Protocol of the Session on August 31, 2006

vielleicht etwas ungünstig für Ihre Fraktion und Ihre Partei. Die Berlinerinnen und Berliner so vor den Kopf zu stoßen und all das, was an Aufbauleistungen in den vergangenen Jahrzehnten in Ost wie West geleistet wurde, einfach vom Tisch zu wischen, das ist nicht nur ignorant, sondern geradezu unsäglich blöd. Entschuldigung! Das ist ein unparlamentarischer Ausdruck, der auch gerügt werden mag. Ein Finanzsenator, der auch Verantwortung dafür trägt, wie der Standort Berlin in der Öffentlichkeit dasteht, erzählt, es handle sich hier um eine Art Trümmerwiese.

[Pewestorff (Linkspartei.PDS): Das sagen Sie!]

Herr Sarrazin! Wieso wundern Sie sich noch darüber, dass die Steuereinnahmen in dieser Stadt nicht sprudeln, wenn Sie nichts Besseres zu tun haben, als Berlin schlecht zu reden? Damit haben Sie dem Land Berlin einen Bärendienst erwiesen.

[Beifall bei der CDU und den Grünen – Abg. Hahn (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hahn von der FDP?

Nein, leider nicht, Herr Hahn! Tut mir leid!

Herr Sarrazin! Das ist nicht das Einzige. Nun könnte man sagen: Der Mann hat sich nicht immer im Griff. – Das passiert ja ab und zu. Der eine ist temperamentvoller, der andere weniger. Aber ich mache Ihnen wirklich zum Vorwurf, dass in Ihrer Amtszeit, nicht nur unter Umgehung von Haushaltsrecht Gutachtenaufträge verteilt worden sind – ich nenne noch das Beispiel Hay-Group –, sondern dass Sie auch der Finanzsenator waren, der offenen Auges einen verfassungswidrigen Haushalt in diesem Hause beschließen ließ, was Ihnen vom Verfassungsgericht auch attestiert wurde.

[Beifall bei der CDU – Liebich (Linkspartei.PDS): Was macht denn Ihre Bundesregierung?]

Sehenden Auges hat Herr Sarrazin dies getan. Ein Finanzsenator, der nicht einmal die Grundsätze des Haushaltsrechts einhält, obwohl er sie kennt,

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

und der es noch dazu schafft, in seiner fünfjährigen Amtszeit Schulden in Höhe von 20 Milliarden € aufzuhäufen! 20 Milliarden € Schulden – das ist Ihre Bilanz, Herr Sarrazin!

[Liebich (Linkspartei.PDS): Was sind denn das für Schulden?]

Herr Sarrazin hat sein Amt als Finanzsenator nicht ordentlich ausgefüllt. Er hat es nicht unordentlich ausgefüllt, sondern einfach nur schlecht ausgefüllt.

[Beifall bei der CDU]

[Liebich (Linkspartei.PDS): Die Zeit läuft Ihnen davon!]

Immer dann, wenn es passt und es z. B. Terrorismusgefahr gibt, sind Sie plötzlich auch für die Videoüberwachung, nachdem die Union das bereits jahrelang gefordert hat. Sie haben ein gewisses Maß an Flexibilität. Das muss ich Ihnen attestieren, Herr Körting!

[Beifall bei der CDU]

[Hoffmann (CDU): Wer ist das?]

Herr Flierl! Sie haben nun zwei Bereiche der Berliner Senats unter Ihren Fittichen, nämlich Kultur und Wissenschaft. Im Bereich der Kultur kann man selbstverständlich zum Thema Opernstiftung einiges sagen, was die schlechte Leistung Ihrer Konzepte angeht. Aber Herr Wowereit ist mir da schon zuvorgekommen. Dass Sie im Bereich der Abgrenzung zwischen Stasi-Schergen und Opfern immer große Schwierigkeiten gehabt haben, haben wir gewusst. Sie haben es uns vor nicht allzu langer Zeit bestätigt, als Sie in Hohenschönhausen nicht in der Lage waren, die Stimme zu erheben, wenn es darauf ankommt. Aber Sie erinnern sich auch, dass Sie bei der Besetzung der Opernstiftung mit dem Vorwurf konfrontiert worden sind, auch mit Spitzelmethoden Konkurrenten aus dem Feld schlagen zu wollen. Insgesamt gibt einem das doch sehr zu denken.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wenn man dann noch die jetzige Diskussion hinzunimmt, ergibt sich das folgende Bild – ich habe Ihnen das schon vor ein paar Wochen gesagt: Da, wo Sie Ihre Wähler vermuten, sind Sie ziemlich geschmeidig und fügsam, aber wenn es darum geht, Berliner Kulturgüter zu verteidigen – wie jüngst bei dem Kirchner-Gemälde –, sind Sie auch schnell dabei, sich in die Büsche zu schlagen. Ich muss Ihnen eines sagen, auch wenn wir die Diskussion beim Antrag selbst führen: Sie haben ein Problem. Sie sind offensichtlich nicht in der Lage, wenn es auf Konfrontation ankommt – da, wo es richtig ist –, sie auch zu führen. Eine solche Eigenschaft ist in einem politischen Spitzenamt nicht hinnehmbar.

Ich sehe Sie nur da, wo es Ihnen Spaß macht. Wenn ich jetzt von Ihnen höre, dass Sie sich in Berlin so dermaßen langweilen, dass Sie sich schon in Richtung Bundespolitik orientieren, dann schlage ich Ihnen vor: Schauen Sie doch einfach einmal, was in den vergangenen fünf Jahren liegen geblieben ist. Da haben Sie einen riesigen Berg Arbeit. Den können Sie zwar nicht mehr bis zum 17. September 2006 abarbeiten, aber eine nüchterne Bilanz zeigt, Herr Wowereit, dass Sie als Regierender Bürgermeister versucht haben, sich als eine Art Stadtregent darzustellen, der mit der Berliner Politik nichts zu tun hat. Für die Politik in diesem Land haben Sie wahrlich keinen großen Beitrag geleistet. Sie haben keine Verantwortung übernommen, sondern haben sich in Leichtfertigkeiten geübt.

Herr Abgeordneter! Ihre Redezeit ist erschöpft.

Okay! – Eine letzte Bemerkung: Herr Wowereit, genau an diesen Ergebnissen sind Sie und Ihre Regierungskoalition zu messen. Am 17. September 2006 haben die Berlinerinnen und Berliner die Wahl. Berlin kann es definitiv besser als mit dem wowereitschen Senat. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU – Wansner (CDU): Bravo! – Zurufe von der Linkspartei.PDS]

Im Bereich der Wissenschaft und Forschung – da, wo man Ihre Staatssekretäre schon gar nicht mehr beim Namen kennt, weil Sie sie so häufig gewechselt haben –, haben Sie gegenüber den Hochschulen die Hochschulverträge gebrochen. Sie haben die Mittel vertragswidrig gekürzt, sie schneiden Geld heraus, sie reduzieren Studienplätze und vernichten damit Zukunftschancen im Land Berlin.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Ihre Zeit läuft ab!]

Ein Wissenschaftssenator, der sich weder an dem Rat von Fachleuten – ich denke beispielsweise an die Schließung des Vorklinikums an der Charité – noch an dem fachlichen Rat des Wissenschaftsrates oder dem Rat aller anderen Fachleute orientiert, weil er aus welchen ideologischen Gründen auch immer lieber eine Gruppenuniversität aus den Alt-68er-Jahren wiederbeleben möchte, anstatt konkurrenzfähige und moderne Universitäten in Berlin zuzulassen und zu schaffen, der ist in seinem Amt deplaziert.

Nun habe ich nur noch anderthalb Minuten für Herrn Wowereit.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Das schaffen Sie jetzt nicht mehr!]

Herr Wowereit! Eines muss ich Ihnen sagen:

[Doering (Linkspartei.PDS): Sie haben Frau Junge-Reyer vergessen! ]

Stimmt! Frau Junge-Reyer und das Straßenausbaubeitragsgesetz!

[Heiterkeit]

Das geht so fort.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Sie müssen auch noch etwas zu Herrn Schmitz sagen!]

Frau Junge-Reyer! Sie haben den Verfall der öffentlichen Infrastruktur mit geduldet, weil in den vergangenen Jahren öffentliche Investitionen auf ein Niedrigstmaß reduziert wurden. Die Schließung des Flughafens Tempelhof, die auch von Ihrer Verwaltung betrieben wurde, war ein großer Fehler für den Standort Berlin. Das ließe sich alles aneinander reihen.

Kommen wir zu dem Mann, der die Verantwortung dafür trägt, auch wenn er es nicht wahrhaben will, nämlich Klaus Wowereit. Das ist Ihr Senat, Herr Wowereit, den Sie links und rechts neben sich versammelt haben, auch wenn Sie sich immer wieder hinstellen bzw. -setzen und darüber thronen wollen, wie eine Art Sonnenkönig, der sich nie zu Wort meldet, wenn es einmal eng wird. Ich habe von Ihnen nichts gehört, als es beispielsweise um die Rütli-Schule ging. Ich habe Sie dort nicht gesehen. Ich habe Sie auch nicht in Hohenschönhausen gesehen. Ich sehe Sie immer da nicht, wo es eng wird.

[Beifall bei der CDU – Beifall des Abg. Eßer (Grüne)]

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

[Anhaltender Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Das Wort für die Fraktion der Linkspartei.PDS hat jetzt der Abgeordnete Liebich. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich halte es für eine prima Idee, heute über die Bilanz zu reden. Herr Lindner sagte, das solle eine neue Tradition werden. Ich habe mir sagen lassen, früher sei das in Berlin nicht üblich gewesen, aber in den letzten Jahren war vieles anders als in den Jahren davor. Insofern: Auch wenn nicht jeder gleichermaßen von diesem Vorschlag begeistert war, freuen wir uns, dass wir hier heute Bilanz ziehen können, denn unsere Bilanz ist positiv.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Es ist ein gutes Gefühl, zu spüren, dass sich die Arbeit der letzten Jahre gelohnt hat. Rot-Rot war gut für die Stadt. Berlin ist sozialer und liberaler regiert worden, als dies mit jeder anderen Konstellation denkbar gewesen wäre

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Zu Herrn Lindner, der nach dem Maßstab fragte: Ich habe mir auch einen Maßstab gesucht und in den Protokollen geblättert. Dabei habe ich das Protokoll der Plenardebatte vom 17. Januar 2002 zur Hand genommen. An diesem Tag wehte – ich glaube fast, es war das letzte Mal – der Mantel der Geschichte durch diesen Raum. Es wurden Flugblätter geworfen. Es gab Sitzungsunterbrechungen. Wir haben bis weit nach Mitternacht getagt. – Dieser Tradition weint wohl kaum

Allein dafür hat sich diese Koalition aus meiner Sicht schon gelohnt.

Wir können regieren. Wir können auch noch einmal erfolgreich regieren, aber wir müssen nicht – vor allem nicht um jeden Preis.

Dieser Tradition weint wohl kaum einer hier im Haus hinterher.

[Beifall des Abg. Pape (SPD)]