Protocol of the Session on January 12, 2006

Parteipolitisch brauchen wir uns nichts vorzuhalten. Es kann sein, dass ich falsch liege. Ich kenne bislang nur eine Fraktion, die durch ihren Sprecher dafür ist. Das ist die PDS-Bundestagsfraktion. Die PDS-Landtagsfraktion hat Bedenken geäußert. Die CDU-Bundesministerin ist strikt dagegen, habe ich gehört. Nun hörte ich auch, der Generalsekretär der SPD sei dafür. Schön, dann haben wir eine Grundlage. Die FDP hat hier vollkommen zu Recht in ihrer Grundhaltung gesagt: „Eigenverantwortungsrecht geht eben vor.“ Wir sollten dies noch einmal gemeinsam überlegen.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Vielen Dank, Herr Senator Böger! – Wir kommen nun zur zweiten Rederunde. Es beginnt die Fraktion der CDU. Das Wort hat der Kollege Steuer. – Bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin sehr dankbar für die differenzierte Rede des Senators und dankbar dafür, Herr Senator, dass Sie den Fraktionskollegen Nolte ermahnt haben, aus dieser Debatte keine parteipolitische Debatte in diesem Haus zu machen.

[Beifall bei der CDU]

Ich bin wirklich entsetzt darüber, Herr Nolte und Frau Dr. Barth, wie wenig Sie sich mit den Inhalten und wie viel Sie sich mit Überschriften auseinander gesetzt haben. Das wird der Sache wirklich nicht gerecht. Aber dafür haben Sie einen Fachsenator, der Ihnen gelegentlich noch einmal aufzeigt, um welche inhaltlichen Dinge es eigentlich geht.

Wir haben nie bestritten, dass einiges für Familien in Berlin und einiges für den Kinderschutz in Berlin und anderen Bundesländern getan wird. Es gibt aber eine neue Problemlage in vielen Bundesländern in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt. Darauf müssen wir reagieren. Wenn es Ihre Auffassung als Koalitionsfraktionen ist, dass Sie auf neue Problemlagen nicht reagieren, sondern

Was macht die SPD-Fraktion in Hamburg? – Sie beantragt, die Vorsorgeuntersuchung zur Pflicht zumachen. Der Antrag der SPD liegt der Hamburgischen Bürgerschaft vor. Er wurde in den Ausschuss verwiesen.

Weil die SPD-Fraktion in Hamburg überhaupt nicht damit einverstanden war, dass der Antrag in den Ausschuss überwiesen wurde, hat sie der Ministerin der CDU Untätigkeit in der Sache vorgeworfen und sie zum Rücktritt aufgefordert. Da sehen Sie, was Sie an anderer Stelle machen, wie viel Zeit wir haben und wie wenig Hast wir bei diesem Thema an den Tag legen.

lieber erzählen, was Sie in der Vergangenheit alles Tolles gemacht haben, kann ich das überhaupt nicht nachvollziehen.

Da Kindesvernachlässigung ein schleichendes Fehlverhalten von Menschen innerhalb ihrer eigenen vier Wände ist, gibt es kein Allheilmittel dagegen. Auch Pflichtuntersuchungen sind das nicht. Niemand hat das jemals behauptet, Frau Dr. Barth. Deshalb: Hören Sie auf, Phantomdebatten zu führen und sich an unseren Vorschlägen abzureagieren, sondern machen Sie freundlicherweise selbst Vorschläge. Davon haben wir bisher nichts gehört.

[Beifall bei der CDU]

Herr Nolte! Sie haben gesagt, es sei keine Hast geboten. Wenn es für Sie schon Hast ist, dass wir vor anderthalb Jahren einen Antrag eingebracht haben, mit dem wir uns gut ein Jahr später auseinander gesetzt und den Sie abgelehnt haben, hat das vielleicht mehr etwas mit Ihrem Alter zu tun als mit dem Alter unserer Anträge und der Zeit, die wir uns nehmen, um uns mit wichtigen Dingen auseinander zu setzen. Wir haben keine Hast an den Tag gelegt, sondern uns lange und redlich mit den Dingen auseinander gesetzt.

Mir reicht es nicht aus, irgendwelche Berichte vom Senat anzufordern, die ich dann lese – gesetzt den Fall, sie werden gelesen; das machen auch nicht immer alle Parlamentarier.

[Zuruf der Frau Abg. Dr. Barth (Linkspartei.PDS)]

Es muss darum gehen, einmal selbst zu überlegen, was man machen kann. Das haben wir getan. Wir haben einen Vorschlag zur Einführung einer verpflichtenden Vorsorgeuntersuchung gemacht.

[Zuruf der Frau Abg. Dr. Barth (Linkspartei.PDS)]

Sie haben dazu gesagt, Sie seien die großen Interpretatoren des Grundgesetzes und des Artikels 6 Grundgesetz, des Elternrechts. – Ich glaube, Sie sind gar kein Jurist, Herr Nolte, und Frau Dr. Barth auch nicht. Übrigens können Sie sich gern melden und eine Frage stellen, anstatt die ganze Zeit dazwischen zu rufen. Ich habe damit kein Problem. –

[Zuruf des Abg. Dr. Flemming (SPD)]

Ich bin übrigens – Gott sei Dank, finde ich manchmal – auch kein Jurist. Deshalb haben wir gesagt: Beauftragen wir doch den Wissenschaftlichen Parlamentsdienst, einmal herauszufinden, ob die merkwürdige Idee, die in Ihrem Kopf steckt – Elternrecht sei nicht mit Kindeswohl zu vereinbaren – eigentlich sein kann. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es sein kann, dass Eltern, die mit ihrem Kind nichts weiter tun sollen, als zum Arzt zu gehen – dass es sich bei diesem Zum-Arzt-Gehen um einen Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern nach Artikel 6 Grundgesetz handelt. Ich halte das für ausgeschlossen.

[Beifall bei der CDU]

Jetzt sage ich Ihnen einmal, was Hast ist, Herr Nolte. – Herr Böger, wie lange sind Sie schon im Amt?

[Gram (CDU): Schon lange! – Sen Böger: 100 Jahre!]

Viele Jahre jedenfalls. – Unsere Ministerin, die in Hamburg für Familienpolitik zuständig ist, ist deutlich kürzer im Amt als Herr Böger.

[Zuruf der Frau Abg. Pop (Grüne)]

[Sen Böger: Was hat das mit meiner Amtszeit zu tun?]

[Gram (CDU): Das hat Böger nicht gewusst!]

Herr Böger ist der Bedienung des Internets mächtig

[Frau Senftleben (FDP): Behauptet er!]

und wird sich das alles nach der Plenarsitzung durchlesen. In der nächsten Ausschusssitzung reden wir dann wieder darüber.

Es hat niemand behauptet – das ist eine merkwürdige Abwehrstrategie von Ihnen –, dass wir alle Eltern unter Generalverdacht stellen. So äußerte sich Ihre Kollegin, Frau Schaub, im Fernsehen, Frau Dr. Barth. Generalverdacht gegen alle Eltern – das ist ungeheuerlich. Nein! Wir erlauben uns zu fragen: Was bewegt 5 % – oder bei einer Pflichtuntersuchung 3 % – der Eltern dazu, nicht zum Arzt zu gehen?

[Beifall bei der CDU]

Dabei geht es nicht darum, ihnen eine Strafe aufzuerlegen oder mit Maßnahmen zu drohen und ihnen etwas von ihrer Sozialhilfe oder ihrem Arbeitslosengeld abzuziehen, sondern es geht darum, dass das Jugendamt zu diesen 2 % oder 3 % der Eltern einmal hingeht, dort klingelt und fragt: Warum geht ihr eigentlich nicht zum Arzt?

[Frau Dr. Barth (Linkspartei.PDS): Das können Sie auch jetzt schon machen!]

Ja, das können Sie jetzt schon machen, aber es muss auch eine Mentalität verändert werden! Wir müssen deutlich machen: Wir wollen, dass diese Mentalität sich in vielen Bereichen verändert, bei der Kooperation von Ämtern auf der einen Seite, aber auch bezüglich der Pflichtuntersuchung auf der anderen Seite. Wir geben uns jedenfalls nicht damit zufrieden, zu warten, was andere tun, und damit, Phantomdebatten zu führen, sondern wir nehmen den Senator heute bei seinem Wort. Er hat gerade auf

Aber wenn das Ihre Art ist, mit solch populistischen Begriffen wie „Generalverdacht“ umzugehen, ist das Ihre Sache. Wir wollen niemanden unter Generalverdacht stellen. Wir sind der Auffassung, die meisten Eltern, fast alle Eltern, versuchen, alles möglich zu machen, um ihr Kind großartig zu erziehen und ihrem Kind keinen Schaden angedeihen zu lassen. Aber bei den wenigen Eltern, die nicht in der Lage dazu sind – und denen wirft noch nicht einmal jemand vor, dass sie es mit Absicht machen –, muss der Staat einschreiten können, und zwar zum Schutz des Kindes.

Danke schön, Kollege Steuer! – Wir fahren fort in der Redeliste. Das Wort hat jetzt für die SPD-Fraktion Frau Müller. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist eine sehr hitzige Debatte. Ich freue mich aber, dass vom Grundsatz her alle Fraktionen parteiübergreifend einer Meinung sind, etwas für den Kinderschutz tun zu wollen. Auch bei der CDU hat – wenn ich Herrn Steuer richtig verstanden habe – ein Sinneswandel stattgefunden. Der Antrag, zu dem die Beschlussempfehlung vorliegt, ist explizit so gefasst, dass nur Pflichtuntersuchungen das Allheilmittel gegen Verwahrlosung, Vernachlässigung und Misshandlung sind. Aus diesem Grund wurde der Antrag von uns abgelehnt. Wir meinen, dass zum Kinderschutz viel mehr gehört. Zu einem erfolgreichen Kinderschutz gehört ein umfangreiches Netzwerk. Die Koalition hat deshalb einen viel weiter gehenden Antrag eingebracht. Um die Kinder besser schützen zu können, müssen umfassendere Maßnahmen ergriffen werden. Deshalb haben wir von der Koalition komplexere Lösungen gefordert. Dazu gehören z. B. das stadtweite und sozialraumbezogene Zusammenwirken und Zusammenspielen von Einrichtungen für Krisensituationen ebenso Beratungs- und Hilfsangebote und Anlauf- und Zufluchtsstellen.

diesem Podium angeboten, eine Bundesratsinitiative mit initiieren zu wollen. Wir werden darüber in der nächsten Ausschusssitzung reden. Wir hoffen, dass Sie gemeinsam mit uns eine Bundesinitiative zu diesem einen Teilbereich verpflichtende Vorsorgeuntersuchung starten – dann können wir auch mit den Kollegen in Hamburg sprechen – und auch über das andere reden, was wir heute beantragen. Ich habe Ihren Worten entnommen, Sie finden unseren Antrag ganz prima, dürfen es nur nicht so richtig sagen. Wenn wir – jenseits der Parteipolitik von Herrn Nolte – gemeinsam ein Netzwerk Kinderschutz und Prävention für das Land Berlin beschließen, kommen wir sehr schnell auch sehr weit. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Zuruf der Frau Abg. Dr. Barth (Linkspartei.PDS)]

Danke schön Herr Kollege Steuer! – Das Wort zu einer Kurzintervention hat nun Frau Schaub von der Fraktion der Linkspartei.PDS.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Einzige, was an dem Auftritt der CDU-Vertreter in dieser Debatte ungeheuerlich ist, ist, dass sie diese Debatte instrumentalisieren. – Herr Steuer! Sie haben mir vorgeworfen, ich sagte, alle Eltern würden unter Generalverdacht gestellt. Sie haben das mit Zahlen belegt. Sie haben mir nicht nachgewiesen, wie Sie die 3 bis 5 % der Eltern, die mit ihren Kindern nicht zum Arzt gehen, bewegen wollen. Sie haben die Debatte zum Kinderschutz ausdrücklich auf Vorsorgeuntersuchung zugespitzt. Das ist total neben der Sache. Kinderschutz – das haben alle anderen deutlich gemacht – ist mehr als das. Deswegen bleibt die Frage, ob es nicht doch ein Generalverdacht ist. Es ist angezeigt, eine Debatte zu führen, die sich wirklich um Kinderschutz kümmert, anstatt diesen – was Sie verfolgen – auf Vorsorgeuntersuchungen einzuengen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – Frau Richter-Kotowski (CDU): Haben Sie unseren Antrag gelesen?]

Danke schön! – Im Drang der Gefühle wurde die Kurzintervention sehr spät angezeigt und nicht richtig, aber weil das Thema so wichtig ist, haben wir das toleriert. – Herr Steuer! Bitte die Replik!

Frau Schaub! Ich weiß nicht, ob Sie unsere Anträge gelesen haben. Es liegen heute zwei Anträge vor. Einer befasst sich in der Tat mit dem Thema Vorsorgeuntersuchung, der andere ist zwei Seiten lang. Ich gebe zu, das ist nicht ganz so kurz wie manch anderer Antrag, aber darin steht vieles zum Thema Kinderschutz und Prävention. Das ist im Übrigen die Überschrift. Sie haben in der vorvergangenen Woche – meine ich – in der „Abendschau“ gesagt: Wenn wir der Idee, die Vorsorgeuntersuchung zur Pflicht zu machen, nachfolgen, sei das ein Generalverdacht gegen alle Eltern. – Ich halte das für ungeheuerlich und absurd.

[Gram (CDU): Bodenlos!]

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

[Frau Jantzen (Grüne): Das haben wir schon beschlossen, Frau Müller!]

Ja! – An der Umsetzung dieses Antrags wird auch schon gearbeitet. Deswegen bin ich verwundert, dass die CDU jetzt einen Antrag gleichen Inhalts erneut einbringt und meint, es sei etwas vollkommen Neues. Der Senat hat uns mit der Mitteilung – zur Kenntnisnahme – vom 2. Dezember 2005 darüber informiert, wie er sich mit dieser Angelegenheit auseinander setzt und dass noch einige Zeit gebraucht wird, um all diese Forderungen umfassend erfüllen zu können.

[Frau Pop (Grüne): Dazu braucht er dann wieder ein halbes Jahr!]

Für die Erarbeitung des Netzwerkes wurde die Arbeitsgruppe konstituiert, die jetzt aus Mitarbeitern der Senatsjugendverwaltung und der Senatsgesundheitsverwaltung besteht. Die Schwerpunkte sind formuliert worden. Es geht um die Erarbeitung eines handlungsrelevanten