Protocol of the Session on January 12, 2006

Zweitens geht es uns darum, das Jugendamt, das mit der Wahrnehmung des staatlichen Wächteramts betraut ist, zu stärken. Das Jugendamt muss diesen Auftrag im Interesse der Kinder und ihrer Rechte stärker wahrnehmen. Das ist im § 8a des SGB VIII klar geregelt. Wir wollen die Jugendämter stärken, damit sie dieser Aufgabe besser gerecht werden. Mit dem Wegweiser für die Berliner Jugendämter hat der Senat ein Instrument geschaffen, mit dem mutiges, schnelles und entschlossenes Handeln gefördert wird.

Drittens: Das vorhandene Netzwerk, das in den Sozialräumen existiert, muss ausgebaut und weiterentwickelt werden. Es muss so geknüpft werden, dass kein Kind durchfallen kann. An diesem Netzwerk müssen sich alle beteiligen: die Hebamme, der Arzt, die Erzieherin, der Lehrer, der Sozialarbeiter, der Polizist und auch die Nachbarin. Kompetenzgerangel ist hier fehl am Platz.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Es ist notwendig, Weiterbildungsangebote für Sozialpädagoginnen, Erzieherinnen, Lehrerinnen usw. zu schaffen, um entsprechende Gefährdungspotentiale frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig darauf reagieren zu können. Wir brauchen ein öffentliches Bewusstsein dafür, dass die ganze Gesellschaft eine besondere Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern hat. Das heißt aber nicht, die Eltern zu entmündigen, sondern ihnen zu helfen, ihrer Erziehungsverantwortung gerecht zu werden. Hinsehen und handeln ist wichtig, um die Rechte von Kindern zu stärken. Dazu gehören so einfache und selbstverständliche Dinge wie das Recht auf Individualität und Selbstbestimmung, das Recht auf Zärtlichkeit, Anerkennung und Bestätigung, das Recht auf gute, ausreichende Ernährung und Körperpflege, das Recht auf schützende Kleidung, das Recht auf ein eigenes Bett. Das hat der Senat in seiner Presseerklärung deutlich gemacht. – Sorgen wir gemeinsam und in Wahrnehmung unserer Verantwortung dafür, dass alle Kinder dieser Stadt eine lebenswerte und erfüllte Kindheit haben.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin Dr. Barth! – Nun folgt die FDP-Fraktion. Das Wort hat der Kollege Dr. Augstin. – Bitte schön!

[Beifall bei der FDP]

Misshandlungen und Vernachlässigungen insbesondere von Säuglingen und Kleinkindern haben gravierende Auswirkungen auf deren physische und psychische Entwicklung. Neben bleibenden körperlichen Schäden kommt es zu Entwicklungsstörungen und emotionalen Störungen, die im Schulalter als massive Verhaltensauffälligkeiten sichtbar werden. Prävention, die in der frühen Kindheit ansetzt, ist effektiver und kostengünstiger. Es geht darum sicherzustellen, dass Defizite beim Kinderschutz aufgedeckt und zielgenau überwunden werden.

[Beifall bei der FDP]

Erforderlich sind Qualifizierungsmaßnahmen für alle Berufsgruppen, die mit Kindern und deren Familien zum Zeitpunkt der Geburt und in den ersten Lebensjahren zu tun haben, sei es in Kitas, Schulen oder Jugendeinrichtungen. Vorhandene Ressourcen müssen ausgebaut werden. Die Kooperation und Vernetzung aller Einrichtungen und insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Gesundheitswesen und Jugendhilfe beim Kinderschutz muss überprüft und vertieft werden. Gleichzeitig sollten die Angebote früher Hilfen für Familien mit Säuglingen erweitert und öffentlich gemacht werden. Die Qualifizierung der Kitamitarbeiter und -mitarbeiterinnen bezüglich der Wahrnehmung von Gefährdungen und beim Kontakt zu den Eltern kann durch Kinderschutzfachkräfte ergänzt werden, die in den Kindertagesstätten beratend zur Seite stehen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Thema der Aktuellen Stunde, speziell zu der zugespitzten Fragestellung, haben mein Kollege Dr. Augstin und mein Kollege Nolte, eigentlich alle – wie ich finde – außer der Fraktion der CDU richtige Ausführungen gemacht. Weil sich der Senat und ich sich einig wissen mit den Damen und Herren in diesem Haus und dem breiten Konsens in unserer Gesellschaft, dass für uns das Kindeswohl ein – vielleicht das wichtigste! – Gut ist, sollten wir uns bei dieser Frage, trotz allen Streits über die richtigen Wege, davor hüten, mit polemischen Zuspitzungen zu arbeiten bzw. etwas zu unterstellen, was verantwortliche Politik nicht leisten kann: Niemand von uns kann durch noch so viele Maßnahmen ausschließen. dass es zu solchen Misshandlungen oder sogar Tötungen kommt. Das ist leider die bittere Wahrheit.

Richtig ist, Herr Kollege Steuer, dass Sie zu Recht darauf hingewiesen haben, dass für die Gesellschaft der Bundesrepublik an zwei Fällen, dem von Jessica in Hamburg und dem von Denis in Brandenburg, auf geradezu erschreckende Weise etwas deutlich geworden ist, was ich persönlich überhaupt nicht für möglich gehalten hätte. In der Tat muss man sich fragen – und da haben Sie Recht mit Ihrer Initiative –, ob es Lücken gibt, wo die Chancen zur Verbesserung liegen und was zu tun ist, um derartige Fälle zu verhindern.

Die CDU-Fraktion fordert ein Sofortprogramm zur Schaffung eines „Netzwerks Kinderschutz und Prävention“. Danach soll es Schwerpunkt sein, ein Netzwerk zu gründen. Die Liberalen meinen, es bedürfe keiner neuen Institution und damit auch keiner solchen Gründung. Vielmehr muss es darum gehen, die Verantwortlichen zum Kindeswohl zu vernetzen. Zu denen gehören nicht nur alle Einrichtungen der Jugendhilfe und des Gesundheitswesens, die Eltern, sondern auch deren Kooperationspartner wie Fortbildungsstätten, Krankenkassen, Senatseinrichtungen, Träger von Krankenhäusern und viele andere mehr.

Als weiteren Schwerpunkt nennt die CDU-Fraktion die Schaffung eines Frühwarnsystems. Nichts ist gegen verstärkte Hausbesuche durch die Jugendämter, Hebammen oder gegen eine laufende Beurteilung des Entwicklungsstandes des Kindes in Tageseinrichtungen zu sagen, aber: Müssen Vorsorgeuntersuchungen für Kinder zur Pflicht gemacht werden? Kommt es nicht vielmehr darauf an, dass die Gesellschaft insgesamt im Interesse des Kindes sensibilisiert wird? – Die CDU hat in ihren Anträgen immer wieder den Eindruck erweckt, als ob die Verpflichtung zu Vorsorgeuntersuchungen den Schutz des Kindes effektiv stärken könnte. Vorsorgeuntersuchungen können einen Beitrag zur Früherkennung leisten, doch wer die Hoffnung schürt, dass damit alle Probleme vom Tisch geräumt seien, macht es sich zu leicht. Wir dürfen nicht vergessen, dass der überwiegende Teil der betroffenen Kinder an diesen Untersuchungen teilgenommen hat. Doch es wurde nichts festgestellt, es erfolgte in vielen Fällen keine Reaktion, keine Handlung seitens der Jugendämter. Das ist das Defizit!

Die Nichtwahrnehmung von Vorsorgeuntersuchungen in einem sehr geringen Umfang basiert in aller Regel nur darauf, dass die moralische Verpflichtung nicht durchgängig internalisiert ist. Kommt es also nicht mehr darauf an, dass die Gesellschaft insgesamt das Interesse am Kindeswohl stärkt? – Wenn die Überforderung der Eltern die Hauptursache des mangelnden Kinderschutzes darstellt, muss es darum gehen, die Unterstützung der überforderten Eltern zu organisieren.

[Beifall bei der FDP]

Dies muss primär durch Qualifizierung der Eltern wie auch ihres sozialen Umfeldes erfolgen. Zu dem gehören auch die Angehörigen und Verwandten und das nähere Umfeld der Eltern. Wir alle müssen wieder lernen, hinzuschauen, unseren Bürgerpflichten nachzugehen und Hilfe zu leisten. Wir dürfen nicht allein dem Staat und damit den Jugendämtern und den Ärzten die Verantwortung überlassen. Wir alle müssen uns kümmern, denn das Kindeswohl ist ein Auftrag an uns alle. – Ich danke!

Danke schön, Herr Kollege Dr. Augstin! – Das Wort hat jetzt der Senat. Herr Senator Böger naht und hat das Wort. – Bitte schön!

Sie haben gesagt, Berlin sei in dem schlimmen Bereich der Kindesmisshandlung „führend“. Ich weiß nicht, woher Sie diese Aussage nehmen! In Berlin gibt es – und das finde ich sehr gut – spezielle Dezernate, die sich sehr intensiv um die Aufklärung von Kindesmisshandlungen kümmern. Dort wird genau hingeschaut. Ich gebe zu, wenn die Polizei hinsieht, ist es bereits ein bisschen spät. Ich nenne Zahlen: Für Berlin sind 2004 durch die Polizei 398 Kindesmisshandlungen gemeldet worden, Vernachlässigungen, sozusagen eine Stufe tiefer, 255 Fälle. Das sind die Zahlen, die mir vorliegen. Ich will das jetzt nicht in Prozentzahlen auf die Anzahl der Kinder in Berlin umrechnen, doch es ist ein geringer Prozentsatz. Es ist jedoch klar, dass jeder Fall einer zu viel ist. Ich glaube auch – –

[Gram (CDU): Das stimmt doch nicht! Lügen wir uns doch nicht in die Tasche!]

Herr Kollege Gram! Haben Sie eine Einlassung? Dann stellen Sie doch eine Frage! –

[Zuruf des Abg.Gram (CDU)]

Ach, Sie wissen sowieso alles besser! Das kenne ich bei Ihnen! Dann bitte ich Sie doch wenigstens zuzuhören! – Diese Zahlen der Polizei zeigen mitnichten, dass Berlin „führend“ ist, sondern zeigen, dass in Berlin genau hingesehen wird. Das ist richtig und gut so.

Frau Pop hat vorhin polemisch gesagt, wir müssten auf Modelle anderer Städte sehen. Das tun wir in Berlin längst. Ich gehöre nicht zu denen,

Ja, das ist auch gut so. – Die Bevölkerung und die Eltern kennen eine oder zwei Nummern für jeden Fall. Die Berliner Polizei ist sehr wohl in der Lage und weiß, wo wir die Berliner Jugendhilfe haben, den Tag und Nacht besetzten Krisendienst, wo gefährdete junge Leute und junge Mädchen Zuflucht suchen bzw. finden können. Wir sollten nicht so tun, als sei dies nichts.

Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, dass vor einiger Zeit auf eine Initiative aus diesem Parlament hin die Berliner Initiative gegen häusliche Gewalt entstanden ist. Auch dies ist eine beispielhafte Initiative, in der außerordentlich viel geleistet und getan wird. Es nicht so, dass wir beginnen. Vielmehr stecken wir schon mitten in der Arbeit.

Ich will nicht verschweigen – die Kollegin Barth hat darauf hingewiesen –, dass in dem Maß, in dem Armut und Kinderarmut in Berlin wächst, die tendenzielle Gefahr, dass Vernachlässigung von Kindern um sich greift, gegeben ist. Dort gibt es auch Zusammenhänge. Damit sage ich nicht, das Armut Kindervernachlässigung sofort nach sich zieht. Das wäre großer Quatsch. Aber man muss feststellen, dass es bestimmte Zusammenhänge gibt.

Was können und müssen wir weiteres tun? – Ich bestreite dies gar nicht, auch nicht die Anregungen der CDU. Das muss gründlich behandelt werden. Wir sollten dies gemeinsam tun. Was wir getan haben, ist der Versuch des Aufbaus eines Netzwerkes in Gesprächen mit den von Ihnen genannten Bereichen: im Senat, in allen Jugendämtern, auch in der Liga, den Kinderärzten und Hebammen.

[Zuruf der Frau Abg. Pop (Grüne)]

die ständig sagen: Wir Berliner wissen und können alles aufs Beste. – Nein, es gibt durchaus einiges, was wir von anderen Gemeinden und Städten lernen können! – In Berlin gibt es sowohl in der Prävention als auch in der konkreten Handlungsebene seitens der Jugendämter hervorragende Modelle, die praxisorientiert sind. Weil mir das sehr am Herzen liegt und ich es mit der Mehrheit des Hauses auch mit über 500 000 € finanzieren kann, möchte ich auf ein Berliner Modell hinweisen, das in nahezu allen Städten der Bundesrepublik kopiert wird. Das sind die Elternbriefe. Die bekommen alle Eltern. Ich bin noch immer erstaunt, dass der Datenschutz nicht auch dabei zugegriffen hat. Diese Briefe gibt es sogar in türkischer Sprache. Sie begleiten die Eltern bis zum achten Lebensjahr eines Kindes mit nahezu allen erforderlichen Informationen. Das wird von sehr vielen Städten nachgeahmt. Was gibt es denn Besseres an Prävention als solch niedrigschwelliges Angebot, alle Eltern zunächst anzuschreiben, ihnen Adressen an die Hand zu geben, sie hinzuweisen auf die richtige Entwicklung des Kindes? – Ich finde, auf diesem Weg können wir aufbauen, das sollten wir nicht madig und schlecht machen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Weiterhin gibt es in Berlin seit längerem – es wird ja gerade so getan, als müssten wir erst anfangen zu handeln! –, genauer: seit dem Sommer, einen ausführlichen Wegweiser „Empfehlungen zum Aufgaben- und Koordinationsbereich Kinderschutz“ für die Berliner Jugendämter. Darin sind die rechtlichen Grundlagen, die Erkennungszeichen und anderes mehr sowie Handlungsanweisungen für die Ämter sehr exakt und sehr gründlich beschrieben. Das ist auch ein richtiger Schritt.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vor einiger Zeit habe ich an die Schul- und Jugendämter geschrieben und darum gebeten, dass die Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugend koordiniert werde. Das ist ebenfalls ein wichtiger Punkt.

Frau Kollegin Schubert und ich haben gemeinsam ein Gespräch mit den Familiengerichten und den Jugendämtern initiiert, damit die Rechtsprechung und auch die Rechtspraxis in Fragen Elternrecht und Kinderschutz im Einzelnen präzisiert und näher aufeinander zugegangen wird. Denn manche Jugendämter, manche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Ämter haben in manchen Fragen resigniert, weil sie sagen: Die Familiengerichte sagen sowieso, die Eltern haben das Recht, und wir können nicht einmal niederschwellig intervenieren. – Das muss man eben auch sehen, und solch kleine Schritte sind wirkungsvoller als manche große plakative Aktionen.

Im Übrigen, Frau Kollegin Pop, gibt es in Berlin sehr wohl 24 Stunden besetzte Hotlines – um diesen modernen Ausdruck zu benutzen.

[Zuruf der Frau Abg. Pop (Grüne)]

[Frau Pop (Grüne): Kennen Sie die BIK-Hotline? Sie arbeitet sehr gut!]

Dann habe ich noch eine außergewöhnliche Bitte, diese lautet, uns nicht jeden Tag über die Medien – heute ist dies meiner Kollegin passiert – attestieren zu lassen, dass ein bestimmter Vorschlag überhaupt nichts taugt. Das stimmt im Übrigen nicht. Jeden Tag erhalten wir über die Medien eine Art Beschimpfung. Warum ist es denn nicht möglich, gemeinsam zu handeln und zu koordinieren? – Es ist doch keine Ebene, wo Bezirk gegen Senat, der Senat untereinander, das Parlament gegen den Senat operiert. Ich verstehe nicht, warum man nicht sinnvolle Hinweise geben kann und gemeinsam daran arbeitet, statt sich täglich zu produzieren und die Berliner Lieblingsvokabel zu erklären: „Das geht nicht. Das reicht nicht.“ Man muss sehen, wie gemeinsam etwas verbessert werden kann. Dabei haben wir vielfältige Möglichkeiten, die wir gemeinsam nutzen werden.

Wir werden auch ein Projekt beobachten, das noch keineswegs Alltagsrealität hat. Es ist hier mehrfach genannt worden. Ich möchte es einmal beschreiben. Die Stadt Düsseldorf probiert das gegenwärtig in mehreren Krankenhäusern aus. Ich finde es sehr interessant und habe mit der Kollegin Knake-Werner besprochen, dass wir gemeinsam überlegen, ob und wie wir dieses übernehmen können. Der Gedanke ist frappierend einfach. Bislang

Es gibt gegenwärtig keine Bundesratsinitiativen. Wenn es welche gäbe und wir gemeinsam mit Hamburg darauf hinwirken sollten, dann werden wir dies auch tun. Ich bin dazu bereit und könnte mir gut vorstellen, dass zumindest deutlich vor dem Schulbeginn, der bei uns glücklicherweise frühzeitig beginnt, eine Untersuchung

verpflichtend eingeführt wird. Weit über 90 % werden von den zu untersuchenden Kindern bzw. deren Eltern wahrgenommen.

Wir sollten gemeinsam an die Arbeit gehen und vor allen Dingen – hier möchte ich einen Appell des Kollegen Dr. Augstin aufgreifen – die vielen erheblichen Potentiale gemeinsam nutzen, wenn wir organisieren, dass Menschen vor allem in Bildungseinrichtungen, aber auch Menschen-Nachbarn hinschauen und nicht wegsehen. Das ist keine Beschnüffelung, sondern Engagement, das erwartet werden kann. Hier geht es auch nicht darum, anzuschwärzen, wenn Menschen anders leben. Darum geht es nicht. Es geht aber sehr wohl darum , zu erkennen, wenn Kinder dauernd allein sind oder auf dem Spielplatz zu beobachten, wie sie aussehen.

Ich sage auch noch etwas Schroffes: Wenn wir in den Schulen feststellen, dass ein Kind bei beispielsweise deutlichen Minustemperaturen mehrfach mit völlig unangemessener Kleidung in die Schule geschickt wird, ist es für mich schon eine Vernachlässigung des Kindes. Man kann auch seitens der Schule und des Jugendamtes den Dingen nachgehen. Genauso wenig habe ich Verständnis dafür, wenn Eltern ihre Kinder in die Schule schicken und sich beispielsweise weigern, das Geld für das Essen zu bezahlen. Auch dem kann man nachgehen und nachforschen und sollte den Ursachen auf den Grund geht. Wenn es eine Frage des Geldes ist, wird es eine Möglichkeit geben zu helfen. Wenn es eine Frage der Vernachlässigung ist, muss man dort intervenieren. – Vielen Dank!

wird darauf geachtet – das ist wichtig genug –, dass die physische Ebene – Frau und Kind – gesund ist. Der psychische und soziale Hintergrund wird aber nicht beleuchtet. Es wäre sinnvoll und gut, wenn beispielsweise bei Teenager-Eltern gleich mit der Einschaltung einer systematischen Betreuung begonnen würde, weil zumindest die Indikation vorhanden ist, dass in diesem Bereich leicht eine Überforderung der jungen Mutter oder des jungen Vaters möglich ist. Das ist ein sehr interessantes Beispiel.

Ich weiß aus meiner Praxis – nicht aus meiner aktiven Vaterschaftszeit, da war es ohnehin so –, dass Sozialdienste nach Hause gekommen sind. Sie haben geschaut, wie das Kind betreut wird. Ich weiß von einem bei mir arbeitenden Kollegen, einem jungen Vater, dass es beispielsweise in Schöneberg diese Besuche ganz offensichtlich regelmäßig gibt. Es kommt jemand vom Jugendamt in das Haus und sieht nach, wie das Kind versorgt wird und wie sich die Angelegenheiten darstellen. Wir sind gegenwärtig dabei zu ermitteln, ob dies in allen Bezirken flächendeckend vorgenommen wird. Ich bin jeweils dafür, diese aufsuchende Arbeit zumindest auf Indikationen hin wirklich zu tun, weil man damit frühzeitig die Ebene eines Gesprächs hat und den überforderten Müttern und Vätern zum Wohl des Kindes helfen kann. Das ist ein vernünftiger Weg.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Zum Schluss möchte ich noch auf eine gewisse Reizvokabel zu sprechen kommen. Ich gebe zu, dass es eine hochinteressante juristische Fragestellung ist, die man nicht so leicht lösen kann. Es ist die Überlegung, ob wir Regel- oder Pflichtuntersuchungen einführen sollen. Wie ist die Abwägung des Freiheits- und Persönlichkeitsrechts gegenüber dem Eingriff einer Regeluntersuchung zu bewerten? – Ich selbst bin in dieser Frage – das gestehe ich freimütig – sehr nachdenklich geworden. Es steht mir überhaupt nicht an zu sagen: „Ja, es kann notwendig sein, dieses Mittel einzusetzen.“ – Ob man dies bei allen Untersuchungen vornehmen muss oder ob man bestimmte Teilaspekte berücksichtigt, muss diskutiert werden.

Parteipolitisch brauchen wir uns nichts vorzuhalten. Es kann sein, dass ich falsch liege. Ich kenne bislang nur eine Fraktion, die durch ihren Sprecher dafür ist. Das ist die PDS-Bundestagsfraktion. Die PDS-Landtagsfraktion hat Bedenken geäußert. Die CDU-Bundesministerin ist strikt dagegen, habe ich gehört. Nun hörte ich auch, der Generalsekretär der SPD sei dafür. Schön, dann haben wir eine Grundlage. Die FDP hat hier vollkommen zu Recht in ihrer Grundhaltung gesagt: „Eigenverantwortungsrecht geht eben vor.“ Wir sollten dies noch einmal gemeinsam überlegen.