gründstreifen vorzusehen, wo es nicht mehr geht und machbar ist, vielleicht auch aus Urbanitätsgründen zu viel wäre. 10 Meter Grünstreifen längs der Spree werden derzeit erstritten. Aber es ist durchaus sinnvoll, an den Stellen, an denen es planungsrechtlich machbar ist, ein Stück weit mehr Grün und weniger Bebau