Sie vielleicht nicht, Frau Ströver, aber ich glaube schon, dass es keiner in dieser Stadt verstanden hätte, wenn wir wesentliche Teile der Mauer mitten in der Stadt hätten stehen lassen.
Wir haben doch jahrzehntelang darum gekämpft, dass dieses Unrechtssymbol fällt, das den Menschen so viel Elend gebracht hat. Heute diskutieren wir darüber, dass es falsch war, die Mauer abzureißen. Das kann doch wohl nicht wahr sein, liebe
Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin! – „Genossen“ hätte ich gerne gesagt, aber Herr Rabbach, da hätten Sie sich wieder nicht angesprochen gefühlt.
[Heiterkeit – Rabbach (CDU): Genau! – Dr. Lindner (FDP): Herr Hoffmann schon! – Hoffmann (CDU): Wir stehen für Freiheit! – Oh! von der PDS]
Ich darf auch daran erinnern, dass viele selbst Hand an die Mauer anlegten, Mauerspechte genannt. Viele haben noch die Trophäen bei sich zu Hause. Keiner wäre auf die Idee gekommen, das Bauwerk, das 28 Jahre lang die Stadt teilte, zu erhalten.
Nach der Wende haben wir uns bewusst und in einem breiten Konsens entschieden, die Mauer abzureißen. Heute, 15 Jahre danach, haben wir ein bisschen Distanz zur Geschichte, und diese Distanz verändert auch die Perspektive. Die Mauer belastet viele von uns nicht mehr so unmittelbar wie damals. Viele sehen in einem Stück Berliner Mauer einen authentischen Ort des Erinnerns und Gedenkens. Das kann ich verstehen, das muss auch respektiert werden. Wir sollten die Wünsche ernst nehmen, aber wir sollten jetzt auch nicht in einen blinden Aktionismus verfallen.
Berlin verfügt über hervorragende Gedenkstätten, die dazu einladen, sich mit der jüngeren Geschichte, mit Mauer und Teilung, mit Verfolgung und Menschen
rechtsverletzungen in der DDR auseinander zu setzen. Die Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße wird täglich von mehr als 1 000 Menschen besucht. Gerade auch am 9. November bei der Feierstunde konnten wir sehen, wie wieder eine Schulklasse aus der Gedenkstätte, aus dem Museum herauskam, die dort eine pädagogische Betreuung bekommen hat. Hier wurde in Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche eine Informationsstätte geschaffen, die das Mauerregime an einem zentralen Ort der deutschen Teilung erlebbar macht. Herr Zimmer, anders als Sie das sehen, halte ich das für eine hervorragende Gedenkstätte. Die sollte man nicht klein reden. Die Arbeit, die dort tagtäglich gemacht wird, die Gedenkarbeit, aber auch die pädagogische Aufarbeitung, ist hervorragend. Ich möchte mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern recht herzlich dafür bedanken. Es ist eine schwere Arbeit, Menschen heute anhand von Mauerresten die Brutalität dieser Mauer klarzumachen. Das ist in der Tat eine ganz schwierige Aufgabe. Sie wird in der Bernauer Straße mit den begleitenden Maßnahmen aus meiner Sicht in hervorragender Art und Weise getan.
Herr Zimmer, die kann man nicht in die Mitte der Stadt verlegen. Sie ist dort nun mal, sie war dort, und sie ist ein authentischer Ort.
Dort, wo ehemalige Insassen des Stasi-Gefängnisses Führungen anbieten, wer das einmal mitgemacht hat, wie Zeitzeugen, die selbst dort inhaftiert waren, nicht nur jungen Menschen, sondern Tausenden von Menschen Jahr für Jahr aus eigenem Erleben die Grausamkeit, die Brutalität, aber auch das eigene Schicksal darstellen in Hohenschönhausen – das ist nicht eine Frage eines ShuttleServices oder einer Distanz, sondern es ist eine Frage, wie man authentische Orte mit einbezieht in die Gedenkstättenarbeit. Hohenschönhausen muss unterstützt werden, es ist ein hervorragender Ort der Dokumentation, auch der Emotionalisierung der Menschen, die dorthin gehen.
[Beifall bei der SPD und der PDS – Hoffmann (CDU): Tun Sie das! Sie haben die Mittel ge- kürzt für die Gedenkstätte Hohenschönhausen!]
Nein! – Und weil ich eine Stimme immer so besonders aus der FDPFraktion höre: Es ist deprimierend, wenn man bei Führungen erlebt, dass dort Ewiggestrige auftauchen, um die Zeitzeugen, die dort inhaftiert waren, zu diskreditieren und bei den Führungen zu stören. Auch das ist noch Realität in Berlin. Auch dagegen müssen wir kämpfen und deutlich machen: Die Demokraten stehen dagegen.
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS – Ritzmann (FDP): Was hat das mit der FDP zu tun?]
Das könnte ich Ihnen mal in Ruhe erklären. Sie wissen genau, welches Mitglied Ihrer Fraktion ich gemeint habe.
Ein wichtiges Mahnmal sind die Kreuze am Spreeufer neben dem Reichstag, die an die Menschen erinnern, die an der Mauer zu Tode gekommen sind. Die Mauer in der Niederkirchnerstraße ist ein Bestandteil der Topographie des Terrors und wird es künftig bleiben, wenn dort der Neubau entsteht. Damit soll die Überlagerung der historischen Spuren verschiedener Epochen sichtbar gemacht werden. Ich möchte ausdrücklich allen, die tagtäglich in den Stätten an der Dokumentation arbeiten, recht herzlich Dank sagen. Lassen Sie mich auch den Sprechern der Opferverbände recht herzlich danken. Wir treffen uns regelmäßig zu Gesprächen, um über viele Aspekte einer Kultur des gemeinsamen Erinnerns zu beraten. In diesen Gesprächen sind viele gute Vorschläge entwickelt worden, die dann in den Gedenkstätten umgesetzt werden konnten. Auch die Absprachen zu historisch bedeutsamen Jubiläen werden an diesem Runden Tisch getroffen. Dies hat sich in der Vergangenheit auch bewährt, Konfrontationen konnten abgebaut werden. Herzlichen Dank dafür! – Wir werden diesen wichtigen Dialog mit den Vertretern der Opferverbände fortsetzen, aber auch in Ruhe und nicht mit öffentlicher Aktion, sondern in einem vertrauensvollen Verhältnis. Das ist, glaube ich, in der heutigen Zeit wichtiger denn je.
Lassen Sie mich auch an dieser Stelle hinweisen auf eine Vielzahl von Orten, an denen die Geschichte der Teilung im Stadtbild lebendig wird und die von den Menschen angenommen werden. Die Eastside-Gallery ist schon erwähnt worden, sie ist weltweit bekannt, und sie wird gerade saniert. Manche sagen, es sollen Farbbänder den Mauerverlauf symbolisieren. Viele haben gar nicht mitbekommen, dass dies tatsächlich schon Realität ist. Pflastersteine markieren quer durch die Stadt den früheren Mauerverlauf. Für viele Touristen bieten sie eine wichtige Orientierung auf ihren Spaziergängen durch die Hauptstadt. Aber ich will einräumen, dass sie für viele nicht wahrnehmbar sind, wie beispielsweise vor dem Brandenburger Tor. Der Mauerradweg ist auch schon angesprochen worden, die verschiedenen Denkmale für die Mauertoten, der Wachturm an der Kieler Straße und im Schlesischen Busch, die Mauer am Invalidenfriedhof und die Installation von Ben Wargin an der Bibliothek des Deutschen Bundestags sind weitere Orte mitten in Berlin, die zum Innehalten und Gedenken einladen.
Auch das Mauermuseum am Checkpoint Charlie möchte ich in diesem Zusammenhang nennen. Es ist sehr populär, und der große Zuspruch ist eine Bestätigung dafür, dass in der Bevölkerung und gerade auch unter den Gästen der Stadt ein großes zeitgeschichtliches Interesse besteht. All diese Hinweise zeigen: Berlin hat eigentlich keinen Mangel an Gedenkstätten und Erinnerungsorten, aber wir müssen sie auch besser miteinander vernetzen
Ich sage an dieser Stelle auch etwas zu Frau Hildebrandt. Ich habe in diesem Parlament in der Tat gesagt, dass ich mich vermittelnd einschalten werde bezüglich der Fototafeln in der Leipziger Straße. Ich habe das probiert, aber ich habe meine Vermittlung eingestellt nach dem, was sich wieder abgezeichnet hat in der Friedrichstraße. Es kann nicht wahr sein, dass gut gemeinte Aktionen immer unter dem Gesichtspunkt der Befristung gemacht werden und anschließend all diejenigen, die bewusst unter Hintanstellung von Baugenehmigungen und sonst was helfen, wie beispielsweise der Bezirksbürgermeister von Mitte, anschließend immer desavouiert werden. Das kann kein Weg einer Gedenkstättenarbeit sein, auch wenn sie noch so gut gemeint ist.
Ich sage auch noch einmal: Ich bin neulich abends an dieser wunderschönen weißen Mauer vorbeigefahren. Sie wird mit sanften Strahlern illuminiert. Es ist eine wunderschöne Atmosphäre, die dort entsteht, es sieht auch ordentlich aus. Aber Sie wollen mir doch nicht im Ernst erklären, dass da die Brutalität dieser Mauer für jemand, der das nicht miterlebt hat, dokumentiert wird.
Es darf auch nicht zu einem touristischen Rummelplatz verkommen. Dieselben Personen haben sich dagegen gewehrt, dass da Studenten pfiffige Ideen hatten und für Touristen attraktive Angebote gemacht haben, sich fotografieren zu lassen. Das sind dieselben Personen, die aber auf demselben Niveau dort versuchen, etwas zu tun. Das kann doch nicht wahr sein. Darüber muss ein Dialog in der Stadt aufgegriffen werden,
auch mit Frau Hildebrandt, weil sie eine engagierte Kämpferin ist und mit ihrer Museumsarbeit einen wichtigen Beitrag für die Erinnerungsarbeit leistet. Aber sie kann nicht alleine die Hoheit über das Erinnern und die Gedenkstätten für sich beanspruchen. Dies muss auch akzeptiert werden, und ich glaube, dann wird man da auch weiterkommen.
Es ist richtig, dass Umfragen zeigen, dass 40 % der unter Dreißigjährigen heute nicht sagen können, was am 9. November 1989 geschehen ist. Wir müssen uns dieser Aufgabe stellen und die Erinnerung an die nächste Generation weitergeben. Mein Dank gilt daher den vielen Lehrerinnen und Lehrern, die das Thema im Unterricht ansprechen; dies ist auch tägliche Realität, nämlich dass sie Zeitzeugengespräche organisieren und mit den Schülern die Gedenkstätten besuchen. Das ist wichtig, und das hilft, die Erinnerung aufrechtzuerhalten. Gewiss, manche Gedenkorte werden noch zu wenig wahrgenommen oder sind den Menschen noch nicht bewusst. Das kann man ändern, indem man die Sichtbarkeit verbessert, Hinweise installiert und die einzelnen Orte besser miteinander ver
netzt. Genau daran arbeitet der Senat. Wir werden die Verknüpfung von Erinnerungsorten und Gedenkstätten in Berlin verbessern. Wir brauchen einen Geschichtspfad durch die ganze Stadt, auf dem historische Orte unterschiedlicher Epochen miteinander verbunden werden. Wir wollen dazu beitragen, dass die Erinnerung einen Platz im Alltag der Menschen erhält. Wir wollen, dass die junge Generation die Chance erhält, sich in der Schule mit der Geschichte der deutschen und der europäischen Teilung zu beschäftigen. Eine Kultur des Gedenkens zu entwickeln, ist eine bleibende, eine tägliche Aufgabe.
Der 9. November stellt uns vor eine besondere Herausforderung, weil er ein komplexer Gedenktag ist. Auch daran sollten wir heute denken. Wir können und wir wollen nicht vergessen, dass der 9. November 1938 der Tag war, an dem die Synagogen brannten und dass mit dem 9. November 1938 die Vernichtung der Juden begann. Die Erinnerung an den 9. November 1938 soll die Freude über den Fall der Mauer und die wiedergewonnene Einheit nicht trüben. Sie soll uns aber bewusst machen, dass uns eine besondere Verantwortung aus der Geschichte erwächst, alles zu tun, damit Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion und Lebensweise gleichberechtigt und friedlich zusammenleben können. Berlin hat durch die wiedergewonnene Einheit die Chance zu einem Aufbruch in eine bessere Zukunft erhalten. Wir stellen uns der historischen Verantwortung, wir nutzen den reichen Schatz an Erfahrungen aus allen Teilen der Stadt. Wir machen aus Berlin eine weltoffene, tolerante und internationale Stadt in der Mitte Europas – in freundlicher und guter Nachbarschaft mit der gewachsenen europäischen Union. Das ist Berlins Chance. Wir sollten sie gemeinsam nutzen und nicht das Trennende in den Vordergrund stellen, sondern das Verbindende. [Beifall bei der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der CDU]
Der Abgeordnete Ritzmann hat um das Wort für eine Kurzintervention gebeten. Wie Sie wissen, liegt die Kurzintervention im Ermessen der Präsidentin bzw. des Präsidenten. Ich werde diese Kurzintervention nicht zulassen.
Ich begründe das: Wir haben uns einvernehmlich im Ältestenrat darauf verständigt, dass wir bei Senatsbeiträgen keine Rederunden zulassen. Das ist in einer Aktuellen Stunde gerade deshalb angebracht, weil wir im Ältestenrat ein Vorziehen der zweiten Rederunde vermeiden wollten. Die FDP hat noch Gelegenheit, in der zweiten Rederunde zu reden. Deshalb lasse ich diese Kurzintervention nicht zu.
Nein, ich handele im Interesse der Geschäftsordnung. Sie wissen, dass die Kurzintervention in der Entscheidung der amtierenden Präsidenten liegt.
Sie können jederzeit zur Geschäftsordnung reden, aber ich mache Sie darauf aufmerksam, dass es schwierig sein wird, diese Geschäftsordnungsregel so auszulegen. – Bitte schön!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Vereinbarung wurde getroffen, um Missbrauch zu verhindern – dass eine Fraktion, die später daran wäre, sich nach vorne bringt. Es handelt sich hier aber nicht um einen Missbrauchsfall, sondern wir möchten dem Regierenden Bürgermeister, der auf infame Weise der FDP-Fraktion unterstellt hat, dass wir etwas mit Pöbeleien bei der Gedenkstätte in Hohenschönhausen gegen die SED-Gewaltherrschaft – –