Protocol of the Session on March 23, 2006

Eine Nachfrage des Kollegen Kaczmarek!

Herr Präsident! Herr Senator! Presseberichte, wonach der Senat also den Verkauf von Wohnungen bei der WBM gestoppt und damit das vorliegende Sanierungskonzept unterbunden hätte, sind demnach also nicht zutreffend, sondern das Sanierungskonzept, wie es hier im Hause vorgestellt wurde, ist weiterhin gültig?

Herr Senator Dr. Sarrazin – bitte!

Es gilt das, was ich eben sagte. Dass der Weg dorthin windungsreich war und dass es unterschiedliche Diskussionen gab, ist ganz klar. Am Ende hat der Senat gesagt, dass er zu diesem Konzept steht.

Anders in Berlin ist, dass wir zusätzliche Maßnahmen ergriffen haben, auch unter Einsatz von Landesmitten bzw. Mitteln des Europäischen Sozialfonds, um Integrationsleistungen zu verbessern. Da ist das Programm „Stelle statt Stütze“, das Ihnen als Mitglied des Arbeitsausschus

ses bekannt ist, mit dem es gelungen ist, im letzten Jahr über 500 Erwerbslose in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Das Programm hat eine Erfolgsquote von über 70 % und gibt damit Erwerbslosen eine reale Perspektive am ersten Arbeitsmarkt.

Wir haben des Weiteren ein zusätzliches Programm „Zusatzjobs und Bildung“ eingerichtet, mit dem im letzten Jahr über 6 000 Hartz-IV-Empfangenden zusätzliche Qualifikationen ermöglicht worden sind, z. B. das Erreichen eines Hauptschulabschlusses. Wir sind des Weiteren dabei, in diesem Jahr – die Senatsvorlage ist in direkter Vorbereitung, nachdem uns der Hauptausschuss dankenswerterweise im letzten Jahr hierfür Mittel zu Verfügung gestellt hat – auch Programme für nicht Leistungsempfangende zu öffnen. Das ist auch nicht in allen Bundesländern der Fall, erfreulicherweise in unserem Nachbarland Brandenburg.

Wir legen gleichzeitig großen Wert auf die soziale Beratung von Hartz-IV-Betroffenen. Mit der Einführung des Gesetzes sind die individuelle Verschuldung und der Beratungsbedarf gestiegen. Deshalb hat das Land Berlin die finanzielle Ausstattung der Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen erhöht. Damit konnten die Beratungsstellen ihre Angebote erweitern, von Gruppenberatungen bei gleichen Problemen über Kurz- und Krisenberatungen bis hin zu Onlineberatungen. Im Vergleich zu anderen Bundesländern steht Berlin damit sehr gut da. Die CDUregierten Länder Hessen und Bayern beispielsweise haben ihre Beratungsangebote in diesem Bereich stattdessen erheblich gekürzt.

Jetzt geht es weiter mit einer Anfrage des Kollegen Lehmann zu dem Thema

Werden in Berlin Hartz-IV-Empfänger anders behandelt als im Rest der Republik?

Bitte schön, Herr Lehmann!

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich frage den Senat: Welchen „verdienstvollen“ Anteil haben die Verantwortlichen der Linkspartei innerhalb des Berliner Senats daran, dass – wie nach den Worten von Oskar Lafontaine im „Spiegel“ vom 13. März 2006 – Hartz-IV-Empfänger in Berlin anders behandelt werden als im Rest der Republik, und besteht dieses Verdienst aus der Tatsache, dass im Jahre 2005 die Hälfte der finanziellen Mittel zur Arbeitsmarktförderung für Berlin nicht in Anspruch genommen wurde?

Danke schön, Herr Lehmann! – Der Senator für Wirtschaft, Herr Wolf, hat das Wort.

Herr Präsident! Herr Abgeordneter Lehmann! Zunächst herzlichen Dank wie immer für diese Anfrage der FDP. Ich freue mich immer über Ihre Anfragen und auch über offene Briefe von Ihrer Seite.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Ich freue mich auch über Ihr Interesse an dem Lob von Oskar Lafontaine für die rot-rote Koalition. Ich muss Sie allerdings in einem Punkt korrigieren: Das Verdienst besteht nicht, wie Sie vermuten, darin, dass Berlin nur die Hälfte der Arbeitsmarktfördermittel ausgeschöpft hat, bzw., um präzise zu sein, die Regionaldirektion. Hier sind wir nicht besser als andere Länder, sondern wir haben die gleiche Quote aufzuweisen wie die Länder mit FDPRegierungsbeteiligung, denn für das Saarland und Rheinland-Pfalz, wo nach meiner Kenntnis die FDP in unterschiedlichen Koalitionen beteiligt ist, einmal mit der CDU, einmal mit der SPD,

[Ritzmann (FDP): Wir sind im Saarland nicht in der Regierung!]

gibt es eine Ausschöpfungsquote von 52 %. Also da sind wir so schlecht wie Länder mit liberaler Regierungsbeteiligung.

Ich will aber gern auf das eingehen, was in Berlin anders ist.

[Ritzmann (FDP): Welchen FDP-Minister gibt es denn im Saarland?]

Tut mir Leid, das ist richtig. Im Saarland sind Sie nicht in der Regierung, aber in Rheinland-Pfalz. Ich sage noch einmal: 52, 52, 52 %.

Berlin hat gleichzeitig – auch das ist Ihnen, Herr Lehmann, bekannt – vernünftige Regelungen zu Kosten der Unterkunft durchgesetzt. Während viele andere Kommunen die alten Regelungen der Sozialhilfe übernommen haben, ist Berlin einen anderen Weg gegangen. Einziges Prüfkriterium in Berlin ist die Bruttowarmmiete. Es gibt umfangreiche Ausnahme- und Härtefallregelungen, die insbesondere für Familien mit Kindern, Schwangere, Menschen mit Behinderung und für über 60-Jährige gelten. Es wird nach den bisherigen Erkenntnissen – wir haben es gerade gestern im Arbeitsausschuss diskutiert – in Berlin nicht zu massenhaften Zuzügen kommen. Bisher ist nach den uns vorliegenden Daten in einem einzigen Fall bei den 300 000 Arbeitslosengeld-II-Empfangenden ein Umzug angeordnet worden.

Berlin verfügt außerdem für den Empfängerkreis von Arbeitslosengeld II über ein Sozialticket zum halben Preis des Umwelttickets. Ein derartiges Angebot gibt es in keiner vergleichbaren Großstadt. Das 3-Euro-Ticket für Kulturangebote ist eingeführt worden. Es gibt einen kostenlosen Bibliotheksausweis, der Erwerbslosen den Zugang zu Kultur erleichtert. Das kann sich im Bundesvergleich durchaus sehen lassen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Danke schön, Herr Senator! – Eine Nachfrage des Kollegen Lehmann? – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schimmler!

Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung: Für diese Demonstration ist im Internet und sonst wo geworben worden unter dem Slogan: Nimm deine Fahne und geh nach Berlin! –, um gegen eine Entscheidung des Deutschen Bundestages zu demonstrieren. Aufgerufen wurden die Türken in der Türkei und 4 Millionen Türken in Europa. An der Demonstration haben 1 350 Teilnehmer teilgenommen. Ich halte das für einen großen Erfolg, dass diesem Demonstrationsaufruf nicht gefolgt wurde, insbesondere dass unsere türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Berlin und unsere eingedeutschten Mitbürgerinnen und Mitbürger in Berlin diese Demonstration nicht goutiert haben und dass sich fast alle Verbände, die ich in Berlin kenne, von dieser Demonstration distanziert haben.

(D

Zu Ihrer ersten Frage: Wir haben keinen Anlass, an Pressemeldungen zu zweifeln, dass es drei Flugzeuge gegeben hat, die extra Demonstrationsteilnehmer aus Istanbul herangekarrt haben. Welcher nationalistischen oder nichtnationalistischen Couleur diese Demonstrationsteilnehmer waren, kann ich nicht abschließend beantworten, weil sie auf dem Flughafen nicht danach gefragt werden. Nach den Anmeldungen, die uns vom Auswärtigen Amt mitgeteilt wurden, weil die bei der deutschen Auslandsvertretung Visa beantragen müssen, handelte es sich in erster Linie um Vertreter von Parteien, die auf dem nationalistischen Markt der Türkei tätig sind.

Danke schön! – Nun habe ich trotzdem zu Ihrem Ausführungen eine Nachfrage: Warum haben die Senatsmitglieder auf die Einbehaltung der Mittel für die Arbeitsmarktförderung nicht reagiert bzw. – Sie haben so oft Kontakt – die Regionaldirektion BerlinBrandenburg nicht auf diesen Missstand aufmerksam gemacht? Und geht der Senat davon aus, dass der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Deutschen Bundestag Kenntnis darüber hat, dass Arbeitsgemeinschaften bzw. Jobcenter zunehmend autonom agieren und das somit dem jeweiligen Jobcenter vorbehalten ist, wie anders mit Leistungsbedürftigen umzugehen ist?

Herr Senator Wolf, bitte schön!

Herr Lehmann! Ich gehe davon aus, dass dem Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Deutschen Bundestag die Gesetzeslage bekannt ist. Ich gehe aber auch davon aus, dass ihm – und ich hoffe, auch Ihnen – bekannt ist, dass z. B. Verordnungen über die Kosten der Unterkunft im Land Berlin geltende Rechtslage im Land Berlin sind und dass die Jobcenter auch gehalten sind, sich an diese geltende Rechtslage zu halten. All das, was ich Ihnen dargestellt habe, ist geltende Beschlusslage oder Rechtslage im Land Berlin. Es liegt nicht im Ermessen der Jobcenter, ob es ein Sozialticket gibt. Es liegt nicht im Ermessen der Jobcenter, ob es ein 3-Euro-Ticket gibt, mit dem Arbeitslosengeld-II-Empfänger den Zugang zu Opern- und Theatervorstellungen haben, sondern das ist ein Anspruch, den Arbeitslosengeld-II-Empfänger auf Grund einer Entscheidung des Berliner Senats bzw. der zuständigen Senatsverwaltungen haben.

Wir kommen nun zur Mündlichen Anfrage des Kollegen Schimmler von der Fraktion der SPD über

Türkische Demonstration zum Armenien-Genozid

Bitte schön, Herr Schimmler!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Sind Pressemeldungen zutreffend, wonach türkische Nationalisten eigens mit drei Flugzeugen aus der Türkei eingeflogen wurden, um in Berlin dagegen zu demonstrieren, dass die Ermordung der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reichs in Deutschland als Genozid eingestuft wird?

2. Entspricht die Teilnahme eigens eingeflogener Demonstranten den Regelungen des deutschen Versammlungsrechts?

Herr Innensenator Dr. Körting, bitte schön!

[Beifall bei der SPD, der Linkspartei.PDS und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Zu Ihrer zweiten Frage – zum Versammlungsrecht: Nach der entsprechenden Bestimmung im Grundgesetz hat jeder Deutsche das Recht, in der Bundesrepublik Deutschland zu demonstrieren. Dies ist zu Recht durch das Versammlungsrecht dahin gehend erweitert worden, dass es sich nicht nur auf die Deutschen bezieht, sondern ein Jedermannrecht ist. Wir haben dies in der Verfassung von Berlin entsprechend formuliert. Dort heißt es: Alle Männer und Frauen haben das Recht, nicht bezogen auf eine Staatsangehörigkeit o. Ä. – Insofern haben ein Versammlungsrecht auch Menschen, die sich in Berlin aufhalten, auch kurzfristig aufhalten, um sich an einer Versammlung zu beteiligen. Das ist von dem Jedermannrecht Versammlungsrecht mit abgedeckt. Aber ich sage auch: Ich halte es im Grunde für einen Missbrauch unserer Versammlungsfreiheit, wenn Menschen aus anderen Ländern hergekarrt werden, um hier in Berlin zu demonstrieren. Das sollen sie dann gefälligst zu Hause machen, aber nicht bei uns. Wir können das aber nicht versammlungsrechtlich unterbinden, sondern es kann eventuell unterbunden werden, indem die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland ihre Hand für einen solchen Missbrauch nicht reichen und keine Visa erteilen.

Eine Nachfrage des Kollegen Schimmler? – Bitte schön!

Herr Senator! Im Anschluss an Ihren letzten Satz: Ist denn sichergestellt, dass die entsprechenden Personen, die nach Berlin eingereist sind,

Ich habe mich mit „Missbrauch“ darauf bezogen, dass die Demonstrationen gar nicht in erster Linie von Leuten durchgeführt werden, die in diesem Land wohnen, sondern Leute aus einem anderen Land zum Zweck der Demonstration herbeordert werden. Das habe ich für einen Missbrauch der Versammlungsfreiheit gehalten. Ich kann

Ihnen auch sagen, wieso: Letztlich dient die Versammlungsfreiheit – das werden Sie in allen Kommentaren zum Grundgesetz nachlesen können – dazu, dass innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, das heißt, für die hier lebenden Menschen, Meinungsbildung betrieben werden kann.

Ich werde die Grundfrage, ob man künftig Möglichkeiten hat, mit Visaerteilungen einen derartigen – in meinen Augen – Missbrauch zu unterbinden, im Rahmen des im Mai angesetzten Gesprächs mit den Innenministern erörtern, und gegebenenfalls werden wir eine gemeinsame Position haben. Auf der Grundlage dieser Position können wir die Bundesregierung über Herrn Schäubele bitten, die Praxis der Visumserteilung im Auswärtigen Amt zu prüfen.

auch den Konsulaten bekannt sind, so dass dort künftig in ähnlichen Fällen, die man vermuten kann, entsprechende Visa nicht mehr erteilt werden?

Herr Senator Dr. Körting, bitte!

Wir bekommen für solche Besuche die Mitteilung vom Auswärtigen Amt nicht mehr. Das heißt, im Regelfall bekommen wir nicht mitgeteilt, wer zu solchen Zwecken ausreist, sondern wir bekommen im Rahmen unserer Beteiligung nur mitgeteilt, wenn Leute für länger in die Bundesrepublik Deutschland kommen. Dann wird auch die Ausländerbehörde beteiligt. Bei Kurzbesuchen wird die Ausländerbehörde nicht beteiligt. Es muss dann jeweils vom Auswärtigen Amt geprüft werden, ob unter solchen Voraussetzungen Visaerteilungen erfolgen. Ich kann nur etwas anderes machen, und das lasse ich zurzeit prüfen: Einer der Teilnehmer dieser Versammlung, ein Mensch, der auch Vorsitzender einer Partei in der Türkei ist, hat sich entgegen den Auflagen geäußert. In den Auflagen des Oberverwaltungsgerichts, mit denen die Versammlung letztendlich zugelassen wurde, hieß es, dass wegen der Würde der Opfer der damaligen Massentötungen von Armeniern dieses nicht als Lüge bezeichnet werden darf, was damals passiert ist und was wir so werten. Offensichtlich haben sich nicht alle Versammlungsteilnehmer daran gehalten, insbesondere dieser Vorsitzende einer Partei. Ich lasse deshalb in meiner Behörde prüfen, ob ich ihn ausweise und ihm die Ausweisung aushändige, wenn er wieder bundesrepublikanischen Boden betritt. Damit hat er ein Einreiseverbot in den gesamten Schengen-Raum.

Danke schön! – Eine Nachfrage des Kollegen Henkel. – Bitte schön, Herr Henkel!