Denken Sie, dass es sinnvoll ist, noch einmal auf das entschuldigte Fernbleiben des Senators hinzuweisen?
Ich denke, dass es nicht im geringsten der Sache abträglich ist und deshalb nicht hierher gehört, dass der Senator nicht anwesend ist.
Ich bitte darum, die Unruhe einzustellen! – Herr Zackenfels hat eine Frage gestellt, und Frau Jantzen antwortet jetzt.
Wenn sich alle wieder beruhigt haben: Herr Zackenfels hat keine Frage gestellt, sondern eine Bemerkung gemacht.
Ich habe Herrn Zöllner überhaupt nicht dafür kritisiert, dass er einen Termin wahrnehmen musste. Es ist wichtig, dass er bei der KMK war. Sie hätten einfach nur zuhören müssen.
Vielleicht kommen wir einfach wieder zum Thema der Aktuellen Stunde zurück. – Die gestellte Frage „Kinder – Reichtum oder Armutsrisiko?“ hat mich sehr verwundert, weil die Antwort eigentlich relativ einfach ist. Auch ich sehe, dass Kinder zu haben ein Reichtum ist, aber es ist auf der anderen Seite auch eine Belastung. Wir wissen seit vielen Jahren, dass Kinder neben Arbeitslosigkeit das Armutsrisiko Nummer eins sind. Daran haben die verschiedenen Maßnahmen, die in den letzten Jahren ergriffen worden sind, nichts geändert. Ganz im Gegenteil, die Armut von Kindern nimmt zu, und sie ist – das ist zu Recht festgestellt worden – durch Hartz IV bzw. die Einführung des Arbeitslosengelds II deutlich und sichtbar geworden. Ich will nicht sagen, dass sie dadurch vergrößert worden ist, aber es ist sichtbar geworden, wie viele Kinder und Familien in Armut leben.
Frau Abgeordnete Jantzen! Der Herr Abgeordnete Dr. Pflüger hat sich zu einer Zwischenfrage gemeldet. Gestatten Sie diese?
Frau Kollegin! Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass wir den Senator jetzt entlassen sollten, damit er schnellstens zur KMK zurückkehren kann?
Das finde ich jetzt sehr polemisch. Ich freue mich, dass Herr Zöllner anwesend ist. Ich glaube, er hat seinen Termin erledigt.
Wer, wie ich, schon etliche Jahre in diesem Parlament sitzt, hat sehr viele Berichte zu Armut, Reichtum und So
zialstruktur gelesen. Darin werden immer wieder Maßnahmen vorgeschlagen. Seit vielen Jahren zeigt uns der Sozialstrukturatlas, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Berlin immer weiter auseinandergeht, dass sich sozial benachteiligte Familien und Einzelpersonen in unseren Innenstadtbezirken konzentrieren. Die Familienberichte des Familiensenators und der Armutsbericht aus der Sozialverwaltung belegen dies. Kindergesundheitsberichte zeigen den engen Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit. Nicht zuletzt hat auch die neueste OECDStudie den Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und dem Geldbeutel der Eltern bestätigt, der nirgendwo sonst in den OECD-Staaten so deutlich ist, wie in Deutschland. Das kann so nicht länger hingenommen werden.
Wenn aber das Thema der Aktuellen Stunde weiter heißt „Wirksame Strategien gegen Kinderarmut entwickeln“, dann ist dies aus meiner Sicht ein Armutszeugnis für die Koalition selbst und den Senat. Entwickeln müssen wir nichts mehr, vor allem haben wir nicht mehr die Zeit dafür. Sie haben in Ihren eigenen Berichten – Familienbericht, Sozialstrukturatlas, Kindergesundheitsbericht – immer Konsequenzen aufgezeigt und zu ergreifende Maßnahmen benannt. Diese hätten in der Vergangenheit ernsthafter umgesetzt werden müssen. Das hat der Senat jedoch nicht getan.
Wir haben im September zwei Anträge in das Parlament eingebracht. Der eine bezieht sich auf die bedarfsgerechte Anhebung des Kinderregelsatzes und den Ausbau hin zu einer Kindergrundsicherung, der andere beschäftigt sich mit dem Thema „Teilhabe sichern – Kinderarmut bekämpfen“, in dem eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen wird, die allesamt nicht neu, aber noch nicht umgesetzt sind. Kurz zusammengefasst stelle ich fest: Wer Kinderarmut bekämpfen will, muss den Teufelskreis zwischen Bildungsarmut und Einkommensarmut durchbrechen. Deshalb müssen wir Kinder früher fördern und Eltern früh unterstützen. An diesen Stellen besteht auch in Berlin großer Handlungsbedarf.
Es ist gut und richtig, dass das letzte Kitajahr vor Schulbeginn kostenfrei ist. Das haben wir lange gefordert. Wir finden es auch richtig, dass das zweite und erste Kitajahr künftig kostenfrei sein sollen. Das ist aber nur die halbe Miete. Wir haben nämlich das große Problem, dass gerade Kinder aus sozial benachteiligten und einkommensschwachen Familien in Berlin die Kindertagesstätten gar nicht erst besuchen. Diesen nützt die Beitragsfreiheit wenig. Wir werden einen Antrag einbringen mit der Forderung, das Kitagesetz so zu ändern. dass Kinder den Kitagutschein bereits vor ihrem dritten Geburtstag erhalten und zwar für einen Teilzeit- und nicht nur für einen Halbtagsplatz, damit sie mindestens drei Jahre vor der Schule die Kita besuchen. Das jetzige aufwändige Bedarfsfeststellungs- und Antragsverfahren ist eine riesige Hürde gerade für Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Daran haben auch die hier gefassten Beschlüsse, dass die Geneh
migungen großzügiger gehandhabt werden sollen, nichts geändert. Wir wissen, dass Kinder, die eine Kita länger als zwei Jahre besuchen, wesentlich bessere Sprachkenntnisse haben und in ihrer körperlichen und sozialen Entwicklung weiter sind. Deshalb ist es ein wichtiges Element, Kindern die Kita ganz früh zugänglich zu machen. Ich hoffe, dass die Koalition dies unterstützt.
Zur Bundesebene ist bereits eine Menge gesagt worden. Der Kinderzuschlag, der sicherstellen sollte, dass Familien mit Kindern gar nicht erst in das Arbeitslosengeld II fallen, ist viel zu bürokratisch und hat die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt. Die jetzt geplanten Veränderungen auf Bundesebene werden dies nicht grundsätzlich heilen. Deshalb vertreten wir die Auffassung, dass es eine elternunabhängige Grundsicherung geben muss, die die notwendigen Ausgaben für Kinder tatsächlich abdeckt. Die momentan gezahlten 208 € sind nicht bedarfsdeckend, damit können die notwendigen Anschaffungen für Schulanfänger nicht getätigt und auch nicht sichergestellt werden, dass Kinder Freizeit-, Kultur- und Sportangebote wahrnehmen.
Sie haben angekündigt, dass mit dem Doppelhaushalt 2008/2009 eine Reihe zusätzlicher Maßnahmen finanziert werden sollten. Dazu gehört unter anderem die Stärkung der aufsuchenden Elternhilfe. Wir haben im Jugendausschuss gehört, dass für die Familienbildung 400 000 € zur Verfügung gestellt werden sollen. Wir finden es richtig und wichtig, dass auf diesem Gebiet mehr getan wird. Wir fragen allerdings, weshalb nicht bestehende Angebote, die seit langem erfolgreich sind, wirksamer unterstützt werden.
Es gibt in England die Early-Excellence-Centres für Kinder, wo Familien- und auch Weiterbildung für Eltern, die selbst keinen Schulabschluss haben, mit Kinderbetreuung kombiniert wird. In Berlin haben sich einige Kindertagesstätten auf den Weg gemacht, ebenfalls Kinder- und Familienzentren zu werden und genau das miteinander zu verknüpfen. Aus unserer Sicht wird das vom Senat nicht nachhaltig unterstützt. Im Gegenteil werden jetzt durch die Kürzungen bei der Kinder- und Familienarbeit der Bezirke oder z. B. beim Pestalozzi-Fröbel-Haus die Ansätze, mit denen Elternbildung in die Kindertagesstätten und Schulen getragen wird, gefährdet. Sie können dadurch nicht weitergeführt werden. Bevor wir neue Modellprojekte auflegen, wofür wir noch kein Konzept haben, wo nicht sicher ist, wie die Eltern erreicht werden sollen, die bei der Familienerholung die Familienbildungsangebote bekommen sollen, ist es wichtiger, die vorhandene Infrastruktur und die soziale Struktur nachhaltig zu unterstützen und auszubauen.
Sie haben angekündigt, beim öffentlichen Gesundheitsdienst im Bereich Netzwerk Kinderschutz mehr zu machen. Das ist nötig. Aber auch da kann ich eindeutig sagen: Sie haben in der Vergangenheit durch die Personalkürzungen im Kinder- und Jugendgesundheitsdienst und
bei den Jugendämtern so viel zerstört, dass sie nicht in der Lage sind, ihre Aufgaben wirklich richtig zu machen.
Später werden wir noch das Thema Kinderuntersuchungen besprechen. Wenn Bezirke in diesem Jahr anmelden, dass sie die Schulgesundheitsuntersuchungen nicht mehr machen können, dass die Reihenuntersuchungen in den Kitas nicht mehr gemacht werden können, dann frage ich mich wirklich, wie Sie es schaffen wollen, flächendeckend die Neugeborenen zu besuchen, oder auf den JaBitte-Bogen, den Eltern in Zukunft ausfüllen können, wenn sie Unterstützungsbedarf haben, mit Angeboten zu reagieren. Da ist es dringend notwendig, dass die Bezirke besser ausgestattet und in die Lage versetzt werden, Kinder frühzeitig zu erreichen, die von ihren Eltern, aus welchen Gründen auch immer, nicht ausreichend gefördert werden können. Dafür werden wir – –
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Jantzen! – Für die FDPFraktion hat jetzt der Herr Abgeordnete Lehmann das Wort. – Bitte sehr!
Wieder einmal mehr stellen Sie Ihre verantwortungslose Politik unter Beweis. Ich hätte es zwar begrüßt, wenn Sie Ihre Realitätsallergie endlich überwunden hätten, aber dass Sie hier im Rahmen der Aktuellen Stunde lediglich auf einer bundesweiten Diskussionswelle mitschwimmen, zeigt sich ganz deutlich. Sie nehmen das Problem Kinderarmut nicht ernst genug, was dazu führt, dass Sie bei Alibidebatten bleiben.
Hier handelt es sich leider nicht nur um ein aktuelles, sondern – viel gravierender – auch um ein strukturelles Problem, das durch Ihre Politik, die vornehmlich durch Unterlassen gekennzeichnet ist, noch schlimmer geworden ist.
Wenn wir über Kinderarmut reden, möchte ich zu Beginn ganz deutlich sagen: Arm ist nicht gleich arm, denn mate