Protocol of the Session on September 29, 2005

Andererseits hat die Linkspartei.PDS diese unbezahlten Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung nicht erfunden. Da waren bekanntlich Ihre grünen Kollegen auf Bundesebene eifrig dabei. Auch wenn Sie noch so sehr nach Transparenz und Positivlisten und was weiß ich noch rufen, der Kern des Übels in den von Ihnen mitverantworteten Hartz-IV-Gesetzen ist nun mal unbestritten. Aus dieser Verantwortung kann man Sie auch nicht heraushalten. Deswegen haben wir den Antrag von Ihnen abgelehnt.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Danke schön! – Für die FDP-Fraktion hat jetzt die Frau Abgeordnete Senftleben das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen und Kolleginnen! Irgendwie habe ich das Gefühl, dass SPD, Linkspartei.PDS – so langsam habe ich es auch im Kopf – an Realitätsverlust leidet. Auf der einen Seite haben wir den Senator vorhin gehört, der bei Unterrichtsausfall nur noch von gefühltem Unterrichtsausfall redet. Die Kollegin Barth meint, dass die Erzieherinnen inzwischen die Ausbildung genossen haben, um die Sprachdefizite auszugleichen. Das kann es nicht sein.

Die Grünen thematisieren mit ihrem Antrag eines der wesentlichen Defizite im vorschulischen Bereich: Kinder zu fördern, dass sie mit Beginn der 1. Klasse dem Unterricht folgen können. Das gilt insbesondere, aber nicht nur, für Kinder nichtdeutscher Herkunft. Die Mehrzahl der Berliner Kitas hat Schwierigkeiten, mit den festgestellten Defiziten richtig umzugehen.

SPD-Linkspartei hat zwei Antworten auf diese Problematik, ich möchte sie noch einmal kurz ins Gedächtnis zurückrufen. Erstens: Die Kinder mit identifizierten Sprachdefiziten werden in die Kitas zurückgeschickt, die

es vorher schon nicht vermocht haben, diese Defizite aufzudecken und sie zu beheben.

[Mutlu (Grüne): Hört, hört!]

Liebe Frau Kollegin Harant! Hier sind Sie schlicht zu blauäugig. Denn es wird erstens kein zusätzliches Personal eingestellt, was notwendig wäre, und zweitens ist das Personal eben offensichtlich nicht in der Lage, dieses konsequent zu beheben.

[Beifall bei der FDP und den Grünen]

Zweitens: Diejenigen, die keine Kita besuchen, werden innerhalb eines halben Jahres mit 10 Stunden Sprachunterricht auf die Schule vorbereitet. – Prima!

[Mutlu (Grüne): Super!]

Herr Böger, da habe ich jetzt einfach einmal eine Frage. Das ist jetzt das erste Mal passiert. Eigentlich müssten Sie doch in den Schulen nachgefragt haben: Wie ist es denn eigentlich gelaufen mit diesem halben Jahr Sprachunterricht? Denn das Ziel war, dass diese Kinder Deutsch sprechen, das heißt, dem Unterricht folgen können, und das ist relativ einfach nachzuprüfen. Ich würde Sie bitten, dieses zu tun, denn der nächste Anmeldetermin für die Erstklässler steht vor der Tür.

Ich sage hier voraus: Alle Maßnahmen, die RotLinkspartei hier eingeführt hat, werden nicht ausreichen. Da sage ich auch ganz deutlich, dass die Grünen da weiter sind. Sie wollen die Qualität verbessern. Das ist richtig. Da haben wir etwas gemeinsam. Aber wir müssen fragen, wie das gehen soll. Lehrerinnen und Lehrer aus der Warteschleife werden in vorschulische Einrichtungen verfrachtet. 250 Lehrerinnen sollen in einem Pool zusammengefasst werden und als Leiharbeiter an Kitas Sprachförderung betreiben. Was spricht dagegen? Die Lösung, dass Billiglehrer entstünden, verehrte Frau Barth, empfinde ich nicht als wirklich große Bedrohung für Berlin. Lieber erst ein bisschen weniger Gehalt akzeptieren als gar keinen Arbeitsplatz; diese Möglichkeit gibt es ja auch. Wir könnten mit dieser Lösung leben.

[Beifall bei der FDP]

Nein, die Verdienstmöglichkeiten sind nicht das Problem. Problematisch ist es schon, wenn man den Nachwuchslehrern schon beim Eintritt in die Kita die spätere Übernahme in den Schuldienst garantiert – von wegen Leistung! Problematisch ist es auch, dass man den zahlreichen Kitas in freier Trägerschaft öffentliches Lehrpersonal schlicht und ergreifend vor die Nase setzt. Das geht nicht, und verehrte Kollegen von den Grünen, das wisst ihr auch.

Das wirklich entscheidende Problem ist jedoch, dass auch dieser Antrag wiederum nur an den Symptomen herumdoktert, die wirklichen Probleme aber nicht löst, sie werden nur angedacht. Notwendig ist eine grundsätzliche Neuorientierung. Berlins Problem besteht zum einen darin, dass wir insgesamt besser ausgebildete Erzieherinnen benötigen. Hierzu hat die FDP Anträge eingereicht, Vorschläge unterbreitet. Hier müssen Nägel mit Köpfen gemacht werden. Die FDP hat außerdem ein Maßnahmepa

ket namens Startklasse vorgelegt, mit dem genau die Probleme, um die es hier geht, nämlich die Probleme der Sprachdefizite ernsthaft angegangen werden. Zur Startklasse gehört eben genau die Zusammenarbeit zwischen Erziehern und qualifizierten Lehrern, die es in dieser Stadt auch gibt. Es gilt, diese Lehrer zielgenau in den Kitas einzusetzen. Allerdings müsste da die Verwaltung auch ein bisschen willig sein. Das ist wahr: Für die Startklasse sind einschneidende strukturelle Änderungen notwendig. Die Zusammenarbeit von Erziehern und Lehrern muss dann auf eine ordentliche Grundlage gestellt und verbindlich organisiert werden.

[Beifall bei der FDP]

So und nur so wird ein Schuh draus. Wir brauchen echte Lösungen, die den Kindern und Jugendlichen in unserer Stadt wirklich weiterhelfen. Was wir nicht brauchen, ist ein grünes Sonderprogramm, das eigentlich über die Defizite hinwegtäuschen will. – Danke schön!

[Beifall bei der FDP]

Danke schön, Frau Senftleben! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Der Ausschuss empfiehlt mehrheitlich – gegen CDU und Grüne – die Ablehnung des Antrags Drucksache 15/3717. Wer dem Antrag jedoch seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Grünen und die CDU. Gegenprobe! – Das sind die Regierungsfraktionen und die FDP. Letzteres war die Mehrheit. Damit ist der Antrag abgelehnt. Enthaltungen sehe ich nicht.

Die lfd. Nr. 15 ist bereits durch die Konsensliste erledigt.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 16:

Beschlussempfehlung

Kinder und Jugendliche nicht im Stich lassen – Angebote der Hilfen zur Erziehung retten

Beschlussempfehlung JugFamSchulSport Drs 15/4267 Antrag der CDU Drs 15/2247

Die CDU hat noch einen Beratungsvorbehalt. Die Beratung wird gewünscht, Herr Steuer erhebt sich und erhält das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vor wenigen Stunden endeten an 120 Orten Berlins Demonstrationen, veranstaltet von der Liga der freien Wohlfahrtsverbände, gegen die erneuten Kürzungen bei den Hilfen zur Erziehung. Erneut sollen 33 Millionen € eingespart werden.

[Doering (Linkspartei.PDS): Sind Sie etwa mitgelaufen? Das ist verboten!]

Selbstverständlich nicht! Das habe ich auch nicht behauptet, Herr Doering! Ich war hier, aber ich habe schon mit Mitgliedern des Ligavorstandes telefoniert und dar

über gesprochen, wie die Demonstrationen verlaufen sind. – Schlecht oder gut ist, dass wir an diesen Demonstrationen erstmalig sehen, wie viele Menschen von den Kürzungen in Berlin betroffen sind, denn das besondere Problem der Hilfen zur Erziehung und der Einsparungen in den letzten Jahren war, dass wir eine breite Trägerstruktur haben und nur beim JAW gesehen haben, wozu diese drastischen Einsparungen führen, die Sie vornehmen, nämlich zu einem Zusammenbruch der gesamten Landschaft in diesem Bereich.

[Klemm (Linkspartei.PDS): Sie wollten doch 8 Millionen streichen!]

Viele Tausend Menschen sind heute in Berlin auf der Straße gewesen, um dagegen zu demonstrieren. Kein anderer Bereich des Haushalts hat so drastische Einsparungen hinnehmen müssen wie die Hilfen zur Erziehung in den vergangenen vier Jahren. Es hat drei Sparrunden gegeben. Insgesamt sind über 40 % der Hilfen zur Erziehung gekürzt worden. Um eine Größenordnung zu nennen, damit sich auch die Nichtfachpolitiker etwas darunter vorstellen können: 7 000 Kinder und Jugendliche sind in den letzten vier Jahren aus den Hilfen zur Erziehung herausgefallen. Die erneute Kürzung von 33 Millionen € wird wahrscheinlich dazu führen, dass weitere 1 500 Kinder in Berlin keine Hilfen zur Erziehung mehr erhalten.

[Zuruf des Abg. Dr. Flemming (SPD)]

In ganz Deutschland staunt man darüber, Herr Senator Böger, was in Berlin geschieht und stellt sich die bange Frage, wie noch der Rechtsanspruch, den es nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz gibt, gewahrt bleibt. Unsere Vermutung ist – so lauten auch viele Meldungen aus den Bezirken –, der Rechtsanspruch wird nicht gewahrt, sondern die Bezirke gehen völlig uneinheitlich vor und kürzen uneinheitlich bei ihren jeweiligen Hilfen zur Erziehung. So bekommt ein Kind mit Legasthenie im Bezirk X eine Förderung und in dem Bezirk Y keine Förderung, weil es dort nach Ansicht des Jugendamts doch noch ausreichende Sprachfähigkeiten hat. Wir sind der Auffassung, so kann man damit nicht umgehen. Es ist notwendig, einheitliche Standards festzulegen. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt. Es kann nicht sein, dass ein Jugendstadtrat, der fachlich überhaupt nicht kompetent ist, über eine Hilfemaßnahme zu entscheiden hat, weil diese Maßnahme eine bestimmte Summe übersteigt. Das ist leider die Realität. Und das hat dazu geführt, dass in vielen Bezirken mehr eingespart wurde, als zunächst verlangt wurde.

Nun gibt es eine neue Zahl: 33 Millionen € sollen bei den Hilfen zur Erziehung eingespart werden. Wir haben im Fachausschuss gefragt, welche fachlichen Standards es für diese Einsparung gibt. Staatssekretär Härtel hat uns geantwortet: Keine! – Das ist eine rein fiktive Zahl des Finanzsenators. 33 Millionen € hat er sich ausgedacht, irgendwie bemessen an dem, was der Bezirk eingespart hat, der in den letzten zwei Jahren mit den Hilfen zur Erziehung am weitesten heruntergegangen ist. Da hat Finanzsenator Sarrazin gesagt: Was der Bezirk kann, das

können auch alle anderen. – So kam er dann auf 33 Millionen €. So geht es nicht!

[Beifall bei der CDU]

1 500 Kinder sind nicht der Spielball des Finanzsenators für irgendwelche Zahlentricks.

Wir brauchen Jugendhilfe und Prävention bei der Jugendarbeit. Auch hier wird von den Bezirken gekürzt. Deshalb ist es kein Argument zu sagen: Was wir bei der Jugendhilfe kürzen, kann die Jugendarbeit auffangen. – Das passiert nicht. Die Bezirke stehen mit dem Rücken zur Wand und sparen in allen Bereichen. Deshalb ist auch dieses Modell der Abfederung von Mehrausgaben, das Sie jetzt vorgeschlagen haben, Herr Sarrazin, nicht zielführend, weil die Bezirke gar keine Spielräume mehr haben, sich mit 50 % daran zu beteiligen. Das wissen Sie genau. Insofern wird es dazu führen, dass Rechtsansprüche nicht mehr eingelöst werden können und dass Kinder, die einen Anspruch nach dem Gesetz auf Hilfen zur Erziehung haben, keine Hilfen mehr bekommen werden. Das ist nicht richtig. Die Kinder, Jugendlichen und Familien dürfen in Berlin nicht im Stich gelassen werden.

[Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Klemm (Linkspartei.PDS)]

Danke schön, Herr Kollege Steuer! – Für die Fraktion der SPD hat nunmehr Frau Kollegin Müller das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Hilfen zur Erziehung oder kurz HzE, wie Eingeweihte sagen, sind gegenwärtig einmal wieder berlinweites Gesprächsthema. Herr Steuer hat uns das auch sehr bildhaft geschildert. Jugendfachleute – Sozialpädagogen, Erzieher und Erzieherinnen, Wissenschaftler sowie auch Jugendpolitiker und Jugendpolitikerinnen – reden über Hilfen zur Erziehung. Die heutige Demonstration wurde von der Liga netterweise an einem Plenartag inszeniert, damit sie auch sicher sein konnte, dass keine Abgeordneten daran teilnehmen können. Finanzexperten reden darüber. Hilfen zur Erziehung sind so ein monströses Gebilde, wo man doch sicher auch noch sehr viel sparen könnte. Auch Journalisten haben das Thema in den verschiedenen Medien dankbar aufgegriffen.

Immer wieder wird mehr oder weniger sachlich über diesen Bereich der Jugendhilfe gestritten. Zum einen geht es um die notwendige finanzielle Ausstattung der Hilfen, zum anderen um die inhaltliche Umstrukturierung, die gerade in vollem Gange ist. Immer wieder wird versucht, eine Verbindung zu dem schrecklichen Mord herzustellen, der von einem Jugendlichen in Steglitz-Zehlendorf begangen wurde. In dieser Legislaturperiode haben wir uns dieses Problems bereits einige Male im Plenum und im Fachausschuss angenommen und haben dieses Problem sehr ausführlich und facettenreich diskutiert.

Dieses Mal ist es der Antrag der CDU mit dem ausdrucksvollen Titel „Kinder und Jugendliche nicht im

Stich lassen – Angebote zur Erziehung retten“, der im Fachausschuss abgelehnt wurde.

[Klemm (Linkspartei.PDS): Weil er blanker Unsinn ist!]

Wer nur die Beschlussempfehlung in den Händen hält, könnte meinen, die Koalitionsfraktionen hätten kein Herz für hilfebedürftige Kinder und Jugendliche und wollten sie im Stich lassen, indem gutgemeinte Anträge der Opposition einfach abgelehnt würden. Bei genauerer Betrachtung – hier sollte man doch sehr aufmerksam sein und auf das Datum gucken – kann man aber feststellen, dass der Antrag bereits zwei Jahre alt ist. Damals ging es um den Haushalt 2004/2005. Zu dieser Zeit wurde der Antrag von der CDU eingebracht, lag – aus welchen Gründen auch immer – auf Eis, und jetzt wird er auf einmal wieder hervorgeholt, wird im Ausschuss sachlich diskutiert und abgelehnt.