Protocol of the Session on June 16, 2005

Ich mache Ihnen, Frau Senftleben, ein Angebot: In Rheinland-Pfalz regiert die FDP mit, in NordrheinWestfalen ebenso. Wenn Sie mir in beiden Ländern eine einzige gebundene Ganztagsgrundschule zeigen können, die eine vergleichbare personelle Ausstattung wie in Berlin hat, dann lade ich Sie zu einem Essen ein.

[Beifall bei der SPD – Dr. Lindner (FDP): Spaghetti all’ arrabbiata!]

Eine Nachfrage der Abgeordneten Senftleben – bitte schön!

Das Angebot finde ich schon einmal sehr nett, und ich gehe gern darauf ein, Herr Senator! Aber Ihr Hinweis auf die Traueranzeige hat nichts mit diesem bildungspolitischen Zeugnis zu tun, welches von Eltern verteilt wurde. Ich habe noch einmal die Frage an Sie: Finden Sie nicht diesen Umgang mit dem Urteil von Eltern etwas von oben herab und den Eltern gegenüber arrogant?

Herr Senator Böger!

Herr Präsident! Frau Abgeordnete Senftleben! Sie sprachen jetzt von den Eltern. Ich weiß nicht, ob alle Friedrichshain-Kreuzberger Eltern gefragt worden sind. Dass sich

Eltern für ihre Kinder und deren Bildung einsetzen, finde ich nicht nur nicht schlecht, sondern außerordentlich gut. Dafür bin ich dankbar.

[Beifall bei der SPD]

Jetzt ist der Kollege Tromp mit einer Frage an der Reihe. – Bitte, Herr Tromp!

Herr Senator Dr. Sarrazin!

Es gibt immer wieder Beschwerden, auch sehr zahlreiche. Mir ist eine bekannt, bei der die Verlegung einer Haltestelle um 80 Meter etwa 5 000 Unterschriften nach sich zog. Soll man nun all diesen 5 000 antworten? – Wir wollen natürlich auf ernst zu nehmende Beschwerden eingehen, dazu werden auch beachtliche Kapazitäten gebunden. Ich als Aufsichtsratvorsitzender beantworte etwa 20 Schreiben in der Woche, in denen sich Bürger beschweren – ob zu Recht oder zu Unrecht, ist eine andere Sache. Diese Dinge müssen allerdings im Rahmen bleiben. Es kann allerdings auch sein – das will ich gar nicht abstreiten –, dass bei diesen zahlreichen Beschwerden vielleicht die eine oder andere nicht perfekt bearbeitet wird. In der Summe aber besteht nach dem, was ich sehe, kein Anlass, hierüber Klage zu führen.

Danke schön, Herr Senator! – Eine Nachfrage des Kollegen Tromp. – Bitte!

Herr Senator Sarrazin! Wenn ich Sie also recht verstanden habe, kann es sich hier nur um einen

Die gute Zukunft der BVG liegt nicht nur im Interesse der Beschäftigten der Berliner Verkehrsgesellschaft und des Senats von Berlin. Sie liegt in unserem gemeinsamen Interesse für das Land Berlin, für einen leistungsfähigen

öffentlichen Nahverkehrssystemverbund mit der S-Bahn und der BVG, damit wir unsere Stadt in diesem Sektor leistungsfähig halten können. Ich habe am 16. Juni 2001 das Amt des Regierenden Bürgermeisters angetreten – vor vier Jahren. Hätte man mir vor vier Jahren die Frage gestellt: Herr Wowereit, glauben Sie, so schnell, friedlich und im Einvernehmen eine Lösung, einen Absenkungstarifvertrag mit Verdi bezüglich der BVG zu finden?, dann hätte ich mit einem klaren Nein geantwortet. Das zeigt, wie deutlich sich die Stadt verändert hat, sich den Notwendigkeiten angepasst hat und nicht mehr die Probleme ignoriert und aussitzt, sondern sie anpackt. Dafür bin ich allen Beteiligten, die das ermöglicht haben, dankbar.

Wir sind noch immer mitten in einer Urabstimmung. Bis heute, Mitternacht, läuft die Urabstimmung über die Frage, ob ein Absenkungstarifvertrag geschlossen werden soll. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben selbst zu entscheiden – das war von der Gewerkschaft initiiert –, ob sie auf Geld verzichten, das ihnen nach der jetzigen tariflichen Situation zusteht. Nach der Einigung wird diese Urabstimmung bis heute Nacht durchgeführt. Die Urnen, in denen sich die Abstimmungsunterlagen befinden, werden nicht geöffnet. Die Gewerkschaft wird in den einzelnen Betriebsteilen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BVG das Ergebnis der Einigung, die wir heute erzielen konnten, zur Abstimmung stellen. Wenn sie zustimmen, kann dies in einen Tarifvertrag gegossen werden. Ich appelliere an dieser Stelle ganz nachdrücklich an die Beschäftigten der BVG, dem einstimmigen Votum der Tarifkommission von Verdi und den Empfehlungen von Frank Bsirske und Susanne Stumpenhusen zu folgen und dem schmerzlichen, aber zukunftsweisenden Ergebnis zuzustimmen.

bedauerlichen Einzelfall handeln, dem abzuhelfen Sie sicherlich mithelfen werden.

Herr Dr. Sarrazin!

Das war aus meiner Sicht keine Frage, sondern eine Feststellung. Ich habe nicht die Absicht, mich diesbezüglich als Aufsichtsratvorsitzender in das Management einzumischen.

Danke schön, Herr Dr. Sarrazin! – Durch Zeitablauf ist die Spontane Fragestunde beendet.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 2 A:

Erklärung des Regierenden Bürgermeisters

Zukunft der BVG

Das Wort hat der Herr Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit. – Bitte schön, Herr Wowereit!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst dafür entschuldigen, dass die Ankündigung für die Regierungserklärung so kurzfristig kam. Die aktuelle Entwicklung des heutigen Tages rechtfertigt jedoch diese Kurzfristigkeit.

Am heutigen Vormittag haben sich der Senat von Berlin und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nach einer nächtelangen Verhandlungsrunde in einer politischen Einigung auf die Eckpunkte eines Tarifvertrages für den Nahverkehr verständigt.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Wir sichern damit langfristig die Zukunft der BVG, und ich verbinde damit die Hoffnung, den drohenden Streik bei der BVG abwenden zu können. In vertrauensvollen Gesprächen, an denen der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Bsirske, die Berlin-Brandenburger Landesvorsitzende Stumpenhusen und andere teilgenommen haben, konnte es gelingen, diese Einigung zu Stande zu bringen. Ich bedanke mich bei allen Beteiligten, insbesondere bei den Verantwortlichen von Verdi, aber natürlich auch bei den Vertreterinnen und Vertretern der Beschäftigten, bei Herrn Nitzgen und Herrn Bäsler, für die konstruktive Zusammenarbeit in dieser nicht leichten Verhandlungssituation. Die Möglichkeit, sich zu einigen, war nicht von vorneherein automatisch gegeben. Es ist vielmehr ein Beweis für den Mentalitätswechsel, der in Berlin stattfindet. Nach dem Solidarpakt im öffentlichen Dienst ist uns auch jetzt bei der BVG eine solidarische Lösung im Interesse der Zukunft des Unternehmens gelungen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Die Ergebnisse dieser Einigung, die ab 1. September 2005 gelten sollen, sind sicherlich dramatisch – dramatisch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ihnen wird abverlangt, auf wesentliche Teile ihres Gehaltes zu verzichten. Dies wird auf der anderen Seite kompensiert mit einem klaren Bekenntnis des Landes Berlin und damit natürlich auch der Bürgerinnen und Bürger zur BVG. Es ist deutlich zu machen, dass es ein gemeinsames Projekt ist – keiner hat ein Interesse daran, dass es der BVG schlecht geht. Wir haben ein großes Interesse daran, dass unser Unternehmen, die BVG, erfolgreich arbeitet und erfolgreich aufgestellt wird für die Zukunft.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Die Sicherstellung des öffentlichen Nahverkehrs und ein gutes und breites Angebot für die Berliner Bevölkerung und die Gäste der Stadt sind ein wesentliches stadtpolitisches Ziel, das wir gemeinsam verfolgen. Wenn es auch vom Einzelnen vielleicht gar nicht mehr zur Kenntnis genommen wird, weil es Normalität ist: Die Leistungen der BVG, das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin sind einzigartig in der gesamten Bundesrepublik und höchstwahrscheinlich auch weltweit. Dafür sind wir dankbar, und wir müssen dafür kämpfen, dass dies so bleibt.

RBm Wowereit

Wir haben bei der BVG eine besondere Situation, wo ein Unternehmensteil – Berlin Transport – als eigenständiger Bereich geführt wird, der andere tarifliche Voraussetzungen hat, als es bislang bei der BVG AöR der Fall war. Das gilt z. B. vor allem für die Arbeitszeit. Die Arbeitszeit wird in dem Bereich von 41,75 auf 39 Stunden

abgesenkt. Dieses muss kompensiert werden durch Leistungen, die an anderer Stelle erbracht werden. Deshalb sind die Einsparungen, die im Personalbereich eigentlich zu erbringen sind – weil dadurch höhere Kosten bzw. ein Einstellungsbedarf entsteht –, selbstverständlich größer als diese 38 bis 39 Millionen €, so dass also insgesamt ein Betrag von 44 Millionen € an Personalkosen eingespart werden muss, den die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort einbringen müssen.

Eine solche Art von Absenkungstarifvertrag ist für keine Gewerkschaft leicht. Es ist selbstverständlich nicht einfach, den Mitgliedern von Verdi zu vermitteln, dass sie auf Geld verzichten müssen. Wenn wir uns vorstellen, welche Situation wir hätten, wenn es zu keinem Abschluss kommen würde: Dann würde gar nichts passieren. Dann würde fortgeschrieben werden, was bislang die Tarifsituation ist. – Eine Gewerkschaft sagt in dieser Situation: Nein, wir stellen uns den Herausforderungen. Wir sind auch bereit, Einschnitte hinzunehmen, um etwas für die Zukunftsfähigkeit des Betriebes zu tun und um auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Sicherheit zu geben – in dem Fall für einen Zeitraum von 15 Jahren bis zum Jahr 2020. – Sie können in diesem Fall dann sicher sein, dass auch der Eigentümer, das Land Berlin, zu seinem Unternehmen steht. Dass man sich in dieser Abwägung dafür entscheidet, ist ein bedeutendes und gutes Zeichen für eine Solidarität auch in öffentlichen Unternehmen. Das kann man nicht hoch genug bewerten.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]

Das bedeutet auch, dass wir ein Unternehmen, das bei der Angebotsstruktur selbstverständlich nicht kostendeckend arbeiten kann, weil wir nicht erwarten können und wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger kostendeckende Preise bezahlen, subventionieren müssen. Wir müssen sagen, dass dieses breite Angebot bedeutet, dass die öffentliche Hand einen Zuschuss zahlt. Bei einem Zuschuss, der pro Jahr weit über 400 Millionen € liegt und in der Größenordnung mehr nach 500 Millionen € tendiert, je nachdem wie man Investitionszuschüsse dort berechnet, und bei einem hohen Schuldenstand der BVG von weit über einer Milliarde € muss es aber selbstverständlich werden, dass die BVG betriebswirtschaftlicher geführt werden muss und dass bestimmte Dinge, die in der Vergangenheit entstanden sind, beendet sein müssen. Und das bedeutet auch: Wer die BVG sanieren will, der muss in dieser wirtschaftlichen Situation und auch im Vergleich zu anderen Entwicklungen in öffentlichen Betrieben sagen: Ja, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BVG müssen einen Beitrag leisten und auf einen Teil ihres Gehaltes verzichten, um ihren Arbeitsplatz für die Zukunft zu sichern. – Ich glaube, das ist in der heutigen Zeit ein wesentliches Gut.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Diese Arbeitsplatzsicherung kann dadurch erzielt werden, dass Personalkosten in der Größenordnung von 38 bis 39 Millionen € pro Jahr eingespart werden. Diese Summe ist nur in der Weise zu Stande zu bringen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einen erheblichen Teil ihres Gehalts verzichten, und zwar einerseits durch einen Verzicht beim normalen Gehalt mit einer Arbeitszeitreduzierung und andererseits durch eine drastische Reduzierung ihrer Sonderzuwendungen. Das heißt, das so genannte Weihnachtsgeld wird auf 1 000 € pro Person gesenkt und für alle gleich ausgezahlt. Zudem wird das Urlaubsgeld abgeschafft.

Damit ist ein Beitrag insgesamt zu leisten, und dieser Beitrag wird auch von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des so genannten AT-Bereichs – des außertariflichen Bereichs – und des Vorstandes geleistet, dem man insgesamt die Gehälter um 12 % kürzt, um deutlich zu machen: All das, was dort geschieht, muss solidarisch geschehen, und derjenige, der mehr hat, kann auch mehr bezahlen. – Es muss ein ausgewogenes Verhältnis sein, wo deutlich wird, dass diejenigen mit den großen Gehältern im Vorstand und im außertariflichen Bereich stärker herangezogen werden als die Arbeiterinnen und Arbeiter und die Angestellten des BVG-Betriebes.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Das Land Berlin wird sich durch einen Anwendungsvertrag verpflichten – auch durch eine Erklärung des Senats –, dass das Eigentum an der BVG bis zur Laufzeit 2020 nicht in Frage gestellt wird. Das Land Berlin wird sich auch verpflichten – –

[Dr. Lindner (FDP): Das können Sie doch gar nicht!]

Das können wir, mein lieber Herr Lindner! Sie müssen erst einmal abwarten, was Sie eigentlich wollen. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir stehen zur BVG und zu den Beschäftigten, und wir wollen die BVG nicht verkaufen, wie Sie das vielleicht vorhaben.

[Beifall bei der SPD und der PDS]