Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 75. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, unsere Zuhörer sowie die Medienvertreter ganz herzlich.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, haben wir die neuen Kräfte zu begrüßen. Ich begrüße bei der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für die ausgeschiedene Frau Abgeordnete Jeannette Martins den nachgerückten Abgeordneten Thomas Birk. – Herzlich willkommen!
Dann habe ich zwei nachgerückte Abgeordnete der Fraktion der CDU zu begrüßen: Für den ausgeschiedenen Abgeordneten Karl-Georg Wellmann begrüße ich als neue und zugleich „alte“ Abgeordnete – was nichts über das Alter aussagt – Frau Abgeordnete Cerstin-Ullrike RichterKotowski, die wir schon aus dem Abgeordnetenhaus kennen. – Herzlich willkommen!
Für den ausgeschiedenen Abgeordneten Kai Wegener ist Herr Abgeordneter Marcus Weichert nachgerückt, den wir ebenfalls schon aus dem Abgeordnetenhaus kennen. – Herzlich willkommen, Herr Weichert!
Sodann habe ich das Geschäftliche zu verkünden. Folgende zwei Anträge der Fraktion der FDP sind zurückgezogen worden: „Internationales Medienzentrum für die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Berlin ansiedeln“, Drucksache 15/186 sowie „Pünktlicher Schuljahresbeginn“, Drucksache 15/523.
1. Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS und der SPD zum Thema: „Aufklärung statt Panikmache – Berlins Vorbereitung auf eventuelle Fälle von Vogelgrippe“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Ungerecht, bürokratisch, öffentlich vernichtend kritisiert, vom Rat der Bürgermeister abgelehnt – der Senat muss jetzt endlich auf sein Straßenausbaubeitragsgesetz verzichten!“,
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Berliner Senat lässt Jugendliche allein! – Mangel an Ausbildungsplätzen, holprige Schulreform und Jugendhilfe auf dem Abstellgleis“,
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Rot-rotes Abzockgesetz vor dem Ende? Beim Straßenausbaubeitragsgesetz steht der Senat ohne Mehrheit da!“
Im Ältestenrat konnten wir uns nicht auf ein gemeinsames Thema verständigen. Ich rufe daher zur Begründung der Aktualität auf und bitte noch einmal, sich an die Begrün
dung der Aktualität zu halten und nicht an dem Sachthema zu orientieren. Von der Fraktion der SPD erhält Herr Kollege Pape das Wort. – Bitte schön!
Danke schön, Herr Präsident! – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was könnte aktueller sein als ein Thema wie dieses, das in den letzten Tagen durch sämtliche Medien gegangen ist, das den Leuten in allen Stammtischgesprächen, beim Einkaufen, beim Betreten einer Dönerbude durch den Kopf geht?
Ich habe mir die Mühe gemacht, mich diesbezüglich in der Zeitungslandschaft umzuschauen. Das fängt ganz nett an, wenn Sie sich die „Welt Kompakt“ vom Dienstag ansehen: Zwei nette Papageien unter dem Titel „Ziervögel müssen draußen bleiben“. Im „Kurier“ geht es dann aber schon mit der ersten Notschlachtung wegen der Vogelgrippe weiter, da wird es schon dramatischer. Und wenn man den „Berliner Kurier“ vom Dienstag aufschlägt, so kann man Angst bekommen, dass Hitchcock demnächst in Berlin den zweiten Teil von „Die Vögel“ dreht: Hier werden Krähen abgebildet unter der Überschrift: „Bringen uns diese schwarzen Vögel das Todesvirus?“ Zumindest in der Presse scheint eine gewisse Panik zu existieren. Selbst eine seriöse Zeitung wie der „Tagesspiegel“ macht auf der ersten Seite auf mit „Es war nicht die Vogelgrippe“ und zeigt einen vermummten Veterinär beim Sezieren von Graugänsen.
Das Thema ist in der Stadt virulent, und mittlerweile liegen von den Fraktionen der FDP und der Grünen zwei Anträge vor, die sich mit dem Thema beschäftigen. Der Antrag der FDP gefällt mir dabei besonders, denn da heißt es: „Vogelgrippe nicht dramatisieren!“ Ich möchte heute prüfen, ob alle die, die davon sprechen, dass es keiner Dramatisierung bedarf, dies inhaltlich begründen können.
Es ist sinnvoll, dass wir in diesem Hause über dieses Thema sprechen, da es in der Bevölkerung Verunsicherungen und Ängste gibt. In den Apotheken hört man, dass in den letzten Tagen Grippemittel so gut wie ausverkauft sind – eine Reaktion, die zeigt, dass die Bevölkerung dieses Thema sehr interessiert. Es ist Aufgabe dieses Hauses, auf solche Ängste in der Bevölkerung einzugehen und aktuell an diesem Tag heute deutlich zu machen, dass wir als Politik den Auftrag annehmen, zu informieren, für Sachlichkeit zu sorgen, und dem Senat die Möglichkeit geben, klarzustellen, welche Maßnahmen er bisher ergriffen hat, was von den ergriffenen Maßnahmen auf Bundes- und EU-Ebene zu halten ist und welche Maßnahmen in nächsten Schritten vielleicht noch notwendig sind, um zu verdeutlichen, dass von diesem Haus keine Panikmache ausgeht. Hier geht es um sachliche Information und Klarstellung, was Politik bewirken kann, was Aufgabe von Verwaltung ist, um die Ängste und Verunsicherungen der Bevölkerung abzubauen. Deswegen bitte ich darum, dass Sie dem Antrag der Koalitionsfraktion zur Aktuellen Stunde zustimmen! – Vielen Dank!
Danke schön, Herr Kollege Pape! – Zur Begründung der Aktuellen Stunde der CDU hat der Kollege Czaja das Wort. – Bitte schön, Herr Czaja!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Berlin bedrückt trotz aller Aktualität Ihres Themas trotzdem – es bleibst sicherlich auch weiterhin das wichtigste Thema – die Arbeitslosigkeit. Berlins Unternehmen fehlt es an Finanzkraft und wirtschaftlicher Handlungsfreiheit. Berlins öffentlicher Haushalt ist massiv verschuldet. Die Antwort dieses Senats darauf heißt: ein Straßenausbaubeitragsgesetz, neue Abgaben für private Leute, neue Abgaben für Unternehmen und ein unwirtschaftliches Gesetz auch für die Kommune Berlin. Deswegen ist das das aktuellste Thema des heutigen Tages.
Dieses Gesetz belastet nicht nur Eigentümer, nicht nur Anlieger, nicht nur öffentliche Haushalte, sondern – wie wir seit gestern nach Herrn Stimmann ganz aktuell wissen – auch erheblich die Mieter in Berlin. Der Mieterbund hat sich dazu geäußert; Herr Stimmann hat sich dazu geäußert. Es belastet alle Menschen in dieser Stadt. Deswegen muss es heute hier debattiert werden.
Zehntausende von Berlinern haben sich in den letzten Monaten auf unterschiedlichsten Veranstaltungen über dieses Gesetz informiert und ihren Protest deutlich gemacht. Der CDU-Initiative zum Stopp dieses Gesetzes haben sich Verbraucherschutzverbände, Haus und Grund, der Verband deutscher Grundstücksnutzer, die Berliner Wohnungsbaugesellschaften, die Handwerkskammer, die IHK, der Verband der Berliner Industriellen und Kaufleute und der Mieterbund angeschlossen. In der letzten Woche folgten dieser Position auch die Bezirksbürgermeister von PDS, Grüne und CDU. Auch die sozialdemokratischen Bürgermeister verweigerten die Zustimmung; sie enthielten sich.
Selbst gegen den Druck von Stefan Liebich, der seinen Wahlkreis Biesdorf schon längst verraten hat, haben 11 Abgeordnete der PDS ihr Versprechen eingehalten, das sie unter anderem auf einer Veranstaltung des VDGN gegeben haben, diesem volkswirtschaftlichen Amoklauf ein Ende zu machen und diesem Gesetz nicht zuzustimmen. Dafür sind wir dankbar, dass sich auch 11 Abgeordnete der PDS unserer Initiative angeschlossen haben. – Vielen Dank!
In dieser aktuellen Stunde können wir deutlich machen, dass die Mehrheit des Parlaments dieses Gesetz nicht will, dass die Mehrheit des Parlaments weiß, dass wir aktuell die höchsten Grundsteuern in Deutschland mit 660 % haben. Aktuell haben wir die höchsten Wasser-, Abwasser-, Müllentsorgungs- und Personennahverkehrskosten in Berlin. Wir haben ständig steigende Energiepreise. Es gibt täglich neue Meldungen. Ein Ende ist nicht in Sicht. Der aktuelle Bodenrichtatlas zeigt, dass die Bodenrichtwerte sinken. Die Werthaltigkeit der Berliner
Immobilien nimmt ab. Das ist schlecht für Eigentümer und für Mieter in dieser Stadt. Deswegen darf es ein solches Gesetz nicht geben!
Machen wir heute schnell deutlich, dass es in diesem Parlament keine Mehrheit für ein Straßenausbaubeitragsgesetz gibt. Machen Sie, die 11 Abgeordneten der PDS, deutlich, dass Sie nicht hinter der Linie von Stefan Liebich stehen, der dieses Gesetz mit aller Macht durch das Parlament peitschen will, weil er sich eher auf der Seite des Senats als auf der Seite der Parlamentarier und der Bürger insbesondere im Ostteil dieser Stadt sieht.
Sie haben heute die Chance – dies sage ich an die Abgeordneten der PDS gerichtet –, hier ein Ende zu machen, und nicht nur durch Ankündigungen. Heute und hier soll es zu Ende sein. Es schadet Ihnen innerhalb der Partei überhaupt nicht. Das können Sie jetzt noch machen, bevor wir eine lange Debatte führen, die Investitionen und Spielraum bei Unternehmen, bei öffentlichen Haushalten, aber vor allem bei den Bürgern nicht mehr ermöglicht. Deswegen ist dieses die aktuellste Frage. Wir bitte um Zustimmung. Sie können deutlich machen, ob Sie es ernst meinen!
Danke schön, Herr Kollege Czaja! – Das Wort für die Fraktion der Grünen zur Begründung der Aktualität hat nunmehr der Kollege Mutlu. – Bitte schön, Herr Mutlu!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Jahre 2006 und 2007 werden weitere Belastungen für Zehntausende Berliner Kinder und Jugendliche sowie deren Familien mit sich bringen. Ihre soziale Situation wird sich weiter verschlechtern. Der schulische und berufliche Bildungsnotstand in dieser Stadt wird fortschreiten. Dies wird zumindest dann geschehen, wenn die von der gegenwärtigen Senatskoalition geplanten Mittelkürzungen in der Jugendhilfe Wirklichkeit werden.
Ich möchte dazu ein Beispiel nennen: Im Jahr 2002 war es dem Land Berlin immerhin noch 450 Millionen € wert, notleidende Familien und ihre Kinder zu unterstützen. Seitdem wurde dieser Etat stetig gekürzt. Die Mittel für die Jugendhilfe wurden seit 2002 nahezu halbiert. Um es klarzustellen: Wir reden hier nicht über abstrakte Zahlenspiele, sondern von hochbrisanten familiären Situationen und anderen Themen wie Vernachlässigung und Misshandlungen mit unabsehbaren Folgen für die späteren Biographien der Betroffenen.
Der Wegfall von 40 % der Jugendhilfe kann darüber hinaus nicht isoliert betrachtet werden. Es ergeben sich zahlreiche negative Synergieeffekte gerade und besonders auch im Bildungsbereich. So wird durch die Streichung von Angeboten der Jugendberufshilfe Tausenden von Jugendlichen die Chance auf berufliche Qualifizierung genommen mit allen sozialen Folgen, die das mit sich ziehen wird. Der Ausbildungsplatzmangel gerade in Berlin und Brandenburg wird sich in absehbarer Zeit nicht auflö
Was man der Jugendhilfe an berufsqualifizierenden Angeboten sowie an sozialen Hilfeleistungen nimmt, wird man dann umso mehr von der allgemeinbildenden Schule abverlangen. Eine solche Erwartungshaltung ist aber völlig unrealistisch. Selbstverständlich soll Schule eine Werkstatt des konstruktiven, des vernetzten Lernens, eine Quelle sozialer Integration, des interkulturellen Respekts und auch ein Ort sein, von dem aus Brücken zu jeweiligen Nachbarschaften und allen gesellschaftlichen Gruppen beschritten werden. Schule und berufliche Qualifikation sowie Jugendhilfe müssen Hand in Hand gehen. Das ist keine Frage. Sie dürfen aber nicht finanziell gegeneinander aufgerechnet werden.
Genau diese Gefahr besteht jedoch bei den jetzigen kurzsichtigen Sparvorgaben. Darüber hinaus sind ohnehin alle Schulreformen gemäß dem neuen Schulgesetz ins Stocken geraten. Ich möchte heute nicht vom Ganztagschaos, von Personalausstattungen der Schulen und Kitas, von dem berühmten Maulkorberlass von Herrn Böger reden. Wer genauer wissen will, wie wir von den Grünen uns nachhaltige und interdisziplinäre Bildungspolitik vorstellen, dem empfehle ich unsere aktuelle Bildungskampagne. Hier mache ich einmal etwas Eigenwerbung: „Ich will’s wissen“. Sie findet sich im Internet unter www.ichwills-wissen.info. Dort können Sie es nachlesen. Wir sind der Meinung, dass jeder Mensch begabt ist. Wir wollen alle Begabungen eines Menschen fördern.
Wir fordern nicht nur einen Verzicht auf die geplanten Kürzungen, sondern endlich auch einen parteiübergreifenden Willen, sich einem zukunftsorientierten, modernen, menschengerechten Bildungsverständnis zu öffnen. Schule wird nur Zukunft haben, wenn sie als betreute Ganztagsschule mit individueller Förderung angelegt ist und die bisherigen zentralbürokratischen Gängelungen durch das Vertrauen in die Entscheidungskompetenz der einzelnen Schule ersetzt werden.
Unzertrennbar sind – damit komme ich auch zur Aktualität – damit drei zentrale Punkte verbunden. Zum einen geht es um die Notwendigkeit der vorschulischen Erziehung in den Kitas, ihr die Bedeutung und die entsprechende Schlüsselrolle einzuräumen, die sie real hat. Zum anderen geht es um die kulturelle Integration besonders im Hinblick auf den gründlichen Spracherwerb. Wir alle stehen in der Pflicht, den Kindern und Jugendlichen das breitgefächerte soziale, mentale und intellektuelle Rüstzeug mitzugeben, das sie brauchen werden, um zukünftigen Problemen konstruktiv zu begegnen. Dafür haben wir Politik zu machen, und dafür haben wir nicht zuletzt auch haushaltspolitisch die entsprechenden Prioritäten zu setzen. Aus diesem Grund, meine Kolleginnen und Kollegen insbesondere von der rot-roten Koalition, sind wir der
Meinung, dass dieses Thema der richtige Schwerpunkt für die heutige Aktuelle Stunde ist. Deshalb appelliere ich noch einmal an Ihre Vernunft. Wir haben vom SPDKollegen gehört, dass er das Thema Vogelgrippe selbst nicht so ernst zu nehmen scheint, das hat man bei seiner Begründung gemerkt. Daher: Schwenken Sie um! Stimmen Sie unserem Thema zu!
Danke schön, Herr Kollege Mutlu! – Für die Fraktion der FDP hat zur Begründung der Aktualität nunmehr der Kollege von Lüdeke das Wort! – Bitte schön, Herr von Lüdeke!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben den Wunsch – den auch die CDU geäußert hat –, heute die Aktuelle Stunde über das Straßenausbaubeitragsgesetz zu führen. Der Kollege Czaja hat gerade sehr gut ausgeführt, wie es im Land aussieht und wie aktuell die Diskussion ist; jeder, der dieser Tage die Zeitung aufschlägt, wird permanent auf dieses Thema aufmerksam. Wir sollten uns dieses Themas, das die Leute bewegt – das auch Sie sehr stark bewegt, Herr Doering, das hören wir immer wieder –,