Protocol of the Session on March 23, 2006

[Beifall bei der SPD, der CDU, den Grünen und der FDP]

Was ist geschehen? – Am vergangenen Dienstagabend gab es eine Diskussionsveranstaltung, auf der in der Tat fast 200 ehemalige Stasi-Funktionäre aufgetreten sind, die die Gedenkstätte als Gruselkabinett bezeichnet und die anwesenden Opfer als Lügner diffamiert haben. Und der Vorsitzende des Stiftungsrates der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Herr Senator Flierl, saß auf dem Podium. Was bedeutet es, dass wir heute darüber diskutieren müssen, dass 200 Menschen, die ein menschenverachtendes System gestützt haben, sich hinstellen und ihre frechen Reden halten können? – Man darf die Augen nicht davor verschließen, dass es Seilschaften ehemaliger MfSMitarbeiter gibt, die bewusst versuchen, Geschichte zu manipulieren. Sie sind frech, stören Veranstaltungen, stören Führungen vor Ort, greifen die Opfer von damals verbal an, organisieren sich und schreiben Briefe, in denen Schulen aufgefordert werden, die Führungen nicht zu besuchen und sich nicht über das aufklären zu lassen, was geschehen ist.

Ich war fassungslos, von Ihnen zu hören, dass Sie sich adäquat verhalten hätten. Wörtlich sagten Sie: „Ich habe mir nichts vorzuwerfen.“ – Herr Flierl, ich habe Ihnen etwas vorzuwerfen, und zwar, dass Sie den infamen Geschichtsverfälschungen nichts entgegengestellt haben.

[Beifall bei der SPD, der CDU, den Grünen und der FDP]

Am Ende unserer gemeinsamen Resolution heißt es, dass es die Verantwortung aller Repräsentantinnen und Repräsentanten des Landes Berlin ist, die Opfer der Stasi vor Verunglimpfung zu schützen. Genau das haben Sie in Hohenschönhausen durch Ihre Passivität nicht getan. Herr Flierl, Sie waren im Kulturausschuss und auch in der „Berliner Abendschau“ schon ein Stück weiter. Heute hätten Sie die Chance gehabt, einen gravierenden Fehler einzuräumen oder sich gar zu entschuldigen. Ich sage Ihnen noch einmal: Sie haben Ihre Chance nicht genutzt, und für mich ist Ihre Glaubwürdigkeit dadurch nicht größer geworden.

Außerordentlich dankbar bin ich für die unmissverständlichen Äußerungen des Regierenden Bürgermeisters und unseres Fraktionsvorsitzenden, die eine klare und kritische Position bezogen haben.

Die SPD-Fraktion unterstützt auch weiterhin die Bemühungen, die Gedenkstätte zu einem Ort der Ermahnung und des öffentlichen Gedenkens zu machen. Ich hoffe deshalb, dass schnellstmöglich die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, um die Informationstafeln aufstellen zu können. Es soll jetzt keine Verzögerungen mehr geben. Wir fordern die sorgfältige Diskussion um die Gestaltung der Tafeln, in die die Vertreter der Gedenkstätte einbezogen werden müssen. Sicher gehört die Geschichte des Geländes vor 1945 – es gab dort Arisierungen und Zwangsarbeitslager – dazu, aber das darf nicht dazu dienen, die Zeit danach zu relativieren.

[Beifall bei der SPD, der CDU, den Grünen und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Schwerpunkt einer Kennzeichnung muss die Speziallagerzeit und die Stasi-Zeit sein. Die Vorschläge der Vertreter der Gedenkstätte halte ich für akzeptabel – einschließlich der Formulierungen „kommunistische Diktatur“ und „Ostdeutschland“.

Die richtige Art und Weise, an die Stasi-Vergangenheit dieses Ortes zu erinnern, verdient nicht, in die Hektik des Wahlkampfes hineingezogen zu werden, wie ich das schon aus einigen Beiträgen der Opposition erkennen konnte.

Wir ermuntern die Berlinerinnen und Berliner und insbesondere unsere Schülerinnen und Schüler, die Gedenkstätte in Hohenschönhausen zu besuchen, um sich dort aus erster Hand zu informieren. Den zynischen Geschichtsverfälschern und Ewiggestrigen darf kein Raum mehr geboten werden. Eine Veranstaltung, wie sie jetzt in

Hohenschönhausen zu erleben war, darf sich nicht wiederholen.

[Allgemeiner Beifall]

Danke, Frau SeidelKalmutzki! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Zimmer das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst danke ich meiner Kollegin, Karin Seidel-Kalmutzki, für diese Rede!

[Beifall bei der SPD, der CDU, den Grünen und der FDP]

Sie war offen, ehrlich und hat sehr viel von der Betroffenheit widergespiegelt, die viele teilen. Aber die Frage ist, welche Konsequenzen wir daraus ziehen.

Sie schreiben beispielsweise auch an meine Fraktion und beschweren sich darüber, dass wir uns nach der Veranstaltung zu Wort gemeldet haben. In diesem Brief wird einer ausdrücklich in Schutz genommen, nämlich Senator Dr. Flierl. In diesem Brief wird gefragt, warum wir denn nicht auch Markierungen an Arealen in Westberlin vornehmen wollen, die Ausgangspunkt krimineller und terroristischer Aktivitäten gegen die DDR waren. Man muss sich einmal vorstellen, dass man solche Briefe bekommt. Ich weiß nicht, was damit gemeint ist. Geht es um das Gebäude des ehemaligen Rias, weil dort „eine freie Stimme der freien Welt“ erklang? Soll das Durchgangslager in Marienfelde, Anlaufstelle für viele Menschen, denen es gelungen war, dem DDR-Regime zu entrinnen, markiert werden? – Ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich, meine Damen und Herren: Das ist einfach unerträglich, was dort passiert.

[Beifall bei der CDU, der SPD den Grünen und der FDP]

Aber nun muss man die Frage stellen, Herr Senator Flierl: Was haben Sie dort getan? Ich gebe zu, ich war nicht auf der Veranstaltung, aber es gibt ein Video, das

Da frage ich mich, Herr Flierl: Warum haben Sie das nicht getan? – Es könnte sein, dass Sie selbst, wie Sie es am Anfang formuliert haben, überrollt gewesen sind von dem, was dort passiert ist, sich vielleicht nicht getraut haben, das Wort zu erheben. Soll ich das glauben, Herr Flierl, dass Sie feige waren?

Lag es vielleicht daran, dass Sie nicht deutlich genug formuliert haben, was Ihre Meinung ist? Leiden Sie unter Formulierungsschwächen? – Herr Flierl, nein, ich glaube, es hatte einen anderen Beweggrund, das sage ich Ihnen ganz klar. Ich glaube, dass es Ihnen auch darum ging, dass Ihnen dort Ihre Klientel gegenüberstand.

diese Veranstaltung dokumentiert, auf dem man sich das Ganze von Anfang bis zum Ende ansehen kann. Da reagieren Sie, indem Sie etwas erzählen von: Ja, man brauche eine Form diskursiver Auseinandersetzung. Man müsse aufeinander eingehen, man müsse einander zuhören. – Auch bei der Beantwortung der Mündlichen Anfrage am Anfang dieser Sitzung haben Sie genauso reagiert. Sie haben versucht, es auf Verfahren zu schieben, Sie sind sich in der Tat keiner Schuld bewusst, aber offensichtlich auch keiner Verantwortung bewusst, die Sie als Senator des Landes Berlin tragen. Ich muss Ihnen sagen, das ist beschämend, Herr Flierl!

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Sie haben uns auch der Lüge bezichtigt, weil wir formuliert haben, dass Sie die Opfer aufgefordert haben, ihre Behauptungen zu belegen.

[Sen Dr. Flierl: Nein!]

Das haben Sie gesagt! – Sie haben gesagt, durch eine Belegarbeit müsse die historische Absicherung der Behauptungen und der Arbeit der Gedenkstätte Hohenschönhausen erfolgen. Das ist jetzt anders formuliert, aber in der Sache ist doch das Gleiche, Herr Flierl!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Herr Flierl, Sie sagen damit, dass Sie diesen Menschen nicht glauben. Sie sagen damit, dass das bloße Behauptungen sind. Sie sagen damit, es müssten dafür Beweise erbracht werden, dass das, was dort geschehen ist, geschehen ist. Da will ich Ihnen sagen, Herr Flierl, wenn etwas dreist ist, dann ist es Ihre Einlassung und nicht unsere!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall des Abg. Ratzmann (Grüne)]

Da fragt man sich, was hätte man in dieser Situation dort tun müssen? – Sie haben davon erzählt, dass die Gesprächsführung nicht geeignet gewesen ist, als Vertreter des Landes Berlin Ihre Meinung richtig kundzutun. Jemand, dem es wichtig gewesen wäre, Herr Flierl, der wäre aufgestanden und hätte sich dem mutig entgegengestellt!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. Lindner (FDP): Richtig!]

Sie hätten dort die ehemaligen Stasi-Generäle und die Vertreter von Herrn Mielke in die Schranken weisen müssen!

[Beifall bei der CDU, der SPD, den Grünen und der FDP]

Es ist richtig: In einer Demokratie kann man niemandem das Wort verbieten. Das ist korrekt. Aber wir sind auch eine wehrhafte Demokratie, meine Damen und Herren, und denjenigen, die Menschenrechte mit Füßen getreten haben und die das heute rechtfertigen wollen, darf man auch keine übermäßige Zimperlichkeit entgegenbringen. Da muss man klar ansprechen, was richtig und was falsch ist.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

[Dr. Lindner (FDP): Quatsch!]

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP – Dr. Lindner (FDP): Richtig!]

Und das ist das eigentlich Schlimme daran! Es reiht sich ein in einen Kontext, der anfängt bei der Frage, wie Sie mit dem Gedenkstättenkonzept – das bis heute nicht vorliegt – und wie mit dem Mahnmal am Checkpoint Charlie umgegangen sind.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Als Sie noch in der Regierung waren, was ist denn da passiert?]

Herr Liebich! Ich weiß, dass Sie immer versuchen, ein bisschen das Feigenblatt zu spielen. Ich nehme Ihnen und Ihren Kollegen ab, das Sie es ernst meinen. Aber solange Sie solche Menschen wie Senator Thomas Flierl in Ihren Reihen dulden und zum Senator wählen und ihn als Parlamentarier nicht rügen für das, was dort am Dienstagabend passiert ist, sage ich Ihnen auch: Es ist unglaubwürdig, was Sie hier tun!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall des Abg. Eßer (Grüne)]

Im Oktober des vergangenen Jahres, Herr Flierl, haben Sie in Ihrer Eigenschaft als Stiftungsratsvorsitzender Herrn Dr. Knabe als Leiter der Gedenkstätte einen Maulkorb verpasst, als es darum ging, dass das „Neue Deutschland“ ins gleiche Horn gestoßen hat und Herr Dr. Knabe sich dagegen presserechtlich wehren wollte. Sie haben das damals untersagt. Sie erinnern sich an die Debatte, die wir im Oktober im Abgeordnetenhaus hatten, da haben Sie das auch freimütig zugegeben.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Das stimmt nicht!]

Es reiht sich ein in eine Kette, es ist keine einmalige Entgleisung, Herr Flierl, das ist System bei Ihnen!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Deswegen fordern wir Konsequenzen. Natürlich ist die Konsequenz – und dafür bin ich sehr dankbar, dass das hier im Haus auch Konsens ist –, dass wir uns vor die Opfer stellen und im Übrigen auch vor die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, die eine schwere und sehr gute Arbeit leisten.

[Beifall bei der CDU, der SPD, den Grünen und der FDP]

Ich sage etwas dazu! – Ich war damals FDJ-Chef in meiner Schule, ich wäre ganz bestimmt in die SED eingetreten. Ich bin, als ich 13 Jahre alt war, vom Ministerium für Staatssicherheit gefragt worden, ob ich später einmal hauptamtlich dort tätig sein wollte. Ich hatte keine Zweifel, ich war Bewerber bis zum Mauerfall, bis zum Januar 1990. Ich habe auch in meiner Partei zu Beginn der neunziger Jahre – jetzt können Sie sich gleich noch mehr aufregen – gegen alle Beschlüsse zur Offenlegung der politischen Biographien gestimmt. Wir hatten heftige Debatten. Ich sage heute, dass ich darauf nicht stolz bin. Ich habe auf der falschen Seiten gestanden. Viele Verantwortungsträger der DDR, viele hohe Tiere und viele kleine Mitläufer wie ich, haben die letzten fünfzehn Jahre genutzt, um ihre eigene Geschichte zu hinterfragen, um die DDR zu hinterfragen und auch, um die DDR in Frage zu stellen. Dies gilt für SED-Mitglieder, Volkspolizisten, NVA-Berufsoffiziere und übrigens auch Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit.

Aber, Herr Flierl, das Mindestmaß, das angemessen ist, ist, dass wir Sie für Ihr Verhalten, egal, wie die Motivlage gewesen ist – ich habe Ihnen gesagt, was ich glaube, was die Wahrheit gewesen ist –, rügen, denn Sie haben sich als Vertreter des Landes Berlin unangemessen und falsch verhalten.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]