Protocol of the Session on September 15, 2005

Letztes Kindergartenjahr für Eltern kostenfrei – Gesetz zur Änderung des Tagesbetreuungskostenbeteiligungsgesetzes – TKBG

Antrag der Grünen Drs 15/4241

Ich eröffne die I. Lesung. Für die Beratung steht den Fraktionen eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt der Antragsteller, und zwar in Person von Frau Jantzen. – Können sich bitte alle hinsetzen und die Geschäftsführer in den hinteren Teil des Raumes gehen, um dort weiter zu beraten! Danke schön! – Frau Jantzen, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass die Abstimmung über den Antrag, den wir jetzt beraten, mit weniger Hindernissen vonstatten geht als die letzte.

Es ist selten genug, dass Anträge von uns bei SPD und PDS so viel Entscheidungsfreudigkeit auslösen, wie dies bei unserem erneuten Antrag zum Thema „Letztes Kindergartenjahr für Eltern kostenfrei“ der Fall ist. Es freut uns für die Kinder und Familien dieser Stadt, dass die PDS ihre Wahlaussage von 2001 und die SPD ihren Parteitagsbeschluss vom April diesen Jahres endlich umsetzen wollen, auch wenn uns das, ehrlich gesagt, etwas zu lange gedauert hat. Ich hoffe aber auch, dass dieser Entschluss wirklich einem Umdenken zu Gunsten der Bildung in der Koalition und nicht nur der Wahl am Sonntag zu verdanken ist.

[Frau Senftleben (FDP): Natürlich!]

Kinder sind unsere Zukunft. Sie haben ein Recht auf Bildung, individuelle Unterstützung und Förderung in und außerhalb der Familie. Um in Zukunft im internationalen Vergleich mithalten zu können, müssen wir die Bildung und Erziehung insbesondere in der frühen Kindheit entscheidend verbessern. Von großer Bedeutung ist dabei – das zeigen alle internationalen Vergleichsstudien der letzten Jahre –, dass wir die Qualität und den Zugang zur Elementarbildung in den Kindertagesstätten verbessern. Die Förderung im Vorschulalter legt bisher noch nicht für alle Kinder, insbesondere nicht für die aus weniger privilegierten Elternhäusern, eine ausreichende Grundlage für eine erfolgreiche schulische Laufbahn. Das müssen und das wollen wir ändern.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Nolte (SPD)]

Bündnis 90/Die Grünen meinen nicht erst seit heute: Kindergärten sind Bildungsgärten. Kitas sind die erste Stufe des Bildungssystems. Alle Kinder sollen diese möglichst früh, zumindest aber im letzten Jahr vor Schulbeginn besuchen, damit sie eine optimale Vorbereitung auf die Schule erhalten. Der gerade vorgelegte Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung bestätigt noch einmal, dass frühe Förderung in öffentlichen Einrichtungen Nachteile im familiären Umfeld ausgleichen kann. Dies gilt insbesondere für die Sprachförderung. Deshalb müssen aus unserer Sicht Kindertagesstätten die gleiche Bedeutung erhalten wie die Schule. Dazu brauchen sie zum einen verlässliche Rahmenbedingungen und zum anderen die Kostenfreiheit, um allen Kindern den Zugang zu Bildung zu ermöglichen – langfristig von null bis zum Schuleintritt. Dieses Ziel können wir jedoch nicht von heute auf morgen erreichen, vor allem in Anbetracht der Haushaltslage des Landes Berlin.

Wir gehen mit dem Antrag, dem SPD und PDS, soweit ich es der Presse entnommen habe, offensichtlich zustimmen werden, einen ersten Schritt zur Kostenfreiheit im letzten Kindergartenjahr vor der Schule. Wir denken, dass dies ein Beitrag ist, um die Bildungs- und sozialen Chancen aus weniger privilegierten Bevölkerungsschichten entscheidend zu verbessern und gleichzeitig auch junge Familien finanziell zu entlasten.

[Beifall bei den Grünen]

Wir alle wissen, dass das gerade in Berlin mit seiner Sozialstruktur und dem hohen Anteil von Kindern sowohl deutscher als auch nichtdeutscher Herkunft mit Sprachschwierigkeiten besonders wichtig ist.

In der Mehrzahl unserer Kindertagesstätten sind in den vergangenen Jahren trotz Verschlechterung der Personalausstattung erhebliche Anstrengungen unternommen worden, um die Qualität der Förderung, Bildung und Erziehung zu verbessern. Damit alle Kinder gute Startchancen für ihren Bildungs- und Lebensweg erhalten, sind aber noch erhebliche Anstrengungen seitens der Politik nötig. Mit dem Bildungsprogramm, den Anforderungen an Qualitätsentwicklung im neuen Kitafördergesetz und besseren Möglichkeiten für individuelle Förderung unter anderem auch durch das Sprach- und Lerntagebuch sind wichtige Grundlagen dafür geschaffen worden. Die Koalition hat aber bis heute noch nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen, wie beispielsweise die Rücknahme der Reduzierung bei der Freistellung für Leitungsaufgaben, die wir für die Umsetzung des Bildungsprogramms für unabdingbar erachten.

Unsere zahlreichen Initiativen in den vergangenen Jahren auf Landes- wie auch Bundesebene – ich erinnere an das Tagesbetreuungsausbaugesetz – beweisen: Bei Bündnis 90/Die Grünen hat Bildung Priorität – und zwar nicht nur in Wahlkampfzeiten, sondern über die ganze Legislaturperiode.

[Beifall bei den Grünen – Beifall der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Die Berliner Wahlen im kommenden Jahr stimmen uns optimistisch, dass auch unsere künftigen Anträge zur Verbesserung der Qualität der Bildung mit „offenen Armen“ – wie heute in der Presse zu lesen gewesen ist – empfangen werden, und dass im Interesse der Zukunftsfähigkeit unserer Stadt und unserer Kinder.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Frau Kollegin Jantzen! – Das Wort für die SPD-Fraktion hat nunmehr der Kollege Nolte. – Bitte schön, Herr Nolte!

Danke schön, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Wir werden heute vermutlich ziemlich gleichlautende Reden halten, nachdem wir bereits der Presse entnehmen konnten, dass der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Michael Müller, für die SPD und die Koalition erklärt hat, dass wir das letzte Kitajahr vor dem Schuleintritt beitragsfrei stellen wollen.

[Frau Senftleben (FDP): Wahlkampf!]

Dies entspricht nicht nur einem Beschluss des SPDLandesparteitags vom 9. April 2005, sondern es ist ein Vorhaben der Koalition, es ist nämlich Teil unseres bildungs-, familien- und integrationspolitischen Gesamtkonzepts. Spätestens seit den PISA-Untersuchungen wissen wir, wie wichtig frühkindliche Bildung und Erziehung für den weiteren Lebensweg eines jeden Menschen sind. Wir wissen auch, dass für unsere moderne Industriegesell

schaft das Humankapital eine der wichtigsten Grundlagen ist.

Kindertagesstättenplätze gewährleisten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und sie sind wesentlicher Baustein des Programms „Integration durch Bildung“ für Kinder mit Migrationshintergrund. Ich gehe davon aus, dass darüber in diesem Haus Einigkeit herrscht. Deshalb ist es erstrebenswert, dass jedes Kind mindestens im letzten Jahr vor dem Schuleintritt eine Kindertagesstätte besucht. In Berlin haben im letzten Jahr 96 % aller Kinder dieser Altersgruppe entweder die kostenpflichtigen Vorschulgruppen in den Kindertagesstätten oder die kostenfreien Vorklassen in den Schulen besucht. Mit dem Berliner Bildungsprogramm für Kindertagesstätten – Frau Jantzen hat darauf bereits hingewiesen – erhöht der Senat die Qualität von Bildung, Erziehung und Betreuung in den Kindertagesstätten in kommunaler und in freier Trägerschaft. Er stärkt damit ihren Charakter als Bildungseinrichtungen.

Die OECD hat Deutschland erst kürzlich bescheinigt, dass es im Bereich Bildung stark aufhole, aber das Tempo der Reformen noch beschleunigt werden müsse. Berlin ist im Hinblick auf die Reformen in der Spitzengruppe. In Berlin wird die neu geschaffene Schulanfangsphase – hier ist der Zusammenhang mit dem letzten beitragsfreien Kitajahr – um so erfolgreicher sein, je besser die Schüler bereits zu Schulbeginn die sprachlichen und verhaltensmäßigen Voraussetzungen erfüllen, um dem Unterricht folgen zu können.

Über den Tag hinaus gedacht, müssen wir Überlegungen anstellen, wie wir Kinder mit sprachlichen, gesundheitlichen oder verhaltensmäßigen Defiziten besser und schneller in einer Kindertagesstätte betreuen können. Hier sollte man den Gedanken, den Kitabesuch verpflichtend zu machen, nicht aus dem Auge verlieren, auch wenn dies im Moment nicht zur Debatte steht. Die von der Koalition ab dem 1. Januar 2007 beabsichtigte Kostenfreiheit des Kitabesuchs im letzten Jahr vor der Einschulung könnte für solche Überlegungen und Prüfungen hilfreich sein.

Die Elternbeteiligung an den Kitakosten ist übrigens keine sozialdemokratische Erfindung. In Berlin ist die Elternbeteiligung erst in den 80er Jahren von einem CDUFDP-Senat eingeführt worden. Inzwischen haben sich jedoch alle an die damit verbundenen Einnahmen gewöhnt. Es bedarf noch einer großen Kraftanstrengung der Koalition – nach der Grundsatzentscheidung für das beitragsfreie letzte Kitajahr –, die damit verbundenen Mindereinnahmen auszugleichen. Denn obwohl in Berlin im letzten Kitajahr nur der Halbtagsbeitrag gezahlt werden muss, beträgt die Mindereinnahme ca. 10 Millionen € im Jahr.

Nun fragen einige, ob die Beitragsbefreiung im letzten Kitajahr mit der Klage Berlins vor dem Bundesverfassungsgericht auf finanzielle Hilfen des Bundes vereinbar ist. Aus meiner Sicht ist sie das. Nur wenn Berlin diese Klage verlöre, würden alle nichtgesetzlichen Leistungen

auf dem Prüfstand stehen. Koalition und Senat gehen von einem Erfolg der Klage aus. Wir werden die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor dem 1. Januar 2007 kennen, dem Zeitpunkt, zu dem die Beitragsfreiheit in Kraft tritt.

Im übrigen steht Berlin mit der Entscheidung für ein betragsfreies letztes Kitajahr glücklicherweise nicht allein da. Im Haushaltsnotlageland Saarland gibt es diese Beitragsfreiheit seit dem Jahr 2000, und das Land RheinlandPfalz plant sie ab 1. Januar 2006. Deshalb sind wir guter Hoffnung, dass wir sowohl die Klage auf Bundeshilfen gewinnen als auch an die Berliner Eltern das Signal geben können, den Besuch der Kindertagesstätten im letzten Jahr genauso selbstverständlich zu empfinden wie den späteren Schulbesuch selbst. Und wir kommen – auch darauf wies Frau Jantzen übereinstimmend hin – mit dieser Entscheidung einen weiteren Schritt näher an das Ziel heran, dass alle Kinder die Kindertagesstätte einmal als kostenlose Bildungseinrichtung besuchen können. Auch das bleibt ein Ziel unserer Koalition. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der Linkspartei.PDS und den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Nolte! – Von der CDU ist mir der Kollege Steuer gemeldet worden, der aber offensichtlich nicht im Saal ist. Dann hat von der Linkspartei.PDS Frau Dr. Barth das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Vorredner haben eigentlich schon die Position der PDS preisgegeben.

[Zuruf von der FDP: Oh!]

Ich hätte mir das vielleicht schenken können, aber Sie sollten dennoch zuhören, was wir zu sagen haben.

Der vorliegende Antrag der Fraktion der Grünen beinhaltet, künftig das letzte Kindergartenjahr gebührenfrei zu gestalten. Ich will mich heute in der Befassung mit Ihrem Antrag auf zwei Schwerpunkte konzentrieren.

Erstens will ich mich noch einmal inhaltlich zu dem Vorschlag äußern, das Vorschuljahr für die Berliner Kinder kostenfrei oder – besser gesagt – entgeltfrei zu gestalten.

[Frau Senftleben (FDP): Endlich mal der richtige Ausdruck!]

Zweitens müssen wir über die notwendigen Bedingungen zur Realisierung sprechen.

Meine Partei unterstützt jeden Schritt zur Beitragsfreiheit vorschulischer Förderung, denn für uns beginnt Chancengleichheit aller Kinder damit, dass sie unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern an der vorschulischen Bildung teilnehmen können.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

In vielen anderen europäischen Ländern ist das schon längst umgesetzt. In Deutschland – auch unter der gegenwärtigen rot-grünen Regierung – tut man sich sehr schwer damit. Erst unter dem Eindruck von PISA begann sich das öffentliche Bewusstsein zu ändern. Langsam reift die Erkenntnis, dass der vorschulischen Förderung aller Kinder ein völlig neuer Stellenwert einzuräumen ist. Dieser höhere Stellenwert ergibt sich für die Linkspartei.PDS vor allem aus zwei bildungspolitischen Gründen:

Erstens: Neue wissenschaftliche Erkenntnisse machen deutlich, dass das kindliche Hirn in keinem anderen Alter so aufnahmefähig ist wie in der frühen Kindheit. Berliner Kinder werden nach dem neuen Schulgesetz schon mit fünfeinhalb Jahren eingeschult. Mit dem neuen Bildungsprogramm und der Sprachförderung bietet Berlin für die Kinder gute Voraussetzungen für die Vorbereitung auf die Schule. Diese Voraussetzungen sollen allen Kindern zugute kommen.

Zweitens: Die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern haben sich unter unseren heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen grundlegend geändert. Viele Kinder werden heute unter anderen Familienverhältnissen – als Einzelkinder in Einelternfamilien, als Kinder in Migrantenfamilien und leider auch zunehmend unter Armutsverhältnissen – groß. Zurzeit sind mehr als 47 000 Kinder unter sieben Jahren in Berlin arm. Diese Verhältnisse prägen ihre Entwicklung. Meine Partei will, dass auch diese Kinder die gleichen Chancen zur Vorbereitung auf die Schule erhalten.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Beifall des Abg. Nolte (SPD)]

Wir sind immer davon ausgegangen, dass der Kindergarten eine Bildungseinrichtung ist, der in seiner Bedeutung der Schule nicht nachsteht. Die Forderung nach einem Zugang zur vorschulischen Bildung unabhängig vom Geldbeutel der Eltern ist daher für meine Partei nur folgerichtig und konsequent, übrigens auch in unserem Wahlprogramm nachlesbar. Wir freuen uns selbstverständlich, wenn auch in anderen Parteien diese Erkenntnis wächst.

[Zurufe von den Grünen und der FDP]

Nun zur Frage der Machbarkeit des Antrags: In Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, den Sie gewissermaßen wenige Stunden vor der Bundestagswahl ins Plenum eingebracht haben, sagen Sie allerdings kein Wort zur Finanzierung. Nicht einmal eine Finanzierungsidee deuten Sie an.

[Zurufe von den Grünen]

Und nun kommen die Probleme. Sie erinnern sich hoffentlich noch an Ihre eigene Klage zur Verfassungskonformität des Berliner Haushalts, in der festgestellt worden ist, dass ein zu hoher Anteil der konsumtiven Ausgaben vorliegt.

[Zurufe von den Grünen]

Außerdem klagt Berlin wegen seiner Haushaltsnotlage gegenwärtig vor dem Bundesverfassungsgericht. Das