Protocol of the Session on February 28, 2008

Wir brauchen deshalb ein Konzept zur Information und Sensibilisierung der Betroffenen und der Behörden, etwas, das die Menschen stadtweit erreicht.

In Nordrhein-Westfalen hat man das erkannt und eine breit angelegte Kampagne gestartet. Ähnliches wollen wir in Berlin. Ich finde es ärgerlich, wenn manche CDUregierten Länder dem rot-roten Senat in integrationspolitischen Dingen voraus sind. Jedenfalls könnten das Wissen

und die Erfahrungen aus NRW hier sinnvoll genutzt werden.

[Beifall bei den Grünen und der CDU – Beifall von Rainer-Michael Lehmann (FDP)]

Wir müssen uns überlegen, wie die Zusammenarbeit der Schulen, der Migrantenverbände, der Jugendämter und der Polizei verbessert werden kann. Ich sagte es bereits: Weil Zwangsheirat strafbar ist, versuchen die Betroffenen, sich selbst zu helfen, oder wenden sich an anonym arbeitende Träger. Denen fehlen aber die Möglichkeiten und vor allem das Geld. Die Behörden, die Mittel für solche Zwecke haben, wie z. B. das Jugendamt, arbeiten nicht anonym und schon gar nicht unbürokratisch. Dieses Dilemma müssen wir lösen. Entweder wir geben denen, die anonym arbeiten, Geld, oder die Behörden helfen unbürokratisch und schnell. Eins von beiden muss geschehen. Es hilft nichts, nur zu reden und nichts zu tun.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Um die Anbahnung von Zwangsehen im Vorfeld zu verhindern, müssen die Betroffenen frühzeitig aufgeklärt, sensibilisiert und immunisiert werden.

Frau Öney! Ihre Redezeit ist beendet.

Ich bin gleich am Ende. – Wir denken, dass die Schule der geeignete Ort dafür ist. Wir müssen sicherstellen, dass an Schulen Präventionsarbeit geleistet werden kann. Gezieltes Unterrichtsmaterial, Fortbildungen für die Lehrkräfte und die Zusammenarbeit mit Experten und Organisationen wie Terre des Femmes können hilfreich sein.

Vor ein paar Wochen kamen Politikerinnen und Politiker aus allen Fraktionen am Todestag von Hatun Sürücü zusammen. Drei Jahre nach ihrem Tod und kurz vor dem internationalen Frauentag am 8. März wäre es ein gutes Zeichen, wenn wir uns gemeinsam gegen Zwangsheirat einsetzen würden. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Öney! – Für die SPDFraktion hat nun Frau Abgeordnete Bayram das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Viele meiner Mandantinnen, die von sogenannten arrangierten Ehen betroffen waren, berichteten, dass sie damals Nein gesagt hätten, wenn sie ihren jetzigen Verstand oder Mut gehabt hätten.

Du weißt doch wie das ist. Du kannst dich nicht gegen deine Familie stellen. – Also habe ich Ja gesagt oder geschwiegen.

Das berichtet die Kollegin Seyran Atęs aus ihrer Anwaltspraxis. Aus meiner Anwaltspraxis kann ich die Aussage der Kollegin bestätigen. Daher will ich hier die Differenzierung zwischen Zwangsverheiratung und arrangierter Ehe nicht wichtiger nehmen, als sie ist.

Wenn wir unsere Verantwortung ernst nehmen, müssen wir erkennen, dass es darum geht, die jungen Mädchen und Frauen so zu stärken, dass sie an unserer Gesellschaft teilhaben können. Das fängt bei der Sprache an und reicht bis zum grundgesetzlich garantierten Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit. Es gibt aber auch Maßnahmen, die unter dem Vorwand, Zwangsehen verhindern zu wollen, ergriffen wurden, aber weder geeignet noch erforderlich sind.

Ich halte es für fragwürdig und auch für verfassungsrechtlich bedenklich, lediglich bestimmten Gruppen Sprachkenntnisse bei der Familienzusammenführung abzuverlangen und mit Hinweis auf die Verhinderung von Zwangsehen die betreffenden Gruppen unter den Generalverdacht zu stellen, immer Zwangsehen einzugehen.

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von Özcan Mutlu (Grüne)]

Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Mädchen und Frauen unterschiedlicher Herkunft und religiöser Orientierung den Rahmen und die Möglichkeit erhalten, ihr Potenzial voll auszuschöpfen und hier in Berlin nach ihrer Fasson glücklich zu werden. Der rot-rote Senat hat bereits in der Vergangenheit viel Wichtiges und auch Richtiges getan, um einerseits die Mädchen und Frauen zu schützen und zu beraten,

[Özcan Mutlu (Grüne): Was denn?]

andererseits wurden Maßnahmen ergriffen, um den Aggressoren Einhalt zu gebieten.

[Mieke Senftleben (FDP): Da ist der Wunsch der Vater des Gedankens!]

Dies war, ist und bleibt richtig. Daher fordern wir den Senat auf, das Begonnene fortzusetzen und in diesem Sinne weiterzumachen.

Es gibt einen Bereich, in dem die Aktivitäten noch verstärkt werden sollten, nämlich die Aufklärung in der Schule. Gerade für junge Mädchen aus strengen Elternhäusern ist die Schule einer der wenigen Orte, wo sie sich entfalten können. Sie fühlen sich unabhängig und frei vom Einfluss des Elternhauses. Sie entwickeln Selbstbewusstsein und die Stärke, die sie brauchen, um sich von den oft strengen und unterdrückenden Strukturen in den Familien zu lösen. Sie brauchen Aufklärung über die alternativen Möglichkeiten der Lebensgestaltung und Unterstützung auf dem Weg in ein selbstbestimmtes eben. L

Mir ist bewusst, dass die Schule bereits vielen Anforderungen ausgesetzt und insoweit besonders beansprucht ist.

[Özcan Mutlu (Grüne) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Frau Bayram! Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche, aber gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mutlu?

Ja, gerne! Klar!

Liebe Frau Kollegin! Wissen Sie, wie viele Fort- und Weiterbildungskurse und -angebote für Berliner Lehrkräfte es für diesen Bereich gibt und wie viele Lehrkräfte daran teilnehmen?

Herr Kollege Mutlu! Wenn Sie meinen Ausführungen weiter zuhören, werden Sie im Anschluss jedenfalls wissen, dass ich mir mehr wünsche. Aber vielen Dank für die Anregung!

[Beifall bei der SPD und den Grünen]

Wie gesagt: Mir ist bewusst, dass die Schule bereits vielen Anforderungen ausgesetzt und insoweit besonders beansprucht ist. Dennoch ist es von nicht zu unterschätzender Bedeutung, die Lehrerinnen und Lehrer so fortzubilden, dass sie Mittler zwischen den Beratungsstellen und den betroffenen Mädchen sein können.

[Mieke Senftleben (FDP): Davon reden Sie aber schon sehr lange!]

Ich halte den Ansatz für richtig, den Familien Angebote zu machen, um es ihnen zu ermöglichen, die mitgebrachten Traditionen zu überprüfen und dort, wo sie insbesondere den eigenen Söhnen und Töchtern lediglich zum Nachteil gereichen, auch ganz abzulegen. Wir müssen den Mut haben, in einen kritischen Dialog mit denjenigen zu treten, die für sich in Anspruch nehmen, die Interessen der Migrantinnen und Migranten zu vertreten.

Wie lange sollen wir uns mit den Themen „Zwangsverheiratung“ und „Ehrenmorde“ noch beschäftigen, werden sich vielleicht einige von Ihnen fragen. Ich habe das auch von dieser Seite hier ein wenig so gehört. Die Diskussion der letzten Jahre war ein Anfang. Sie hat viel zur Aufklärung beigetragen. Solange es jedoch junge Mädchen und Frauen gibt, die sich fragen: „Warum hilft mir keiner? Sieht denn keiner, wie es mir geht?“, sind wir noch nicht am Ziel. Wir werden alles tun, damit die jungen Mädchen

und Frauen in den vollen Genuss ihrer verfassungsrechtlich verbürgten Rechte kommen. – Danke!

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen – Özcan Mutlu (Grüne): Dann stimmen Sie doch unserem Antrag zu! ]

Nun hat der Herr Abgeordnete Wansner das Wort. – Bitte sehr!

[Özcan Mutlu (Grüne): Ah! Jetzt kommt der frauenpolitische Sprecher der CDU!]

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Grünen zum Thema: „Berlin wirkt präventiv gegen Zwangsheirat!“ wird von unserer Fraktion unterstützt.

[Beifall bei der CDU und den Grünen – Zurufe von den Grünen]

Er kann uns sicherlich, wenn er von diesem Senat – was ich allerdings bezweifle – umgesetzt wird, in Einzelfällen helfen. Aber er wird trotzdem zu keinem nachhaltigen Umdenken in den dafür anfälligen Kreisen und Familien führen. Denn in einem sind wir uns hoffentlich alle einig: Zwangsverheiratung ist eine gravierende und schwerwiegende Menschenrechtsverletzung und durch nichts zu entschuldigen.

[Allgemeiner Beifall]

Das gilt insbesondere deshalb, weil die Fälle der Zwangsverheiratung häufig mit brutaler, psychischer innerfamiliärer Gewalt, mit Demütigung, mit Unterdrückung, mit Vergewaltigung und teilweise – wie wir leider Gottes auch schon in Berlin feststellen mussten – mit sogenannten Ehrenmorden, die unerträglich und verabscheuungswürdige Straftaten darstellen, verbunden sind. Deshalb müssen wir das Hauptaugenmerk darauf richten, alles dafür zu tun und effiziente Regelungen zu schaffen, um Zwangsverheiratungen in Berlin zu verhindern. Diesem Senat traue ich das allerdings nicht mehr zu.

Herr Mutlu! Der Antrag der Grünen ist ein kleiner Schritt auf dem richtigen Weg. Die große Koalition im Bund hat, wie ich in diesem Hause bereits früher einmal ausgeführt habe, durch das Gesetz zur Umsetzung der asyl- und ausländerrechtlichen Richtlinien der Europäischen Union vieles getan,

[Mieke Senftleben (FDP): Ganz selten, Herr Wansner!]

um im präventiven Bereich Zwangsheiraten zu verhindern, indem z. B. das Nachzugsalter für Ehegatten auf 18 Jahre festgesetzt wurde. Frauen, die über 18 Jahre alt sind, sind selbstständiger und laufen damit nicht so schnell Gefahr, Opfer von Zwangsheirat zu werden.

[Zuruf von Evrim Baba (Linksfraktion)]

Mit dem Erfordernis des Nachweises von einfachen – wohlgemerkt: einfachen! – Sprachkenntnissen, die vor der Einreise nach Deutschland im Herkunftsland erworben werden müssen, wird gewährleistet, dass die Frauen schon mit ordentlichen Deutschkenntnissen nach Deutschland kommen. Sie können sich somit in der deutschen Gesellschaft zurechtfinden, können eigenständig einkaufen und sich einen eigenen Freundeskreis aufbauen. Auch dies stärkt die Frauen und vermindert erheblich die Gefahr, dass sie in größerem Maß Opfer von Zwangsverheiratung werden. Ich verstehe nicht, wie man mit dieser Regelung nicht einverstanden sein kann. Wer soll diesen Frauen in Deutschland Deutsch beibringen? – Die Schwiegermütter, die es oft selbst nicht können? Die Ehemänner, die es oft nicht wollen? Oder die Freundinnen, die sie leider noch nicht haben?

Eine weitere wesentliche Leistung der großen Koalition im Bund bestand darin, dass die Bundesrepublik 150 Millionen € im Jahr für Sprachkurse ausgibt.