Protocol of the Session on June 2, 2005

Vor dem Hintergrund, dass die Bundes-SPD die nächsten Wochen bis zum 18. September in einem Werben um den Agenda-2010-Prozess gestalten will, finde ich, dass die Einigung der Berliner Koalition ein hohes Gut ist.

Auf der anderen Seite fanden aus Sicht der PDS ganz wichtige Punkte keinen Eingang in den Antrag. Wir sind der Meinung, dass es eine einheitliche Regelleistung in Ost- und Westdeutschland geben muss. Die Aufspaltung in 345 € West und 331 € Ost ist nicht akzeptabel.

[Beifall bei der PDS]

Bundesminister Stolpe sieht es, so hört man, ebenso. Ministerpräsident Beck sieht es anders.

Ein zweiter entscheidender Punkt ist für die PDS die Höhe der Regelleistung. Es existiert ein detailliertes Gutachten des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der nach jahrzehntelangen Erfahrungen mit dem deutschen Sozialhilferecht auf den Cent genau ausgerechnet hat, dass 412 € eine bedarfsdeckende Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts darstellen. Insbesondere Dienstleistungen und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sind ansonsten nicht denkbar. Berlin, sein Handwerk, der Mittelstand, der Handel und viele andere werden unter diesen erneuten Nachfrageausfällen noch einmal zu leiden haben. Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – Theater, Museum, Kino – ist extrem wichtig für die Motivation und das Lebensgefühl der 400 000 Betroffenen. Die Drei-Euro-Tickets sind ein wichtiger Weg, um ohne viel Geld ins Theater oder die Oper zu kommen. Ich bin froh, dass die Nachfrage danach so groß ist.

[Beifall bei der PDS]

Aber für eine umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, für das Gefühl, aus diesen Bereichen nicht ausgeschlossen zu sein, sind sie nicht ausreichend. Zudem haben wir uns eine 58er-Regelung gewünscht, die einen echten Vertrauensschutz garantiert.

Nun stellen wir den Antrag hier zur Debatte. Wir sind sehr gespannt, welche Bundesratsmehrheiten sich ergeben und wie die CDU-geführte Länder auf die von einer rotroten Koalition vorgeschlagenen Veränderungen reagieren. Ich erinnere Herrn Kurth daran, dass er oft fachpoli

tisch nachgefragt hat, wie Berlin in dieser Frage agieren wird. Ein eigener Antrag der CDU liegt bisher nicht vor. Die Grünen haben sich darauf beschränkt, die Zuverdienstregelung neu regeln zu wollen. Heute liegt nur unser Antrag vor. Wir bitten den Senat, unverzüglich tätig zu werden. Wir stellen den Antrag mit allem, was er leistet bzw. nicht leistet, zur Diskussion und werden weiter für Veränderungsbereitschaft streiten.

[Beifall bei der PDS]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Bluhm?

Aber selbstverständlich!

Bitte, Frau Bluhm, Sie haben das Wort!

Herr Kurth! Sie haben Dilemmata angesprochen. Wie sehen Sie es denn für sich und Ihre Partei? – Sie haben bundespolitisch bei den HartzGesetzen allem zugestimmt,

[Frau Flesch (SPD): Verschärft!]

und haben dann von Stund an alles, was an Umsetzung in Berlin passierte, kritisiert. Wie sehen Sie es denn nun? – Sie können jetzt darauf eingehen. Ich kann ja nicht noch einmal darauf eingehen. Sagen Sie doch bitte noch einmal etwas dazu!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Herr Kurth – bitte!

Das ist Ihr Pech, Frau Bluhm! – Ich will dazu gern etwas sagen: Die CDU hat zugestimmt und bleibt ohne Abstriche bei der Grundidee.

[Ah! von der SPD]

Wir haben deutlich gemacht, wo wir organisatorische Probleme sehen. Das betrifft die Aufgabenverteilung zwischen der Bundesagentur und den Kommunen. Was organisatorisch zum Teil daraus gemacht wird – nicht nur in Berlin, aber vor allem in Berlin –, das sehen wir in der Tat

Die Menschen nehmen die Bundesregierung und die Verantwortlichen – das sind nun bedauerlicherweise auch Sie – in die Pflicht. Und wenn sie hören und sich darauf eingelassen haben, dass Hartz IV „Fordern und Fördern!“ heißt, dann fragen sie eben auch: Was heißt denn das – Fördern? Wo ist es angekommen? – Wir sehen die Vermittlungszahlen, die jetzt vorliegen. Im April liegt der Wert weit unter 1 %, und zwar unter Berücksichtigung derjenigen, die Sie in die Ein-Euro-Jobs geführt haben. Was spielt sich denn da vor Ort ab?

Der Punkt 5 ist hochinteressant. Sie sagen – und drücken das freundlich undeutlich aus –, dass wir jetzt einmal eine eindeutige Regelung der Fachaufsichten brauchen. Das stimmt. Selbstverständlich brauchen wir eine regionale Arbeitsmarktpolitik, die diesen Namen auch verdient. Das heißt, die Arbeitsgemeinschaften brauchen eine Steuerung, eine Führung, und zwar nicht nur – wie es bisher passiert – aus Nürnberg, wo es auch den Mitwirkungsgremien weitgehend entzogen ist, sondern wir brauchen eine regionale Verantwortung, die dieser Aufgabe gerecht wird. Darin unterstütze ich Sie. Das heißt aber auch deutlich: Trennen wir zwischen den Versicherungs- und den Fürsorgeleistungen! Trennen wir sauber zwischen dem, was die Bundesagentur, und dem, was die Kommunen machen werden! – Ich bin zuversichtlich, dass es auf Bundesebene hierbei zu entsprechenden Änderungen kommt, bevor – nicht unüblich – der Senat seine gesellschaftspolitischen Wirkungsanalysen abgeschlossen hat.

sehr kritisch. Diese Kritik wird auch in der Öffentlichkeit flächendeckend geteilt. Das ist ja wohl klar.

[Frau Bluhm (PDS): Das liegt aber nicht am Gesetz, sondern an der Umsetzung!]

Die Grundidee ist richtig, aber das, was dieser Senat in der Verantwortung Ihrer beiden Senatoren daraus gemacht hat, ist die eigentliche Katastrophe.

[Beifall bei der CDU – Frau Dr. Hiller (PDS): Etwas konkreter!]

Dazu komme ich gleich!

Wir haben jetzt den Antrag vorliegen, dass zu einer Reihe von Punkten, die seit einiger Zeit diskutiert werden, eine gesellschaftspolitische und arbeitsmarktpolitische Wirkungsanalyse gemacht werden soll. Das ist richtig, aber eigentlich steht jetzt an,

[Frau Breitenbach (PDS): Na, was denn?]

dass der Senat seine Hausaufgaben macht und für eine vernünftige Umsetzung in Berlin sorgt, Frau Kollegin! Werfen Sie einen Blick in den „Tagesspiegel“ von heute! Dort finden Sie einen Bericht über das Jobcenter in Kreuzberg-Friedrichshain. Demnach hat der dortige Leiter nicht damit gerechnet, dass Leute warten, und deswegen gibt es dort auch keinen Warteraum. Und deshalb stehen die Leute jetzt stundenlang im Regen. Darüber wird heute in der Presse berichtet. Man fragt sich, was in den Senatsverwaltungen geschehen ist, wenn so etwas fünf Monate nach Inkrafttreten passieren kann. Warum lassen Sie die Leute im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehen?

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Allein im Jobcenter Kreuzberg-Friedrichshain fehlen immer noch Hunderte Mitarbeiter. Wir haben einen Betreuungsschlüssel von 250 bis 300. Sie kennen doch das, was der Gesetzgeber versprochen hat. Ich will jetzt gar nicht in die Feinheiten gehen.

[Zurufe von der PDS]

Dann gehe ich jetzt in die Feinheiten: Herr Clement hat gesagt, dass am 31. März jeder Jugendliche unter 25 Jahren eine Eingliederungsvereinbarung habe.

[Frau Dr. Hiller (PDS): Richtig!]

Wo sind die? Wo bleibt die Erfüllung der Quote in Berlin? – Das ist ein Skandal, was Sie aus diesen Ankündigungen machen.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Doering (PDS): Es haben auch andere angekündigt! – Weitere Zurufe von der PDS]

Diskutieren Sie das bitte mit Ihrem Koalitionspartner! Es sind Ihre Anträge, die Sie hier gemeinsam einbringen. –

[Frau Bluhm (PDS): Die Bundesebene hat angekündigt! – Doering (PDS): Sie bringen die Ebenen durcheinander!]

[Frau Bluhm (PDS): Wer ist zuständig?]

Vielleicht haben Sie mit der grundsätzlichen Aufgabenzuordnung zur Bundesagentur die falsche Strukturentscheidung getroffen. Und vielleicht ist das richtig, was die Union von Anfang gesagt hat, dass man nämlich da, wo man die Kommunen stärker in der Verantwortung hat und wo die Kommunen optiert haben, die besseren Erfolgsraten hat.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Das stimmt leider nicht. Es ist nicht so!]

Es gibt dafür Anhaltspunkte, und das sollte man in die weitere Beschäftigung einbeziehen.

[Beifall bei der CDU – Doering (PDS): Nennen Sie mal Beispiele!]

Erlauben Sie mir einen Hinweis zum Schluss: Wenn ich mir die Auswirkungen auf den Bundeshaushalt anschaue, stelle ich fest, dass wir nach den 10-MilliardenMehrausgaben vor dem nächsten „Hammerthema“ stehen. Herr Eichel hat nämlich in seinem Etat 6,7 Milliarden € an Einnahmen eingeplant, die die Bundesagentur an den Bund für die Nichtvermittelten zu zahlen hat – 10 000 € pro Fall. Das ist doch absurd. Wie kann man den Beitragszahlern verdeutlichen, dass aus ihren Beitragsmitteln 6,7 Milliarden € an den Bundeshaushalt abgeführt werden? – Hier haben wir eine große Menge an grundsätzlichem Korrekturbedarf. Es sind viele grundsätzliche Punkte zu klären, und dafür geht Ihr Antrag leider nicht weit genug. Das liegt daran, dass Sie auf den Koalitionspartner Rücksicht nehmen – oder auch nicht. Die Menschen und

Drittens: Die Nicht-Leistungsempfangenden, die durch Partnereinkommen aus dem Leistungsbezug herausfallen – das trifft besonders für die Frauen zu –, sollen in allen beschäftigungspolitischen Maßnahmen einbezogen werden. Das ist bisher eine Kann-Leistung, und bisher gibt es keinen Anreiz für die Agenturen. Deshalb werden sie auch bisher nicht in die Leistungen einbezogen. Wir wollen, dass ein Anreiz, ein finanzieller Bonus geschaffen wird, der bei erfolgreicher Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt dann für die Agenturen zum Tragen kommt.

Eine weitere Berliner Forderung ist die eindeutige Regelung der Fachaufsicht, die im SGB II nicht eindeutig geregelt ist. Der jetzige Zustand in der Arbeitsgemeinschaft ist so nicht mehr hinnehmbar. Hier muss unbedingt eine Änderung vorgenommen werden. Deshalb bringen wir heute den Antrag ein. Der Senat wird aufgefordert, nach Prüfung unserer Änderungsvorschläge gegebenenfalls in Absprache mit den anderen Bundesländern eine Bundesratsinitiative zu initiieren.

die dringende Notwendigkeit einer Lösung der Probleme können aber auf Ihre Koalitionsprobleme keine Rücksicht nehmen. Wir brauchen eine umfassende Korrektur des Gesamtthemas, und zu der wird es auch kommen.