Protocol of the Session on June 29, 2006

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Deshalb ist es kein Zufall, dass es unser Senat war, der im Juni 2003 die Anregung des Grünen-Abgeordneten Michael Cramer aufgegriffen und in die Tat umgesetzt hat, für Chris Gueffroy, das letzte Opfer der Berliner Mauer, und auch stellvertretend für andere Opfer eine Gedenkstele zu errichten.

Deshalb sind wir froh, dass der Senat in seiner Beratung vor 14 Tagen, die in der Gedenkstätte Bernauer Straße stattgefunden hat, das Gedenkstättenkonzept Berliner Mauer, das von Thomas Flierl vorgelegt worden ist, beschlossen hat. Das ist nicht am grünen Tisch entstanden. Es gab einen breiten Dialog mit Wissenschaftlern, Zeitzeugen und Verbänden, und es ist geeignet, um ideologische Gräben zu überwinden. Das Konzept hat bislang über Berlin hinaus viel Anerkennung gefunden, weil es die Geschichte vielschichtig betrachtet. Das sind alles bewusste Entscheidungen unserer Koalition, die wir getroffen haben, weil wir uns unserer Verantwortung bewusst sind, aber auch, weil diese Entscheidungen überfällig gewesen sind.

Herr Zimmer! Absurd ist es, wenn einige Mitglieder der Partei – und Sie allen voran –, die jahrelang den Regierenden Bürgermeister gestellt hat, jetzt „Zu spät!“ rufen und dabei wider besseres Wissen politische Motive unterstellen und wenn Sie angeblich fehlende emotionale Abscheu oder das Verhalten einer privaten Bank in Hamm, der das Gelände am Checkpoint Charlie gehört, als Beweis für Ihr Weltbild über unseren Senat heranziehen. Sie von der CDU haben in dieser Frage gar nichts hinbekommen.

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Hoffmann?

[Zurufe von der Linkspartei.PDS: Nein!]

[Frau Leder (SPD): Schade!]

Bitte, Herr Hoffmann!

Herr Liebich! Finden Sie das, was Sie hier vortragen, glaubwürdig, wo Sie doch vor kurzem diesem Parlament erklärt haben, dass Sie stolz darauf gewesen sind, dass Sie in jungen Jahren, als Sie noch zur Schule gegangen sind, mit der Staatssicherheit in Kontakt gekommen sind und dort mit Sicherheit mitgearbeitet hätten?

Bedauerlicherweise haben Sie – wie auch bei dieser Rede – nicht zugehört.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Richtig ist, dass ich gesagt habe, dass ich vom Ministerium für Staatssicherheit angesprochen worden bin. Richtig ist aber auch, dass ich gesagt habe, dass es eine Entscheidung ist, auf die ich aus heutiger Sicht nicht stolz bin.

[Zuruf des Abg. Stadtkewitz (CDU)]

Herr Hoffmann, ich habe versucht – offenbar erfolglos –, auch Kollegen Ihrer Fraktion zu erläutern, dass es vorkommt, dass Menschen ihre Position ändern. Ich habe das für mich erklärt. Das können Sie akzeptieren oder auch nicht. Ich muss damit leben, wenn Sie das nicht verstanden habe. Ich werde mich jetzt wieder meiner Rede widmen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – Beifall der Frau Abg. Ströver (Grüne)]

Letztlich, Herr Zimmer, es war Ihre Partei – das ist auch heute in Ihrer Rede wieder deutlich geworden –, die die verdienstvolle Arbeit von Frau Camphausen vom Verein Berliner Mauer und Frau Nooke von der Gedenkstätte Bernauer Straße in Relation zum Privatgedenken von Frau Hildebrandt immer wieder in ein eigenartiges Licht setzen. Ihren Antrag verstehe ich so, dass Sie dieses Bild wieder gerade rücken wollen. Das ist einerseits gut, aber dafür bedarf es Ihrer Anträge nicht. Die Öffentlichkeit und unsere Koalition schätzen die Arbeit der Gedenkstätte, und sie hilft nach Kräften. Frau Nooke wird wissen, was sie meint, wenn sie sagt, dass es noch nie so viel Unterstützung wie von diesem Senat für ihr Anliegen gegeben hat.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Eine Partei, die den letzten SED-Chef von Berlin, Günter Schabowski, zum Wahlkampfhelfer macht, eine Partei, die „Arbeite mit, plane mit, regiere mit“ auf ihre Plakate druckt, ist nicht besonders glaubwürdig mit ihrer Kritik an einem Senat, der als erster nach der Wende mit einem ge

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen begrüßt das vorliegende Mauergedenkkonzept. Wir haben bereits in der Wendezeit den vollständigen Abriss der Grenzanlagen für einen Fehler gehalten. Gedenken braucht sichtbare Orte. Das gilt für den einzelnen Menschen, der sich an seine persönliche Geschichte erinnert, das gilt aber auch für die Gesellschaft als ganzes. Gedenkorte müssen die Erinnerung an die Mauer auch für die Generation lebendig halten, die die Teilung der Stadt

nicht mehr bewusst erlebt hat. Unser ehemaliger Kollege, Michael Cramer, hat mit seinen Fahrradtouren entlang der Mauer ganz praktisch dazu beigetragen. Ohne ihn gäbe es heute nicht einmal die Kennzeichnung des vollständigen Mauerverlaufs um Westberlin herum. Ich habe Ihnen heute die Broschüre „Mauerstreifzüge“ mitgebracht, Sie können sie bei meinen Fraktionsvorsitzenden abholen. Die Broschüre gibt es mittlerweile in 5. Auflage und wird von Berlinbesuchern gern mitgenommen, weil sie dokumentiert, wie der Verlauf der Mauer gewesen ist.

Im „Tagesspiegel“ war jüngst ein Artikel von Klaus Schroeder mit dem Satz „Was wir vergessen, das war nicht“ überschrieben. Das ist eine Erkenntnis, die sich im Alltag bestätigt. 200 000 Menschen, die Opfer der Staatssicherheit geworden sind, werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Die Täter haben nicht nur kein Unrechtbewusstsein, wie wir in diesen Tagen allzu oft erleben konnten, sondern fahren eine bewusst angelegte Strategie der Geschichtsrevision, der wir gesellschaftlich mit allen Mitteln begegnen müssen.

schlossenen Gesamtkonzept an die Zeit der Spaltung unserer Stadt erinnert.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Herr Zimmer! Vielleicht können Sie einmal Ihrem Kollegen Lehmann-Brauns den Tipp geben, dass in Berlin der Kalte Krieg zu Ende ist und dass es inzwischen das Internet gibt. Dort kann man bei www.berlin.de in einem speziellen Portal nachlesen, welches die aktuellen Pläne des Senats sind, und muss sich nicht ständig in der Öffentlichkeit mit veralteten Informationen blamieren.

Wir wollen, dass das Gedenkkonzept zügig umgesetzt wird, und wir werden uns im Abgeordnetenhaus und im Senat mit ganzer Kraft dafür einsetzen – in dieser Legislaturperiode und auch in der nächsten. Sie von der CDU können einen wichtigen Beitrag leisten, nämlich dort, wo Sie etwas zu sagen haben: auf der Bundesebene. Frau Lange hat es bereits angesprochen. Unterstützen Sie Ihre Kollegin Monika Grütters, die sich darum bemüht, dass das Konzept des Berliner Senats mit Hilfe der Bundesregierung von Frau Merkel unterstützt wird. Insbesondere bei der Erweiterung der Gedenkstätte an der Bernauer Straße steht der Bund in Verantwortung, die Bundesgrundstücke einzubringen und die Finanzierung der Gedenkstätte hälftig mit zu tragen. Dort, Herr Zimmer, wäre Ihre Intervention sinnvoll und nützlich.

[Beifall des Abg. Brauer (Linkspartei.PDS)]

Ich schließe mit einem Zitat aus unserer Koalitionsvereinbarung:

SPD und PDS bekennen sich im Wissen um das Trennende aus der Geschichte dazu, dass die Vergangenheit nicht auf Dauer die Zukunft beherrschen darf. Dies kann aber nur gelingen, wenn nichts verdrängt und vertuscht wird. Der offene Umgang mit den Verbrechen an der Demokratie und den individuellen Rechten, die Übernahme von Verantwortung sowie der Respekt vor den Opfern, die Bewahrung ihres Andenkens, das sind die Voraussetzungen für Versöhnung und innere Einheit.

Das ist die Politik, für die PDS und SPD stehen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Danke schön, Herr Liebich! – Für die Fraktion der Grünen hat Frau Abgeordnete Ströver das Wort. – Bitte sehr!

Mit dem heute vorliegenden Gesamtkonzept Berliner Mauer darf die Erinnerungsarbeit nicht beendet werden. Das Konzept gibt keine Antwort auf die Frage nach der Beurteilung der DDR und der Rolle der SED. Die von der rot-grünen Bundesregierung beauftragte Expertenkommission hat die zentralen Fragen gestellt und Vorschläge zu einem Geschichtsverbund SED-Diktatur vorgelegt, die es jetzt auch in die Gesellschaft hinein zu diskutieren gilt. Denn die tatsächliche Dimension des Unterdrückungsstaates DDR gerät sukzessive in Vergessenheit. Dazu dürfen wir es nicht kommen lassen.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Liebich (Linkspartei.PDS)]

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD, der CDU und der Linkspartei.PDS]

Die CDU hat – gerade wieder durch den Kollegen Zimmer – beklagt, dass ausgerechnet ein PDS-Senator sich des Themas Erinnerung an die Teilung Berlins annimmt. Aus dieser Tatsache resultiert für mich aber auch der Zwang, dass sich der Senator und auch seine Partei, vor allem aber deren Gefolgschaft, mit der Vergangenheit auseinander setzen müssen.

[Brauer (Linkspartei.PDS): Das machen wir doch!]

Vielleicht gibt ein PDS-Senator, der bewusst und ehrlich mit der Geschichte umgeht, einen größeren Denkanstoß in diese Kreise hinein als jemand, der nicht selbst aktiver Teil des Systems gewesen ist. Soll ein solcher Denkanstoß kommen, müssen die PDS und ihr Senator endlich ein klares Signal in Richtung der alten Stasi-Kader senden und nicht durch peinliches Gewährenlassen oder gar durch Besuche bei deren Veranstaltungen oder Buchvorstellungen die ehemaligen Täter auch noch aktiv unterstützen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP –

Es ist auch richtig, dass an zentraler Stelle am U-Bahnhof Brandenburger Tor in den Passagen wichtige

Überblicksinformationen zur Teilung der Stadt und deren stadträumliche Auswirkungen zu sehen sein werden. Für mich ist es wichtig, dass die Besucherinnen und Besucher am Brandenburger Tor zu allen anderen Orten geleitet werden. Das Konzept kann aus meiner Sicht nur funktionieren, wenn die schon bestehenden Erinnerungsorte nicht in Vergessenheit geraten. Das ist auch wichtig, weil viele dieser Orte nur durch bürgerschaftliches Engagement erhalten blieben bzw. entstanden sind. Das betrifft sowohl das Parlament der Bäume von Ben Wargin als auch die Wachtürme an der Kieler Straße oder den Wachturm hinter unserem Haus, um dessen Erhalt Herr LehmannBrauns und ich mit Erich Stahnke schwer kämpfen mussten. Aber es geht auch – das sage ich in diesen Tagen, in denen Sie über Bebauungspläne diskutieren – um den Tränenpalast. Er ist ein wichtiger Ort, an dem Ost-WestGeschichte stattgefunden hat.

Auch mit dem Haus am Checkpoint Charlie wird man zusammenarbeiten müssen, denn es wird weiterhin viele Besucher anziehen, die an diesem Ort nach Zeugnissen der Vergangenheit suchen. Bisher gibt es in der Friedrichstraße noch nicht einmal die Tafeln am Zaun, die eigentlich zur Weltmeisterschaft schon zu sehen sein sollten. Hier muss erst noch eine dauerhafte Lösung entwickelt werden. Sie hätten wenigstens, Herr Senator, eine Gesprächsebene mit Frau Hildebrandt herstellen können.

Beifall der Abgn. Müller (SPD) und Hoffmann (CDU)]

Es ist nicht so, Herr Liebich, dass Herrn Senator Flierl oder der PDS die Erinnerung an die Mauer in der Vergangenheit ein Herzensanliegen war.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Woher wollen Sie das wissen?]

Die Koalitionsvereinbarung war dazu eine Ansammlung leerer Worte. Jahrelang ist nichts passiert. Es war es die Chefin des Hauses am Checkpoint Charlie, Alexandra Hildebrandt, die mit ihrer provokanten Kreuze-Installation demonstrativ auf ein Manko der letzten 15 Jahre Gedenkarbeit hingewiesen hat. Dieses Manko hat in den Zeiten der großen Koalition zu Verdrängung und Überformung der sichtbaren Mauerreste geführt. „Die Mauer ist weg – jetzt wird gebaut“ war damals die ebenso törichte wie kurzsichtige Devise. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie schwer es auch im Jahr 2001 noch war, die letzten fünf vorhandenen Mauerbereiche unter Denkmalschutz zu stellen. Wollten doch der Regierende Bürgermeister und Senator Strieder keinen Investoreninteressen entgegenstehen. Auch schlechtes Geld – wie gerade in der Friedrichstraße sichtbar, wo bis heute nichts gebaut ist – war wichtiger als aktive Erinnerungsarbeit. Das war ein schwerer Fehler. Das sehen Sie hoffentlich heute ein. Denn das Gedenken an die beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts, deren Machtzentrum Berlin war, macht einen Großteil der Bedeutung unserer Stadt aus. Berlin muss sich der deutschen Geschichte stellen, weil die ganze Welt diese Geschichte mit Berlin verbindet.

Heute haben wir nur noch marginale Reste der Mauer in Berlin. Um diese muss sich die Erinnerung an die Mauer ranken. Wir unterstützen nachdrücklich, dass die Bernauer Straße als der wichtigste innerstädtische Ort der Erinnerung gewählt wurde. Das Brandenburger Tor und auch der Checkpoint Charlie waren und sind, Herr Zimmer, aus der Sicht der Westberliner und der internationalen Besucher als symbolische Orte der Teilung wichtig. Für die Bevölkerung Ostberlins ist die Bernauer Straße der Ort, an dem sich die dramatischsten Ereignisse der Teilungsgeschichte Berlins abspielten. Hier starben die Menschen, als sie sich unmittelbar während des Baus der Mauer durch einen Sprung aus dem Fenster in den Westen retten wollten. Hier wurden die Häuser zerstört und noch im Jahr 1985 die Versöhnungskirche gesprengt. Von hier aus fanden aber auch erfolgreiche Fluchten durch die Tunnel statt, die heute noch vorhanden sind. Es gibt viele berühmte Bildmotive, die aus der Bernauer Straße stammen. Das alles bietet eine gute Grundlage, dort die Tiefenstaffelung des Grenzbereichs sichtbar zu machen und die Einzelschicksale lebendig werden zu lassen. Wir sollten alle an einem argumentativen Strang ziehen und nicht durch kleinteilige Mäkelei die ohnehin noch riesigen Schwierigkeiten bei der Realisierung des Konzeptes behindern.

[Beifall bei den Grünen]