Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Linksfraktion. Das Wort hat der Kollege Brauer.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Noch vor nicht allzu langer Zeit wurden Politiker fast aller Parteien nicht müde zu erklären, angesichts der Sparnotwendigkeiten in Berlin oder im Bund müsse auch die Kultur ihren Beitrag leisten. Wie auch immer das gemeint war, seit 1992 wurden auch in Berlin Mittel für die Kultur in einem erheblichen dreistelligen Umfang abgebaut, mit teils dramatischen Folgen.
Inzwischen ist das anders. Selbst die CDU verlangt nicht mehr wie – erinnern Sie sich bitte – seinerzeit der Kollege Stölzl, der Staat habe sich aus der Kulturförderung zurückzuziehen. Uns ist es gelungen, nach einer schwierigen Phase der Stabilisierung in der vergangenen Wahlperiode jetzt die Ausgaben für Kultur wieder einigermaßen an das Level der Notwendigkeiten heranzuführen. Und niemand wird mehr ernsthaft die Bedeutung von Kunst und Kultur als einen der entscheidenden Wirtschaftsfaktoren dieser Stadt bestreiten. Die Kulturstadt Berlin ist es, die sich als weltweiter Magnet nicht nur für Touristen aus aller Herren und Herrinnen Länder erweist. Niemand wird mehr ernsthaft in dieser Stadt bestreiten, dass der Kultur enorme humanitätsstiftende Potenziale innewohnen. Aktionen wie das Education-Programm der Philharmoniker, Stichwort „Rhythm is ist“, oder die künstlerischen Bemühungen im Zusammenhang mit dem seinerzeitigen Offenbarungseid der Rütli-Pädagogik taten das Ihre zu diesem Bewusstseinswandel.
Wir wollen diesen Bewusstseinswandel verstetigen. Wir wollen nachhaltig die Einsicht stärken, welche herausragende Bedeutung Kunst und Kultur für das Zusammenleben der Menschen und die Entwicklung des Individuums haben.
Wir wissen, dass dies ein schwieriger Vorgang ist. Die Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ des Bundestags hatte bereits am 1. Juni 2005 empfohlen, das Staats
ziel Kultur im Grundgesetz zu verankern. Wir sind froh darüber, dass es nach langwierigen, teils kontroversen und mitunter auch skurrilen Debatten – ich wurde bei einer solchen Diskussion einmal nach der Rolle der Essbestecke gefragt, das war interessant
ja, es gibt auch im ehemaligen Beitrittsgebiet mehr als nur Holzlöffel, das ist tatsächlich so – gelungen ist, Ihnen heute einen ebensolchen Antrag zur Beschlussfassung vorzulegen.
Ja, es stimmt: Der Satz „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ als Ergänzung des Artikels 20b Grundgesetz schafft nicht eine einzigen zusätzlichen Cent. Er vermag es aber eventuell blinden Kürzern schwerer zu machen, geistiges Tafelsilber zu Flohmarktpreisen zu verhökern. Diese Aussage „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ wird keine einzige geschlossene Einrichtung in der Bundesrepublik wieder öffnen. Er vermag es aber, Bewusstsein dafür zu schärfen, dass sich Kultur nicht nur auf die hehren und – jetzt übersetze ich aus dem Lateinischen, die Inschriften können Sie auch an Berliner Bauten nachlesen – „dem Apoll und den Musen“ geweihten Knobelsdorff- oder Schinkel-Tempel stützen kann, sondern eine weiter im Abwärtstrend begriffene musische Bildung und Erziehung leider Gottes auch an den Berliner Schulen nicht nur die Qualität ihrer Abschlüsse gefährdet, sondern auch einen Anteil an der Demontage des sozialen Friedens dieser Stadt leisten kann.
Wenn das Ganze, eben dieser Abbau, diese Demontage dann auch noch von einer drastischen Reduzierung an Musikschulangeboten und einer zunehmenden Privatisierung alternativer Angebote begleitet wird, haben wir wirklich ein Problem. Das kann dann – ich gebe es zu – auch kein Projektfonds mehr abfangen. Ein solcher ist von uns immer zusätzlich gedacht, nicht mehr. Wir wollen aber im Grundsatz Nachhaltigkeit im Engagement unserer Gesellschaft für die Kultur, und wir wollen die Zugangsschwellen so niedrig halten, dass sie für jede und jeden überwindbar sind – vollkommen unabhängig von der sozialen Situation.
Die Ist-Situation auch in unserer Stadt ist leider noch eine andere. Ich darf den Generalsekretär des Deutschen Musikrats, Herrn Christian Höppner, zitieren – gestern in Deutschlandradio Kultur. Höppner erklärt: „Wir haben eine erstaunliche Diskrepanz zwischen Sonntagsreden und Montagshandeln.“ – Nun gut, mit der heutigen Beschlussfassung können wir einen kleinen Beitrag dazu leisten, Christian Höppner zu widersprechen. Mit der Aufnahme der Kultur als Staatsziel wollen wir, dass sich der Gesamtstaat zu seiner Verantwortung bekennt, das kulturelle Erbe zu bewahren, Kunst und Kultur zu fördern und weiterzuentwickeln, und zwar, um es mit aller Deutlichkeit zu sagen, im Sinne eines weiten Kulturbegriffs. Die Förderung der Oper allein gehört weiß Gott nicht ins Grundgesetz, aber die Entwicklung der Kultur der zwischenmenschlichen Beziehungen, der humanitären Aus
Natürlich kostet das Geld, aber Zukunft ist nicht für umsonst zu haben. Aber gehen wir bitte den zweiten Schritt nicht vor dem ersten! Als Politiker haben wir zunächst einmal die Pflicht, die Ziele unserer Politik zu definieren. Das sollte auch die Aussage sein „Der Staat schützt und fördert die Kultur“. Ich denke, eine solche Aussage kann von allen Parteien in diesem Hause geteilt werden. Bitte tragen Sie unsere Initiative mit! – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Brauer! Wenn ich eben richtig zugehört habe, dann haben Sie leise Kritik geäußert, wie das so Ihre Art ist, an der Kulturpolitik von Rot-Rot seit sechs Jahren.
Sie haben die Sparmaßnahmen kritisiert. Da werde ich Sie gleich unterstützen, dazu werde ich gleich noch etwas sagen. Aber zunächst einmal auch in diesem Hause hier: Auch die CDU begrüßt ausdrücklich die Aufnahme des Staatsziels Kultur in das Grundgesetz. Aber das ist inzwischen zwischen den großen Parteien im Deutschen Bundestag fast unstreitig, so eine große Leistung ist es dann doch nicht. Die meisten Fraktionen sind dafür. Es gibt einige, die dagegen sind, und zwar deshalb, weil ein Staatsziel wenig Verpflichtung zum politischen Handeln hat. Es ist mehr ein Ziel, aber wie dieses erreicht werden kann, ist schwierig.
Kultur und Kunst, so jedenfalls ist das Verständnis der Union, sind für eine Nation schlichtweg konstituierend. Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass gerade Kultur und Kunst in Deutschland über Mauer und Stacheldraht hinweg die Bürger in Deutschland miteinander verbunden haben. Wir waren und sind stolz auf unsere gemeinsame Sprache, auf gemeinsame Künstler und haben sie stets als gesamtdeutsche Künstler verstanden, wie Wolf Biermann, Jürgen Fuchs, Karat, Reiner Kunze – ich könnte viele andere nennen. Ich glaube, das war auch etwas, was uns während der Teilung ausdrücklich miteinander verbunden hat.
Ein Staatsziel soll grundsätzlich auch Anleitung zum Handeln geben. Und wenn das so ist, freue ich mich darüber. Das ist hier in Berlin dringend notwendig. Seitdem Rot-Rot regiert, sind nämlich die Kultur und die finanzielle Unterstützung der Kultur durch Rot-Rot erheblich zurückgefahren worden,
Herr Brauer hat eben etwas locker gesagt, in dreistelliger Millionenhöhe. Ich kann es auch deutlicher machen: Seit 2001, da betrug der Kulturhaushalt des Landes Berlin noch ca. 510 Millionen €, sind wir inzwischen auf 350 Millionen € heruntergefahren worden. Das heißt, ein Drittel der Berliner Kultur ist unter Rot-Rot gestrichen worden. Wenn der Bund nicht gleichermaßen die Anstrengungen für Berlin erhöht hätte, dann hätten wir uns hier im Hause über ganz andere Dinge unterhalten: Schließung von Theatern, von Museen, möglicherweise Schließung von Opern. Das ist auch das Ergebnis von Rot-Rot. Ich bin sehr froh, dass der Bund uns so massiv unterstützt und dass wir insbesondere mit dem Bundeskulturminister Neumann einen ausgesprochenen Berlinfreund in der Bundesregierung haben.
Und nun gucken wir uns einmal an, wie die rot-rote Kulturpolitik seit einem Jahr läuft: kein Konzept für die Sanierung der Staatsoper, außer dass Herr Wowereit einen Bettelbrief an den Bund geschrieben hat und jetzt rotzig erklärt, er könne die Staatsoper auch ohne finanzielle Hilfe des Bundes sanieren. Interessanterweise sind in einem Jahr die Baukosten so lapidar von 130 auf 239 Millionen € gestiegen.
Herr Wowereit! Wenn Sie auch ansonsten Ihre Aufgaben im Hause so erledigen, dann fragt man sich, wer Sie noch ernst nehmen soll.
Dann kommen wir einmal dazu, wie er ansonsten so mit den Opern in Berlin umgeht. Herr Sarrazin und wohl auch Herr Wowereit sind der Meinung, eigentlich könne sich Berlin keine drei Opern leisten und man müsse eigentlich eine Oper schließen. Jedenfalls ist er der Meinung, wir könnten sie nicht auskömmlich finanzieren. Konkret heißt das: Unsere Berliner Opern sind nach Einschätzung des regierenden Kultursenators unterfinanziert. Dann stelle ich Ihnen die Frage: Was versteht der Senat unter auskömmlich? Und was heißt das für die Zukunft der Berliner Opern, wenn das so weitergeht?
Wir haben eine Unterfinanzierung bei der Stiftung Schlösser und Gärten. Wir haben einen enormen Sanierungsbedarf. Wir haben ein konzeptloses Daherwurschteln beim Stadtschloss. Da werden genauso Zahlen in den Raum gestellt, ohne dass sie belegt sind. Wir haben eine dramatische Unterfinanzierung nahezu sämtlicher Berliner Theater, auch des Friedrichstadtpalastes, und ich hoffe, dass das mit dem neuen Intendanten Berndt Schmidt besser wird, aber ob allein ein bisschen Geld für die Technik ausreichend ist, bleibt abzuwarten.
Das Motto des Senats in der Kulturpolitik könnte man wie folgt umschreiben: Erst wird die Kultur kaputtgespart, dann wird ein bisschen Geld hineingesteckt, und dafür lässt man sich abfeiern. – Das geht nicht!
Ich jedenfalls bin froh, dass es in Berlin eine sehr breite Kultur gibt, die ohne diesen Senat und ohne Unterstützung dieses Senats läuft. Vieles, auf das wir in der Kultur stolz sind, insbesondere im Bereich der Kreativen, in der Kunst, in der Bildhauerei, in der Malerei, läuft trotz dieses Senats, und das ist übrigens auch gut so.
Letzter Punkt: Ich hoffe, dass durch die Verankerung des Staatszieles Kultur dieses auch ein bisschen Handlungsanleitung für den Senat wird. Wenn ich allerdings sehe, wie kulturlos dieser Kultursenator ist, habe ich wenig Hoffnung. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Braun! Leider haben Sie das Thema verfehlt. Wir reden heute nicht über die Berliner Kulturpolitik,
sondern über das Staatsziel Kultur, was nicht direkt mehr Geld in die Kassen der Kommunen und Länder bringt.
Ich will nur auf einen Punkt eingehen. Sie haben die Opern angesprochen. Stimmen Sie mir zu, dass wir die Deutsche Oper nicht mehr hätten, wenn wir das Konzept des Herrn Stölzl, der Ihr Kultursenator gewesen ist, realisiert hätten? – Denn Herr Stölzl wollte, dass die Deutsche Oper und die Staatsoper fusionieren. Das konnten wir verhindern
und haben damit erreicht, dass wir immer noch drei Opern haben. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, wäre das nicht mehr so. Mehr will ich gar nicht zu Ihrem Vortrag beitragen.
Kultur als Staatsziel gehört in das Grundgesetz. Wir haben diesen Antrag eingebracht, weil es höchste Zeit ist, dieses als Staatsziel zu verankern. Über Kultur als Staatsziel wird bereits seit 1981 diskutiert, und ich bin froh, dass wir endlich zu einem Ergebnis gekommen sind. Die Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ hatte bereits in ihrem Zwischenbericht von 2005 ein einstimmiges Votum für Kultur als Staatsziel abgegeben. Jetzt hat sich auch die SPD-Bundestagsfraktion dazu erklärt, und die FDP war mit Herrn Otto in diesem Bereich sehr wegweisend. Es fehlt nur noch die Bundestagsfraktion der CDU, sehr geehrter Herr Kollege, aber vielleicht schaffen Sie das ja.
Ein Staatsziel Kultur bedeutet nicht unbedingt mehr Geld, aber es zielt auf die Verantwortlichkeit des Staates. Deswegen war Ihr Beitrag auch völlig verfehlt, Herr Braun!
Es wird auch keinen besonderen Vorteil für die Hauptstadt beinhalten. Auch die Kulturhoheit der Länder wird nicht eingeschränkt, allen Unkenrufen zum Trotz. Es ist eine geistige und ideelle Grundlage und ein Bekenntnis zur Grundfinanzierung durch den Staat. Wir brauchen dieses deutliche Signal, dass der Staat es ernst meint mit der Verpflichtung der Kulturförderung. Wie wichtig dieses Bekenntnis ist, zeigt auch die bedrohliche Entwicklung der Kulturausgaben in den letzten Jahren, und da geht es jetzt um alle Länder, auch um die Länder, die von der CDU regiert werden, Herr Braun! Insgesamt sind die Gesamtausgaben der öffentlichen Hand für Kunst und Kultur – Bund, Länder und Kommunen – im Zeitraum von 2001 bis 2004 von 8,4 Milliarden € auf 7,88 Milliarden € zurückgegangen. Umso wichtiger ist es, endlich Zeichen zu setzen, und die festgeschriebene Staatszielbestimmung kann zu einer Bekräftigung des Kulturauftrags führen. Es wäre nicht nur bloße Verfassungslyrik, wie viele Juristen befürchten. Die hohe gesellschaftliche Relevanz der Kultur ist unbestritten. Kultur stiftet Identität, hat Integrationskraft und trägt zum Zusammenhalt unterschiedlicher sozialer Schichten bei.
Ein Staatsziel Kultur kann zum Beispiel auf dem Weg zu einer europäischen Kulturverfassung ein Baustein sein. Für eine Kultur des Miteinander, die aber auch regionale Unterschiede, Vielfalt und Integration berücksichtigt und dazu beiträgt, vor allen Dingen hegemoniale Ansprüche hintanzustellen. Unser Antrag soll unterstützend für die Bundestagsfraktionen sein. Es muss jetzt endlich gelingen, nach so vielen Jahren die Kultur als Staatsziel zu verankern. Wir sind eine Kulturnation, und darum ist es lange überfällig, der Kultur einen entsprechenden Verfassungsrang einzuräumen, und wenn wir dann auch noch die CDU-Fraktion im Bund überreden können, dann sind wir am Ziel.