Über alle diese Dinge können wir dann reden. Aber das bedeutet, sich mit der Wirklichkeit vertraut zu machen, diese Verträge tatsächlich zu lesen und in der Sache zu argumentieren. Das hilft dann weiter.
Vielen Dank, Herr Dr. Lederer! – Das Wort für eine Kurzintervention hat jetzt Frau Abgeordnete EichstädtBohlig. – Bitte sehr!
Das Zweite ist, Sie haben keine Antwort auf die entscheidende Frage gegeben: Wird Rot-Rot – beide Rots – am 23. Mai im Bundestag zustimmen, ja oder nein? – Bei Ihnen kann man das interpretieren, bei denen kann man das anders interpretieren. Wir werden das sehen, wenn Sie heute nicht bereit sind zu antworten.
Warum ich mich vor allem gemeldet habe, ist Ihr Mythos über das Vergabegesetz. Das war nun richtig Stuss, das muss ich Ihnen leider sagen! Denn die Aussagen des Kollegen aus dem Ministerium für Arbeit und Soziales waren eindeutig: Wenn Deutschland – oder auch Berlin – Mindestlöhne will – wir wollen sie, Sie wollen sie, alles völlig d’accord –, dann müssen ganz einfach entweder Flächentarifverträge vorhanden sein, oder es müssen auf Bundesebene Mindestlohnregelungen durchgesetzt werden wie beim Entsendegesetz, wo es für die Bauwirtschaft und für die Gebäudereiniger entsprechend der Fall ist. Wenn solche Regelungen entstehen, dann ist das Ganze kein Problem. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, ob die geltenden vertraglichen Regelungen von Nizza die Grundlage sind oder ob es die künftigen von Lissabon sein werden. Vergleichen Sie nicht Äpfel mit Birnen und tun so, als würde sich dadurch etwas verschlechtern!
Ich sage Ihnen folgendes: Am 20. Mai ist Senatssitzung. Am 20. Mai wird sich der Senat mit dieser Frage befassen und wird dazu abstimmen. Dann gibt es einen Koalitionsvertrag, von dem Sie gern wollen, dass er gebrochen wird. In dem stehen die Regeln, nach denen das ausgemacht wird. Bekannt ist, wie die SPD-Fraktion zu dem Vertrag steht,
bekannt ist, wie unsere Fraktion dazu steht. Sie können eins und eins zusammenrechnen, und dann können Sie sich die Inszenierung, die Sie hier aufgeführt haben, spa
Wollt ihr noch ein bisschen lärmen? Dann warte ich einen Augenblick. Oder die Sitzung wird unterbrochen. – Auf Antrag der FDP gibt es ein Wortprotokoll zu der Beratung im Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten. Vielleicht sehen Sie sich das einfach noch einmal an, liebe Frau Kollegin! Dann werden Sie zwar erneut mit Ihren Peinlichkeiten konfrontiert, aber Sie werden auch dazulernen. Der Kollege vom Ministerium für Arbeit und Soziales hat gesagt, dass, selbst wenn wir alle Möglichkeiten der Verbindlicherklärung von Tarifverträgen ausschöpfen, selbst wenn wir einen gesetzlichen Mindestlohn in diesem Land einführen, Standards, wie sie mit dem Berliner Vergabegesetz vor dem Rüffert-Urteil eingezogen sind, auf der gegenwärtigen Basis europäischen Rechts unmöglich sind. Schauen Sie einfach noch einmal hinein, lesen Sie nach, dann brauchen Sie nicht über Mythen zu reden, sondern wir können über Fakten reden.
Vielen Dank, Herr Dr. Lederer! – Für die Fraktion der FDP hat jetzt Herr Dr. Lindner das Wort. – Bitte!
Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Herr Oberprimaner Lederer! Ich sage Ihnen: Selbstverständlich gibt es – wie bei jedem anderen Vertrag auch – bei diesem Dinge, denen man zustimmen kann, und Dinge, die man ablehnen muss. Bei so vielen Regierungen, die an einem solchen Vertragswerk mitverhandeln, ist klar, dass aus niemandes Sicht – weder der der CDU, noch der der Grünen, der FDP oder der SPD – das Gelbe, Rote oder Schwarze vom Ei herausgekommen ist. Aber wenn man diesen Vertrag bewertet, muss man die deutlich positiven Veränderungen gegenüber dem Status quo festhalten. Es ist eine deutliche Verbesserung, wenn doppelte Mehrheiten eingeführt werden, eine angemessene Vertretung der EU-Bürger gewährleistet wird, eine Zunahme von Mehrheitsentscheidungen beispielsweise in den Bereichen Justiz und Polizeizusammenarbeit möglich wird. Öffentliche Ratstagungen erhöhen zusätzlich die Transparenz. Auch die Aufwertung der Rolle des Europäischen Parlaments durch die Direktwahl des Kommissionspräsidenten bei gleichzeitiger Verkleinerung des Parlaments, sind deutliche Verbesserungen, die wir über alle Fraktions- und Parteigrenzen hinweg begrüßen müssen.
Auch die Rolle der nationalen Parlamente wird gestärkt, indem beispielsweise Einspruchsrechte eingeführt wer
den. Darüber hinaus hebe ich die dringend erforderliche Verkleinerung der EU-Kommission hervor, die Stärkung der EU-Außenpolitik durch den Hohen Vertreter und die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtscharta. All das sind Dinge, die deutlichen Fortschritt bringen. Das können wir nicht negieren.
Es ist bereits angesprochen worden: Berlin profitiert in erheblicher Weise ökonomisch in künftigen Jahren. Wir erhalten über 1,2 Milliarden € aus EU-Töpfen.
Natürlich gibt es auch von FDP-Seite Kritik an diesem Vertrag. Auch das ist selbstverständlich. Ich halte es nach wie vor für ein Problem, dass das Vertragswerk extrem unübersichtlich ist. Die FDP hält es gegenüber dem Status quo für einen Rückschritt, dass der Wettbewerb nicht mehr als Ziel der EU genannt wird. Das ist aus liberaler Sicht ein Ärgernis. Auch das späte Inkraftreten des Vertrages im Jahr 2014 sei erwähnt, in Ausnahmefällen erst 2017 und dann gibt es noch die Lex Poloniae. Dies alles ist nicht erfreulich, das kann niemand wegdiskutieren.
Wenn wir aber über ein solches Vertragswerk und über die Frage der Zustimmung sprechen, dann muss man sich überlegen, was passiert, wenn wir das ablehnen. Ob es nun auf die Stimme Berlins oder Ihrer Partei ankommt oder nicht, man muss sich in jedem Fall überlegen, was passiert, wenn der Vertrag abgelehnt wird. Stellen Sie sich das einmal vor – gerade nach dem Scheitern der EUVerfassung an den Rechtsradikalen in den Niederlanden und in Frankreich –, was es bedeutet, wenn dieses Vertragswerk scheitert. Es wäre eine Katastrophe für Europa. Dagegen müssen wir ankämpfen!
Frankreich hat es bereits ratifiziert. Ich sage das, weil Frankreich von Ihnen als Kronzeuge bemüht worden ist. Das französische Parlament hat diesen Verträgen zugestimmt.
Das Problem ist nicht der Vertrag mit all seinen Schwierigkeiten und Vorzügen, das Problem ist Ihre Partei
und ihr ungeklärtes Verhältnis zu den Grundlagen unserer Verfassung, unserer staatlichen Existenz und unserer wirtschaftlichen Ordnung.
Das setzt die Debatte aus der Aktuellen Stunde fort. Es handelt sich um ein ungeklärtes Verhältnis Ihrer Partei zu Europa. Sie haben ein ungeklärtes Verhältnis zu den Fragen, über die wir heute diskutiert haben: Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und daraus resultierend auch zu Europa. Das lässt sich nicht wegdeuten.
Es ist heute bereits zweimal zitiert worden, ich zitiere es jetzt ein drittes Mal. Hören Sie sich an, was Ihre Vertreterin im Europäischen Parlament sagt:
Wir sollten diese Chance im Interesse der Menschen nicht vergeben. Statt auf einem Nein zu EUReform zu verharren, sollten wir uns vielmehr jetzt damit befassen, eigene Vorschläge auf den Tisch zu legen.
Das tun Sie aber nicht. Das ist Ihr zwiespältiges Vorgehen. Es ist genauso wie in den Stasi-Sachen. Auf der einen Seite werden Bekenntnisse abgelegt, Sie hätten damit nichts zu tun, aber wenn die Stasi-Vertreter auftreten, gehen Sie vor denen auf die Knie.
[Zurufe von Elke Breitenbach (Linksfraktion), Stefan Liebich (Linkfraktion) und Carl Wechselberg (Linksfraktion)]
Hier ist es genauso. Ihre Vertreterin im Europaparlament sagt, man müsse der Reform zustimmen, Sie jedoch im nationalen Bereich, wo es darum geht, Stimmung an den Stammtischen zu machen, sagen nein. Das ist Ihr indifferentes und – bei zurückhaltendster Wortwahl – ungeklärtes Verhältnis zu den Grundlagen unseres Staates.
Deshalb müssen Sie sich von der SPD und als Regierung in der Tat fragen lassen, mit wem Sie weiterhin bereit sind, Politik zu machen.
Herr Regierender Bürgermeister! Oder soll ich Sie mit „Abgeordneter Wowereit“ ansprechen? Sie zieren sich sogar, auf dem Sessel Platz zu nehmen, um den es heute geht: den eines Regierungschefs, der regiert
und nicht schwadroniert. In Polen wird dann wieder etwas erzählt werden, was der Protokollchef aufschreibt, aber wenn es darauf ankommt, wirklich europäische Flagge zu zeigen, versagen Sie, Herr Abgeordneter Wowereit.
Es ist natürlich keine Frage, die man mit einem Koalitionsvertrag wegwischen kann. Es geht nicht um das Ausbaggern eines Hafens, den Bau eines Kraftwerks oder die VW-Gesetze – weil Sie Niedersachsen bemüht haben, Kollege Gaebler oder wer es auch immer war. Darum geht es nicht. Es geht, wie ich vorhin und alle meine Vorredner von der Opposition ausgeführt haben, um die grundsätzliche Frage, wie wir in Deutschland und wie wir in der deutschen Hauptstadt zu Europa stehen. Es ist verlangt, dass Sie von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen, wenn Sie noch aufrechten Hauptes in europäischen Angelegenheiten für diese Stadt sprechen wollen.