Protocol of the Session on October 28, 2004

Dies bedeutet auch mehr Rechte für das Landesparlament. Von einer solchen Lösung werden wir als Parlament profitieren. Ein Verzicht auf Zustimmungserfordernisse im Bundesrat stärkt auch den Bundestag, denn er wird viel leichter die Möglichkeit haben, seine Gesetze im Gesetzblatt wiederzufinden – also auch dort eine Stärkung des Parlamentarismus.

Man muss in diesem Zusammenhang aber auch auf eine andere Entwicklung hinweisen, nämlich auf die weitere Stärkung des Europäischen Parlaments. Wegen der Aktualität mache ich darauf aufmerksam, dass die aktuelle Entscheidung des designierten Kommissionspräsidenten, seinen Vorschlag nicht vorzulegen, eine richtige Entscheidung war. Dies bedeutet keine Krise der EU, sondern eine Stärkung der EU.

Das Europäische Parlament hat seine Rechte, die es nach dem Vertrag von Nizza hat, wahrgenommen und damit die Kräfteverhältnisse ein weiteres Stück zu seinen Gunsten verschoben. Dies haben zuerst die Sozialdemokraten, dann aber auch die anderen Fraktionen durch ihre konsequente Haltung im Europäischen Parlament bewirkt: ein Machtzuwachs des Parlaments – dies ist genau das, was wir wollen, eine stärkere Demokratisierung der Europäischen Union.

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Ausgehend von diesen grundlegenden Zielsetzungen möchte ich einige Punkte genauer beleuchten, die in der Diskussion teilweise streitig sind. Stichwort: Europa. Ich warne davor, den Artikel 23, der die Wahrnehmung der Interessen Deutschlands bei der EU regelt, anzufassen. Dazu besteht kein Bedarf mehr. Es ist absolut richtig, dass der Bund die Vertretung Deutschlands in der EU wahrnehmen soll, und wir sollten uns als Länder davor hüten, im Interesse etwa von Lobbyismus die Linien des Bundes zu konterkarieren. Wir müssen es nicht den Bayern nachmachen, die mit ihrer Staatskanzlei dauernd lange Papiere schreiben und die Bundesregierung konterkarieren. Die Europatauglichkeit des Bundes ist das entscheidende Kriterium. Es gibt mittlerweile so etwas wie ein Sprichwort, das des „german vote“, das Enthaltung bedeutet, weil Deutschland, die Bundesregierung, sich nicht mit wichtigen Bundesländern hat einigen können. Das ist der falsche Weg.

Die SPD verfolgt in diesem Projekt insbesondere drei Ziele, ich will sie in der Allgemeinheit nur kurz umreißen. Das erste, zentrale Ziel ist die Entzerrung der Kompetenzen, die sich über die Jahre allzu stark verflochten zwischen Bund und Ländern entwickelt haben. Der Föderalismus wird ad absurdum geführt, wenn das Land insgesamt in zentralen politischen Fragen vom Vermittlungsausschuss regiert wird, diesem immer mächtiger werdenden und hinter verschlossenen Türen tagenden Gremium. Immer wenn sich Bund und Länder in ihrem Kompetenzgestrüpp verheddert haben, kommen die Geheimräte aus dem Vermittlungsausschuss und schneiden die da wieder heraus. Eine Reform der Kompetenzordnung muss dem Bund einerseits und den Ländern andererseits wieder mehr Handlungsspielräume einräumen. Wir haben dies bereits im Juni mit unserem Beschluss hier festgehalten, dass nämlich bei Verzicht auf Mitwirkung der Länder im Bund gleichzeitig zum Ausgleich Kompetenzen auf die Länder übertragen werden müssen. Dies ist nach wie vor der Gradmesser für den Erfolg dieser Operation. Es kann aber nicht so laufen, dass die Länder die Kompetenz etwa für das Jagdrecht oder das Gaststättenrecht erhalten und alle anderen streitigen Zuständigkeiten an den Bund wandern. Das können auch Frau Zypris und Frau Künast nicht wollen, und ich glaube, sie wollen das auch nicht wirklich, sie haben es in Interviews so betont. Dahinter steckt aber auch ein Stück Verhandlungsposition.

Was aber auch nicht geht, ist, dass eine Verweigerungshaltung der Länder Platz greift, wenn es um notwendige Bundeskompetenzen geht. Ich nenne erneut das Umweltrecht – und zwar das gesamte Umweltrecht –, die Vertretung Deutschlands in der EU und auch herausragend wichtige Aufgaben wie die Terrorismusbekämpfung. Entflechtung muss in beide Richtungen gehen, und es ist selbstverständlich, dass es anders keine Zustimmung beider Seiten in dieser Kommission geben wird.

Das zweite zentrale Ziel lautet: mehr Transparenz für Bürgerinnen und Bürger. Die Öffentlichkeit muss endlich wieder genauer erkennen können, wer eigentlich was zu verantworten hat. Nur wer die Entscheidungsabläufe und auch die Entscheider kennt, kann erkennen, wer tatsächlich die Verantwortung trägt. Es schadet der Demokratie, wenn der vielfach begründete Eindruck entsteht, es gäbe keine Alternativen, sondern nur eine einzige große Koalition. Zusammenwirken im Bundesstaat darf nicht die Verantwortung für politische Entscheidungen verwischen.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft ein Thema, das die FDP dauernd vorbringt. In wesentlichen Fragen sind wir uns durchaus einig, doch in diesem Punkt muss ich Ihnen, Herr Lindner und Herr Hahn, widersprechen. Sie wollen, dass sämtliche Regelungsmaterien, die der Bund sinnvollerweise einheitlich regeln soll – insbesondere Wirtschafts- und Arbeitsrecht – auf die Länder übergehen. Erläutern Sie uns, wie das gehen soll, wenn es den Verfassungsgrundsatz der gleichwertigen Lebensverhältnisse weiterhin gibt und geben muss. Sie wollen den hoffentlich nicht abschaffen. Deswegen werden wir – jedenfalls an diesem Punkt – Ihrer Linie nicht folgen. Es geht nicht

Zimmermann

Danke schön! – Für die CDU-Fraktion hat nunmehr der Abgeordnete Herr Zimmer das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind uns im Hause einig: Die Reform des Föderalismus ist von herausragender Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland. Sie ist die wichtigste Reform und der Schlüssel für mehr Demokratie, Eigenverantwortung, Entscheidungskompetenz und – ich möchte sogar so weit gehen – für das Überleben des föderalen Systems in der Bundesrepublik Deutschland. Deswegen werden wir der vorliegenden Beschlussempfehlung zustimmen, denn wir wollen, dass die Föderalismuskommission, die Bundesstaatskommission, ein Erfolg wird.

Worum geht es? – Es geht vor allem um die Entflechtung von Entscheidungsprozessen bei angemessener Finanzausstattung der Länder, um die Steigerung der Effizienz der Aufgabenerfüllung und die Europatauglichkeit des Staates insgesamt. Dies geschieht gerade auch vor dem Hintergrund einer immer größer werdenden Beeinflussung nationaler Gesetzgebung durch Richtlinien und Entscheidungen der Europäischen Union.

darum, die Bundesländer zu Unternehmen zu machen, sie sind nämlich keine.

[Beifall bei der SPD – Dr. Lindner (FDP): Doch!]

Ein zweiter Punkt, der wichtig ist, betrifft die Hauptstadtklausel. Auch hier sind Irritationen entstanden, als hätten wir bestimmte Dinge nicht durchgesetzt. Die Formulierung des Entwurfs, wie er im Moment vorliegt, ist das Optimum dessen, was wir erreichen können, und es stünde uns sehr gut an, wenn wir dies auch als Erfolg für Berlin akzeptieren würden. Alle Überlegungen einer weitergehenden Sonderbeziehung Berlins zum Bund – Washington D.C. und ähnliches – sollten wir endgültig beerdigen. Sie sind – auch aus verfassungsrechtlichen Gründen – nicht umsetzbar, die Zementklausel steht dem entgegen, es macht keinen Sinn, diesen Punkt weiterhin zu diskutieren. Wir sollten versuchen, diese Regelung mit Leben zu füllen, wenn sie denn im Zuge der Gesamtreform endlich auch kommt.

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hahn von der FDP?

Bitte, Herr Hahn!

Herr Kollege Zimmermann! Ist Ihnen bekannt, dass das Grundgesetz in Artikel 27 keineswegs das Staatsziel gleichwertiger Lebensverhältnisse formuliert, sondern lediglich eine Kompetenzhürde für den Bund aufstellt, wonach er nämlich nur dann in die konkurrierende Gesetzgebung eingreifen darf, wenn es ihm um diese Ziele geht? – Es ist also keineswegs so, dass das Grundgesetz hier ein Staatsziel definiert. Das ist eine Uminterpretation des Grundgesetzes.

Herr Kollege Hahn! Ich empfehle Ihnen einen Blick in das Grundgesetz, das fördert die Rechtskenntnis. Es geht um Artikel 72, und es geht um den Grundsatz der Wahrung der Einheitlichkeit des Bundes bei der Gesetzgebung. Das bedeutet, dass dies ein Verfassungsgrundsatz ist und nicht nur eine Staatszielbestimmung. Da müssen Sie die Begriffe verwechselt haben, hier geht es um grundsätzliche Normen des staatlichen Zusammenlebens, und ich meine, dass wir an diesen festhalten müssen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Herr Abgeordneter! Achten Sie auf die Zeit! – Ich bitte Sie um Ihre Schlussbemerkung!

Letzter Satz: Verhelfen wir als Abgeordnetenhaus – soweit wir das können – dieser Föderalismusreform zum Erfolg, dann können wir künftig sehr viel Frust vermeiden. Die SPD ist jedenfalls dazu bereit. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Beifall bei der CDU]

Was bedeutet das konkret für Berlin? – Es ist richtig zu sagen, dass wir eine zukunftsfähige, föderale Ordnung haben müssen, die flexibel sein muss, damit sie trotz oder gerade wegen historisch gewachsener Unterschiede zwischen großen und kleinen Ländern, zwischen Stadtstaaten und Flächenländern, zwischen alten und neuen, armen und reichen Ländern einen optimalen Gestaltungsrahmen bietet.

Wo stehen wir aber? – Nach über einem Jahr Verhandlungsdauer haben sich Bundestag und Bundesrat in vielerlei Hinsicht über die konkrete Ausgestaltung der zukünftigen Struktur geeinigt. Doch nicht einmal zwei Monate vor dem geplanten Abschlussbericht, der Mitte Dezember erscheinen soll, signalisiert die Bundesregierung nun ihre ablehnende Haltung in zentralen und wichtigen Feldern. Sie hat es bis zum heutigen Tage nicht fertiggebracht, einen eigenen Beschluss zur angestrebten Verfassungsreform zu fassen. Die Erklärung des Regierungssprechers Anda lässt tief blicken: Man wolle abwarten, bis sich die SPD-Gremien mit dem Ergebnis der Föderalismuskommission befasst hätten. – Ich glaube nicht, dass es die Sache von SPD-Vorständen sein darf, ein überparteilich ausgehandeltes Ergebnis letztendlich zum Scheitern zu bringen.

[Beifall bei der CDU]

Offensichtlich macht der Bundeskanzler die Reform des Föderalismus zum Gegenstand eines Ränkespiels mit seinem Fraktionsvorsitzenden Müntefering. Das ist eine völlige Verkennung der Bedeutung dieses großen Reformprojekts.

[Beifall bei der CDU]

Und Sarrazin meint, allein der Länderfinanzausgleich müsse die Einnahmen der Stadt regeln, anstatt sich darum zu kümmern, dass in Berlin mehr Geld verdient wird. Ein der Untreue, der Verschwendung und Zweckentfremdung öffentlicher Gelder angeklagter Finanzminister hält gegenüber den anderen Ländern die Hände auf. Das machen

wir den anderen Ländern vor, und dafür sollen sie uns noch unterstützen. Ich habe da meine Zweifel.

Wir haben die Verantwortung dafür, die Einnahmen im Land Berlin endlich aus eigener Kraft zu erhöhen, die Standortfaktoren gezielt zu stärken und damit mehr Wirtschaftskraft nach Berlin zu holen. Wir haben eine einmalige Kultur- und Wissenschaftslandschaft; wir haben unsere Museen und unsere Theater; wir haben unsere Universitäten und den Erfindergeist. Darauf müssen wir uns konzentrieren und genau dafür brauchen wir die Freiräume der Eigenverantwortung. Wir müssen zeigen, was wir können und Berlin nicht zum bundesdeutschen Schlusslicht, sondern zu einem Schaufenster Deutschlands machen. Ich nehme diese Chance und Herausforderung gern an, und ich bin dabei gegenüber den anderen Ländern und dem Bund ehrlich. Die Aufgaben, die Berlin als deutsche Hauptstadt und Regierungssitz leistet, kosten Geld. Der Bund und die anderen Länder müssen sich daran beteiligen, und das ist gerecht. Wir müssen diese Lasten auf mehrere Schultern verteilen.

Im Gegensatz zu Ihrem Vorschlag für eine Hauptstadtklausel im Grundgesetz, die die Probleme nur beschreibt, aber nicht löst, Herr Wowereit, habe ich Ihnen schon mehrmals eine Hauptstadtagenda mit konkreten Vorschlägen zur Rolle Berlins in der Bundesrepublik vorgelegt. Darunter ist zu fassen: Wir brauchen ein Leitbild, Berlin als deutsche Hauptstadt und Metropole, in dem die Hauptstadtaufgaben geklärt werden. Daran schließt sich die detaillierte Aufstellung eines Hauptstadthaushalts an, der alle durch die Hauptstadtfunktion veranlassten Aufwendungen des Landes enthält. Dazu zählen Personal- und Ausstattungskosten für die Berliner Polizei, die im Rahmen von Staatsbesuchen oder durch den Schutz von gefährdeten Einrichtungen entstehen, ebenso wie die Unterhaltung einer leistungsfähigen Infrastruktur im öffentlichen Personennahverkehr oder das Angebot an den vielfältigen kulturellen Einrichtungen, um nur wenige Beispiele zu nennen. Sobald der Senat und das Abgeordnetenhaus das Leitbild Berlin beschlossen haben, könnte die Ministerpräsidentenkonferenz gemeinsam mit der Bundesregierung über einen neuen und fairen Hauptstadtvertrag verhandeln.

Aber auch im Berliner Senat ist man sich nicht einig. Ein Beispiel: Herr Wowereit will im Zuge der Reform die Landesverfassungsschutzämter abschaffen. Sein Innensenator Körting, ebenfalls von der SPD, widerspricht vehement in aller Öffentlichkeit.

Ich habe eine Befürchtung: Es droht das Scheitern in einer kleinteiligen Diskussion. Das wäre fatal. Die überwuchernde Zuständigkeit des Bundes muss auf ein Mindestmaß zurückgestutzt werden. Die Probleme müssen dort gelöst werden, wo sie entstehen. Wie soll der Bundestag einschätzen und vernünftig regeln, welche Ladenöffnungszeiten wir in Berlin brauchen, wie unsere Restaurants und Gaststätten ausgebaut werden oder wie wir mit unseren Wohnungsbeständen umgehen? –

[Zuruf des Abg. Hoff (PDS)]

Es geht um klare Zuständigkeiten. Daraus folgt aber auch gleichzeitig, dass es klare Verantwortlichkeiten gibt. Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Wer entscheidet, trägt die Verantwortung.

[Beifall bei der CDU]

Dieser Verantwortung nehmen wir uns an, auch im Wissen, dass dies die Arbeit des Landesparlaments verändern wird, denn die Neuordnung ist keine Einbahnstraße – Herr Zimmermann wies darauf hin. Auch die Länder werden Rechte an den Bund abgeben müssen, vor allem im Bundesrat. Wir wollen eine Neuordnung der föderalen Struktur. Wir brauchen endlich den Wettbewerb zwischen den Bundesländern,

[Beifall bei der CDU und der FDP]

und zwar nicht um den höchsten Anteil am Länderfinanzausgleich, sondern um die Chancen, Eigenverantwortung und Wachstumspotentiale zu erhöhen und den Wohlstand und die soziale Ausgewogenheit zu erhalten und zu fördern.

Wir müssen uns übrigens auch – in diesem Zusammenhang ist es wichtig – von der Strategie Sarrazins und Wowereits verabschieden, eine Klage auf Bundeshilfe einzureichen und ansonsten die Hände in den Schoß zu legen. Wir sagen Ja zur Unterstützung der Klage, weil Berlin die Finanzlasten der Vergangenheit ohne fremde Hilfe nicht bewältigen kann. Aber was tun Wowereit und Sarrazin außer der Klage? – Herr Wowereit lässt es dabei bewenden, eine nichtssagende Formulierung ins Grundgesetz aufnehmen zu lassen, um den Preis, gegenüber den anderen Ministerpräsidenten zusichern zu müssen, dass sich daraus keinerlei finanzielle Forderungen Berlins ableiten lassen. – Da haben wir eine ganze Menge gewonnen, Herr Wowereit, nämlich keinen einzigen Cent.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Aber was haben wir im Augenblick? – Wir haben eine Klausel im Grundgesetz, in der steht, Berlin ist deutsche Hauptstadt. Das wussten wir alle schon vorher. Das ist Allgemeinbildung, die selbst in PISA-Zeiten an unseren Schulen vermittelt wird. Aber da, wo es um den Kern geht, wo es darum geht, welche Gelder wofür wohin fließen, da haben Sie versagt; denn da haben wir die Formulierung, das Nähere regelt ein Bundesgesetz – ein Bundesgesetz, das nicht nur vom Deutschen Bundestag zu verabschieden ist, sondern auch der Zustimmung der Länder im Bundesrat bedarf. Das bedeutet, die ganze Verhandlung, das ganze Schwierige haben Sie beiseite geschoben, das steht uns noch bevor. Und wir verlieren wertvolle Zeit, die wir besser nutzen könnten, wenn es