Protocol of the Session on June 2, 2005

die dringende Notwendigkeit einer Lösung der Probleme können aber auf Ihre Koalitionsprobleme keine Rücksicht nehmen. Wir brauchen eine umfassende Korrektur des Gesamtthemas, und zu der wird es auch kommen.

[Beifall bei der CDU – Bravo! von der CDU – Frau Bluhm (PDS): Das widerspricht sich aber!]

Das Wort hat nun Frau Abgeordnete Grosse. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kurth! Sie haben soeben den Wahlkampf eröffnet. Das können Sie gern haben.

[Frau Ströver (Grüne): Das ist schon etwas länger her! – Reppert (CDU): Das hat Schröder gemacht!]

Jetzt geht es los, Herr Kurth!

[Zurufe]

Ganz genau! Und deswegen sage ich mit aller Entschiedenheit: Die Zusammenlegung der beiden steuerfinanzierten Leistungen – Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe – war ein richtiger und mutiger Schritt der rot-grünen Bundesregierung. Das hätte sich die CDU nie getraut, weil sie nämlich Angst gehabt hätte, Wählerstimmen zu verlieren. Im Bundesrat hat sie dann Verschlimmbesserungen vorgenommen, weil sie meinte, das gehe auf dem Ticket von Rot-Grün durch und es wisse am Ende ja keiner, dass die CDU daran beteiligt war.

Die Bundesregierung ist diesen Weg der Erneuerung gegangen, und ich möchte ganz deutlich sagen: Sie haben auf Bundesseite mitgewirkt, meine Damen und Herren von der CDU, möchten jetzt aber davon nichts mehr wissen. – In den Berliner Bezirken, wo Sie regieren, da sitzen Sie Hartz aus und sagen: Das schieben wir der rot-grünen Bundesregierung oder der rot-roten Koalition in Berlin in die Schuhe.

[Henkel (CDU): Sie müssen Ihr Redemanuskript anpassen! Dazu hat Kurth doch etwas gesagt!]

Sie sollten einmal darauf hinwirken, dass Ihre Bürgermeister und diejenigen von der CDU, die Verantwortung tragen, sich dafür einsetzen, dass Hartz-IV in ihren Jobcentern richtig läuft!

[Beifall bei der SPD]

Wer eine solch umfangreiche und mutige Reform auf den Weg gebracht hat, der kann auch das Recht für sich in Anspruch nehmen, Korrekturen vorzunehmen. Genau das wollen wir mit unserem Antrag tun. Aus Berliner Sicht sehen wir in folgenden Punkten einen Änderungsbedarf:

Erstens geht uns die Regelung beim Hinzuverdienst bei Mini-Jobs – dazu hat Frau Bluhm schon Ausführungen gemacht – noch nicht weit genug. Wir wollen, dass hierbei bis zu einer Grenze von 400 € 50 % statt 15 % anrechnungsfrei hinzuverdient werden können.

Zweitens: Wir wollen eine Überprüfung der Regelleistungen im Herbst 2005. Da wird sich herausstellen, ob die Anpassung Ost-West erfolgen kann und ob eventuell die Regelleistung noch etwas erhöht werden muss. Zunächst muss aber eine Überprüfung her, und auch das Lohnabstandsgebot muss eingehalten werden.

Des weiteren stimmen wir auch über eine Beschlussempfehlung zur Zusätzlichkeit und im öffentlichen Interesse von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung ab. Wir fordern den Senat auf, in seinen Bemühungen um eine einheitliche Handhabung zur Vergabe der sogenannten 1,50-Euro-Jobs in Berlin das sicherzustellen. Die Positivliste ist bereits verabschiedet und geht in die richtige Richtung. Allerdings dürfen wir uns darauf nicht ausruhen. Hier müssen wir, wenn nötig, nachsteuern. Deshalb bitte ich auch hier um Zustimmung.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Danke schön! – Für die Fraktion der Grünen ist jetzt Frau Abgeordnete Dr. Klotz an der Reihe. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wir hier diskutieren, ist ein Prüfauftrag. Es ist ein Prüfauftrag von SPD und PDS, Hartz IV auf seine gesellschafts- und finanzpolitische Wirkung zu prüfen. Der Senat soll diesen Auftrag zur Prüfung bekommen, weil er offensichtlich nicht bereit ist, dies von sich aus zu tun. Das sind also noch nicht die verabredeten Veränderungen, über die wir hier reden. Dennoch finden wir es als Grüne richtig und begrüßen es aus drei Gründen, dass sich die Koalition zu dem HartzAntrag durchgerungen hat:

Zum einen bekundet damit die SPD erstmals, dass auch sie bei Hartz IV einen Korrekturbedarf sieht. Zum Zweiten dokumentiert damit die PDS, dass sie keineswegs

Der dritte Punkt: Dass auch Nichtleistungsempfangende Förderung bekommen sollen, sehen wir auch so. Das geht uns allerdings nicht weit genug. Wir glauben schon, dass man an die Partnereinkommensregelung etwas grundsätzlicher heran muss. Wir vertreten die Auffassung, dass Frauen – zumindest wenn sie selbst er

werbstätig waren – damit auch einen Anspruch auf eine eigenständige Absicherung erworben haben. Wie absurd die derzeitige Regelung ist, kann man in dem Urteil des Essener Sozialgerichts von gestern nachlesen, wonach von einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft auszugehen sei, wenn der Vermieter in Unterhose in der Wohnung angetroffen wird. Da kann einen ein OneNight-Stand teuer zu stehen kommen. Wir lehnen diese Schnüffeleien nach Zahnbürsten und Unterhosen ab!

Aber auch bei der Altersvorsorge sind Korrekturen dringend angebracht. Hier haben Sie einen Punkt nicht genannt, den ich wichtig finde. Das ist die Gleichbehandlung der verschiedenen Formen der Altersvorsorge.

Der fünfte und letzte Punkt betrifft die gleiche Augenhöhe zwischen Agentur und Kommunen. Das ist ein wichtiger und richtiger Punkt, der allerdings so lange nicht hergestellt sein wird, wie der Chef oder die Chefin des Jobcenters keine Haushalts- oder Personalhoheit bekommt.

Weitere Punkte werden wir sicherlich diskutieren und einbringen. Das ist der Vorteil des Wahlkampfes, dass man nicht genau, nicht mit hundertprozentiger Sicherheit weiß, wer ab September regieren wird. Von daher kann man eine ganz astreine Partei- und Fraktionsposition in den Debatten und Beratungen im Arbeitsausschuss bzw. in Änderungsanträgen vertreten.

Hartz IV komplett ablehnt und wieder abschaffen will, sondern das Gesetz beibehalten und weiterentwickeln will. Zum Dritten hoffen wir zu erfahren, was eigentlich die CDU, die Partei, die im Bundesrat bekanntermaßen eine Mehrheit hat, wirklich will. Will sie das Koch’sche Existenzgrundlagengesetz mit 30 % Kürzungen des Arbeitslosengeldes II oder will sie das Hausmeistermodell à la Ingo Schmitt, wonach allen alles versprochen wird? – Das ist die Stadt schon teuer genug zu stehen gekommen. Das werden wir Ihnen bei dieser Debatte ganz bestimmt nicht durchgehen lassen, meine Damen und Herren von der CDU!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich habe es für meine Fraktion schon deutlich gesagt und wiederhole es hier auch gern: Die Zusammenlegung der beiden steuerfinanzierten Leistungen, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, ist ein notwendiger Schritt gewesen. Wo es notwendig ist, muss auch gefordert, vor allem aber gefördert werden. Der Anknüpfungspunkt sollte eigentlich – blickt man ins Gesetz – das individuelle Profil des Erwerbslosen sein. Davon ist bei dem derzeitigen Zustand der Jobcenter leider nichts zu spüren. Auch erwerbsfähige Sozialhilfeempfangende sollten Angebote und Angebote zur Unterstützung erfahren, beispielsweise allein Erziehende. Gut finde ich im Übrigen auch, dass der Bezug des Alg II unabhängig von dem ist, was Eltern und Geschwister zur Verfügung haben. Diese werden eben nicht mehr zur Kasse gebeten.

Dennoch gibt es bei Hartz IV einen erheblichen Korrekturbedarf. Ich will es auch ganz deutlich sagen, dass es hierbei nicht mit Schönheitsoperationen, mit kleinen, kosmetischen Operationen getan ist. Man muss an das Ganze schon noch einmal etwas grundsätzlicher heran.

Ich komme nun zu den im Antrag aufgelisteten Punkten: Da geht es zum einen um den höheren Selbstbehalt bei Dazuverdienenden. Das sehen wir auch so und haben dementsprechend schon einen Antrag gestellt, in dem aber dieser Punkt, Frau Bluhm, als Einziger aus dem kühlen Grund auftaucht, weil es der Einzige war, zu dem alle beteiligten Parteien auf Grund des Jobgipfels inzwischen Zustimmung signalisiert haben. Es gibt also Zustimmung an dieser Stelle, dass sich etwas ändern muss.

Der zweite Punkt betrifft die Regelsätze der Sozialhilfe, die auch für das Arbeitslosengeld II gelten. Diese sollten unserer Ansicht nach in einem transparenten Verfahren festgelegt werden. Neben einer bundesweit einheitlichen Regelung ist bei der kommenden Regelfestsetzung darauf zu achten, dass Familien besser gestellt und Kosten der Gesundheitsreform berücksichtigt werden.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Eine letzte Bemerkung möchte ich noch anführen, Frau Bluhm. Ich sehe diese bundespolitische Korrekturnotwendigkeit. Ich sehe aber nicht, was die PDS hier in Berlin leistet und vor allem, was sie nicht leistet. Was mich ärgert, ist, dass Sie nur über die AV Wohnen reden, wenn Sie über Ihre Verantwortung im Land Berlin sprechen. Kein Wort, dass die Behörden nach wie vor nebeneinander her arbeiten. Sie sagen auch kein Wort dazu, dass die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik von Ihnen, von der PDS, um 75 % gekürzt wurden allein im Zeitraum zwischen 2003 und 2007, wenn man sich einmal die mittelfristige Finanzplanung ansieht. Das geht von 205 Millionen € auf 50 Millionen € herunter. Das ist eine Kürzung, die kein anderer Etat verkraften muss. – So nachzulesen in unserem Enquete-Bericht. Den kennen wir beide ja sehr gut. – Ihre bundespolitische Kritik ist zum Teil berechtigt, das habe ich immer gesagt. Wie Sie hier aber zu Ihrer eigenen Verantwortung im Land Berlin, die Sie mit zwei zuständigen Senatoren vertreten, nicht stehen und wie Sie sich da verstecken, finde ich schon peinlich. Das musste hier einmal in dieser Deutlichkeit gesagt werden!

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön! – Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Lehmann das Wort. – Bitte!

Wir können über eine Angleichung der Regelsätze zwischen Ost und West reden, doch eine Anhebung kommt auf keinen Fall in Frage, denn damit verkleinern Sie den Anreiz, sich auf dem ersten Arbeitsmarkt eine reguläre Arbeit selbstständig zu suchen.

Letztens hatte ich schon beim Thema Ein-Euro-Jobs gesagt, dass es sich hier um einen Teufelskreis handele. Ein-Euro-Jobs verdrängen reguläre Arbeitsplätze in der freien Wirtschaft. Wir haben uns im Ausschuss enthalten, weil wir, wenn überhaupt, eine flexible Liste haben möchten, die auch zurückgefahren werden kann. Im neuen Antrag über MAE wird dies so nicht ausreichend deutlich. Bei der Vergabe dieser Jobs muss die Wirtschaft ein Wort mitreden. Alles nur den Jobcentern bzw. den Bezirken zu überlassen, würde wahrscheinlich in einer Katastrophe enden. Wie arm ist diese Stadt eigentlich, wenn Menschen an Schulen in Form dieser Jobs beschäftigt werden? – Das hat wohl eher etwas mit Dritter Welt zu tun. Dem Missbrauch von staatlichen Behörden wird Tür und Tor geöffnet. Wir werden in Zukunft besonders bei der Grünanlagenpflege massive Probleme bekommen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beglückwünsche die Regierungskoalition und speziell Frau Grosse zu dem Antrag über eine Bundesratsinitiative SGB II. Sie haben monatelang in der Öffentlichkeit, im Plenum und in den Ausschüssen weis machen wollen, dass die Hartz-Reformen das Nonplusultra deutscher Arbeitsmarktpolitik seien. Mit diesem Antrag beweisen Sie uns nun, dass Sie uns die ganze Zeit an der Nase herumgeführt haben. Sie versuchen, nach dem Scheitern der rot-grünen Versorgungs- und Umverteilungspolitik noch zu retten, was zu retten ist. Dieses Mal geht der Lotse nicht von Bord. Nein! Dieses Mal handelt es sich wohl um die Meuterei auf der Bounty.

Sie haben es versäumt, den Sozialstaat im Zeitalter der Globalisierung adäquat zu reformieren. Handwerkliche Mängel und Stückwerk sind das Ergebnis. Dafür erhalten Sie im Herbst die Quittung! Die eindeutige Regelung der Fachaufsichten ist zwar sinnvoll, die Reibereien zwischen den Mitarbeitern der alten Sozialämter und Agenturen nehmen allerdings zu. Solange das zentralistische Nürnberg die Federführung besitzt, gibt es lediglich einen bürokratischen Moloch.

Daher wäre es besser gewesen, gleich unserem Modell einer Kommunalisierung der Arbeitsmarktpolitik zu folgen. Die Kommunen in Deutschland wissen am besten, wie man Langzeitarbeitslose betreuen und vermitteln kann. Ihr Schritt ist halbherzig.

Die FDP-Fraktion hatte im letzten Jahr im Zuge von Hartz einen Antrag zur privatisierten Altersvorsorge- und Lebensversicherungen gestellt. Danach sollten die vorgesehenen Freibeträge erhöht werden. Es ist schlichtweg unsinnig, denjenigen zu bestrafen, der in kluger Voraussicht privat für sein Alter vorgesorgt hat und mit beispielsweise 50 Jahren bestraft wird, wenn er dann Arbeitslosengeld II bezieht.

[Beifall bei der FDP]

Fast schon unverschämt war es, nur der Riesterrente einen Persilschein auszustellen. Das war ein Paradebeispiel der ideologischen Gleichmachergesellschaft à la Rot-Grün. Warum haben Sie eigentlich unseren Antrag abgelehnt? – Das können Sie mir in diesem Zusammenhang gerne noch einmal erklären.

[Zuruf der Frau Abg. Breitenbach (PDS)]

Bei der Einbeziehung von Nichtleistungsempfangenden in alle beschäftigungspolitischen Maßnahmen würde ich gerne von Ihnen wissen, wer das alles bezahlen soll. Einerseits befindet sich das Land in einer extremen Haushaltsnotlage. Andererseits wären Sie wohl kaum daran interessiert, wenn die Bundesagentur für Arbeit den Canossagang zu Herrn Eichel begehen müsste, um einen größeren Zuschuss zu beantragen.

[Zuruf der Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne)]

Was Sie hier machen, ist blanker Populismus. Herr Lafontaine und die WASG haben Ihnen wohl mächtig Angst

eingejagt. Mit uns – das sage ich klipp und klar – ist das nicht zu machen.

[Beifall bei der FDP – Pewestorff (PDS): Ihnen kann man auch keine Angst machen!]

[Beifall bei der FDP – Frau Breitenbach (PDS): Auf welchem ersten Arbeitsmarkt?]

Nach einer Meldung von gestern hat der Chef der Bundesagentur, Weise, verlauten lassen, dass sie für eine Privatisierung der Agentur gut gerüstet seien. Wir werden den Vorschlag von Herrn Weise im Herbst dieses Jahres genau prüfen und die entsprechenden Schritte einleiten. – Vielen Dank!