Protocol of the Session on July 5, 2007

Wenn wir ernsthaft Politik betrieben wollen, und wenn dieses tatsächlich ein Ort ernsthafter Diskussion sein soll, dann nennen Sie mir jetzt ein einziges Bundesland in der Bundesrepublik Deutschland, das eine nur annähernd vergleichbare Versorgung von Lehrerinnen und Lehrern zur Verfügung stellt.

Herr Senator! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mutlu?

Ja! Ich wäre allerdings auf seine Bemerkungen auch so eingegangen, aber er kann gern zusätzlich noch eine Zwischenfrage stellen.

Ich habe zwei kleine Fragen. – Herr Senator! Können Sie uns erläutern, wie Sie auf die 107 Prozent kommen? Ist dies ähnlich wie mit den 900 Lehrern? – Zweitens: Erst jüngst haben Sie erklärt, dass die Gemeinschaftsschule zum Scheitern verurteilt sei, wenn die Gymnasien nicht beteiligt sind. Wie stehen Sie heute nach Abschluss des Interessenbekundungsverfahrens zu dieser Aussage?

Erstens habe ich das Letztere nicht erklärt, sondern ich habe gesagt, die Gemeinschaftsschule wird nur dann eine Zukunft haben, die Schulform in Berlin oder in Gesamtdeutschland zu sein, wenn sie auf eine breite Akzeptanz stößt. Zu dieser Aussage stehe ich nach wie vor.

Zweitens: Auch für Sie, Herr Mutlu, mache ich es zweimal – dieselbe Rechnung, die ich schon einmal gemacht habe. 100 Prozent plus 3 Prozent, die im letzten Jahr nicht waren, plus 4 Prozent, die im letzten Jahr eingerechnet waren und jetzt nicht mehr eingerechnet werden, machen zusammen 107 Prozent. Ich kann Ihnen dies auch gern an den Fingern abzählen oder wir schreiben es untereinander.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Unruhe bei den Grünen - Zurufe von Öczan Mutlu (Grüne)]

Herr Mutlu! Sie werden mich auch durch Zwischenfragen nicht aus meinem Rhythmus bringen. Ich kann Ihre anderen Bemerkungen auch kommentieren. Wenn wir in diesem Parlament doppelzüngig argumentieren, werden wir keine Glaubwürdigkeit vor Ort erreichen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Sie können mir nicht auf der einen Seite monatelang vorwerfen, dass ich unverantwortlich Lehrerinnen und Lehrer befristet einstelle, weil sie nicht die ausreichende Qualifikation haben, da nicht genügend Bewerberinnen und Bewerber vorhanden sind, und in dem Moment, wo es abgeschlossen ist, mir vorwerfen, dass ich sie nicht unbesehen automatisch übernehme.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Sie können mir gerne – und ich bin noch ruhig, Herr Mutlu, ich kann auch leidenschaftlich werden – vorwerfen, dass zum Beispiel im Paulsen-Gymnasium angeblich Schüler unterrichten müssen. Wenn Sie dies in einem Parlament tun, sollten Sie sich jedoch sachkundig machen. Dieses war ein Schulprojekt, das „Lehren durch lernen“ heißt.

[Zurufe von der SPD: Aha!]

Es ist durch einen Lehrer vorbereitet und verantwortet, der die ganze Zeit zugegen war, weil es pädagogisch ausgesprochen sinnvoll ist, dass ältere Schüler auch einmal Lehrer sind, um jüngeren etwas beizubringen und beide davon profitieren.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass man Probleme anspricht, und ich habe in meinem Leben immer gern einen Job gemacht, in dem Probleme auftauchen, und diese Berliner Schulen haben Probleme. Aber ich habe mich immer gern mit Leuten gestritten, die verantwortlich auf dem Boden der Tatsachen stehen, und nicht mit jenen, die die Wahrheit je nach dem, wie sie ihnen passt, in die eine oder andere Richtung interpretieren.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die Ausstattung der Schulen ist nicht alles. Ich habe seit meinem Amtsantritt versucht, viele Schulen zu besuchen, nicht gleich mit Vorurteilen an die Sache heranzugehen und mit den Leuten zu reden, die vor Ort mit den Problemen fertig werden müssen. Deswegen habe ich drei Projektgruppen eingerichtet, Projektgruppen, in denen Schulpraktiker, Eltern, Mitarbeiter meiner Verwaltung, aber vor allem externe Experten versammelt sind. Die Projektgruppen bestehen zu dem Bereich Entbürokratisierung, Lehrkräfteplanung und Qualität schulischen Handelns. Sie haben – wie schon erwähnt wurde – die ersten beiden Gruppenberichte vorgelegt.

Ich gestehe offen: Mich hat dies in seiner Tragweite und letzten Endes seiner Effizienz überrascht. Ich übernehme – darauf können Sie sich verlassen – nichts unbesehen, aber ich habe sie mir angesehen und festgestellt, dass von den Vorschlägen der Entbürokratisierungsgruppe ein großer Teil – 18! – so einleuchtend sind, dass sie umgehend auf ihre sofortige Umsetzbarkeit geprüft werden müssen. Die Zahl jener Tätigkeiten, wo in der Schule – und dies sind Probleme der Schule – Beschäftigungen mit Dingen vorgeschrieben sind, die nicht überzeugend der Qualität der Unterrichts dienen, hat auch meine Erwartungen bzw. Befürchtungen weit übertroffen.

Wenn Sie, den Schätzungen der Arbeitsgruppe zufolge, die Zeiten addieren, macht das bei den 18, aus meiner Sicht sofort umsetzbaren Projekten eine Größenordnung von 2 Prozent der Arbeitszeit der Lehrerinnen und Lehrer aus. Das bedeutet, dass in einem „Gegenwert“ von 600 bis 700 Lehrerstellen Lehrer und Lehrerinnen in den Berliner Schulen mit Dingen beschäftigt werden, die nicht den Kindern direkt zugute kommen. Dieses können wir ändern. – Frau Schillhaneck! Das ist Kärrnerarbeit, dies im Einzelnen durchzugehen, und das ist nicht der große Auftritt. Dies ist die Veränderung der Realität vor Ort, um die es mir geht.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Herr Steuer! Es geht auch um die Diskussion, mit der der Eindruck erweckt wird, man würde durch den von mir vorgeschlagenen Wegfall der Vergleichsarbeiten das Qualitätssicherungssystem infrage stellen. Das halte ich für nicht verantwortbar. Sie wissen es besser! Sie wissen besser, dass jetzt in den Klassen 2 und 4 Vergleichsarbeiten geschrieben werden und dass es der Schule nicht zuzumuten ist, in der 3. Klasse auch noch eine Vergleichsarbeit zu schreiben. Sie wissen auch von mir durch eine Diskussion im Ausschuss, dass ich mich dafür eingesetzt habe, dass wir in Berlin nicht im eigenen Saft schmoren, sondern ich ein Interesse daran habe, Vergleichsarbeiten bundesweit zu schreiben.

Es wird nur eine Vergleichsarbeit im 3. Schuljahr geben, und die Entscheidung, die anderen beiden wegfallen zu lassen, zusätzlich die Korrektur zentral durchzuführen, sodass die Lehrerinnen und Lehrer entlastet werden, genügt zwei Kriterien: Motivation von Lehrerinnen und Lehrern und Qualitätssicherung auf einem höheren Niveau.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ich bin entschlossen, die Vorschläge der Gruppe weiterhin zu prüfen und auch konsequent umzusetzen, auch was den übrigen Bereich betrifft. Ich werde auch die Vorschläge der zweiten Arbeitsgruppe, die auf den Punkt gebracht bedeuten, dass wir die Entscheidungen über die Lehrerzuteilung und letztlich die Arbeitsfähigkeit der Schulen anderthalb bis drei Monate früher treffen, in aller Gründlichkeit und so schnell wie möglich umsetzen.

Ich meine, dass Planbarkeit ein zentrales Element von selbständigen und gut funktionierenden Schulen ist.

Allein dieser kleine Ausschnitt der Arbeit der letzten Monate und der damit verbundenen Weichenstellungen zeigt: Wer diesem Senat die Vernachlässigung der Schule vorwirft, der hat ein Wahrnehmungsproblem.

[Özcan Mutlu (Grüne): Dann haben wir alle ein Wahrnehmungsproblem!]

Es besteht noch einmal der Wunsch, eine Zwischenfrage zu stellen, Herr Senator, und zwar von Frau Senftleben.

Ja, gerne!

Vielen Dank, Herr Senator! Sie stellten eben die Notwendigkeit eines planbaren Schuljahres heraus. Ich bin dafür dankbar und erinnere mich, dass die FDP-Fraktion im Februar einen Antrag eingebracht hat, um die Stichtagsregelung auf den 1. Februar eines jeden Jahres zu verlegen. Damit könnten die Schulen besser planen.

Jetzt muss aber eine Frage kommen, Frau Kollegin!

Sie kommt gleich. Der Senator grinst bereits, weil er die Frage schon kennt.

Soll ich sie beantworten, ohne dass Sie sie gestellt haben?

[Beifall bei der SPD]

Nein! – Können Sie der FDP-Fraktion erklären, warum die Regierungskoalition, aber auch Sie diesen Antrag vehement kritisiert haben und er abgelehnt wurde?

Es gibt zwei Beantwortungsalternativen: Die geschicktere ist, mich auf eine Aussage von Herrn Koch – der bekanntlich der CDU in Hessen angehört – zu beziehen, die er machte, als er mir gute Ratschläge für meine Politik geben wollte. Er meinte:

Den größten Fehler, den Sie in der Politik machen, Herr Zöllner, ist, dass Sie das Richtige zum falschen Zeitpunkt machen.

[Beifall bei der SPD]

Ein Gegeneinander von Schul- und Wissenschaftspolitik wird es mit Rot-Rot nicht geben.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die Zusammenlegung der beiden Senatsverwaltungen war ein deutliches Zeichen, dass es uns zentral darum geht, eine abgestimmte Bildungspolitik von der Kita hin zur Schule und Hochschule und hoffentlich auch bis zur Weiterbildung zu machen. Das werden wir in den kommenden Jahren machen, denn nur durch ein starkes Fundament können wir später in der Spitze erfolgreich sein. Das ist eine sozial gerechte und effiziente ildungspolitik. B Die Wissenschaftslandschaft hat sich in den letzten zehn Jahren positiv entwickelt. Für Berlin hatte die Wissenschaft schon in der Vergangenheit eine enorme Bedeutung, doch sie wird in den kommenden Jahren noch stärker in den politischen Fokus rücken. Die Universitäten und Forschungseinrichtungen sind für Berlin eine große Chance. Sie sind aus meiner Sicht sogar die einzig wirkliche Chance, Berlin, dem eine klassische Industriestruktur fehlt, zukunftsfähig zu gestalten. Berlin kann in diesem Zusammenhang eine Schnittstelle zwischen Ost und West werden. Diese Chance gilt es zu nutzen.

Deswegen hat sich der Senat entschieden, im Doppelhaushalt bei der Förderung der Wissenschaften ein Ausrufezeichen zu setzen. Ich bedanke mich ausdrücklich bei meinen Kolleginnen und Kollegen, weil ich genau weiß, wie schwierig solche Schwerpunktsetzungen bei einer Haushaltsaufstellung sind.

In der Ausgestaltung stehen wir vor einem zweifachen Problem. Es ist ein doppelter Spagat einerseits zwischen den Bedürfnissen von Ausbildung und Forschung und andererseits zwischen Hochschuleinrichtungen – Fachhochschulen und Universitäten – und außeruniversitären Einrichtungen notwendig.

Vor einem solchen Hintergrund ist es erforderlich, Folgendes deutlich zu machen: Wenn man Forschung und Wissenschaft wirklich fördern will, dann muss man sich, wenn man einen hohen Anspruch hat, als Conditio sine qua non auch um den Spitzenbereich bemühen. Definitionsgemäß ist Wissenschaft der Bereich, in dem neues Wissen und neue Erkenntnisse geschehen. Es ist die Stel

le, an der sich die Gesamtheit der Erkenntnisse vorwärtsbewegt. Das ist nun einmal die Spitze. Wir müssen das in einem Gesamtpaket machen. Deswegen werden wir zwei zentrale Bereiche, eine Ausbildungs- und eine Forschungsoffensive, machen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Möglichst viele, gut ausgebildete Studierende sind die Voraussetzung und müssen das Ergebnis einer Wissenschaftsstadt Berlin sein. Die Gleichwertigkeit von Lehre und Forschung muss Realität werden. Nicht Lehrdeputat und Forschungsfreiheit, sondern Lehrberechtigung und Forschungschance müssen in Zukunft in Berlin die Bezeichnungen sein, mit denen sich Hochschullehrer selbst charakterisieren.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die Möglichkeit des Hochschulpaktes aufnehmend muss der Trend des Studienplatzabbaus unterbrochen werden. Wir brauchen eine möglichst breite Basis. Wir werden mit dieser Ausbildungsoffensive durch konkrete Maßnahmen – Junior- und Seniorprofessuren, Tutorienprogramme, Programme zur vorzeitigen Einstellung von Professorinnen in Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind – 1 000 zusätzliche Plätze für Studienanfänger schaffen. Damit diese Zahl plastisch wird, kann man – wenn man die zusätzlichen 1 000 Plätze zu Beginn berücksichtigt und demnach insgesamt 2 000 Plätze nimmt – sagen, dass sich die Ausbildungskapazität in Berlin um zehn Prozent erhöht hat. Es ist für mich völlig unverständlich, wie man vor diesem Hintergrund sagen kann, das sei für die Studienplatzsuchenden nicht relevant.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]