Protocol of the Session on April 10, 2008

Ich eröffne die 27. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle und unsere Gäste sowie die Zuhörer und die Medienvertreter ganz herzlich in unserer Mitte.

Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich Geschäftliches mitzuteilen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen möchte folgende zwei Anträge zurückziehen:

Gesetz zur Ersetzung des Gaststättengesetzes des Bundes sowie zur Einführung des Nichtraucher- und Nichtraucherinnenschutzes in Berliner Gaststätten Drucksache 16/0354. Die Federführung liegt beim Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Frauen, die Mitberatung beim Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz.

Zukunftsorientierte Haushaltspolitik IV: Unternehmensteuerreform ablehnen Drucksache 16/0362, überwiesen an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Frauen sowie an den Hauptausschuss.

Durch die Fraktion der CDU ist eine zusätzliche Ausschussüberweisung zur Vorlage – zur Beschlussfassung – über Drittes Gesetz zur Änderung des Berliner Abwasserabgabengesetzes Drucksache 16/0824 gewünscht. Sie wurde in der 18. Sitzung am 27. September 2007 an den Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz überwiesen. Nunmehr soll sie zusätzlich an den Hauptausschuss überwiesen werden. – Dazu höre ich keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

Am Montag sind folgende vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Linksfraktion und der Fraktion der SPD zum Thema: „Auftragsvergabe nach Mindestlohn umsetzen – Schlussfolgerungen aus dem EuGH-Urteil ziehen“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Be amtsmüde, be Sprücheklopfer, be Sarrazin – der Finanzsenator ist so schlecht wie die Imagekampagne des Senates“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Menschenrechte achten: Berlin muss Flagge zeigen – keine politische Reise zu den Olympischen Spielen in Peking“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „EuGH versenkt rot-rotes Vergabegesetz: Was bedeutet das für BBI?“.

Die Fraktion der FDP hat ihren Antrag zurückgezogen. Im Ältestenrat konnten wir uns noch nicht auf ein gemeinsames Thema verständigen. Zur Begründung der Aktualität rufe ich nun für die Linksfraktion den Kollegen Liebich auf.

[Christoph Meyer (FDP): Keine Richterschelte, Herr Liebich!]

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor wenigen Tagen, am 3. April 2008, hat die zweite Kammer des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-364 entschieden. Es geht hierbei um den Fall Dirk Rüffert als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Objekt- und Bauregie GmbH und Co. KG gegen das Land Niedersachsen. Ich will Ihnen begründen, warum dies ein aktuelles Thema für das Berliner Abgeordnetenhaus ist. Der Europäische Gerichtshof hat nichts weniger entschieden, als dass Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland die Vergabe öffentlicher Bauaufträge nicht an spezielle Tarifverträge für die eingesetzten Arbeitnehmer koppeln dürfen, wenn es keine bundesweiten Regeln gibt. Entsprechende Formulierungen im niedersächsischen Landesvergabegesetz widersprächen den EU-Regeln zur Entsendung von Arbeitnehmern. Das hat Konsequenzen für Berlin, und das ist aktuell.

Der Rechtsstreit hat sich an einem Gefängnisneubau in Göttingen entzündet. Dort hatte sich die angesprochene Baufirma zwar einerseits zur Einhaltung von Tarifverträgen verpflichtet, andererseits hat ein polnischer Subunternehmer aber 53 Arbeiter für weniger als die Hälfte des Tariflohns angestellt. Das Land Niedersachsen forderte deshalb eine Vertragsstrafe von 85 000 € vom Insolvenzverwalter. Das entspricht nach dem aktuellen Urteil nicht dem EU-Recht. Aber die EU-Kommission hat auch gesagt, dass eine Lohnvorgabe möglich gewesen wäre, wenn es einen gesetzlich festgelegten Mindestlohn gäbe.

Warum tangiert uns das in Berlin? Warum ist das aktuell? – Weil davon unser neues, gerade in Kraft getretenes Vergabegesetz berührt wird, ebenso wie das zuvor von der großen Koalition beschlossene betroffen gewesen wäre und die Vergabegesetze von sieben weiteren Bundesländern ebenso, und zwar mit Regierungen unterschiedlichster politischer Koalitionen. Wir, Linksfraktion und SPD, halten an jedem Komma der Ziele unseres Vergabegesetzes fest. Wir wollen keine öffentlichen Aufträge an Dumpinglohnzahler vergeben.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Warum das so ist, das würden wir gern in der Aktuellen Stunde mit Ihnen besprechen, und auch, auf welche Weise wir dies nunmehr klären wollen.

Ich kann Ihnen aber auch sagen, insbesondere den Kolleginnen und Kollegen der FDP, warum die von Ihnen vorgeschlagene Aktuelle Stunde nicht aktuell ist. Das haben Sie offenbar selbst gemerkt, weil Sie sie zurückgezogen haben. Sie haben beantragt: „EuGH versenkt rot-rotes Vergabegesetz: Was bedeutet das für BBI?“ Das ist komplett am Sachverhalt vorbei. Der EuGH hat erst einmal das niedersächsische Vergabegesetz versenkt, und da regiert nicht Rot-Rot, sondern Schwarz-Gelb. Und unsere

dortige Landtagsfraktion wird dafür sorgen, dass das Thema nicht von Wulff und Hirche versenkt wird, sondern auf der Tagesordnung bleibt.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Der Flughafen ist als Aufhänger auch falsch gewählt, weil er in Brandenburg liegt und sich die dortige große Koalition bisher nicht auf ein Vergabegesetz einigen konnte.

Dass der misslungene Kalauer der CDU kein Thema für eine Aktuelle Stunde ist, liegt auf der Hand. Der Vorschlag der Bündnisgrünen hingegen, der Menschenrechtsverletzungen in Tibet und Reiseplanungen nach China thematisiert, ist zweifellos aktuell und wird daher auch unmittelbar nach der Aktuellen Stunde diskutiert werden. Es gibt also viele Gründe, dem Vorschlag unserer Koalition zu folgen, und darum bitte ich Sie.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Danke schön, Herr Kollege Liebich! – Für die Fraktion der CDU hat nunmehr der Kollege Braun das Wort. – Bitte schön, Herr Braun!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ist eigentlich „Be berlinisch“? Theodor Fontane, der nach Auffassung unseres Finanzsenators aus der der Stadt Berlin angeschlossenen landwirtschaftlichen Fläche Land Brandenburg kommt und Zeit seines Lebens dem Geheimnis der Volksmentalität nachspürte, definierte das Urberlinertum als etwas, „darin sich Übermut und Selbstironie, Charakter und Schwankendheit, Spottsucht und Gutmütigkeit, vor allem aber Kritik und Sentimentalität die Hand reichen“. Der Berliner hat es drastisch auf die kurze Formel gebracht: Herz und Schnauze. Mit diesen Gaben ist es uns gelungen, viele nterschiedlicher Herkunft zu integrieren. u Im Moment arbeitet die Stadt an der Integration unseres Finanzsenators Sarrazin. Er ist gleichermaßen ein schwieriger Fall und Glückskerl: Glückskerl deshalb, weil sein Ruf in der Öffentlichkeit besser ist als seine Leistungen. Manche meinen, er hätte die Finanzen des Landes Berlin saniert, dabei ist gerade der letzte Haushalt 2007 eine Mogelpackung: Ein Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben konnte nur erzielt werden, weil der wichtigste Vermögenswert der Stadt – die Bankgesellschaft Berlin – veräußert wurde.

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Apropos Vermögensaktivierung: So ein richtig glückliches Händchen hat Herr Sarrazin dabei nicht. Mit seinem Namen sind auch die Skandale um das Tempodrom, der Veräußerung des Rundfunkgeländes an der Nalepastraße und das Spreedreieck verbunden. Eines muss man Herrn Sarrazin aber lassen: Er ist vor allem eine Bereicherung für die Berliner Stammtische. Zudem ist er polyglott interessiert.

[Zuruf von der SPD]

Es gibt kaum ein Thema, das ihm nicht eine Äußerung wert wäre – seien es die Altbeschäftigten bei der BVG, die Hartz-IV-Empfänger in unserer Stadt oder die Qualität der Berliner Schulen. Manchmal stören ihn auch seine eigenen Mitarbeiter, und im Moment hat er eine neue Lösung für die Kinderarmut in der Stadt parat, nämlich die Abschaffung des Kindergeldes für die ersten beiden Kinder. Das passt eigentlich zum Senat: Erst werden unter Rot-Rot im Jugendbereich 160 Millionen € in den letzten sechs Jahren gestrichen, anschließend wundert man sich darüber, dass wir im Parlament nahezu in jeder Sitzung über Kinderarmut sprechen. Statistiken zufolge sind mindestens 40 Prozent unserer Kinder davon betroffen.

Zurück zum Berlinischen. Was Sarrazin schon hat, ist Schnauze, was ihm fehlt, ist Herz. Herr Sarrazin! Frei nach Dieter Nuhr: Wenn man keine Ahnung hat, kann man auch mal die Schnauze halten!

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

Nun könnte uns dieser Herr aus Recklinghausen eigentlich egal sein,

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Dito!]

ich frage mich allerdings, warum der Regierende Bürgermeister diesen – bestenfalls fürs Kabarett geeigneten – Finanzsenator nicht aus dem Verkehr zieht. Das könnte er, die Richtlinienkompetenz hat er. Aber vielleicht ist Sarrazin mit seinem Stammtischgerede seine ideale Ergänzung – alles nur Rollenspiel? – Er, Wowereit, bedient die Promipartys, Sarrazin die Stammtische. Das mag parteipolitisch gewollt sein, für die Stadt ist es verheerend. Sarrazin spaltet, grenzt aus, verhöhnt. Herr Wowereit! Schicken Sie Herrn Sarrazin dahin, wo er sich intellektuell längst befindet, ins politische Abseits!

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

Der Senat kümmert sich um sein Image, wir sorgen uns um den Ruf der Berliner Politik – lassen Sie uns darüber reden! – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Braun! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr Herr Ratzmann das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Menschenrechte gelten universell, überall, immer und für jeden, auch in China und auch und gerade während der Olympischen Spiele. Verletzungen dürfen wir nicht tolerieren, darüber diskutiert die ganze Welt, und das geht auch uns im Abgeordnetenhaus an, darüber haben auch wir zu sprechen!

[Beifall bei den Grünen, der CDU, der Linksfraktion und der FDP]

China hat das Versprechen abgegeben, die Menschenrechtslage im eigenen Land zu verbessern. Das IOC hat die Spiele nach Peking nur unter dieser Prämisse gegeben. Dieses Versprechen wurde bis jetzt nicht eingehalten. Menschenrechtsverstöße in China sind an der Tagesordnung – gegen die tibetische Bevölkerung, gegen die muslimische Bevölkerung, gegen Gemeinschaften wie Falun Gong, gegen politische Dissidentinnen und Dissidenten, gegen die Opposition in der Landbevölkerung, die armen Arbeiterinnen und Arbeiter. Die versprochene Lockerung der Pressezensur gilt nur temporär und auch nur für ausländische Pressevertreterinnen und Pressevertreter. Chinesische Gesprächspartnerinnen und -partner werden nach Interviews immer wieder drangsaliert und verhaftet; Hu Jia, der 2007 den Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments erhalten sollte, ist im Januar nach einer Videokonferenz festgenommen und am 3. April 2008 wegen Aufrufs zur Untergrabung der Staatsgewalt zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Der chinesische Menschenrechtler Yang Chunlin wurde am 25. März 2008 zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er eine Petition mit der Forderung „Wir wollen Menschenrechte und keine Olympischen Spiele“ verfasste. Wer sich angesichts dieser Situation hinter der politischen Neutralität des Sports versteckt, will die politische Bedeutung der Spiele nicht sehen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie wieder einmal als Fassade für Toleranz und falsche Anerkennung missbraucht werden!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Es ist und bleibt unsere Aufgabe, auf diese Situation in China hinzuweisen und die Geltung der Menschenrechte einzuklagen – auch im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen. Wer, wenn nicht wir in Berlin, dieser Stadt, deren Einwohner so lange unter Menschenrechtsverletzungen gelitten haben, die nur mit internationaler Solidarität überleben konnte, ist aufgefordert, für die universelle Geltung der Menschenrechte einzutreten und Zeichen dafür zu setzen, dass wir uns nicht mit bloßen Versprechungen abspeisen lassen? [Beifall bei den Grünen und der CDU]

Wir fordern China auf, die Verhafteten freizulassen, die Drangsalierungen einzustellen, sonst kann und darf kein politischer Repräsentant dieses Landes an Veranstaltungen der Olympischen Spiele teilnehmen.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Wir halten nichts davon, die Spiele zu boykottieren, im Gegenteil! Die Sportlerinnen und Sportler müssen als Botschafter für die Menschenrecht dorthin fahren!

[Zuruf von Martina Michels (Linksfraktion)]

Das heißt aber auch, dass das NOC den deutschen Athletinnen und Athleten den Rücken freihalten muss, wenn sie im Umfeld der Spiele aktiv werden wollen, um die Menschenrechte einzuklagen. Sie brauchen auch die Rückendeckung der Politik, die sich nicht wohlfeil an Sektemp

fängen und Buffets rumtreibt, während draußen das offene Wort eines jeden Chinesen zu Verhaftungen und Schlimmerem führt. Diese Stadt wird es verkraften, wenn ihre Sportfunktionäre angesichts dieser Situation nicht an Glanz und Glamour teilnehmen, im Gegenteil, es wird uns nutzen!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Es ist gut, dass sich Politiker und Politikerinnen aus Niedersachsen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Brandenburg bereits eindeutig positioniert haben. Es war instinktlos, dass sich ausgerechnet der Präsident dieses Hauses im Vorfeld der Spiele das politische Plazet von SPD und PDS geholt hat, in offizieller Mission nach Peking reisen zu dürfen. Ich erinnere mich noch daran, dass die Bürgermeisterin Christine Bergmann dem chinesischen Regierungschef Li Peng so die Meinung gegeigt hat, dass er ein Dinner eines Staatsbesuchs verlassen hat. So viel Rückgrat sucht man heute in der Berliner SPD vergebens.