Protocol of the Session on April 26, 2007

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Da hat er recht!]

Aber ich sage Ihnen lieber, was wir Liberalen nach erstem Durchlesen inhaltlich von diesem Gesetzentwurf halten. Ich fange mit etwas Positivem an: Der Gesetzentwurf hat durchaus Punkte, die wir im kommenden Gesetzgebungsverfahren aufgreifen möchten, beispielsweise den verbesserten Rechtsschutz. Ich meine auch, dass der Rückgriff auf § 23 EGGVG in der jetzigen Situation nicht ausreicht.

Aber Ihr Gesetzentwurf ist keineswegs zustimmungsfähig. Denn ihm liegt ein falsches Grundverständnis vom Jugendstrafvollzug zugrunde. Ihm haftet nämlich der alte linke Gedanke an, Gefangene seien nur wegen der gesellschaftlichen Verhältnisse zum Täter geworden. So ist es kein Zufall, dass Ihr Entwurf keinen Satz darüber verliert, dass sich der Gefangene im Vollzug mit den eigenen

Straftaten auseinandersetzen muss und auseinandersetzen soll. Das haben Sie offensichtlich bewusst aus Ihrem Entwurf herausgestrichen.

[Beifall bei der FDP]

Ich sage Ihnen eins vorweg: Für uns Liberale darf ein Jugendstrafvollzugsgesetz nicht außer Acht lassen, dass eine Jugendstrafanstalt nicht nur eine Erziehungs-, Bildungs- und Ausbildungseinrichtung sein muss, sondern auch Strafanstalt ist und bleiben soll.

[Beifall bei der FDP]

In der Plenarsitzung ist leider nicht viel Zeit, um solche Dinge zu diskutieren. Lassen Sie mich an zwei Normen den Unterschied zwischen Grünen und Liberalen aufzeigen! Erstens: Wenn man den Entwurf der Grünen und gängige Entwürfe in anderen Bundesländern, auch in FDP-mitregierten Ländern, wie zum Beispiel NordrheinWestfalen oder Baden-Württemberg, nebeneinanderlegt, sehen Sie sofort, dass Jugendstrafvollzug – jedenfalls bei Ihnen – eine Aufgabe und ein Ziel nicht haben soll: Er soll die Allgemeinheit nicht vor weiteren Straftaten schützen. Ihr Konzept ist vollkommen auf die Betreuung des Täters zugeschnitten. Die Belange der Allgemeinheit sind bei Ihnen – wie es auch in Ihrer Zwischenfrage deutlich wurde – untergeordnet. Den Schutz der Allgemeinheit haben Sie bewusst aus § 2 herausgestrichen.

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Benedikt Lux (Grüne)]

Wenn es – zweitens – um die Gewährung von Vollzugslockerung geht, beispielsweise um offenen Vollzug, Freigang, Ausgang, muss nach dem Entwurf der Grünen der Staat aufgrund von Tatsachen nachweisen, dass eine Flucht oder neue Straftaten draußen ernsthaft zu befürchten sind, um solche Lockerungen zu versagen. Nach den Vorstellungen der FDP muss der Gefangene die Gewähr dafür bieten, dass er sich dem Strafvollzug beim Ausgang nicht entzieht und dass draußen keine weiteren Straftaten begangen werden, um Vollzugslockerung zu erhalten.

[Beifall bei der FDP – Benedikt Lux (Grüne): Zurück ins 18. Jahrhundert!]

Das ist auch Verhältnismäßigkeit, das steht nämlich in Ihrem eigenen Referentenentwurf, Herr Dr. Lederer, diese Beweislast.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Ich sage trotzdem: Das Prinzip gilt auch für Sie!]

Dem werden Sie nachher auch zustimmen, darauf können Sie Gift nehmen. Wir werden dann sehen, ob sie gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen und mit Ja stimmen oder ob Sie soviel Rückrat haben und mit Nein stimmen.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Sie haben mich nicht verstanden!]

Abschließend erkläre ich für die FDP-Fraktion: Ein künftiges Jugendstrafvollzuggesetz muss die Erziehungs- und Sozialisierungsaufgabe gegenüber den jugendlichen Straf

tätern ernst nehmen. Es darf dabei aber nicht in sozialpädagogischer Naivität den Strafcharakter des Vollzugs und den Schutz der Allgemeinheit vor Straftätern außer Acht lassen.

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags mit der Drucksachennummer 16/0436 an den Ausschuss für Verfassung und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung sowie an den Hauptausschuss. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Ich rufe nunmehr die Priorität der FDP-Fraktion auf

lfd. Nr. 4 b:

Antrag

Regierungserklärung durch den Regierenden Bürgermeister zu einer Entschuldungsinitiative für Berlin

Antrag der FDP Drs 16/0434

Für die Beratung stehen den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion der FDP. Der Wort hat der Kollege Meyer. – Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

[Mario Czaja (CDU): Wo ist der Regierende Bürgermeister?]

Das ist eine gute Frage, aber wir brauchen ihn erst am 10. Mai zur Regierungserklärung. Jetzt kann er sich noch ausruhen.

Nach den Aufregungen heute Mittag sollten wir versuchen, uns dem Thema sachlicher zu nähern. Ich erinnere mich an große Debatten, die wir in den letzten zwei Jahren über das Thema Altschulden im Vorfeld der Karlsruher Entscheidung hier im Haus und auch in der Öffentlichkeit geführt haben. Nach der Entscheidung in Karlsruhe gab es leider seitens des Senats und der alten und neuen Regierungskoalition zu dieser Thematik nur Schweigen. Man hat das Gefühl, dass sich die Koalition und der Senat auf den Steuermehreinnahmen ausruhen, die glücklicherweise zurzeit sprudeln.

Die Föderalismus-II-Reform und die dazugehörige Kommission und vor allem die Beiträge von Herrn Oettinger, Herrn Wulff und Herrn Milbradt geben dem Land jetzt die Chance, diese Debatte neu zu eröffnen und – dies als Nebenbemerkung – die Fehler, die im Vorfeld der Karlsruhe-Entscheidung getätigt worden sind, zu korrigieren. Es bleibt auch nach den heutigen Beiträgen von Herrn Wowereit und Herrn Zackenfels weiterhin völlig unklar, welche Linie die SPD und der Senat in der Frage Alt

schulden gegenüber dem Bund und den übrigen Ländern einschlagen will. Auch der Kollege Liebich von der PDSFraktion hat gestern im Hauptausschuss darauf hingewiesen, dass er sich eine öffentliche Stellungnahme des Regierenden Bürgermeisters zu dieser Thematik wünsche. Unser Antrag gibt dem Bürgermeister die Gelegenheit, sich qualifiziert zu dieser Frage an dem Ort zu äußern, der letztlich die Verantwortung für die Politik in diesem Land trägt, nämlich dem Abgeordnetenhaus. Wenn ich dann die Fantasien von Herrn Zackenfels höre, was Herr Oettinger und andere als Gegenleistung für eine Entschuldung verlangen könnten, frage ich, ich welchem Film Sie eigentlich leben, Herr Zackenfels. Wir haben bisher leider keine konkreten Äußerungen gehört, weil sich der Senat und Herr Wowereit weigern, auf die Herren Ministerpräsidenten zuzugehen, und man nicht anhand einer sich anschließenden Debatte abschätzen kann, ob man die Forderungen, wie Sie sie, Herr Zackenfels, hier in den Raum gestellt haben, erfüllen muss oder nicht. Es bedarf einer politischen Debatte und einer politischen Entscheidung, ob man das als Gegenleistung für eine Teilentschuldung möchte oder nicht.

Wenn Sie, Herr Zackenfels, versuchen, uns auf das Wohl der Stadt einzuschwören und uns deshalb hinter dem Senat einreihen wollen, dann sage ich Ihnen ganz klar: Es gibt überhaupt noch keine Position des Senats, hinter die wir uns einreihen könnten. Ihre Aussage von heute Mittag zeugt von einem pervertierten Demokratieverständnis. Sie können vielleicht annehmen, dass die SPD-Fraktion soviel Vertrauen in den Senat hat, dass sie diesem einen Blankoscheck ausstellt. Alle anderen Fraktionen dieses Hauses, inklusive der PDS-Fraktion, haben dieses Vertrauen nicht.

[Beifall bei der FDP]

Wenn der Senat die Auffassung vertritt, dass die Föderalismus-II-Kommission der richtige Ort für die Debatte ist, sollten wir zunächst hier im Haus über die Vorstellungen zu den Themen Altschulden, aber auch Neuordnung der Finanzverfassung debattieren. Hier ist dann auch der Ort an dem nach einer Regierungserklärung die einzelnen Fraktionen ihre unterschiedlichen Vorstellungen zu dieser Thematik austauschen können. Bisher kennen wir nur die rudimentären Gedankengänge des Herrn Sarrazin. Da dieser – wie er selbst zugibt – eine Mindermeinung innerhalb seiner eigenen Fraktion und der Koalition vertritt, ist es nur von theoretischem Interesse, sich damit auseinanderzusetzen. Wenn Altschulden, wie Herr Wowereit heute Mittag behauptet hat, wirklich ein Schwerpunkt der Arbeit der Föderalismus-II-Kommission sein sollen, bleibt festzuhalten, dass sich diese Schwerpunktsetzung in den bislang festgesetzten Sachverständigenanhörungen leider nicht niederschlägt.

Herr Zackenfels hat mit seinem Hinweis recht, dass die Kommission vermutlich anderthalb Jahre tagen wird. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir als Land Berlin klar verständlich unsere Schwerpunkte umreißen und artikulieren, damit wir eine Chance haben, diese auf die Agenda der Föderalismuskommission zu heben. Eine Regierungs

erklärung ist für eine solche Definition von Schwerpunkten der richtige Rahmen. Ich bitte Sie deshalb um Unterstützung für unseren Antrag!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Die FDP-Fraktion hat eben den berechtigten Wunsch geäußert, dass der Senat zumindest zum Teil anwesend ist. Das ist zumindest im Moment gegeben, sodass ich annehme, dass die FDP-Fraktion nicht weiter auf einer Unterbrechung besteht.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Alles in Ordnung. Wowereit sitzt doch dort in den Fraktionsreihen!]

Ich fahre fort. Das Wort für die SPD-Fraktion hat Herr Dr. Zackenfels.

[Zurufe von der SPD: Er ist kein Dr.!]

Herr Kollege Zackenfels! Ich wollte Sie eben nicht promovieren. – Sie haben das Wort!

Herzlichen Dank, Herr Präsident! – Infolge der Debatte heute Mittag muss klargestellt werden, dass insgesamt der Stil ein Problem ist. Ich sage das in Richtung der FDPFraktion, Herr Meyer. Sie können versuchen, fachlich und sachlich etwas zu thematisieren, wenn ich aber das pöbelnde Verhalten Ihres Fraktionsvorsitzenden im Zusammenhang mit einem so komplizierten, schwierigen und langwierigen Prozess wie dem der Föderalismus-IIKommission jetzt zu Beginn wahrnehmen muss, dass katapultieren Sie sich außerhalb des Üblichen und außerhalb des Konsenses in diesem Haus. Ich habe nicht umsonst auf den Kollegen Ratzmann hingewiesen. Ich kann nichts dafür, dass Kollege Ratzmann und nicht Herr Lindner in der Föderalismuskommission für das Berliner Parlament sprechen kann bzw. an den Sitzungen teilnimmt. Es ist sicher persönlich verletzend, das kann ich verstehen. Tatsache ist, dass Sie den Interessen Berlins nicht damit dienen, dass Sie vom Senat oder dem Regierenden Bürgermeister bei jeder Äußerung – sei es von Herrn Oettinger, Herrn Müller oder eine Kommissionsdrucksache – erwarten, dass er entweder eine Krisensitzung oder eine Regierungserklärung

[Christoph Meyer (FDP): Einmal seine Meinung äußert!]

oder irgendetwas anderes erklärt.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Ach Quatsch!]

Das habe ich vorhin versucht, Ihnen deutlich zu machen. Ich habe auch zum Ausdruck gebracht, dass es immer auch eine Frage des Kontextes ist.

Natürlich ist es begrüßenswert – deswegen haben es Thilo Sarrazin und Michael Donnermeyer gleich getan, die dpaMeldung ist vom gleichen Tag, an dem Herr Oettinger

seine Rede gehalten hat –, aber Sie müssen es in den Kontext stellen.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Der Kontext ist, dass er nichts tut!]