Protocol of the Session on February 14, 2008

Ich eröffne die I. Lesung. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der SPD. Das Wort hat der Abgeordnete Jahnke. – Bitte sehr!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts dieses Gesetzentwurfs erscheint es mir sinnvoll und nötig – auch nachdem ich gewisse Presseerklärungen im Vorfeld gelesen habe –, daran zu erinnern, was der eigentliche Zweck einer öffentlichen Auftragsvergabe ist. Es geht darum, Leistungen und Güter zu beschaffen, mit denen das Land Berlin, seine Bezirke und

seine Unternehmen ihre Aufgaben erfüllen können. Diese Beschaffung soll zu günstigen Preisen erfolgen. Es sollen allerdings – so steht es im Gesetz – fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen und nicht irgendwelche windigen Unternehmen beauftragt werden. Diese Regelungen gelten nicht nur in Berlin, sondern das ist EU-Recht und teilweise in nationales Recht eingeflossen – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, VOB usw.

Diese Gesetze sehen in der Regel eine Ausschreibung vor, um den günstigsten und auch geeigneten Bewerber zu finden. Es gibt jedoch auch Spielraum für landesgesetzliche Regelungen. Wir machen davon mit dem bereits existierenden Vergabegesetz Gebrauch. Der günstigste Preis kann nicht alleiniges Zuschlagskriterium für die öffentliche Hand sein.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Es darf und muss den Staat interessieren, zu welchen Bedingungen diese Leistungen erbracht werden. Wenn ein niedriger Preis nur durch Dumpinglöhne zu erzielen ist, der den betreffenden Beschäftigten nicht den Lebensunterhalt sichert, dann ist das für uns nicht akzeptabel.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Herr Thiel! Ich kann deshalb nicht verstehen, was Sie in der letzten Woche in einer Pressemitteilung geäußert haben, dass nämlich „diese Einmischung vonseiten der Politik in die Wirtschaft“ der sozialen Marktwirtschaft widerpreche und damit der Staat „zum Preistreiber“ werde. Es ist doch geradezu die Verpflichtung des Staates, dafür zu sorgen, dass wenigstens die Aufträge, die er selber vergeben kann, den gängigen Regeln gehorchen und den politischen Vorstellungen entsprechen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Volker Thiel (FDP)]

Doch! Wenn Sie als Auftraggeber jemand privat beauftragen, dann werden Sie sich auch die Firma aussuchen, die Ihrer Meinung nach die Bedingungen erfüllt, die nach Ihrer Meinung eine Firma erfüllen soll – was vernünftige Arbeit und vernünftige Bedingungen anbelangt. Sie werden hoffentlich keine Firma beauftragen, von der Sie wissen, dass dort Schwarzarbeiter beschäftigt werden oder Ähnliches. Selbstverständlich wird das ähnlich gestaltet, wenn das Land Berlin einen Auftrag vergibt.

Deshalb regelt das bisherige Berliner Vergabegesetz bereits die Tariftreue für Bauleistungen. Ohnehin gibt es in diesem Bereich laut Gesetz einen Mindestlohn. Wir wollen mit der Gesetzesnovelle nun eine Ausweitung auf sämtliche Bereiche erreichen – also auch für Postdienstleistungen, für Gebäudereiniger usw. Hierbei können sicherlich auch noch andere Kriterien eine Rolle spielen. Das Land Berlin bewegt mit seinen Beschaffungen und Aufträgen im Jahr ein Volumen von ca. 5 Milliarden €, wenn man auch die öffentlichen Unternehmen dazuzählt. Das ist ein beachtliches Nachfragepotenzial, das einge

setzt werden kann, um auch andere Ziele zu verwirklichen – ökologische Ziele, fairen Handel, gleichstellungspolitische Ziele.

[Beifall von Daniel Buchholz (SPD)]

Auch Innovationsförderung in der Region! Die Koalitionsvereinbarung nimmt explizit Bezug darauf, und wir werden dafür sorgen, dass auch diesen Kriterien in geeigneter Form Rechnung getragen wird.

Allerdings – und dies kurz zum Änderungsantrag der Grünen, der ebenfalls unter diesem Tagesordnungspunkt diskutiert wird – muss man das Verfahren juristisch unanfechtbar regeln. Man muss dafür sorgen, dass der Hauptzweck der Vergabe, den ich anfangs nannte, nicht in den Hintergrund tritt, sondern diese Kriterien müssen in einer vernünftigen Weise eingebracht werden. Dafür werden wir sorgen. Zunächst wird der Gesetzentwurf im Wirtschaftsausschuss diskutiert. Es wird hierzu eine Anhörung geben, die alle Aspekte der öffentlichen Auftragsvergabe angemessen berücksichtigen soll. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Brauner das Wort. – Bitte!

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Wirtschaftssenator ist vor einigen Monaten mit einem ehrgeizigen Diskussionspapier im Vorfeld der Beratungen gestartet. Das Ansinnen von Herrn Wolf ist durchaus lobenswert und für einen Wirtschaftssenator angemessen. In diesem Papier waren zehn konkrete Maßnahmen genannt, die dazu dienen sollten, die Wirtschaft zu stärken. So weit, so gut! Doch was ist von dem zwölf Seiten starken Papier übriggeblieben? – Gerade einmal die Einleitung des Papiers – eine von zehn Maßnahmen! Oder anders gesagt: Herr Wolf ist angriffslustig gestartet und als Schaf gelandet.

[Bürgermeister Harald Wolf: Die restlichen neun kommen noch!]

Haben Sie sich wieder einmal ausbremsen lassen, oder wo finden wir die Änderungsentwürfe z. B. für die LHO, die geänderten Richtlinien für die Vergabestellen, die Sie im Diskussionspapier vorgestellt haben? – Sie haben einige Regelungen angesprochen, die die Berliner Wirtschaft im Rahmen dieses Vergabegesetzes dringend benötigen würde. Das würde insbesondere den lokalen kleinen und mittleren Unternehmen in Berlin zugutekommen.

[Zuruf von Stefan Liebich (Linksfraktion)]

Das Vergaberecht hat immer zwei Wirkungsfelder, nämlich Beschäftigung und Wirtschaftswachstum. Gerade in Berlin übt das Land mit einem Nachfragevolumen – in dem Fall direkt betrachtet – von ca. 4 Milliarden €, was

ca. 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht, eine nachhaltige Wirkung aus. Doch statt sich ausgewogen und damit nachhaltig mit beiden Feldern zu beschäftigen, die im Rahmen der Novellierung des Gesetzes bearbeitet werden könnten, widmen Sie sich nur dem einen Thema, dem Mindestlohn. Hier soll Berlin Vorreiter sein, wie es mit der Tariftreueverpflichtung schon einmal der Fall war.

Auch die Union vertritt die Auffassung, dass jeder Bürger von ehrlicher Arbeit angemessen leben können muss. Darüber sind wir uns sicherlich alle in diesem Raum einig. Vorreiter zu sein heißt aber auch, Vorbild zu sein. Herr Wolf! Das formulieren Sie selbst in Ihrem Diskussionspapier. Sie fordern, nicht allein „Hauptsache billig!“ im Fokus zu haben, sondern sowohl nachhaltige wie auch arbeitsmarktpolitische Kriterien zu berücksichtigen. Da wundert es einen doch, wenn man hört, dass die Berliner Immobilienmanagementgesellschaft – BIM – noch Wachschutzunternehmen beauftragt, die einen Stundenlohn von 5,25 € zahlen, obwohl der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, bereits im Senat beschlossen war und somit Richtlinie des politischen Handelns hätte sein müssen. Das passt nicht zusammen und lässt vermuten, dass hier mehr Schein als Sein gegeben ist.

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

Dann enthält das Gesetz auch noch einen sogenannten Hintertürparagraphen – § 3 –, der eine Anpassung des zu zahlenden Entgelts nach Maßgabe der wirtschaftlichen Verhältnisse ermöglicht. Herr Wolf! Sie beteuern auf Nachfragen, dass das Entgelt nur nach oben korrigiert werden kann, aber ich meine – auch nach den Erfahrungen mit dem Speiseplan und anderen Experimenten, die wir erleben –, dass das nur Augenwischerei ist. Wir werden Sie eng im Auge behalten und schauen, ob Sie das nun gegebene Wort halten werden.

[Frank Jahnke (SPD) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Dieser Gesamteindruck des „Mehr Schein als Sein“ wird durch die vorliegende Stellungnahme des Senats zum Gesetzentwurf noch weiter verstärkt. Sie lehnen eine Basiskorrektur für die Bezirke ab, und Sie lehnen es gleichzeitig auch noch ab, die finanzpolitischen Auswirkungen zu bedenken. Im Klartext heißt das: Auf Landesebene soll beschlossen werden, was die Bezirke dann auszubaden haben. – Das ist nicht korrekt, und das ist verantwortungslos.

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

Herr Abgeordneter Brauner! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahnke?

Danke, nein! – Ebenso verwundert die ablehnende Stellungnahme des Senats bezüglich der Forderung des Rates der Bürgermeister nach einer Kontrollinstanz. Es scheint

hier keine Lernfähigkeit aus den bisher gemachten Erfahrungen zu geben.

[Beifall bei der CDU]

Wir wissen alle aus der Praxis, dass gerade im Bau bei den Auftragsvergaben faktisch der Stundenlohn über die Verkürzung der Arbeitszeit hingerechnet wird. Hier brauchen wir Kontrolle. Ansonsten ist dieses Gesetz nur ein zahnloser Tiger.

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

Wie gesagt, hat das Vergaberecht immer zwei Wirkungsfelder: Beschäftigung und Wirtschaftswachstum. Da sich Berlin in beiden Bereichen im Ländervergleich immer noch im unteren Drittel befindet, ist es ein herausragendes Instrument der Wirtschaftspolitik. Das heißt, die sträfliche Reduzierung auf einen Teilaspekt ist unverantwortlich.

Die CDU hält eine deutliche Anhebung der Grenzen für beschränkte Ausschreibung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens für besonders prüfenswert. Wir glauben, dass die Wirkung des Vergabevolumens für die Wirtschaft und die Beschäftigung Berlins so besser genutzt werden kann. Denn gerade kleine und mittlere Unternehmen scheuen den Aufwand und beteiligen sich nicht an Ausschreibungen. Aber sie könnten am meisten davon profitieren und am nachhaltigsten Beschäftigung schaffen.

[Beifall bei der CDU]

Herr Abgeordneter Brauner! Ihre Redezeit ist beendet.

Ich komme zum Schluss! – Die Grenzen liegen sehr niedrig, gerade im Bundesvergleich. Hier kann man etwas tun. Das Fazit zu diesem Gesetzentwurf kann leider nur lauten: Nett vorgedacht, Herr Wolf, aber nichts von Ihrem Vorhaben umgesetzt! So kommt dem Eindruck: „Hauptsache billig!“, den Sie explizit vermeiden wollten, noch ein weiterer hinzu: „Hauptsache Mindestlohn!“ – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Brauner! – Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt der Abgeordnete Jahnke.

Zu Ihrem „Mehr Schein als Sein“, was Sie mit dem Beispiel der BIM zu verdeutlichen versucht haben: Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass wir in einem Rechtsstaat leben und bestimmte Dinge durch Gesetze geregelt sind, von denen man nicht willkürlich abweichen kann? Wir haben im Moment noch die Gesetzeslage, die wir haben, und jetzt bringen wir das Gesetz ein, damit wir diese Geset

zeslage hoffentlich demnächst nicht mehr haben. Im Moment gibt es leider nicht die Möglichkeit, die Sie sich vorstellen.

[Zuruf von Elisabeth Paus (Grüne)]

Dass man mit dem Auftragsvolumen eine ganze Menge bewirken kann, habe ich gerade gesagt. Das wird auch Berücksichtigung finden. Auch dass man die Auftragsgrenzen nach oben setzen könnte, um beispielsweise mittelständische Unternehmen stärker zu bevorzugen, ist eine Sache, die hier im Hause unstrittig ist, aber man muss sich an den Rahmen der geltenden Bundes- und europäischen Gesetze halten und ein sauberes Verfahren durchführen. Und genau das probieren wir hiermit.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Jahnke! – Herr Brauner! Sie möchten antworten. Bitte!

Herr Jahnke! Sie haben zwei Punkte angesprochen, ich komme gleich darauf zu sprechen: BIM und Auftragsvergabe. Auch im Rahmen des Vergabegesetzes, das derzeit gilt, hätten Sie einen höheren Stundenlohn durchsetzen können. Sie hätten es als Bestandteil der Ausschreibung definieren können und damit die Anforderungen klar umrissen. Damit hätten Sie Ihrem politischen Handeln im Rahmen der aktuellen Rechtslage ohne Probleme Ausdruck verleihen können. Sie haben es nicht getan. Deshalb sage ich noch einmal: Mehr Schein als Sein. Das ist nur Schaufensterpolitik.