Yves Bot in diesem Prozess. Dieses Urteil ist so auch nicht zu erwarten gewesen, denn der EuGH hat damit diametral entgegengesetzt zum deutschen Verfassungsgericht entschieden und damit einen schweren und meines Wissens erstmaligen Verstoß gegen das bisher stillschweigend geltende Subsidiaritätsprinzip in dieser Frage vollzogen. Deshalb, so enttäuschend das EuGH-Urteil auch sein mag: Es ist nicht nur schrecklich durchsichtig und scheinheilig, wenn Sie von der PDS/Linkspartei das Urteil auszuschlachten versuchen, um antieuropäische Ressentiments zu schüren und als Argument ins Feld zu führen, warum man dem EU-Reformvertrag nicht zustimmen könnte, es ist völlig verfehlt.
Es ist eben Deutschland, das als einziges von 27 europäischen Ländern weder gesetzliche Mindestlöhne noch quasi flächendeckende allgemeinverbindliche Tarife kennt. Es wird vermutlich mindestens bis zur nächsten Bundestagswahl dauern, bis sich hier etwas ändert – leider. Aber vor allem, selbst wenn es Kritik an dem Gesamtwerk des EU-Reformvertrags gibt – die kann man haben, die habe ich auch an dem Gesamtpaket –, gilt trotzdem gerade für Sie, wenn Ihnen das Vergabegesetz und der Mindestlohn wirklich wichtig sind, dann ist das Urteil gerade kein zusätzliches Argument für die Ablehnung des Reformvertrags, sondern das Gegenteil ist der Fall. Die Zustimmung zum Reformvertrag ist jetzt das Gebot der Stunde.
Denn der schnellste und erfolgversprechendste Weg, die richtigen Konsequenzen aus dem zu kritisierenden Urteil zu ziehen, besteht gerade darin, den EU-Reformvertrag zu verabschieden und nicht zu verhindern. Nur das schafft schnell neue europäische Grundlagen, anhand derer der Europäische Gerichtshof dann im nächsten Einzelfall anders entscheiden müsste. Nur dann haben wir nämlich endlich eine Grundrechtecharta, die die sozialen Grundrechte rechtsverbindlich für alle EU-Bürger und damit einklagbar macht. Nur dann haben wir einen Reformvertrag, der die Subsidiaritätsrechte der Mitgliedsstaaten und Bundesländer deutlich stärkt gegenüber dem Status quo. Damit kann man dann wirklich etwas anfangen.
Noch hilfloser als der schräge Populismus der Linksfraktion an dieser Stelle mutet allerdings der Vorschlag von Senator Wolf an, alle Ausschreibungen in Berlin bis auf Weiteres auszusetzen. Nach Lage der Dinge wird es keine kurzfristigen Lösungen geben. Bei einem durchschnittlichen jährlichen Beschaffungsvolumen von 4 Milliarden € bis 5 Milliarden € manövrieren Sie sich und die Bezirke deshalb mit einem monatelangen Ausschreibungsstopp in die Funktionsunfähigkeit. Sie bedrohen direkt Arbeitsplätze und Unternehmen in der Region, besonders in Branchen, die stark von öffentlichen Aufträgen abhängig sind. Außerdem stehen dem Land nur noch bis zum
31. Dezember dieses Jahres EU-Mittel aus der alten Förderperiode zur Verfügung. Es geht um 22,4 Millionen €, die im Haushalt 2008 veranschlagt sind und damit zu verfallen drohen. Statt 7,50 € die Stunde gar kein Geld zu bekommen, das ist nicht sozial, sondern verantwortungslos.
zweitens die nationale Mindestlohngesetzgebung unterstützen und drittens das Berliner Vergabegesetz sorgfältig überarbeiten, meine Damen und Herren insbesondere von der PDS. Wolf Biermann wusste schon: „Lenin lehrt zum Glück, zwei Schritte vor, ein’ zurück.“.
Lassen Sie uns diese Formel umgekehrt anwenden und beantworten wir diesen Schritt zurück des EuGH mit zwei – oder genauer den genannten drei – Schritten nach vorn in Richtung eines flächendeckenden Mindestlohns und eines besseren Vergabegesetzes. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Herr Senator Wolf! Da haben Sie den Salat.
Sie haben es mit Ihren Mitstreitern in vier Wochen in diesem Parlament geschafft – wissend, dass beim EuGH ein Urteil ansteht –, alle Sorgfalt zu missachten, sondern waren ganz stolz – die Kollegin Paus und Herr Melzer haben darauf verwiesen – darauf, das Vergabegesetz hier möglichst schnell durchzuziehen, anstatt abzuwarten, um zu sehen, wie Sie sich neu positionieren müssen. Der Erfolg gibt Ihnen nicht recht, denn jetzt setzen Sie das Gesetz selbst aus. Auch die Anhörung im Wirtschaftsausschuss hat gezeigt, dass es ernst zu nehmende weitere Bedenken gegen Ihre Gesetzesnovellierung gibt, aber auch die wurden und werden weiterhin ignoriert.
Ich bin gespannt auf die juristischen Interpretationen des EuGH-Urteils gerade auch im Verhältnis zum Bundesverfassungsgerichtsurteil. Ich werde mich genauso wenig wie im Wirtschaftsausschuss als Laie an juristischen Spekulationen beteiligen. Dazu ist die Sache zu seriös, und dafür bin ich schlicht und einfach der falsche Ansprechpartner. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass uns das EuGH
Urteil auch eine Chance gibt, nämlich die, darüber nachzudenken, ob das, was Sie mit dem Vergabegesetz erreichen wollten, der einzige und der einzig vernünftige Weg ist.
Herr Kollege Jahnke! Sie haben gesagt, es könne nicht sein, dass Menschen, die Vollzeit arbeiten, nicht von ihrem Lohn leben könnten. – Das möchte ich aufnehmen. Das soll in der Tat nicht sein. Wir wissen alle, dass dieser Zustand leider nicht neu ist. Diesen Zustand gab es bereits bei der Gründung der Bundesrepublik. Viele Menschen haben damals, weil sie froh waren, endlich wieder arbeiten zu können, jegliche Form von Arbeit angenommen – auch wenn sie davon nicht leben konnten. Genau deshalb haben die neoliberalen Gründungsväter der Bundesrepublik dafür gesorgt, dass das Sozialstaatprinzip bei uns Eingang findet. Das heißt: Wenn jemand Vollzeit arbeitet und trotzdem nicht sein Auskommen hat, ist die Solidargemeinschaft gefordert, ihm ergänzend Lohn zur Verfügung zu stellen. Das ist durch die Sozialgesetzgebung geregelt. Dies ist etwas anderes als manche meinen und wird nicht von oben herab bewilligt, sondern ist ein zutiefst solidarisches Prinzip, diejenigen, die zeigen, dass sie bereit sind zu arbeiten, die zeigen, dass sie ihren Beitrag leisten wollen, zu unterstützen, wenn ihr eigener Beitrag nicht ausreicht.
Auch die Sprache macht Haltung deutlich, häufig wird von den Menschen, die im Rahmen von Alg II oder Hartz IV zusätzliche Gelder erhalten, als „Aufstockern“ gesprochen. Ich finde das – um es höflich auszudrücken – despektierlich, im Grunde genommen verbirgt sich für mich dahinter eine menschenverachtende Stigmatisierung. Dem muss man entgegentreten.
Ich habe im Wirtschaftsausschuss deutlich gemacht, Ihre Selbstinterpretation, Kollege Liebich, was Dumpinglöhne sind, können Sie schriftlich irgendwo einreichen, aber für alle Menschen, die sich mit Wirtschaft beschäftigen, ist Dumping klar definiert: Ich bringe ein Produkt unterhalb meines Preises auf den Markt, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Das ist nicht lauter. Dumpinglöhne sind genau das, was der Markt hergibt. Mehr gibt es für bestimmte Arbeiten nicht auf dem Markt. Ob uns das gefällt, ist eine ganz andere Frage. Machen Sie nicht solche Konstruktionen. Das ist genauso sinnvoll wie in der Werbung, wenn von „Gefrierbrand“ die Rede ist.
Das Entscheidende für mich ist, dass Sie gar nicht das Prinzip des Sozialstaates weiterentwickeln wollen, sondern es dahin verändern, dass Sie letztlich nur noch eine Bevölkerungsgruppe mit der Verpflichtung betrauen, dafür zu sorgen, dass der Lohn so hoch ist, dass die Menschen, die ihn erhalten, zufriedenstellend leben können: das sind die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. In der Wissenschaft würde man so etwas einen Paradigmenwechsel nennen, denn wir verlassen das Sozialstaatprinzip. Wenn es Ihnen wirklich darum gehen würde – ich glaube, der Kollege Jahnke meldet sich laufend –, hier angesichts des Urteils eine Lösung zu finden, könnte man
vollkommen frei überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, das, was wir zum Haushaltseinkommen eines Betroffenen dazugeben, zu erhöhen, zu verändern oder neue Anreizsysteme zu schaffen. Warum beharren Sie auf dem Mindestlohn – und möglichst auf einem flächendeckenden?
Um Ihrem spannenden Diskurs über Dumping und Ähnlichem zu folgen: Wenn Sie Dumping definieren als Anbieten unter den Kosten, was sind dann Ihrer Meinung nach die Kosten der Ressource Arbeitskraft – ich erwarte jetzt nicht, dass Sie marxistisch denken –, aber was sind die Reproduktionskosten der Ressource Arbeitskraft, sodass Sie nicht nachvollziehen können, dass unterhalb der Kosten angeboten wird?
Herr Kollege Jahnke! Wenn die Antwort einfach wäre, würde ich sie Ihnen gern geben. Aber sie ist eben nicht einfach, weil es keine einheitliche Form für die Kosten der Ressource Arbeitskraft gibt. Die Arbeitskraft ist immer auch ein Äquivalent – es wäre nett, wenn Sie zuhörten, wenn ich Ihnen antworte – von Angebot und Nachfrage. Das hat ganz klar auch mit Qualifikation zu tun. Selbstverständlich gibt es deswegen gespreizte Löhne und nicht irgendwo einen festzusetzenden. Das ist gerade die Gefahr, auf die ich immer wieder hinweise. Wenn Sie erst einmal die Hoheit über die Löhne haben, dann gnade uns Gott. Aber auch der wird uns dabei nicht helfen. Dann werden in jedem Wahlkampf die Löhne populistisch verändert, hier 1 Cent mehr, dort 10 Cent mehr. Die 7,50 €, die hier zur Diskussion standen, sind doch erst der Einstieg. In Wirklichkeit sind viele bei Ihnen schon bei 9,20 € und mehr.
Um das Thema noch einmal von einer anderen Seite zu beleuchten, empfehle ich eine Studie der Friedrich-EbertStiftung vom November 2007, die sich dezidiert mit den Auswirkungen von Mindestlöhnen bei flächendeckender Einführung auseinandersetzt. Da kann man sehr anregend nachlesen, dass zum Beispiel eine Form, um den Mindestlohn umzusetzen, grundsätzlich sein wird, dass es zu Preiserhöhungen kommt. Das ist im Übrigen auch im Vorblatt zum Vergabegesetz von Ihnen selbst aufgeschrieben worden: Es kann durchaus zwischenzeitlich zu Preiserhöhungen kommen. Dazu sage ich quasi in Klam
mern: Weshalb nicht? – Sie nehmen das gern in Kauf. Weiterhin kann man dieser Studie entnehmen, dass das selbstverständlich sein wird, was der öffentliche Dienst uns vorexerziert. Auch in der privaten Wirtschaft werden Zulagen und Gratifikationen zugunsten der Löhne zurückgefahren, wenn es einen Mindestlohn gibt. Wir erleben – auch das können Sie im Alltag sehen, wenn Sie es sehen wollen – überall eine Arbeitsplatzverdichtung. Reinigungskräfte werden nicht mehr nach Stunden, sondern nach Zimmern bezahlt. Das hat etwas mit dem Versuch zu tun, die Arbeit in Form von Akkord durchführen zu lassen. Das entspringt alles der Friedrich-Ebert-Stiftung, nicht Volker Thiel.
Dann erleben wir – das steht nicht darin – Rationalisierungsmaßnahmen. Diese treten überall dort auf, wo die Technik günstiger als der Mensch ist. Das kann man im Bewachungsgewerbe sehen; dort wird Videotechnik eingesetzt oder andere Formen. Das ist kostengünstiger.
Als letzte Form gibt es noch die Möglichkeit der Standortverlagerung. Auch da ist Berlin beredtes Beispiel. Viele kennen es noch. Berlin war einmal ein Standort, an dem es relativ viele Wäschereien gab. Wenn Sie heute professionell Wäsche waschen lassen müssen – nicht die private –, weil Sie ein Hotel oder eine Herberge haben, werden Sie die Wäsche im befreundeten Polen waschen lassen, weil es für Sie trotz der Fahrkosten insgesamt günstiger ist, als hier eine Wäscherei zu beauftragen. Das ist eine klare Standortverlagerung. Das Schlimme bei all diesen Formen, die ich bislang nur anreißen konnte, ist, dass es immer wieder die Beschäftigten betrifft. Entweder müssen sie mehr arbeiten, um ihren Arbeitsplatz fürchten oder sich in das Heer der Arbeitssuchenden einreihen.
Einen Aspekt möchte ich zum Schluss noch besonders hervorheben. Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen eines Mindestlohns sind nur spekulativ, aber nicht berechnend zu erfassen. Eines ist aber sicher: Schauen Sie sich doch einmal in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik etwas genauer um. Immer wenn Gutmenschen über Politik in den Arbeitsmarkt oder hier in den Wirtschaftsmarkt eingegriffen haben, gab es nach kurzer Zeit Nachbesserungsbedarf, der letztlich nur dazu führte, dass der Markt stranguliert wurde. Nach Strangulation folgt Tod. Das beste Beispiel haben wir in Berlin, wenn wir uns den Wohnungsmarkt anschauen. Wir haben eine total verfahrene Situation, wenn wir uns den Arbeitsmarkt anschauen. Überall dort, wo Politiker meinen, ihre Interessen durchsetzen zu müssen, hinterlassen sie mehr Schaden als Nutzen. Deswegen haben wir immer gesagt, dass es rückwärtsgewandt ist, dieses überflüssige, nicht angewandte Vergabegesetz in der Form zu novellieren, wie es geschehen ist.
Es geht tatsächlich darum – ich wiederhole es, weil es mir wichtig ist –, dass Sie sich vom Sozialstaatprinzip verabschieden wollen. Sie trauen der Marktwirtschaft nicht. Sie wollen mehr Lenkungswirtschaft. Sie wollen mehr politi
schen Einfluss in die Wirtschaft, ohne Verantwortung übernehmen zu müssen. Sie befinden sich, so wie das Hajek schön geschrieben hat, auf einem besonderen Weg, der in Richtung Sozialismus weiter geht. Daher kommen Sie. Dahin wollen Sie. Daran werden wir Sie hindern. Wir stehen dafür in der Tradition der sozialen Marktwirtschaft. Herr Doering, darüber werden wir uns noch oft auseinandersetzen. Wir stehen in der Tradition der sozialen Marktwirtschaft. Wir stehen für die Freiheit. Sie, meine Damen und Herren, die das so wollen, befinden sich auf einem falschen Gleis. Sie fahren vorwärts mit Volldampf in die Vergangenheit. – Ich danke Ihnen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Thiel! Besten Dank für diesen optimistischen Ausblick! Dass wir uns alle auf dem Marsch in den Sozialismus befinden. ist uns bislang verborgen geblieben. Wir nehmen es aber mit Freude zur Kenntnis.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs steht nicht außerhalb der Kritik, so wie in demokratischen Staaten Gerichte generell nicht außerhalb der Kritik stehen und Gerichtsurteile sich der öffentlichen Diskussion stellen und unterziehen müssen, vor allen Dingen dann, wenn es eminent politische Urteile sind. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist ein politisches Urteil, weil es unmittelbar in politische Rahmensetzung eingreift.
Gerichtsurteile sind immer die Auslegung von allgemeinen Rechtsbestimmungen und der Versuch, sie auf konkrete Fälle anzuwenden. Diese Auslegung hängt auch immer ab von gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und vom Zeitgeist. Der Zeitgeist, der dieses Gerichtsurteil bestimmt hat, ist ein neoliberaler Zeitgeist, ein Zeitgeist, der davon ausgeht, dass der unregulierte, der ungehemmte Wettbewerb über Arbeitnehmerrechte, über soziale Rechte und über Mindeststandards gestellt werden muss. Es ist nur angebracht, das zu kritisieren. Wir wollen ein soziales Europa und kein Europa, in dem der ungehemmte Wettbewerb und eine Ellenbogenmentalität herrschen.
Dieses Urteil – es ist schon angesprochen worden – steht auch im Widerspruch zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ausdrücklich das Berliner Vergabegesetz mit seiner Tariftreueregelung in seinem Urteil von 2006 für verfassungsgemäß erklärt und dies mit der Intention begründet hat, hier Arbeitnehmerschutz durchzusetzen, den Sozialstaat und die Sozialversicherungssysteme und das Tarifvertragssystem zu stärken. Herr Thiel, das sind alles