Auf eines möchte ich vorweg hinweisen. In einer aufgeregten Debatte wird eine monokausal hergeleitete Verbindung zwischen islamischen kriminellen Einzeltätern und den überall in den europäischen Metropolen friedlich lebenden Millionen von Muslimen hergestellt. Das ist eine Konstruktion. Sie ist falsch und ideologischer Natur – und am Ende auch gefährlich. Die damit einhergehende Übertreibung reicht schließlich bis zu dem vielerorts beschworenen Horrorszenario, wonach der soziale Friede in Europa und insbesondere hier in Berlin zerstört würde.
Von den 230 000 Muslimen in Berlin gehört nur ein kleiner Bruchteil zu den strenggläubigen Menschen, die ihren Glauben tagtäglich praktizieren. Diese besuchen regelmäßig Moscheen, und wie orthodoxe Christinnen und Christen oder Jüdinnen und Juden genießen sie ihre Religionsfreiheit. Diesen Teil der islamischen Religionsgemeinschaften wird es immer geben, und sie allein sind noch keine Islamisten, keine gewaltbereiten Menschen, die keine teilbaren Werte hätten und nicht für einen Dialog über eine gemeinsame demokratische Kultur zu gewinnen wären. Vielmehr sind sie Ansprechpartner, und wir müssen auf sie zugehen und mit ihnen in einen Dialog
eintreten. Auch unter ihnen werden Sie Menschen finden, die z. B. über das niederländische Attentat entsetzt sind. Auch sie wollen in Frieden leben.
Auch ich möchte das Stichwort der Leitkultur aufgreifen. Die Hälfte der Staaten in der Welt sind wie die Bundesrepublik Deutschland faktisch Einwanderungsländer – historisch wie gegenwärtig. In all diesen Ländern gibt es kulturelle Vielfalt, und es wird nicht in Frage gestellt, dass sie berechtigt ist. Es wird allenfalls gefragt, wie das Zusammenleben besser organisiert werden kann. Nur in Deutschland müssen die Schönbohms, die Stoibers, die Becksteins und einige Kolleginnen und Kollegen hier noch lernen, sich in einer kulturellen Vielfalt auszukennen.
Sie sollten ihre Integrationspolitik korrigieren. Sie sind es, die sich integrieren müssen. Sie müssen die Werte der Gleichheit in der Vielfalt, der Menschenrechte und des Respekts vor der Würde des anderen anerkennen, denn diese machen den Grundkonsens moderner, demokratischer Einwanderungsländer aus.
Wenn man einerseits die niederländische, liberale Integrationspolitik kaputt redet und andererseits heraufbeschwört, dass es das auch bei uns geben würde, und damit den Frieden in der Bundesrepublik in Frage stellt, so ist das eine große Verantwortungslosigkeit. Das wird nur von denen betrieben, die zwangsläufig und ungern den Zuwanderungskompromiss mit tragen mussten. Ihnen geht es wieder einmal um die übliche Hetzkampagne und Stigmatisierung – diesmal gegen islamische Bevölkerungskreise.
Herr Ritzmann hat ein paar Beispiele genannt, wie das Zusammenleben funktionieren kann. Das müssen wir viel stärker aussprechen. Ich bedauere es außerordentlich, dass wir immer nur über einen ganz kleinen Teil der Gesellschaft reden, der nicht integriert ist und der – leider – von dieser deutschen Gesellschaft und von der deutschen Kultur nichts wissen will. Wenn wir ständig nur über diesen Teil reden und nur ihn dauernd in unseren Medien präsentieren, werden wir keinen Schritt weiterkommen. Ganz im Gegenteil: Es gibt viel mehr Menschen, die integriert sind, die der Sprache mächtig sind, die in den Medien sind oder als Rechtsanwälte, als Ärzte oder Geschäftsleute in dieser Stadt ihren Beitrag leisten. Dass diese Menschen unsichtbar sind, ist ein großer Verlust für unsere Gesellschaft. Diese müssten wir viel stärker in den Vordergrund stellen.
In den Tagen nach dem Mord an van Gogh ist – leider muss ich sagen – in der öffentlichen Debatte in Deutschland allerlei in einen Topf geworfen worden: Islam, Islamismus, Terrorismus, Zwangsheirat, Multikulturalität gescheitert, Hassprediger, Religionsunterricht, jugendliche Straftäter – das sind alles Begriffe, die uns nicht weiter bringen, nicht helfen. Einwanderungsgesellschaften, das müssten alle in diesem Haus wissen, weil Sie sich hoffentlich schon seit mehreren Jahren mit dieser Thematik beschäftigen, sind als pluralistische Gesellschaften selten frei von Konflikten. Insofern müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir dieses Zusammenleben fördern können und wie wir dafür sorgen können, dass die Menschen, die hier leben, sich endlich zu Hause fühlen.
Das ist so! – Sie spielen am rechten, konservativen Rand einer ganz anderen Gruppe von Kriminellen zu. Die eigentliche Gefahr, die den Frieden und Konsens in Frage stellt, geht vom Rechtsradikalismus aus. Das dürfte nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen allen klar sein. Darauf muss sich unsere Aufmerksamkeit richten. – Danke schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorweg ein paar Wort von einem Kreuzberger zu einem Kreuzberger – zu meinem Kollegen Wansner:
Sie haben letztens in einer Sitzung deutlich gemacht, wie sehr die Integration gelungen ist, indem Sie uns erklärt haben, dass frühere Führungskräfte der Milli Görüs jetzt Mitglied Ihrer Partei in Kreuzberg sind. Das sei ein Zeichen gelungener Integration. „Machen Sie weiter so!“, kann ich dazu nur sagen.
Sie haben letztens dieses Fastenessen organisiert. Das ist auch ein richtiger Schritt. Das Traurige ist nur, dass die Sprache, die Sie verwenden – auch heute hier an diesem Ort – eine andere Sprache ist. Mit dieser Art und Weise, wie Sie die Muslime in dieser Stadt, aber auch in der Republik stigmatisieren, kommen wir nicht weiter. Damit werden Sie der Integration keinen Gefallen tun. Ganz im Gegenteil: Sie werde damit mehr Ängste schüren und mehr Gefahren heraufbeschwören, die wir alle nicht gutheißen können.
Es wird immer wieder auf die Sprachkenntnisse verwiesen, wenn von Integration die Rede ist. Ich kann Ihnen eines versichern: Die Anhänger von Milli Görüs oder der Islamischen Förderation sprechen perfekt deutsch. Die sind Akademiker und aalglatt. Das ist aber nicht gerade ein Zeichen von Integration. Man kann das nicht nur auf die Sprache reduzieren.
Für mich stellt sich nicht die Frage, ob wir eine multikulturelle Gesellschaft sind. Diese Frage ist längst beantwortet: Wir sind es einfach. Deutschland ist ein Einwanderungsland, auch wenn manche in diesem Saal oder in anderen Sälen gebetsmühlenartig das Gegenteil predigen.
Der Beweis dafür ist in dieser Stadt an jeder Ecke zu sehen und an jeder Ecke zu fühlen. Davon sollten Sie auch einmal profitieren, indem Sie z. B. nicht nur über Kreuzberg, Wedding oder Neukölln reden, sondern auch einmal vor Ort hingehen und mit den Leuten sprechen.
Vorhin wurde hier gefragt: Warum fühlen sie sich nicht als Deutsche? – Ich sage Ihnen eines: Wenn ich diese Frage beantworten muss – und ich muss diese Frage oft, insbesondere in Gegenwart von US-amerikanischen Journalisten, beantworten –, da fällt es mir schwer zu sagen, dass ich mich als Deutscher fühle. Und wissen Sie, warum, Herr Wansner? – Das hat damit zu tun, dass die Mehrheitsgesellschaft immer noch, auch nach 40, 50 Jahren Einwanderung und Zuwanderung nicht akzeptiert, dass dieses Land ein anderes ist, dass auch ein Özcan Mutlu, eine Ülker Radziwill oder ein Giyasettin Sayan Deutsche sein, zu dieser Gesellschaft gehören können.
Solange die deutsche Gesellschaft, die Mehrheitsgesellschaft en gros, diese Realität immer noch nicht anerkennt und diese Menschen nicht akzeptiert, darf sie sich nicht darüber wundern, wenn irgendwelche Rattenfänger kommen und predigen, wie wichtig und großartig „die“ islamische Religion oder wie toll die türkische Nation und Kultur ist. Ich begrenze es auf die Türken, weil sie die größte Minderheit hier sind. Man darf sich dann nicht
Erlauben Sie mir eine persönliche Bemerkung: Ich werde mich, so lange ich im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg arbeite, immer mit Milli Görüs auseinander setzen, weil das für mich und meine Partei die Hauptprobleme sind. Sie werden mich nicht davon abbekommen, jedes Mitglied von denen möglicherweise in meine Partei zu bekommen, weil ich davon weiß, dass jedes Mitglied von Milli Görüs in der CDU ein richtiges Mitglied ist, weil wir die Auseinandersetzung mit denen dann vor Ort gewonnen haben. Wenn Sie einige Mitglieder meiner Partei darauf ansprechen, dann gebe ich Ihnen in den nächsten Tagen möglicherweise den Brief, wie einer damals versucht hat, seine Einstellung zu erklären, wieder in die
CDU zurückzukommen. Er hat damals formuliert, die CDU, das hat er erkannt, sei eigentlich seine politische Heimat.
Aber erlauben Sie mir noch eine Bemerkung. Sie haben in dem Bezirk, in dem Sie tätig sind und beim letzten Mal nicht mehr direkt gewählt wurden, möglicherweise eines festgestellt, dass viele Menschen, die dort über Jahrzehnte friedlich, auch vernünftig miteinander lebten, diese Verhältnisse irgendwann leid waren und weggezogen sind. Sie haben doch nicht mehr mit uns diskutiert, sie waren enttäuscht von der Politik. Das muss ein Ansatz sein, über den Sie einmal nachdenken sollten. Deshalb kann ich Ihnen nur raten: Versuchen Sie umzudenken, damit wir wieder ein vernünftiges Miteinander, ein Kennenlernen von Menschen vor Ort erleben. Sie können jeden Verein in dieser Stadt enorm finanzieren, Sie können aber eins nie finanzieren: das persönliche Kennenlernen in den Quartieren vor Ort, abends miteinander zu sprechen, möglicherweise einmal in einem netten Lokal ein Glas Selters miteinander zu trinken.
Dieses passiert doch in einigen Kiezen nicht mehr. Deshalb war und ist der Ansatz der CDU richtig, diese Bereiche aufzulösen. Ob wir dies Zwangsumsiedeln nennen? – Ich nenne es nicht so, dass die Wohnungsbaugesellschaften uni, die Wohnungswirtschaft insgesamt in dieser Stadt, endlich einmal aufgefordert sind, ihre Wohnungen in gewissen Quartieren verantwortungsvoller zu belegen. Das ist der Ansatz. Lassen Sie uns diesen Weg wenigstens einmal gemeinsam gehen.
wundern, wenn die Menschen diesen Rattenfängern hinterherlaufen, weil wir es als Mehrheitsgesellschaft in den letzten Jahrzehnten versäumt haben, diesen Menschen Angebote zu machen, sich hier in diesem Land heimisch zu fühlen, wohlzufühlen und sich zu diesem Land zugehörig zu fühlen.
Wenn wir uns unser Schulsystem ansehen, muss ich leider konstatieren, dass unser Schulsystem außer einigen wenigen Ausnahmen nach wie vor monolingual, monokulturell geprägt ist und dass die Realität der Einwanderungsgesellschaft weder in unseren Rahmenplänen noch in der Lehrerausbildung, noch im Schulalltag zu sehen ist. Genau da müssen wir ansetzen, weil meiner Meinung nach Bildungspolitik die einzig richtige Integrationspolitik ist, die man gezielt fördern, in die man auch mehr Mittel hineinstecken sollte.
Bildung und in dem Zusammenhang auch Sprache sind ausgesprochen wichtig für die gesellschaftliche Teilhabe.
Wenn ich mir die Politik der vergangenen Jahre ansehe – dieser rot-roten Regierung, der Bundesregierung bis 1998, die in 16 Jahren genügend Zeit gehabt hätte, um das zu realisieren, was Herr Zimmer vorhin forderte, oder der Berliner großen Koalition aus CDU und SPD, die über elf Jahre hier regiert hat –, dann muss ich leider sagen, ist sie in diesem Bereich gescheitert. Deshalb darf man sich darüber nicht wundern, worüber wir heute diskutieren. Ich kann nur sagen, meine lieben Kollegen, wir müssen alle an einem Strang ziehen, sonst werden wir tatsächlich – leider – irgendwann Verhältnisse wie in Holland hier erleben.
Frau Präsidentin! Herr Mutlu, im Gegensatz zu Ihnen, glaube ich nicht, dass wir morgen holländische Verhältnisse in dieser Stadt hier erleben. Und ich hoffe, dass ich mit meiner Aussage Recht bekomme und Sie mit dieser dümmlichen Drohung hoffentlich allein stehen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Wansner! Sie können mit gutem Beispiel vorangehen, indem Sie in den Bezirk ziehen, den Sie hier in diesem Haus repräsentieren. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran und zeigen Sie, wie es besser laufen kann. – Sie haben mich vorhin auch etwas missverstanden. Ich habe es als ein Beispiel gelungener Integration bezeichnet, dass sich frühere Milli-Görüs-Mitglieder bei Ihnen in der Partei in Kreuzberg aktiv betätigen. Das ist gut, das lobe ich, machen Sie weiter so.