Protocol of the Session on March 21, 2002

Bitte, Herr Dr. Lindner!

Wenn Sie mir und der FDP bei unserer zentralen Forderung nach Steuersenkung ideologische Verblendung vorwerfen:

[Allgemeine Heiterkeit und Beifall bei der SPD, den Grünen und der PDS]

Können Sie mir einen einzigen Haushalt nennen, weltweit eine einzige Kommune, ein einziges Land, in dem durch Steuererhöhungen ein nennenswerter oder überhaupt ein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung geleistet wurde?

Herr Schruoffeneger!

Herr Lindner! Ich frage zurück: Können Sie mir einen einzigen Haushalt – weltweit oder meinetwegen in der Bundesrepublik oder in Europa – nennen, in dem eine Kommune oder ein Bundesland in einer solchen Lage war

wie Berlin? – Ich kann da im Moment auch kein Beispiel erkennen, außer ich gehe mal nach Mexiko vor 10 oder 15 Jahren. Ich glaube, die Berliner Situation ist unvergleichlich.

[Beifall bei den Grünen]

Noch einmal zurück zur Steueraufnahme: Das, was hier gemacht werden soll, ist ein Kassenkredit von 2,7 Milliarden und ein Deckungskredit von 6,5 Milliarden. Das sind dann insgesamt 9 Milliarden DM, die aufgenommen werden sollen – und das im ersten Halbjahr. Herr Zimmer hat die verfassungsrechtliche Situation sehr deutlich geschildert. Ich glaube, wir werden in den Beratungen im Hauptausschuss diese Summen herabsetzen müssen. Wir reden nur über ein halbes Jahr; wir reden nicht über Jahresraten, sondern über Halbjahresraten. – Das ist unsere erste Bedingung für ein solches Vorschaltgesetz.

Der zweite Punkt: Sie argumentieren hier mit der gesamtwirtschaftlichen Notlage; wir sind aus dem Gleichgewicht geraten. Daraus müssen aber Konsequenzen erfolgen, Herr Wowereit, und diese Konsequenz ist dann auch der Gang zum Bund, das Offenlegen des Desasters, die Karten auf den Tisch und das Schnüren von Paketen – mit Bund und anderen Schuldnern. Wenn Sie das nicht tun, sondern weiterhin nur Ankündigungspolitik machen und mit dem Bund vielleicht einmal freundschaftlich über die Museumsinsel reden, was nun den Berliner Haushalt wahrlich nicht saniert, dann haben Sie Ihre Aufgabe verfehlt, und dann ist ein solches Verfahren auch verfassungsgemäß nicht mehr durchzuhalten. Das heißt, eine weitere Bedingung für uns wird es sein, in den Beratungen im Hauptausschuss, dass zusammen mit diesem Gesetz auch über die Frage der Verfassungsklage gegen den Bund geredet wird und dass Pakete geschnürt werden, wo wir die verschiedenen – juristisch und finanzpolitisch – unlösbaren Probleme, die wir haben – das geht von der Bank über die Schuldenlasten bis zur Wohnungsbauförderung –, auf den Tisch legen müssen. Daraus muss dann ein Paket werden, und dann wird das auch wieder lösbar.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Gaebler?

Aber auch das!

Bitte, Herr Dr. Gaebler!

Also, der „Doktor“ war natürlich frei erfunden, aber trotzdem vielen Dank! –

[Dr. Lindner (FDP): Sicher ist sicher!]

Meine Frage lautet: Halten Sie es für einen gangbaren Weg, dass man keine Kassenkredite genehmigt und damit dann auch den Angestellten des Landes Berlin und übrigens auch den Abgeordneten in absehbarer Zeit – spätestens im Mai – kein Gehalt mehr überweisen kann?

Ich halte es für einen gangbaren Weg, im Vorgeld von Haushaltsberatungen realistische Zahlen zu nehmen und auch im Vorfeld von Haushaltsberatungen einzukalkulieren, dass es Preissteigerungen gibt. Ich messe Sie ein Stück weit an Ihren Ankündigungen von vor drei oder vier Wochen. Und wenn Sie jetzt sagen, die konnten wir alle nicht einhalten, weil wir eine Inflationsrate haben: Sorry! Aber das hätten Sie auch schon vor drei oder vier Wochen wissen müssen. Deshalb halte ich das für einen etwas zaghaften Rückzug Ihrer bisherigen Ankündigungen. Aber ich freue mich, dass Ihre Realitätsfähigkeit zunimmt.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Danke schön! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Beschlussvorlage des Senats hatte ich bereits am 19. März vorab zur Beratung an den Hauptausschuss überwiesen. Die nachträgliche Zustimmung stelle ich hiermit fest.

Wir kommen somit zur

lfd. Nr. 5, Drucksache 15/270:

Wahl von zwei Personen zur Vertretung der Interessen von Frauen und der Umweltbelange – sowie deren Stellvertreter/innen – zu Mitgliedern des (ruhenden) Kuratoriums der HumboldtUniversität zu Berlin

Die Wahlvorschläge entnehmen Sie bitte der Anlage der Drucksache 15/270. Wer die dort Genannten zu wählen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön! Die Gegenprobe! – Stimmenthaltungen! – Damit haben wir die genannten Personen einstimmig gewählt.

Wir kommen nun zur

lfd. Nr. 6, Drucksache 15/172:

Große Anfrage der Fraktion der CDU über Ausmaße der Schwarzarbeit in Berlin

Ich erteile das Wort zur Begründung – nach unserer Geschäftsordnung bis zu 10 Minuten je Fraktion – für die CDU dem Abgeordneten Rzepka. – Bitte, Herr Rzepka, Sie haben das Wort!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Rund 336 Milliarden § – das sind ca. 16 % des Bruttoinlandprodukts – wurden 2001 in Deutschland nach Feststellung des Statistischen Bundesamts und des Instituts der Wirtschaft in Köln mit Schwarzarbeit umgesetzt. Auch 2002 wird die Schattenwirtschaft in Deutschland schneller steigen als die Gesamtwirtschaft. Dieses prognostiziert das Tübinger Institut für angewandte Wirtschaftsforschung. Es erwartet ein Plus bei der Schattenwirtschaft in 2002 von 3,5 %. Fast alle Wachstumsprognosen für das Bruttoinlandsprodukt liegen dagegen unter 1 %. Schwarzarbeit wird damit – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – rd. 16,5 % ausmachen. Ein neuer Rekord! 1990 waren es noch 12 %. Die Schattenwirtschaft wächst damit dreimal schneller als die legale Wirtschaft. Jeder siebente Euro wird heute an den Steuer- und Sozialkassen vorbei umgesetzt. Diese erschreckenden Zahlen führen zu der Forderung vieler Wirtschaftsund Arbeitsmarktexperten nach einem einfachen Steuersystem mit niedrigeren Sätzen und weniger Ausnahmen sowie einer Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge. Das Steuer- und Abgabensystem muss dafür sorgen, dass Leistung wirklich lohnt, und dann nimmt auch die Flucht in die Schwarzarbeit ab. Bei dieser notwendigen Modernisierung unseres Steuer- und Abgabensystems hat die rot-grüne Bundesregierung versagt. Das selbstgesetzte Ziel einer Absenkung der Summe der Beitragssätze zur Sozialversicherung und damit der gesetzlichen Lohnnebenkosten bis zum Ende der gegenwärtigen Legislaturperiode auf unter 40 % des Bruttolohns der abhängig Beschäftigten wird nicht zu erreichen sein. Die Lohnnebenkosten werden stattdessen im Jahr 2002 etwa 41,3 % betragen. Mit der riesterschen Rentenreform konnten die Rentenbeiträge nicht wie angekündigt gesenkt werden. Der Verband der deutschen Rentenversicherungsträger rechnet mit steigenden Beitragssätzen. Rot-Grün hat auch keine wirksamen Maßnahmen ergriffen, um einen Anstieg des Defizits bei der gesetzlichen Krankenversicherung und den Krankenversicherungsbeiträgen zu verhindern. Der durchschnittliche Krankenversicherungsbeitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung wird 2002 bei 14 % liegen, und wir wissen, dass die Berliner AOK in diesem Jahr sogar 14,9 % Krankenkassenbeiträge erhebt. Im 1. Halbjahr 2001 lag der durchschnittliche Krankenversicherungsbeitrag noch bei 13,6 %.

In der Arbeitslosenversicherung liegt das Defizit der Bundesanstalt für Arbeit 2001 bei etwa 3,9 Milliarden, also um 2,7 Milliarden § höher als von Finanzminister Eichel vorgesehen. Nach der Annahme des Sachverständigenrats wird es somit auch nicht zu einer Senkung des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung von derzeit 6,5 % kommen. Nach einer Studie des Karl-Bräuer-Instituts des Bundes der Steuerzahler vom Februar

2002 liegt der Anteil der Steuern und Sozialabgaben am Bruttoeinkommen der Bürger heute mit 56,6 % um 1,5 Prozentpunkte höher als beim Regierungswechsel 1998. Die hohen Steuern und Abgaben führen dazu, dass es sich für viele deutsche Arbeitslose kaum noch lohnt, schlecht bezahlte Jobs im legalen Arbeitsmarkt anzunehmen, weil es sich dabei häufig sogar um ein Verlustgeschäft handelt. Neben den weiter steigenden Abgaben befördern weitere Fehlleistungen der rot-grünen Koalition das Ausweichen in die Schattenwirtschaft. Die Beschäftigungspotentiale für den legalen Arbeitsmarkt, insbesondere bei personen- und haushaltsbezogenen Dienstleistungen, werden infolge der Politik der Bundesregierung nur unzureichend genutzt. Zu nennen sind hier der Aufbau weiterer beschäftigungspolitischer Hürden, z. B. bei den 325-§-Jobs, durch das Scheinselbständigkeitsgesetz und die Erschwerung befristeter Arbeitsverhältnisse, die verstärkte Besteuerung von Haushaltsdienstleistungen, die Untätigkeit bei der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie die versäumte Möglichkeit, Mittel aus dem so genannten zweiten Arbeitsmarkt verstärkt in die Förderung von Beschäftigungsverhältnissen im ersten Arbeitsmarkt umzuleiten. Bei den Haushaltsdienstleistungen beispielsweise wurde erst die steuerliche Absetzbarkeit von Entgelten als „Dienstmädchenprivileg“ diffamiert, dann die steuerliche Abzugsfähigkeit von Kindermädchen reduziert und für Haushaltshilfen gänzlich abgeschafft. Ab 2002 entstehen für Angestellte im Haushalt dadurch ca. 4 600 § Mehrkosten pro Jahr und Familie. Nicht nur Arbeitslose verfallen bei diesen arbeitsmarktpolitischen Fehlleistungen mit zusätzlicher Bürokratie dem Reiz des Zusatzverdienstes durch Schwarzarbeit, sondern auch Unternehmer in allen Branchen, insbesondere dann, wenn der Fortbestand des Unternehmens gefährdet erscheint. Oft haben auch existentielle Nöte und schwer verkraftbare Preissteigerungen Menschen in die Schwarzarbeit getrieben. Die Bereitschaft zu illegalen Nebentätigkeiten steigt in dem Maße, wie ihre gesellschaftliche Ächtung abnimmt oder sogar ihre gesellschaftliche Anerkennung als angeblich legitime Gegenwehr gegen den Steuer- und Abgabenstaat wächst. Schwarzarbeit ist in vielen Bereichen zum Kavaliersdelikt geworden. Einen Boom erlebt die Schwarzarbeit neben dem Bau vor allem im Handwerk. Aber auch in der Gastronomie, bei den Putzhilfen und anderen Dienstleistungen wie z. B. in der privaten Pflege nimmt die illegale Beschäftigung zu. Erst kürzlich haben Meldungen in der Berliner Presse die Situation bei der Berliner Gastronomie beschrieben, in der nach Schätzungen ca. ein Drittel der Arbeitenden entweder den ganzen Lohn oder Teile davon schwarz empfängt. Die Schwarzarbeit auf dem Bau hat in der Region BerlinBrandenburg eine neue Dimension erreicht. Im gesamten Baugewerbe erreichte die Schattenwirtschaft in der Region einen Umfang von 3,4 Milliarden §. Damit ist die ausufernde Schwarzarbeit am Bau zu einer schweren Belastung für die gesamte Baubranche geworden. So sind im Dezember 2001 43 000 Bauarbeiter in der Region arbeitslos, andererseits weit mehr Personen als so genannte Vollzeitschwarzabeiter tätig gewesen. Verschärft wird die Situation weiter dadurch, dass viele illegale Arbeiter aus osteuropäischen Ländern eingeschmuggelt werden und bei Subunternehmen arbeiten. In Berlin ist damit die Schwarzarbeit schon lange ein besonderes Problem. Seit Jahren hat die CDU-Fraktion hier Vorschläge unterbreitet und ist dafür eingetreten, dass die Tariftreueerklärung eingehalten wird, die Kontrolltätigkeit der gemeinsamen Ermittlungsgruppe Schwarzarbeit erhöht wird, die Zusammenarbeit mit dem Landesarbeitsamt verbessert wird und mehr Verstöße gerichtlich geahndet werden. Wir wollen heute mit unserer Großen Anfrage vom Senat wissen, wie die aktuelle Situation ist, welche Maßnahmen durchgesetzt wurden und welche neuen eingeleitet werden müssen, damit Schwarzarbeit wirksam bekämpft wird. Die absehbare Vernichtung von Arbeitsplätzen durch die vom rot-roten Senat jetzt beschlossene drastische Senkung von Investitionen im Land Berlin ist dazu jedenfalls aus unserer Sicht der falsche Beitrag. – Ich danke für die Aufmerksamkeit! [Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege Rzepka! – Für den Senat ist mir die Antwort signalisiert durch den Senator Dr. Gysi. – Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Rzepka! Ihr Vortrag geht meines Erachtens in die völlig falsche Richtung. Und ich will Ihnen auch sagen, weshalb. Was Sie hier bieten, ist im Kern eine Rechtfertigung für Schwarzarbeit, ist im Kern eine Bagatellisierung des Problems. Sie sagen, die Höhe der Steuern und Abgaben ist schuld daran, dass Zuflucht zur Schwarzarbeit gewählt wird,

[Rzepka (CDU): Das ist die Realität!]

also müssten Steuern und Abgaben gesenkt werden, und dann gäbe es sozusagen nicht mehr so viel Anreiz für Schwarzarbeit.

[Zuruf von der FDP: Richtig!]

Stellen Sie sich mal vor, es handelt sich hier um regelrechte Kriminalität. Das ist so, als ob sich jemand hinstellte und nach dem zwölften Überfall auf Juweliere erklärte, die Diamanten müssten jetzt nur noch halb so teuer sein, dann gäbe es weniger Gründe zum Überfall, weil sich mehr Leute Diamanten leisten könnten. Ich finde, dieses Argument ist einfach absurd.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Es gibt eine Pflicht zur Entrichtung von Steuern und zur Zahlung von Abgaben. Sie sind dieselben, die sich hier hinstellen und in Kürze schwer kritisieren werden, dass das Land Berlin weniger investiert als in den vergangenen Jahren. Und gleichzeitig wollen Sie uns den Hahn abdrehen, mit dem wir das Geld bekommen könnten, um zu investieren. Das ist auch alles in sich nicht logisch, was Sie hier anbieten. Das ist der falsche Weg.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Schwarzarbeit ist ein großes Übel. Aber ich bin überhaupt nicht bereit, sie in irgendeiner Form wie Sie zu rechtfertigen mit der Höhe von Steuern und Abgaben. Natürlich ist es immer bequemer, wenn man keine Steuern und keine Abgaben bezahlen muss. Aber damit verstößt man gegen geltendes Recht der Bundesrepublik Deutschland und begeht Straftaten. Und Kriminalität sollte in diesem Hause nicht entschuldigt und gerechtfertigt werden, sondern es sollten Methoden aufgezeigt werden, wie man sie wirksam bekämpfen kann.

[Beifall bei der PDS und der SPD – Dr. Steffel (CDU): Völlig neben der Sache, der Beitrag!]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Rzepka?

Ja, selbstverständlich!

Bitte schön, Herr Rzepka!

Herr Senator! Wie beurteilen Sie denn die Situation, dass die Bundesregierung mit dem Scheinselbständigkeitsgesetz versucht, zunehmend Menschen in die Sozialversicherung zu zwingen, während viele Länder, Kommunen, unter anderem auch das Land Berlin, versuchen, durch die Verbeamtung von Angestellten die hohen Sozialversicherungsbeiträge abzuschütteln und die Leute aus der Sozialversicherung herausführen?

Also, abgesehen davon, dass Ihre Frage mit Schwarzarbeit gar nichts zu tun hat, beschreiben Sie hier durchaus zutreffend ein Problem, aber wiederum falsch herum.

(A) (C)