Protocol of the Session on October 27, 2005

Auf Grund dieses Ergebnisses genehmigte die Teilanstaltsleiterin am 11. Oktober 2005 eine Ausführung für den 20. Oktober bei deutlich verminderten Sicherungsmodalitäten, nämlich lediglich in Begleitung einer einzelnen Begleitperson aus dem Sozialdienst anstelle von zwei Bediensteten aus dem allgemeinen Vollzugsdienst. Entgegen einer in der JVA Tegel bestehenden Dienstanweisung legte die Teilanstaltsleiterin diese geänderte Vollzugsplanung mit geänderten Ausführungsmodalitäten nicht dem Anstaltsleiter zur Billigung vor.

So weit der äußere Sachverhalt. Er lässt erkennen, dass hier nicht akzeptable Fehler und Verstöße gegen die geltenden Vorschriften vorgekommen sind. Sowohl die Vollzugsplankonferenz als auch die Teilanstaltsleiterin bei ihrer abschließenden Entscheidung haben die Missbrauchs- und Fluchtgefahr bei diesem Gefangenem völlig unterschätzt. Die nach wie vor erkennbare Verstrickung des Gefangenen in sein kriminelles, persönliches Umfeld, wie es bei der Ausführung im Januar 2005 zu Tage getreten ist, ist nicht genügend berücksichtigt worden, vor allem aber ist die eindeutige und kritische Stellungnahme des psychologischen Dienstes in ihrer Bedeutung völlig verkannt worden. Bei richtiger Bewertung der Persönlichkeit des Gefangenen und seines Umfeldes hätte es zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine Ausführung, auch keine durch ausgebildetes Wachpersonal begleitete, geben dürfen. Zumindest hätte die Ausführung weder einer weiblichen noch einem männlichen Bediensteten allein übertragen werden dürfen.

Seit einem vergleichbaren Vorfall im Jahr 2003 ist zwischen der Justizvollzugsanstalt Tegel und der Senatsverwaltung für Justiz eindeutig verabredet worden, dass nach negativem und damit einen Gefangenen enttäuschendem Ergebnis einer Vollzugsplankonferenz zunächst eine geraume Zeit abzuwarten und zu beobachten ist, ob

und wie der Gefangene diese negative Entscheidung verarbeitet. Gegen diese klare Regelung ist durch die Gewährung einer Ausführung bereits so kurze Zeit nach der Negativentscheidung eindeutig verstoßen worden. Noch gravierender stellt sich die Tatsache dar, dass für die Ausführung am 20. Oktober nicht mehr zwei Beamte des allgemeinen Vollzugsdienstes als Begleitpersonen eingeteilt worden sind, sondern lediglich eine einzelne Person, die dazu noch dem Sozialdienst angehört. Nach Nr. 3 der geltenden Ausführungsvorschriften zu § 11 Strafvollzugsgesetz hätte hierzu die Auswahl der Begleitpersonen so erfolgen müssen, dass zur Verhinderung einer Flucht die ständige und unmittelbare Beaufsichtigung jederzeit gewährleistet ist. Dies sind unsere geltenden Vorschriften. Darüber hinaus ist der Verstoß gegen den Entscheidungsvorbehalt des Anstaltsleiters als weiterer schwer wiegender Fehler anzusehen, denn nach unseren bestehenden Vorschriften hätten dem Anstaltsleiter die Ergebnisse der Vollzugsplankonferenz zur Billigung vorgelegt werden und er hätte die Entscheidung treffen müssen.

Auch die Durchführung der Ausführung selbst weist nicht hinnehmbare Mängel auf. Dies betrifft zum einen die Auswahl des Zielortes. Nach den Ausführungsvorschriften der Senatsverwaltung für Justiz zu § 11 Strafvollzugsgesetz können Gefangene ausgeführt werden, wenn dies zur Erreichung des Vollzugszieles sinnvoll ist. Welchen Zweck die Ausführung in zwei verschiedene Lokale, insbesondere in ein gut besuchtes Café am Kurfürstendamm haben sollte, ist in keiner Weise ersichtlich. Darüber hinaus hätte die Sozialarbeiterin nach den Vorkommnissen im Januar 2005 bei dem unabgesprochenem Erscheinen weiterer Personen am Ausführungsort die Ausführung sofort abbrechen und mit dem Gefangenen in die Anstalt zurückkehren müssen.

Insgesamt lässt sich deshalb eindeutig feststellen: Die falsche Gewichtung der vorliegenden Erkenntnisse bei der Prüfung der Fluchtgefahr, die Bewilligung der Ausführung selbst, die falsche Festlegung der Ausführungsmodalitäten und des Zielortes sowie die Nichteinschaltung des Anstaltsleiters stellen zusammengenommen ein schwer wiegendes Versagen dar. Diese Fehlentscheidungen waren ursächlich für die Flucht des Gefangenen.

Hieraus ergibt sich – wie ich in der Öffentlichkeit auch mehrfach deutlich gemacht habe –, dass es auf die Frage, ob ein Mann oder eine Frau allein die Begleitung durchgeführt hat, gar nicht ankommt. Frauen sind in gleicher Weise im Justizvollzug einsetzbar wie Männer. Sie haben mit zwei hier nicht einschlägigen Ausnahmen absolut die selben Rechte und Pflichten wie Männer im Vollzug. Sie werden für die Bewachung von Gefangenen ausgebildet, verfügen über die gleichen Sicherungsmittel wie männliche Bedienstete. Deshalb gab es für mich nach Diskussionen im Vollzug und reiflicher Überlegung keinen Anlass, Anordnungen über einen besonderen Aufgabenkatalog für weibliche Dienstkräfte im Vollzug zu treffen. Hierin finde ich mich in Übereinstimmung mit allen

Anstaltsleitern, den Personalräten und dem Vorsitzenden des Gesamtpersonalrates der Berliner Justiz.

Soweit Sie nach Konsequenzen gefragt haben, teile ich mit, dass der Leiter der Justizvollzugsanstalt Tegel die zuvor erwähnte Teilanstaltsleiterin von ihrer Position abgelöst hat. Diese befindet sich derzeit im Urlaub. Sie ist dort nicht selbst hingegangen, sondern ist dahin geschickt worden. Im Übrigen werden disziplinar- und arbeitsrechtliche Maßnahmen gegen die beteiligten Personen eingeleitet. Ferner überprüft die Anstalt die generelle Praxis bei Vollzugsplanungen und Ausführungen.

Eines muss meiner Ansicht nach klar sein: Wir haben gut ausgebildete Vollzugskräfte – Männer und Frauen. Beide sind in der Lage mit Waffen umzugehen, beide sind in der Lage Fesselungen und Festsetzungen vorzunehmen. Deswegen gibt es überhaupt keinen Anlass, einen Unterschied zwischen Männern und Frauen zu machen.

Danke schön, Frau Senatorin! – Jetzt gibt es die erste Nachfrage des Kollegen Dr. Felgentreu. – Bitte schön, Herr Kollege Dr. Felgentreu, Sie haben das Wort!

Verstehe ich Sie richtig, Frau Senatorin, dass auch künftig männliche Inhaftierte von weiblichen Vollzugsbediensteten bei Vollzugslockerungen begleitet werden?

Frau Senatorin – bitte!

Herr Präsident! Herr Abgeordneter Dr. Felgentreu! Ich werde einmal kurz darstellen, wie so etwas vorgeht, damit die Vorurteile bei den männlichen Kollegen hier im Raum etwas abgebaut werden: Sowohl ein männlicher Bediensteter als auch eine weibliche Bedienstete im Wachdienst hat, wenn ein Gefangener von ihm oder ihr begleitet wird, die Herrentoilette zu inspizieren. Das bedeutet, er oder sie wartet, bis die Toilette frei wird, geht hinein und schaut, ob es Fluchtmöglichkeiten – Fenster, weitere Türen oder ähnliches – gibt. Wenn dies nicht der Fall ist, geht man hinaus, lässt den Gefangenen in die Toilette, bleibt vor der Tür stehen und erwartet ihn dort. Das ist etwas, was sowohl einem Mann als auch einer Frau zuzumuten ist. Unsere Bediensteten sehen das als ihre Pflicht an und haben mir mitgeteilt, dass sie überhaupt keine Schwierigkeiten mit dieser Praxis haben. Das bedeutet: Selbstverständlich werden auch weiterhin weibliche Bedienstete männliche Gefangene begleiten.

Danke schön, Frau Senatorin! – Jetzt geht es weiter mit dem Kollegen Braun, wenn er eine Nachfrage hat.

Selbstverständlich, Herr Präsident! Wenn Sie mich dieses Mal ausreden lassen und nicht – anders als sonst – unterbrechen.

Ich habe Sie nicht unterbrochen!

Frau Senatorin!

Entschuldigen Sie, Herr Braun!

Beim letzten Mal – –

Herr Braun! Entschuldigen Sie! Der Kollege Beisitzer hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass Sie sich noch nicht gemeldet haben. Ich erinnere an den Grundsatz, dass nur derjenige das Wort erhält, der erkennen lässt – wie auch immer –, dass er eine Frage stellen möchte!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Ich wäre dankbar, wenn Sie mich erst einmal ausreden lassen. – Jetzt haben Sie das Wort!

Vielen Dank, Herr Präsident! Ich habe nur darauf hingewiesen, dass ich in der letzten Fragestunde permanent von Ihnen unterbrochen worden bin.

[Oh! bei der SPD]

Frau Senatorin! Ihre Ausführungen zum Toilettengang von Männern und Frauen waren originell. Meine Frage ist eine ganz andere: Machen Sie sich persönlich Vorwürfe im Zusammenhang mit der Flucht von Ismail F., glauben Sie, dass Sie persönlich etwas falsch gemacht haben?

Frau Senatorin – bitte schön!

Herr Braun! Ich könnte jetzt weit ausholen, aber ich glaube, die einfache Antwort „Nein“ reicht hier aus.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Danke schön! – Jetzt geht es weiter mit dem Kollegen Lederer. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Frau Senatorin Schubert! Ich habe die Frage, ob Sie uns sagen können, welche Quote nicht zurückkehrender Strafgefangener in den vergangenen Jahren bei resozialisierungsrelvanten Maßnahmen – die wir alle für richtig halten, wie wir heute im Rechtssausschuss festgestellt haben – aufgetreten ist, vielleicht können Sie auch eine Aussage zur Tendenz treffen. Ich verspreche mir davon Aufklärung darüber, ob es sich hier um eine Kette von unglücklichen Umständen handelt, die ein inakzeptabler „Ausreißer“ sind, oder ob es sich hier um ein Organisationsproblem handelt, das in Auswertung des Sachverhalts grundsätzlicher angegangen werden müsste. – Vielen Dank!

Frau Senatorin – bitte!

Herr Präsident! Herr Abgeordneter Dr. Lederer!

Wir haben uns diese Frage natürlich auch gestellt und deswegen entsprechende Zahlen vorbereitet. Wir haben im Jahr 1992 insgesamt 63 574 Vollzugslockerungen im Berliner Vollzug gehabt, davon 364 Missbrauchsfälle. Im Jahr 2004 – nach kontinuierlichem Anstieg von Vollzugslockerungen und kontinuierlicher Minderung von Nichtrückkehrern bzw. an Missbräuchen – haben wir von ehemals 63 500 Vollzugslockerungen jetzt 110 679 und von ehemals 364 Missbräuchen nur noch 159. Das ist im vergangenen Jahr kein Einzelfall gewesen, sondern es gibt einen kontinuierlichen Anstieg an Lockerungen und ein kontinuierliches Zurückgehen von Missbräuchen. Das zeigt auch, dass mit diesen Lockerungen in unseren Haftanstalten sehr vorsichtig umgegangen wird, dass es aber eine unabdingbare Voraussetzung ist, um resozialisieren zu können. Deswegen haben wir jetzt so viele Vollzugslockerungen. Wir werden das fortsetzen.

Danke schön, Frau Senatorin! – Jetzt ist die Frau Kollegin Richter-Kotowski mit einer Nachfrage dran und hat das Wort. – Bitte schön!

Frau Senatorin! Treffen Informationen zu, dass der entflohene Insasse in der Haftanstalt Schutzgeld erpresste?

Frau Senatorin!

Frau Abgeordnete! Das sind Gerüchte, die uns zugetragen worden sind. Sie werden selbstverständlich geprüft, aber bisher haben wir keine Erkenntnisse, dass es sich hier um mehr als Gerüchte handelt. Ein ehemaliger Gefangener hat einen Brief an die Abgeordneten geschrieben, in dem das behauptet wird. Dieser Brief liegt mir vor. Ich habe ihn geprüft und der Staatsanwaltschaft weitergegeben, um von dort aus die entsprechenden Ermittlungsarbeiten durchzuführen. Aber derzeit haben wir keine Erkenntnisse.

Danke schön, Frau Senatorin!

Jetzt geht es weiter mit der Anfrage des Kollegen Hoff von der Linkspartei.PDS über

Übernahme des Berliner Verlags und Zukunft des Pressefusionsrechts

Bitte schön, Herr Kollege Hoff, Sie haben das Wort!

[Dr. Lindner (FDP): Die Heuschreckenjäger kommen! Die roten Kammerjäger!]

Herr Lindner! Mit Zeckenbegriffen kennen Sie sich ja aus!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Wie bewertet der Senat die geplante Übernahme des Berliner Verlags durch einen Finanzinvestor unter dem

Gesichtspunkt der möglichen Konsequenzen für die Perspektiven der wirtschaftlichen und Arbeitsplatzentwicklung des Verlags sowie der Auswirkungen auf die Medienlandschaft Berlins?

2. Welche Vorstellungen hat der Senat zu den Perspektiven des Pressefusionsrechts vor dem Hintergrund der Zukunft des Berliner Verlags?

Danke schön, Herr Kollege Hoff!

Jetzt ist die Frau Kollegin Ströver von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dran mit der Frage Nr. 9 über

Berliner Verlag vor dem journalistischen Ausverkauf?