Vielen Dank, Herr Abgeordneter von Lüdeke! – Für den Senat hat jetzt die Senatorin für Stadtentwicklung, Frau Ingeborg Junge-Reyer das Wort. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Abschluss des Tarifvertrages Nahverkehr im Jahr 2005 war ein Meilenstein für die Zukunftssicherung unserer BVG. Aber es ging nicht nur um die Zukunftssicherung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, es ging darum, die Chance zu ergreifen, den öffentlichen Personennahverkehr in Berlin mit der BVG nachhaltig optimal zu gestalten und die hohe Qualität des Berliner öffentlichen Personennahverkehrs für die Zukunft zu sichern.
Natürlich fanden diese Verhandlungen damals schon mit Blick auf den auslaufenden Unternehmensvertrag und auf die Novellierung der europäischen Verordnungen zur ÖPNV-Finanzierung statt. Insofern war bereits im Jahr 2005 die Stärkung der Zukunftsfähigkeit ein wesentliches Verhandlungsergebnis. Sie haben sich zu Recht an die Regierungserklärung des Regierenden Bürgermeisters im Juni 2005 erinnert. Sie alle haben diese Regierungserklärung und das Ergebnis der Verhandlungen mit Respekt und Anerkennung zur Kenntnis genommen, auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, selbst wenn Sie das jetzt nicht mehr wahrhaben wollen.
Gezielte Maßnahmen zur Reduzierung der Personalaufwendungen, des Urlaubsgeldes, des Weihnachtsgeldes – viele Maßnahmen, die die Beschäftigten damals schlucken mussten – haben dazu geführt, dass es langfristig – das sage ich ausdrücklich – eine positive Entwicklung ge
ben wird. In den vergangenen Jahren hat die BVG ihre Personalkosten erheblich senken können. Sie hat Erfolge bei der Sanierung des Unternehmens erzielt. Deutschlandweit hat sie dafür Respekt und Anerkennung gefunden. Die BVG ist ein leistungsfähiges Unternehmen. Aber sie ist hinsichtlich der Kostenseite immer noch auf der Überholspur und nicht bereits am Ziel aller Anstrengungen. Demgegenüber ist die Qualität des Nahverkehrsangebotes der BVG international – wie hier bereits geschildert – auf einem hohen Niveau.
Und – das sage ich ausdrücklich zu Herrn Goetze – der Senat hat mit dem Verkehrsvertrag selbstverständlich und folgerichtig gehandelt. Der Vertrag ist ein zentraler Baustein für die nachhaltige unternehmerische Entwicklung der BVG in den kommenden 12 Jahren und eine der Voraussetzungen, dass die BVG als Unternehmen bis zum Jahr 2020 – nach meiner Einschätzung noch darüber hinaus – eine Zukunft hat. Wir haben klare Rahmenbedingungen für die Leistungserbringung und für die Grenzen der Refinanzierung geschaffen, aber auch die Finanzierungsmöglichkeiten und die Art der finanziellen Sicherung.
Der Vertrag bietet einen transparenten Finanzierungsrahmen, der für die unternehmerische Entwicklung die richtigen Anreize setzt. Selbstverständlich erwarten wir von unserem Unternehmen, dass es sich wirtschaftlich erfolgsorientiert aufstellt. Im Verhältnis zwischen dem Land und dem landeseigenen Unternehmen werden Marktinstrumente genutzt, wo sie sinnvoll sind. Die Beförderung wird refinanziert als Leistung nach der erbrachten Leistung. Es gibt bei Schlechtleistung Pönalen. Für die Qualität wird die Kundenzufriedenheit gemessen. Für die Vorhaltung der Infrastruktur – eine primäre staatliche Aufgabe – ist ein Monitoringsystem entwickelt worden.
Für die transparente Steuerung und die transparente Finanzierung eines öffentlichen Verkehrsunternehmens haben wir im Land Berlin Neuland beschritten, und zwar – das belegen erste Anfragen aus anderen Bundesländern und von anderen Unternehmen – durchaus mit inzwischen anerkannter Vorbildfunktion. Ein Unternehmen, das sich in einem solchen vertraglichen Rahmen gut entwickeln wird, ist für die Zukunft gut aufgestellt. Allerdings müssen wir sagen – das wissen Sie auch alle: Eine hohe Qualität im öffentlichen Personennahverkehr ohne eine entsprechende Subvention kann es nicht geben. Das wussten Sie auch anlässlich der Beobachtung der Verhandlungen zum Verkehrsvertrag. In der Finanzplanung des Landes Berlin sind die Mittel dafür eingestellt.
Wir haben auf dieser finanziellen Grundlage die Wirtschaftsplanung eigenverantwortlich durch die BVG vornehmen lassen. Dem Vorstand und dem Aufsichtsrat unterliegt die Kontrolle. Ich muss insbesondere Herrn Esser, der heute einen bunten Blumenstrauß von offenen Fragen – nach meiner Einschätzung – an sich selbst
dargelegt hat, fragen: Herr Esser! Was für eine Alternative haben Sie eigentlich aufgezeigt? Weniger Geld für die Beschäftigten? Möglicherweise den Abbau von Personal auf eine ganz andere Art, so wie Sie dies immer abgelehnt haben? Weniger Leistungen? Höhere Preise für die Kundinnen und Kunden? Niemand konnte hier erkennen, was Ihr Ziel ist und mit welchen Maßnahmen Sie es verfolgen wollen.
Herr Goetze! Ich verstehe nicht, wie Sie mit sich selbst zurechtkommen, dem Senat auf der einen Seite HuschHusch vorzuwerfen und auf der anderen Seite zu sagen, dass die kontinuierliche Sanierung der BVG offensichtlich geleistet werden muss, in einem Prozess, der ein kontinuierliches Handeln voraussetzt. Sagen Sie doch, wie wir dauerhaft und nachhaltig in Verhandlungen einen solchen Vertrag zur Sicherung der BVG geschaffen haben. Das ist kein Husch-Husch, sondern wir haben uns auf das Jahr 2020 ausgerichtet. Wenn sich die BVG tatkräftig erweist und die Qualität sichert, arbeiten wir noch eine lange Zeit darüber hinaus zusammen. Husch-Husch hätten wir gehabt, Herr Goetze, wenn wir gesagt hätten: Wir bekennen uns zur Privatisierung. – Ob Sie das wollen oder nicht, haben Sie auch heute nicht gesagt.
Nun zu den Grünen: Sie stellen mit Ihrem Antrag implizit die Berechtigung der Kommunalwirtschaft infrage, die Zukunft eines öffentlichen Unternehmens in einer Hand zu behalten, und zwar in der öffentlichen. Im Zweifel würden bei Privatisierungen Niedrigstlöhne herauskommen. Das würde dazu führen, dass Sie das, was Sie sonst betonen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BVG zugestehen wollen, nicht einhalten könnten.
Ihre Fragestellung suggeriert, dass die Zukunftsfähigkeit der BVG allein über den Wettbewerb erreichbar wäre. Das ist ein Trugschluss. Das europäische Wettbewerbsrecht – das kann man in der neuen EU-Verordnung über öffentliche Personennahverkehrsdienste lesen – hat die öffentliche Hand vor gleichberechtigte Alternativen gestellt. Entweder nimmt die öffentliche Hand eine Aufgabe selbst wahr, oder sie vergibt die Leistungen im Wettbewerb. Wir haben uns mit unserem Unternehmen auch vor diese Frage gestellt gesehen. Wer den Weg wählt, auf dem Heimatmarkt, in Europa in die Konkurrenz zu gehen, kann erfahrungsgemäß nicht erfolgreich sein. Ich kenne kein deutsches Unternehmen, dem das gelungen ist. Wer Zukunftsfähigkeit und Wettbewerb gleichsetzt, setzt die Unternehmen einem hohen Risiko aus, das sie nur bestehen können, wenn sie mit den Lohnstrukturen der Privatwirtschaft mithalten können. Nehmen Sie das zur Kenntnis, und sagen Sie dann, was Sie eigentlich wollen!
Wir wollten den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diesen Weg nicht zumuten. Wir bekennen uns zu unserer Ver
antwortung für die Daseinsvorsorge. Die BVG ist Leistungsträger im Berliner ÖPNV und steht für eine im nationalen und internationalen Vergleich hohe Qualität. Wir glauben, dass unser Unternehmen erfolgreich einen Sanierungsprozess betreibt und dass es in der Liga großer kommunaler Unternehmen einen Spitzenplatz einnehmen kann. Anspruchsvolle, qualitativ hohe Verkehrsleistungen sind gesichert worden, und zwar nicht für die BVG, sondern für die Bürgerinnen und Bürger und Besucherinnen und Besucher aus aller Welt. Einen Vergleich muss die BVG nicht scheuen.
Wir erwarten aber von der BVG, von unseren Unternehmen mehr als von Privaten: mehr Ausbildungsplätze, eine Tarifgestaltung, die die soziale Situation von Kundengruppen berücksichtigt, und – das wurde heute schon erwähnt – ein vorbildliches Verhalten im Umweltschutz. Auch das ist ein Grund für unsere Ansicht, dass Unternehmen der Daseinsvorsorge in die öffentliche Hand gehören.
Sie haben sich heute aus aktuellem Anlass mit dem vergangenen und möglicherweise anstehenden Streik bei der BVG beschäftigt. Der Senat achtet das Streikrecht der Gewerkschaften und die Tarifautonomie. Er hat sich deshalb mit der gebotenen Zurückhaltung nicht in diese Diskussion eingemischt.
Zuerst erklärten Sie, die Tarifautonomie sei ein heiliges Gut. Dann relativierten Sie die Tarifautonomie sofort, indem Sie sagten, Verdi öffne die Schleusen. Ich verstehe nicht, was das soll.
Lassen Sie uns stattdessen eine ernsthafte Auseinandersetzung über das führen, was derzeit diskutiert wird – mit möglichen Unterschieden und Ungerechtigkeiten hinsichtlich der Bezahlung. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich das Unternehmen und die Gewerkschaften damit befassen. Ich empfehle eine solche Auseinandersetzung. Die Beschäftigten müssen sich – das gehört zur Ehrlichkeit – bezüglich der Gehälter einem Benchmark stellen.
Danke schön, Frau Senatorin! – Wir achten die Tarifautonomie der Gewerkschaften auch, aber ich frage Sie, ob Sie als Mitglied des Berliner Senats nicht auch gleichzeitig Verantwortung für ein effizientes Wirtschaften der BVG und für die sparsame Bewirtschaftung der öffentlichen Haushaltsmittel, die uns vom Steuerzahler anvertraut wurden, tragen. Wie sieht Ihre Gratwanderung in den nächsten Wochen konkret aus?
Frau Eichstädt-Bohlig! In der Auseinandersetzung zwischen den Tarifpartnern erwarte ich, dass beide Seiten – auch die Vertreter der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – auf die Benchmarks anderer Löhne und Gehälter – bei anderen Berufsgruppen und in anderen Bereichen des ÖPNV – schauen, denn eine Steigerung der Lohnkosten lässt sich nicht beliebig durch höhere Tarife für die Kundinnen und Kunden durchsetzen. Auf dem Rücken der Kundinnen und Kunden der BVG kann es solche Tarifsteigerungen nicht geben.
Ich sage das, weil das schon öffentlich diskutiert wurde. Auch einen Kreislauf – höhere Gehälter, höhere Tarife für die Fahrgäste, sinkende Fahrgastzahlen, weniger Einnahmen und eine höhere Verschuldung – darf es nicht geben.
Aber, Frau Eichstädt-Bohlig, dazu gehört auch, dass wir die Tarifpartner zunächst ihre Verantwortung wahrnehmen lassen.
Meine Damen und Herren, insbesondere von der Opposition! Sie führen die Diskussion um die Zukunft der BVG in einem Ton und in einer Art und Weise, als befänden wir uns noch vor dem Jahr 2005. Sie führen die Diskussion mit Argumenten aus dem vorigen Jahrhundert und widersprechen sich dabei ständig. Sie sollten sich an Ihre früheren Aussagen erinnern, als es um Privatisierungsstrategien ging. Zudem sollten Sie sich an Zeiten erinnern – ich wende mich insbesondere an Herrn von Lüdeke –, in denen sich alle Beteiligten in den Betriebsversammlungen der BVG vor jedes Recht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestellt haben. Das habe Sie heute scheinbar vergessen.
Wir alle, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Senat, sollten uns besinnen, aber auch Sie sollten das tun, und zwar auf die Tatsache, dass wir mit dem Tarifvertrag und dem Verkehrsvertrag die Zukunftssicherheit für die BVG und die Qualität des Leistungsangebots im ÖPNV dauerhaft sichern wollen. Diesem Ziel sind wir verpflichtet.
Vielen Dank, Frau Senatorin Junge-Reyer! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.
Zu beiden Anträgen der Fraktion der FDP empfiehlt der Ausschuss für Stadtentwicklung und Verkehr mehrheitlich – gegen die Stimmen der Fraktion der FDP und bei Enthaltung der Fraktion der Grünen – die Ablehnung. Wer dem Antrag Drucksache 16/0885 – Wettbewerb im Nahverkehr – dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die FDP-Fraktion. Die Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen und die CDU-Fraktion. Das ist die Mehrheit. Die Fraktion der Grünen enthält sich. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wer nun dem Antrag auf Drucksache 16/0886 – Verkehrsvertrag im Wettbewerb – seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das ist die FDP-Fraktion. Die Gegenprobe! – Das sind die CDU-Fraktion und die Koalitionsfraktionen. Das ist die Mehrheit. Enthaltungen? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
Nun lasse ich noch über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP abstimmen – Drucksache 16/1186. Wer diesem Antrag seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die FDP-Fraktion. Die Gegenprobe! – Die Koalitionsfraktionen, die CDUFraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist auch dieser Entschließungsantrag abgelehnt.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Das ist die Drucksache 16/1155-1.