Protocol of the Session on May 8, 2008

Ich war schon überrascht, dass Herr Koberski aus dem Bundessozialministerium unseren grünen Freunden – bei der Debatte um das Vergabegesetz im Bund-EuropaAusschuss – den Anwendungsvorrang des Europarechts

erklären musste, den kannten sie gar nicht. Da haben sie interessiert nachgefragt, was das denn bedeute. Wenn man über solche Dinge redet und solche pathostriefenden Zettel verfasst wie Sie gestern in Ihrer Jamaika-Fraktion, Frau Eichstädt-Bohlig, sollte man wissen, dass jede Richtlinie, jede Verordnung und jedes EuGH-Urteil den Artikeln des Grundgesetzes vorgehen. Man sollte ernst nehmen, was Herr Koberski gesagt hat, dass nämlich Grundrechte, Charta und die postulierte Stärkung des Subsidiaritätsprinzips an dieser Situation nichts ändern erden. w

Herr Dr. Lederer!

Ich beantworte keine Zwischenfragen! – Das bedeutet nichts anderes als eine untergeordnete Hierarchisierung der Grundrechte und der lokalen Politik, ihre Unterwerfung unter einen Generalvorbehalt. Wenn das so ist, dann wäre das Mindeste gewesen, dass eine Vertragsnovelle im Jahr 2008 klarstellt, dass die soziale Dimension, das kollektive Arbeitsrecht und die Standards der Mitgliedsstaaten nicht unter einem marktorthodoxen Generalvorbehalt stehen. Wir kommen nicht umhin festzuhalten, dass Bolkestein, Laval, Wiking, Rüffert, aber auch Altmark Trans und andere Begriffe Synonyme für eine massive Aushöhlung lokaler und nationaler Politikspielräume sind.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Wir sind der Ansicht, dass es für die Sicherung dieser Spielräume einen Paradigmenwechsel im europäischen Primärrecht braucht. Hierfür bedarf es einer Debatte und öffentlichen Drucks auch auf die deutsche Bundesregierung.

Ein differenzierter Blick auf den erreichten Stand des europäischen Integrationsprozesses erlaubt unterschiedliche Bewertungen und Abwägungen pro-europäischer Akteure. Das ist Ausdruck und Aufgabe von Politik! Es ist ein Trauerspiel, dass unsere Jamaika-Fraktion im Haus zu so viel geistigem Aufwand nicht in der Lage ist.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Da faseln unsere drei Spitzenkräfte auf den Oppositionsbänken – Herr Pflüger eben erneut – von einer Verfassung. Herr Pflüger! Sie haben das falsche Manuskript herausgeholt, die Verfassung war schon, und sie ist gescheitert, jetzt sind wir beim Reformvertrag.

[Beifall bei der Linksfraktion – Uwe Goetze (CDU): Zuhören!]

Haben Sie sich eigentlich mal die Mühe gemacht, dieses Vertragswerk zu lesen, Herr Pflüger? – Das haben Sie nicht. Weder heißt der Vertrag von Lissabon so, noch ist er eine Verfassung im idealistischen Sinne. Der Vertrag von Lissabon – wie der gescheiterte Verfassungsvertrag – erwuchsen eben nicht dem Willen der Völker und der freien Diskussion. Nirgendwo, außer in Ihren Träumen und in Irland, wird über den Reformvertrag per Volksent

scheid abgestimmt werden. Es macht sich erheblich zu einfach, wer die Ablehnung des Verfassungsvertrags in Frankreich und den Niederlanden einfach als Ausdruck antieuropäischer Ressentiments geißelt, wie die Grünen es vorhin gemacht haben, das ist ein ziemliches Armutszeugnis.

[Mieke Senftleben (FDP): Ist aber so!]

Leider wurden aus dem Scheitern nicht die richtigen Schlussfolgerungen gezogen, und das ist der Grund, warum wir für Nein plädieren. Wir sind der Ansicht, es ist höchste Zeit, die politischen Leitplanken der Integration intensiver neu zu diskutieren, es ist Zeit für einen neuen Verfassungsprozess, für einen wirklichen Verfassungsprozess,

[Michael Schäfer (Grüne): Warten wir, bis alle 27 Länder PDS-regiert sind?]

der die demokratische Komponente und den sozialen Zusammenhalt der Union auf eine neue qualitative Ebene holt.

[Joachim Esser (Grüne): Unverantwortlich!]

In Ihren autoritären Vorstellungen, Herr Esser, ist nur der binäre Code denkbar: ja oder nein! Und wer nein sagt, ist ein Antieuropäer. In welcher Welt leben Sie eigentlich? Welche Debatten haben Sie eigentlich in Ihrem Laden in den letzten Wochen und Monaten geführt?

[Beifall bei der Linksfraktion]

Die Fortschritte bei der Beteiligung des Europäischen Parlaments begrüßen wir! Aber wir stellen zugleich fest, dass mit massiver Kompetenzvermischung, mit mangelnder Gewaltentrennung – Herr Pflüger, das war Montesquieu – und der fehlenden Mitwirkung der Bevölkerung Europas im Vertrag erhebliche defizitäre demokratische Verhältnisse erneut fortgeschrieben werden.

Das ist schon sehr komisch: Wo wir von Demokratie sprechen, spricht Jamaika von Bekenntnissen und Staatsräson. Wo wir einen politischen Prozess einfordern, der eine Bestandsaufnahme über die Stärken und Defizite des europäischen Integrationsprozesses ermöglicht, fordert Jamaika Machtworte und Vertragsbruch, nämlich den Bruch eines Koalitionsvertrages, dessen Regeln Sie alle kennen, genauso wie Sie die Haltung der rot-roten Koalitionspartner kennen. In Ihrem durchsichtigen Manöver werden Sie dem europäischen Anliegen nicht nur nicht gerecht, sondern Sie outen sich als ziemlich schlichte Bekenntnisapostel. Herr Pflüger! Die Logik, wer Sie kritisiere, sei ein Nazi – nehmen Sie es mir nicht übel, aber da sind Sie wirklich im falschen Film, und es würde Ihnen an der einen oder anderen Stelle ganz gut tun, sich etwas mehr in Frage zu stellen. Sie haben sich in diesem Hause nicht nur einmal geirrt.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Politik ist Abwägung, und man kann bei einer solchen Abwägung zu unterschiedlichen Positionen kommen.

Herr Lederer! Ihre Redezeit ist zu Ende!

Ich komme sofort zum Ende! – Man kann zu unterschiedlichen Positionen kommen; der DGB Berlin-Brandenburg, die AfA der SPD, ein CDU/CSU-Bundestagsabgeordneter lehnen den Vertrag als nicht ausreichend ab.

[Zurufe von der CDU und der FDP)]

Herbe Kritik kommt auch von den Grünen! Natürlich nicht in Berlin, Sie haben es ja auch nicht gelesen. Herr Bsirske, der kein Parteibuch der Linken hat, teilt mit der Sozialdemokratin Angelika Schwall-Düren die Ansicht, dass dringender Handlungsbedarf zur Stärkung sozialer Rechte in der EU besteht.

Herr Dr. Lederer! Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss!

Diese Schieflage im Vertrag zu monieren, bringt uns zu einem Nein. Das ist legitim. Das lassen wir uns von Ihnen weder denunzieren noch verbieten.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Lederer! – Das Wort für eine Kurzintervention hat zunächst Herr Dr. Pflüger. – Bitte sehr!

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Hat er jetzt das richtige Manuskript dabei?]

Ich rede meistens frei, Herr Kollege! – Frau Präsidentin! Das, was Herr Dr. Lederer eben wieder gemacht hat, war eine persönliche Beschimpfung und Verunglimpfung nach der anderen. Warum bleiben Sie nicht einmal bei der Sache?

[Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP – Michael Müller (SPD): Das sagt der Richtige!]

Sie haben soeben wieder über den 8. Mai geredet und damit den Bogen zu der Debatte geschlagen, die wir vorhin geführt haben. Wenn Sie mir schon nicht glauben, dann glauben Sie wenigstens André Brie. Das ist nun wirklich ein auch von mir respektierter Denker – viele sagen: Chefideologe – Ihrer Partei. André Brie sagt – ich finde, mit großem Recht –:

Die kommunistische Bewegung hat spätestens mit ihrer Stalinisierung Demokratie und Emanzipation abgelegt. Sie hat schon vor 1933 Konzepte verfolgt, denen gleiche Denkweisen und Symbole wie

der NS-Bewegung zugrunde lagen. Hier gibt es eine fatale Kontinuität. Autoritätshörigkeit, Hierarchiedenken, Harmoniesucht der Ostdeutschen sind ein Nährboden für Neonazis. Nur wenn wir diese kulturellen Ursachen des Rechtsextremismus in Ostdeutschland reflektieren, werden wir eine Antwort auf die rechte Gefahr finden.

Solche Töne oder solche, wie wir sie vorhin im Zusammenhang mit dem linken Antisemitismus von Herrn Wolf gehört haben, führen weiter. Wenn Sie sich in die Tradition von Brie oder eben der Rede von Herrn Wolf stellen, dann können Sie nicht zusammen mit Rechtsradikalen dieses Verfassungsvertragswerk – ich bleibe dabei! – ablehnen. Dann müssen Sie einen klaren Schlussstrich zu dem, was an Kontinuitäten gewesen ist – wie Brie es formuliert –, ziehen. Dann müssen Sie einen Trennungsstrich ziehen! Dann können Sie zig Sachen kritisieren. Das ist Ihr gutes Recht, das ich Ihnen nie bestreiten würde. Wir haben konservative Kritik, und wir haben linke Kritik. Das ist doch völlig in Ordnung! Aber wir haben hier eine Grundsatzfrage, und dann müssen Sie, gerade auch wenn Sie so argumentieren, wie es Ihre Kollegin Kaufmann und so manche andere Nachdenkliche bei Ihnen tun, von dieser Position herunterkommen. Wenn Sie es schon nicht tun, dann darf sich zumindest der Regierende Bürgermeister nicht zur Geisel machen lassen.

Ich habe vorhin im RBB mit dem Kollegen Liebich diskutiert. Herr Walther von der Abendschau hat ihn gefragt, was er machen würde, wenn sich der Regierende Bürgermeister nicht enthalten, sondern mit Ja stimmen würde. Da kam ziemlich deutlich: Das würde mich sehr verwundern, denn das darf er eigentlich nicht.

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Das habe ich nicht gesagt!]

So haben Sie es gesagt! Das war eine sehr deutliche Drohung an den Regierenden Bürgermeister. Wir werden uns das ganz genau ansehen!

Ich sage noch einmal: Wir haben verstanden, die Sozialdemokraten wollen zustimmen. Wir haben verstanden, Herr Wowereit selbst will zustimmen. Wir stellen jetzt die Frage und werden ganz genau beobachten, ob er in einer solch grundsätzlichen Frage in der Lage ist, mit einigen Klugen von Ihnen zusammen die Kurve zu bekommen und Ja zu sagen zu diesem Vertragswerk der Europäischen Union.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall von Volker Ratzmann (Grüne)]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Pflüger! – Herr Dr. Lederer, Sie möchten erwidern? – Bitte sehr!

Lieber Herr Kollege Pflüger! Jetzt haben Sie nichts weiter gemacht als diese Kurzintervention zu benutzen, um Ihre Stellvertretende-Bundespräsidenten-Rede noch einmal fortzusetzen, aufzuhübschen und anzureichern. Zur Sache selbst haben Sie wieder nichts gesagt. Was haben Sie eigentlich erzählt?

[Zurufe von der CDU]

An der einen oder anderen Stelle ist es übrigens nicht so schlecht, sich ein Manuskript anzufertigen, mitzunehmen und im Anschluss durchzulesen, was man da eigentlich alles Ungutes erzählt hat. Das würde Ihnen ein Monitoring der Dinge ermöglichen, die Sie erzählen. Dann könnten Sie an der einen oder anderen Stelle einmal auf Argumente eingehen, die vorgetragen wurden, und nicht sozusagen über den Wolken schwebend eine Stellvertretende-Bundespräsidenten-Rede halten.

Sie respektieren und preisen immer all diejenigen, die Ihnen in Ihre kruden Argumentationsstränge passen. Dann werden die Zitate genommen und gepatchworkt. Wissen Sie eigentlich, wie der von Ihnen – und von mir auch – so geschätzte und ausgiebig zitierte Kollege Brie – zu dem Zitat kann ich im Übrigen nichts weiter sagen, als dass ich es unterschreiben kann, obgleich es nicht alles erklärt, aber was hat das eigentlich mit dem Thema zu tun? –

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

gestimmt hat? Machen Sie sich mal schlau, wie er im Europaparlament abgestimmt hat. Er hat gegen diesen Vertrag gestimmt, Herr Pflüger, auch wenn das nicht in Ihren Geist passt, nicht in Ihren Horizont passt, in Ihrem binären Code nicht unterzubringen ist. Aber er hat mit Nein gestimmt. Deswegen: Bleiben wir doch bei der Sache, reden wir über die Sache! Fangen Sie an, über den Vertrag zu argumentieren, nicht über Geister! Wenn wir über den Vertrag argumentieren, dann können wir auch über die rechtlichen Konsequenzen dieses Vertrages reden, dann können wir über die Auswirkungen des Vergabegesetzes sprechen, über die Aushöhlung von Grundrechtstandards in der Bundesrepublik, über die Wertlosigkeit manches Artikels unserer Verfassung angesichts des Europäischen Vertrages.