Protocol of the Session on September 11, 2008

Antrag der FDP

in Verbindung mit

lfd. Nr. 43:

Antrag

Mediaspree für die ganze Stadt

Antrag der CDU Drs 16/1704

Für die gemeinsame Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redner aufgeteilt werden kann. Es beginnt der Vorsitzende der Fraktion der anfragenden Fraktion der FDP, Herr Dr. Lindner. – Bitte schön, Herr Dr. Lindner!

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Ich hatte Ihnen in der Begründung zur Aktualität den wirtschaftlichen Hintergrund kurz dargestellt, eine überproportional hohe Arbeitslosigkeit, ein geringes Bruttoinlandsprodukt; das sind die Rahmendaten, über die wir die heutige Diskussion zu führen haben.

Die Ursachen für die finanzielle, wirtschaftliche Misere dieser Stadt liegen auf der Hand: Ganz egal, ob es sich um ein kleines, mittleres oder großes Unternehmen handelt, sie werden alle gleichmäßig schlecht behandelt. Das geht bei kleinen Unternehmen los. Das haben wir jetzt wieder erlebt: Die Diskussion um einen viel zu weit gehenden angeblichen Raucherschutz, wo Sie auch in Einraum- oder Eckkneipen, die fast nur von Rauchern genutzt werden, verbieten wollen zu rauchen. Jetzt gehen die Raucher auf die Straße, und jetzt soll ihnen auch noch verboten werden, unter Heizpilzen ihr Zigarettchen zu rauchen. Hier wird bei Kleinunternehmen –Stichwort: Umweltzone und Ähnliches – völlig versagt.

Das geht weiter über mittlere Unternehmen, die insbesondere unter Ihrem übertriebenen Gebühren- und Steuerzwang zu leiden haben – Stichwort: Wassergebühren, Wasseranschlusszwang, die Energie- und Immobilienpreise –, und es endet bei großen Unternehmen. Hier ist hervorzuheben, wie Sie mit Investoren beim Flughafen Tempelhof umgegangen sind, ohne bisher einen einzigen nennen zu können, der anstelle von Langhammer/Lauder investieren kann. Das endet bei Ihrem Umgang mit der Deutschen Bahn, als Sie im Privatisierungsverfahren nicht den Dialog mit der Bahn gesucht, sondern sich hauptsächlich darin ergangen haben, auf Herrn Mehdorn und anderen Repräsentanten der Deutschen Bahn herumzuprügeln.

Mediaspree ist ein weiterer trauriger Höhepunkt in Ihrer wirtschaftsfeindlichen Politik in dieser Stadt.

[Beifall bei der FDP]

Es wurde mir in den Medien oder von Medienvertretern teilweise vorgehalten: Die FDP hat sich doch auch für Bürgerentscheide eingesetzt. Warum soll er denn jetzt nicht gelten? Bei Tempelhof haben Sie doch auch gesagt, daran müsse sich der Senat halten. – Stellen Sie sich einmal vor, über den Flughafen Tempelhof hätte ein Bürgerentscheid in Schöneberg-Tempelhof entschieden. Was hätten Sie denn da gesagt? Ich habe das einmal einem Vertreter des RBB gesagt: Stellen Sie sich vor, im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf gibt es einen Bürgerentscheid zur Abschaffung der GEZ-Gebühren und infolgedessen zur Abschaffung des RBB, und er geht durch. Da sagen wir dann alle: Klar, die Bürger haben entschieden. – Es ist vollkommen unstreitig, dass das vom Volumen und von den Ausmaßen her nichts ist, über das in einem Bürgerentscheid in Friedrichshain-Kreuzberg verbindlich entschieden werden kann.

[Beifall bei der FDP]

Genauso wenig wie das Abgeordnetenhaus über den Kriegseintritt im Irak zu entscheiden hat und genauso wenig wie der Bundestag über Fischfangquoten in der Südsee zu entscheiden hat, ist das eine Kiezangelegenheit. Das ist eine gesamtstädtische Frage.

[Beifall bei der FDP]

Der eigentliche Skandal besteht darin, dass dieser Senat so lange gewartet hat, bevor er sich der Sache angenommen hat, dass es überhaupt zu diesem Bürgerentscheid gekommen ist. Man hat den Leuten in FriedrichshainKreuzberg etwas vorgemacht. Man hat ihnen suggeriert, sie könnten über etwas entscheiden, was längst auf anderer Ebene zu entscheiden und zu diskutieren gewesen wäre.

Da muss man sich bei der Frage, die sich daraus entwickelt, zur gesamtstädtischen Bedeutung, einmal vor Augen halten, was in dieser Stadt von diesem Senat schon als gesamtstädtisch relevant erachtet wurde. Das sind nicht nur kleinere Projekte oder Vorhaben. Das ging dahin, dass der ehemalige Senator Strieder eine Currywurstbude in der Ebertstraße 24 an sich gezogen hat und in die Debatte eingetreten ist, weil ihm die Diskussion vor Ort nicht gefallen hat. Currywurstbuden werden an sich gezogen, aber ein solches riesiges Projekt von 2 Milliarden Euro Investitionsvolumen lässt man in dem Bezirk vor sich hindümpeln. Das ist der eigentliche Skandal! Das ist typisch für diesen Senat.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Der Hintergrund – es ist relativ einfach, warum das passiert – ist ausschließlich parteipolitisch. Dieser Senat möchte Mediaspree nicht auf der eigenen Bank haben. Die Auseinandersetzungen zwischen der Linkspartei, die sich in Friedrichshain-Kreuzberg etwas erhofft, und der SPD, die noch Reste von Verantwortungsgefühl hat, will man sich selbst ersparen. Da muss man sich nur einmal die unterschiedlichen Kommentare dieses sogenannten Wirtschaftssenators anlesen. Am Tag nach dem Entscheid hat er gesagt, man müsse trotzdem Gespräche mit den Anrainern führen und mit den Hafengesellschaften Kompromisse diskutieren. Nachdem er dann von Wowereit zurückgepfiffen wurde, hat er gesagt: Wertverluste sind nicht akzeptabel. Hier sind wir verpflichtet, als BSR Schadensersatzforderungen einzutreiben. Das ist ein Hü und ein Hott.

Wowereit, der Regierende Bürgermeister, hat selbst klargemacht, um was es hier geht. Er sagte am 15. Juli 2008 im „Tagesspiegel“:

Nein, der Bezirk ist verantwortlich, und wir werden ihm nicht den Gefallen tun, die Sache an uns zu ziehen.

Darum geht es. Der grüne Bezirksbürgermeister soll den „Schwarzen Peter“ haben. Nächstes Jahr sind Bundestagswahlen. Da wollen Sie, dass Herr Ströbele das Verhalten seines Bezirksbürgermeisters unter die Nase gehalten bekommt. Das ist doch alles, um was es Ihnen geht! Das ist reine Parteipolitik.

[Beifall bei der FDP – Stefan Zackenfels (SPD): Wir nehmen die Bezirke ernst!]

Sie nehmen sie nicht ernst! Das tun Sie genau nicht! Wenn Sie diese Stadt ernst nehmen würden, dann würden Sie über dieses parteipolitisch motivierte Hickhack hinaus diese Investitionen und dieses Volumen nicht in dieser Weise gefährden, sondern Sie würden die Sache an sich ziehen und durchentscheiden.

[Beifall bei der FDP]

Die wirtschaftliche Bedeutung: 2 Milliarden Euro Investitionen, 40 000 Arbeitsplätze auf 180 Hektar. Das ist doppelt so groß wie die Hafencity in Hamburg, die bedeutend kleiner ist und von dieser Stadt und als ein relevantes und für die Stadt entscheidendes Projekt anerkannt wird.

Tatsächlich geht es in dieser Frage mehr um eine Art Kulturkampf, der von Teilen der Stadt und politischen Unterstützern von Grünen und Linken, geführt wird. Da schaue ich mir nur die Initiative „Mediaspree versenken“ an. Da weiß man sofort, was los ist. Sie weisen teilweise im Impressum darauf hin, dass ein Zusammenhang mit den Hausbesetzern im Bethanien besteht. Das waren die Leute, die gestern gewaltbereit vor der O2-Arena demonstriert haben. Das sind die Leute, die Stimmung machen und die Leute aufhetzen und aufwiegeln, die im Bezirk vermeintlich Angst haben, von solchen Projekten verdrängt zu werden. Wir leben in Berlin, das ist doppelt so groß wie Paris bei der Hälfte der Einwohner, da können noch zehn Mediasprees kommen und werden keinen Menschen verdrängen, vor allem nicht auf diesem Brachland. Was ist denn da gewesen? – Das sind heruntergekommene Fabrikhallen, verschmierte und verkotete Wiesen. Da ist doch gar nichts, was verdrängt werden kann, jedenfalls nichts Schützenswertes.

Um was es tatsächlich geht, bekommt man mit, wenn man die Briefe von den Gegnern erhält: Man wolle keine Anzugträger im Bezirk haben. Man wolle kein zweites Frankfurt am Main haben. Das schreiben die Leute, die von der Stütze leben und darauf angewiesen sind, dass die Menschen mit den Anzügen in Frankfurt oder sonst wo das Geld verdienen, das dann hier in diesem fröhlichen „Kiezheiteitei“ ausgegeben wird. Das ist das, worum es geht!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Das Land Hessen zahlt genauso viel in den Länderfinanzausgleich ein, wie Berlin herausbekommt. Dann sollen doch die Deppen da arbeiten und das Geld verdienen, und wir machen hier unsere komische Soziokultur in diesen heruntergekommen Gegenden rund um die Spree. Das ist das, um was es geht.

Das Ganze wird deutlich in der „taz“ von gestern: Bitte sprengen, ganz schnell. – Da schreibt ein Herr Kaul, die O2-Arena sei eine kulturelle Zumutung. Hinterhofmusik, Straßenkunst und Graswurzeltheater, davon lebt Berlin

nicht schlecht – auf Kosten anderer. Doch ein Bau wie die Arena gehöre an den Stadtrand. – Diese Leute, die gegen solche Investitionen hetzen, gehören raus aufs Land, vielleicht nach Brandenburg auf einen Bauernhof, in der Nähe noch ein paar verschmierte Abrisshallen.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Da können sie dann ihren Strukturkonservatismus pflegen. Da kann dann dieser Redakteur das Lokalblatt als Chefredakteur begleiten und sich gegen alles Neue und jede Investition wehren. Raus nach Brandenburg mit ihnen! Wir leben in der Hauptstadt. Hier muss etwas passieren. Hier müssen Investitionen her, damit diese großartige Stadt eine Zukunft hat.

[Beifall bei der FDP]

Deswegen fordere ich: Mediaspree muss realisiert werden. Schluss mit diesem Finissieren und Taktieren, die rein parteipolitisch motiviert sind. Ziehen Sie die Sache an sich! Entscheiden Sie sie! Richten Sie eine Stelle ein, an die sich die Investoren wenden können, die das Ganze begleitet und ihnen hilft, dieses Projekt maximal realisieren zu können. Wir müssen endlich weg von der Hauptstadt der Hartz-IV-Empfänger hin zur Metropole des Mittelstandes. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Lindner! – Für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Jahnke das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte meine Ausführungen zum Thema Mediaspree mit einer persönlichen Assoziation beginnen: Über meinem Schreibtisch hängen zwei Photos, die ich selbst aufgenommen habe und die beide die Spree mit der Oberbaumbrücke bei Nacht zeigen. Das erste Bild ist Anfang der Achtzigerjahre entstanden, das zweite in jüngster Zeit. Auf dem ersten Bild sieht man die Brücke mit verkohlten Turmstümpfen, die nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut wurden, im Licht der typischen DDRGrenzbeleuchtung. Dahinter ragen düster die sich im Grenzgebiet befindlichen Bauten des alten Osthafens empor.

Ich bin damals öfter über diese Brücke gegangen, mit einem Berechtigungsschein zum mehrmaligen Empfang eines Visums zur Einreise in die Deutsche Demokratische Republik für Bürger mit ständigem Wohnsitz in BerlinWest – wie das damals hieß – in der Tasche, den Blick auf die tristen Grenzanlagen. Schon damals hatte ich manchmal die Vision, dass dieser Fluss vielleicht eines Tages das Trennende wieder verlieren könnte. Gerade an dieser Stelle, wo die Spree in einer beachtlichen Breite durch die Innenstadt fließt, schienen Gedanken an London oder Paris nicht abwegig, doch die Realität war eine völ

lig andere und die Chancen für eine baldige Änderung der politischen Verhältnisse schienen eher gering.

Deshalb betrachte ich das zweite Bild über meinem Schreibtisch mit einer solchen Freude und Genugtuung, weil es eine Oberbaumbrücke zeigt, die in alter Schönheit wiedererstanden ist, über die gerade ein erleuchteter Zug der U-Bahn fährt, eine Brücke, die sichtlich wieder Stadtquartiere verbindet. Was sich einst Staatsgrenze schimpfte, ist heutzutage ist nicht einmal mehr eine Bezirksgrenze!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

In die Bauten rund um den ehemaligen Osthafen ist Leben eingezogen, das wirtschaftliche Zukunft verheißt und Arbeitsplätze bringt. Universal hat das ehemalige Eierkühlhaus zu seiner Deutschlandzentrale ausgebaut. Nur einen Steinwurf entfernt, auf dem ehemaligen Narva-Gelände, ist die Oberbaum-City entstanden und bietet der BASF und zahlreichen Medienunternehmen Raum. Auch die Allianz hat mit ihrem Hochhaus auf dem gegenüberliegenden Spreeufer – wie immer man die Architektur bewerten mag – ein deutliches wirtschaftspolitisches Signal für Berlin gesetzt und Arbeitsplätze geschaffen. Gerade gestern Abend wurde die neue O2-Arena eröffnet, die es Berlin ermöglichen wird, künftig noch mehr und auch andere Veranstaltungen in die Stadt zu holen und damit zusätzliche Kaufkraft und Arbeitsplätze.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Insgesamt bleibt die Gegend zu beiden Seiten der Spree allerdings noch weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Ich fahre oft mit Besucherinnen und Besuchern aus dem Ausland dorthin, aus Frankreich beispielsweise, aus den USA oder Ungarn. Sie zeigen sich stets beeindruckt von der Dichte historischer Zeugnisse an diesem Ort, von der so genannten Eastside-Gallery und dem morbiden Charme aus einstigem Grenzstreifen auf Friedrichshainer Seite, längst aufgegebenen Gewerbehöfen auf Kreuzberger Seite und den Resten der im Krieg zerstörten Brommy-Brücke. Jedoch folgt meist ziemlich schnell die Frage, ob dies denn dauerhaft so bleiben solle. Es sei in Budapest, in Paris oder London schlichtweg undenkbar, mit den Ufern einer idealtypischen innerstädtischen Flusslandschaft in dieser Weise zu verfahren.

Die historischen Gründe, wie es in Berlin zu dieser Situation kam, sind hinlänglich bekannt. Doch der Mauerfall liegt demnächst 20 Jahre zurück. Es ist grotesk, wenn eine Initiative mit dem sinnigen Namen „Mediaspree versenken“ im Grunde genommen darauf abzielt, die im toten Winkel der ehemals geteilten Stadt gewachsenen Blüten subkultureller Art auf Dauer konservieren zu wollen,

[Michael Schäfer (Grüne): Unterstützt von der SPD Kreuzberg!]

verbunden mit dem Hinweis, dies sei das eigentliche Kapital dieser Gegend, woraus Lebensqualität und auch Anziehungskraft für den Tourismus erwüchsen. Wie weit diese Form von Touristenattraktion trägt, ist mir aus den