Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Flesch! An einem Punkt hat mich Ihr Beitrag irritiert, als Sie nämlich in Ihrer Kurzintervention versucht haben, den Begriff Deregulierung ins Deutsche zu übersetzen. Sie haben gesagt: Deregulierung, das heißt doch, weg von bürokratischen Eingriffen in die Wirtschaft. – Das ärgert mich in dieser Diskussion. Das heißt nämlich nicht nur, weg von bürokratischen Eingriffen in die Wirtschaft, das hat auch etwas mit den normalen Bürgerinnen und Bürgern zu tun,
das hat auch etwas mit den internen Verwaltungsabläufen zu tun. Es geht nicht nur um Wirtschaft. Es ist eine fürch
Sie haben aber an einem Punkt Recht, Frau Flesch: Es nützt nichts, nur Gesetze, Verordnungen und Arbeitsanweisungen zu Fall zu bringen. Das ist der formale Akt. Wir brauchen auch den Mentalitätswandel in den Köpfen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es hilft uns nichts, wenn wir jetzt schon die Regelung haben, dass Arbeitsanweisungen oder Verordnungen wegfallen, dann aber die Stadträte, die Senatoren, die Staatssekretäre oder die Abteilungsleiter ihren Mitarbeitern Weisungen schreiben, die da heißen: Wir haben jetzt zwar keine Verordnungen mehr, aber da wir auch nichts anderes haben, müsst ihr sie weiterhin so anwenden, als wenn sie noch in Kraft wären. – Das löst das Problem nicht, das ist eine Perversion des ganzen Gedankens. Insofern geht es in dieser Debatte auch darum, wie wir symbolisch die Bedeutung des Themas besetzen und wie wir auch ein Stück weit symbolhaft deutlich machen, dass es wirklich um eine Abschaffung von vielen bürokratischen Regelungen gehen muss. Das ist ein langer Prozess, aber dieser sehr radikale Schritt ist erstens notwendig, um den Begründungszusammenhang und den Begründungszwang aufzubauen, und zweitens, um in die Mentalität hineinzukommen und symbolisch sehr deutlich zu dokumentieren: Wir wollen hier mit einer ganz großen Harke durchgehen und möglichst vieles beseitigen.
terliche Verkürzung dieser Diskussion, dass das Thema ganz oft nur unter dem Wirtschaftsaspekt diskutiert wird.
Herr Zotl hat eben selbst gesagt, warum der Antrag der Koalition zu kurz greift. Er hat in der Einleitung zu seinem Redebeitrag gesagt, dass es ein Auseinanderfallen von Wahrnehmung und Realität gibt, dass immer dann, wenn man diejenigen, die sich beschweren, bittet: Macht doch mal konkrete Vorschläge! –, nichts mehr kommt, auch von den Betroffenen nur sehr wenig kommt. Warum soll das bei Ihrer Internetplattform plötzlich anders sein? – Wir wissen, dass es für normale Menschen ein schwieriger Vorgang ist, das auch umzusetzen, dieses Verwaltungsdickicht aufzulösen. Diese Internetplattform ist richtig und gut; es muss eine Transparenz geschaffen werden. Aber sie wird das Problem nicht lösen. Unser Ansatz ist ein anderer, ein – zugegebenermaßen – ziemlich radikaler. Wir sagen, wir müssen einen Automatismus einbauen, wir müssen die Verwaltung und die Politik in Begründungszwänge bringen, warum sie bestimmte Sachen aufrecht erhalten wollen oder nicht. Diesen Begründungszwang haben Sie, wenn Sie zu einem Stichdatum sagen müssen: Das darf aber nicht wegfallen. – Und diesen Begründungszwang brauchen wir auch; von allein bewegt sich nichts.
Ich nenne Ihnen zwei Beispiele, wie es im Moment in Berlin läuft. Bebauungspläne: Die Bezirke sind zuständig, in eigener Verantwortung. Bevor sie aber einen Bebauungsplan aufstellen, müssen sie die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung informieren. Diese hat dann vier Wochen Zeit, eine Stellungnahme abzugeben. Dann kommt das Verfahren. Dann wird die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Rahmen der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange beteiligt. Am Ende gibt es eine Rechtsprüfung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Dauer: zwei Monate, obwohl auch die Bezirke einen Juristen für dieses Verfahren haben. Drei Monate liegen diese Pläne in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die nach unserer Gesetzeslage überhaupt nicht zuständig ist. Das ist ein ganz unnötiges bürokratisches Verfahren, das aber von der Verwaltung und von der Politik „mit Händen und Füßen“ verteidigt und für unabdingbar erklärt wird.
Ein zweites Beispiel: unser schönes Schul- und Sportanlagensanierungsprogramm. – Wir haben vor vier Wochen darüber geredet, dass „die bösen Bezirke“ es nicht geschafft haben, das Geld auch wirklich auszugeben. Aber wie läuft es denn? – Da wird den Bezirken das Geld zur Verfügung gestellt. Da wird von der Senatsverwaltung für Bildung, Schule und Sport in Absprache mit den Bezirken definiert, welche Schulen saniert werden sollen. Dann gibt es eine Bauplanungsunterlage der Bezirke. Diese muss dann von der Senatsverwaltung für Bildung, Schule und Sport und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung abgezeichnet werden. Wozu? – Das kann man bei diesen kleinen Beträgen in der bezirklichen Verantwortung lassen. Wiederum hätte man ein Verwaltungsver
fahren beschleunigt, das Geld schneller dem Wirtschaftsleben zur Verfügung gestellt, die Schulen schneller saniert. All das geht.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Zotl! Sie fragten nach konkreten Vorschlägen. Die FDP hat zahlreiche sinnvolle Deregulierungsvorschläge gemacht, die Sie in der Regel mit Genuss weggestimmt haben.
Als Beispiel sei hier nur der Antrag zur Aufhebung der Zweckentfremdungsverordnung genannt, den Sie auch weggestimmt haben. Wenig später wurde sie durch ein Gericht aufgehoben.
Zu den vorliegenden Drucksachen: Frau Flesch meinte vorhin, wir hätten die Einrichtung dieser Internetplattform für Beschwerden oder Eingaben einstimmig beschlossen. Dies ist nicht so; die FDP hat dagegen gestimmt, weil wir in dieser vorgeschlagenen Plattform keine geeignete Grundlage für eine systematische Aufgabenkritik sehen. Sie werden dort niemals einen geeigneten Vorschlag finden, welche Vorschrift abgeschafft oder wenigstens gestrafft werden kann. Es handelt sich um eine reine „Meckerecke“, die allenfalls partiell verwertbare Ergebnisse
Der Dringlichkeit wird offensichtlich nicht widersprochen. – Ich eröffne die I. Lesung. Für die Beratung steht den Fraktionen nach der Geschäftsordnung jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnen die Antragsteller in Person von Frau SchultzeBerndt. – Bitte schön!
Danke schön! – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die CDU setzt sich schon lange für verbindlichen Werteunterricht ein. Dass es dafür einen akuten Bedarf gibt, zeigt der zu verurteilende Mord an Hatin Sürücü durch ihre Brüder – der ja auch große Beachtung seitens des Parlaments gefunden hat – sowie die Solidarisierung unbeteiligter Schüler mit diesem Vorgehen.
bringt. Mein Beispiel aus dem Ausschuss mit den Beschwerdebüchern in Gaststätten will ich gar nicht noch einmal ausführen.
Wir machen den Gegenvorschlag – und werden ihn auch als Antrag einbringen –, die Mitglieder der Expertenkommission Staatsaufgabenkritik auf der Grundlage der seinerzeitigen Empfehlungen um eine Stellungnahme zum jetzigen Stand der Rechtsvereinfachung zu bitten. Dies wäre mit Sicherheit ergiebiger, auch wenn Sie einwenden mögen, die Kommission sei aufgelöst. Die Akteure sind noch vorhanden. Man muss die Kommission notfalls noch einmal einberufen.
Den Antrag Drucksache 15/3643 lehnen wir also ab. Dem Antrag der CDU können wir in der Ursprungsfassung zustimmen, da die jährliche Kontrolle des Standes der Deregulierung ein geeignetes Mittel darstellt, um den Vorschriftenabbau voranzutreiben. Der Bürokratie muss man permanent auf die Finger schauen.
Dem Antrag der Grünen zum Abbau von Verordnungen stimmen wir nicht zu. Er verfolgt zwar ein richtiges Ziel, wählt jedoch ein nicht taugliches Mittel. Wir müssen die bestehenden Gesetze verändern, aber nicht die Verordnungen streichen. Die Verordnungen können Sie erst dann abschaffen, wenn Sie auch bereit sind, die Gesetze abzuschaffen. – Vielen Dank!
Schönen Dank, Herr Kollege! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, so dass wir zu den Abstimmungen kommen. Zum Antrag der Fraktion der CDU – Drucksache 15/289, Stichwort: Deregulierung – Kein Fremdwort für die Berliner Verwaltung! – empfiehlt der Ausschuss mehrheitlich gegen CDU, Grüne und FDP die Ablehnung. Wer dem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke! Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag abgelehnt. Zum Antrag der Koalitionsfraktionen – Drucksache 15/3643, Stichwort: Bürokratische Hemmnisse – empfiehlt der Ausschuss mehrheitlich gegen FDP bei Enthaltung der CDU die Annahme mit einer Änderung. Wer so gemäß Drucksache 15/3643 unter Berücksichtigung der Drucksache 15/3677 beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dann ist der Antrag angenommen. Zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Drucksache 15/3665, Stichwort: Übersicht herstellen – Verordnungen abbauen – empfiehlt der Ausschuss mehrheitlich gegen CDU und Grüne die Ablehnung. Wer diesem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dann ist der Antrag abgelehnt. Zum Antrag – Drucksache 15/3122, Stichwort: Neue Verwaltungsvorschriften befristen – empfehlen beide Ausschüsse einstimmig bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen die Annahme neuer Fassungen im Wortlaut der Beschlussempfehlung des Fachausschusses. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das
Änderung des Schulgesetzes für das Land Berlin vom 26. Januar 2004 – Werteunterricht einführen – Ethik-/Philosophieunterricht oder Religionsunterricht wählen
Der Presse waren unterschiedliche Stellungnahmen zu entnehmen, die zeigen, wie groß der Handlungsbedarf ist und in welcher Not wir uns bereits befinden. Es gibt einen Schulleiter, der sagt, es gebe keine Schule mit hohem Ausländeranteil, an der nicht vereinzelte Jugendliche den Mord als gerechte Strafe betrachten. Ein Schüler erklärt es für richtig, seine Freundin zu schlagen, wenngleich er sie nicht ermorden würde, und der Zorn eines Lehrers über die Äußerung eines Schülers, es sei richtig, diesen Mord begangen zu haben, wird von einer Schülerin kritisiert: Jeder könne doch wohl seine Meinung sagen, ist die Antwort darauf. Ich frage mich, inwieweit man dabei noch von Toleranz reden kann.
Hier haben Ignoranz und die fehlende Bedeutung und Wertschätzung für menschliches Leben Einzug gehalten. Wir können dies nicht dulden und dem weiter zusehen. Wir brauchen einen minimalen Konsens in unserer Gesellschaft über die Grundlagen von Staat und Gesellschaft, wie sie unserer abendländisch-christlichen Kultur zufolge im Grundgesetz festgeschrieben sind.
Die Schule kann es auf unterschiedlichen Wegen leisten, diesen Konsens herzustellen. Im gesellschaftlichen Bereich haben wir in den Fächern Geschichte, PW und Deutsch die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Moralisch lebensgestaltend ist das aber nur in einem Religions- oder Ethik- und Philosophieunterricht möglich,
Ich möchte noch etwas zu Frau Klotz sagen. Vorhin haben Sie dazu Stellung genommen, dass Sie den christlichen Religionsunterricht, wie ihn die CDU-Fraktion fordert, ablehnen. Ich bedauere, dass Sie nicht genauer zuhören, wenn wir unsere Wünsche vortragen. Wir wissen, dass der reine Religionsunterricht abgelehnt wird. Wir haben aber schon länger vorgetragen, dass für uns mehrere Möglichkeiten denkbar sind. Wir fordern Werteunterricht, an dem alle Schüler teilnehmen müssen. Dabei wollen wir mehrere Fächer anbieten, in erster Linie das Fach Ethik/Philosophie. Es gibt einen Schulversuch in Berlin, der seit Jahren läuft und von der Senatsschulverwaltung
als erfolgreich beschieden wurde, jedoch unter dem Finanzvorbehalt möglicherweise so nicht fortgesetzt werden kann. Wir haben also das Wissen, die Kenntnisse, wir haben Rahmenpläne, die Schüler werden bis zum Abitur geführt – das wäre eine gute Chance. Alternativ fordern wir christlichen Religionsunterricht in Abstimmung mit den Kirchen für diejenigen, die es wünschen. Darüber hinaus wollen wir islamische Religionskunde, um dem unkontrollierten Tun der Islamischen Föderation in den Koranschulen zu begegnen.
Im Sinne eines gedeihlichen Zusammenlebens müssen die Schüler Werte kennen lernen, über Bezugssysteme diskutieren und ihren eigenen Standpunkt definieren können. Dazu brauchen wir Ethik-, Philosophie- und auch Religionsunterricht.
Der LER-Unterricht – Lebenskunde, Ethik, Reli- gion –, der immer mehr ins Gespräch kommt, ist dafür keine Lösung. Wenn Sie sich den Bericht anschauen, in dem Brandenburg dieses Unterrichtsfach evaluiert, werden Sie feststellen, dass Brandenburg selbst zu dem Ergebnis kommt, dass die Integration der drei Bereiche Lebenskunde, Ethik und Religion nicht geleistet werden kann. Der Unterricht geht von außen vor, analytisch sezierend schaut man sich unterschiedliche Phänomene an. Dabei fehlt das große verbindende Thema: Was ist eigentlich eine Religion, was macht sie aus, außer bestimmte Feste, die gefeiert werden? – Wir brauchen aber eine Wertevermittlung. Wie soll ein Jugendlicher eine Debatte mit einem überzeugten muslimischen Jugendlichen bestehen, wenn er selbst gar nicht weiß, auf welcher Grundlage er steht?
Sie sollen miteinander reden, genau. Aber ich brauche dazu eine Grundlage. Wenn ich nicht verstehe, wovon der andere spricht, weil ich selbst kein Bezugssystem habe, werde ich nicht bestehen können. Mit dem Ergebnis haben Sie keine Toleranz erreicht, sondern allenfalls Ablehnung.
[Beifall bei der CDU und der FDP – Hoffmann (CDU): Bravo! Das haben die Kommunisten noch nie verstanden!]
Toleranz wächst auf diesem Boden jedenfalls nicht, allenfalls Gleichgültigkeit für den anderen. Kürzlich habe ich ein schönes Beispiel gelesen: Im Spracherwerb ist bekannt, dass eine Zweitsprache gut lernen kann, wer die Erstsprache beherrscht, weil er Strukturen kennt. Das kann man auch auf das Wertesystem übertragen: Wer sich nicht definieren kann, seinen Standpunkt in einem Wertesystem nicht findet, ist schwerlich in der Lage, andere Bezugssystem zu verstehen.