Protocol of the Session on September 23, 2004

[Klemm (PDS): So ein Quatsch!]

Sie können es gleich korrigieren oder es besser noch einmal nachlesen.

Wir sind uns alle einig, dass nur ein gut umzusetzendes und gut kontrollierbares Gesetz Akzeptanz und Wirkung zeigen würde. Sicherlich zum letzten Mal fordere ich Sie auf, doch noch einzulenken. – Wir machen es einmal umgekehrt, Frau Borsky-Tausch. – Wir werden Ihrem Entwurf jedenfalls nicht zustimmen und bieten an, sich dem unseren anzuschließen. Den Menschen dieser Stadt können wir versichern, dass ab 2006, wenn der rotrote Spuk vorbei ist, auch dieses Gesetz noch einmal auf den Prüfstand kommt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Klemm (PDS): Um Gottes Willen!]

Danke schön, Herr Kollege Schmidt! – Es folgt die PDS. Das Wort hat Herr Klemm. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war mir schon vorab recht sicher, dass diese Debatte auch von der Opposition aus die vorangegangene Debatte in ihrem Niveau noch toppen kann.

[Zurufe von der CDU]

Zum Leinenzwang: Es ist schwierig, zehnmal zu erklären, dass in dem Gesetz kein Leinenzwang verankert ist. Wenn Ihre mitgebrachten so genannten Experten, nachdem man sie auf den Gesetzestext hinweist, immer noch sagen: Sie haben Recht, Herr Klemm, der Leinenzwang steht da gar nicht drin, aber da Politiker sowieso nur Schlechtes tun, vermute ich, dass Sie den Leinenzwang trotzdem wollen, selbst wenn Sie den Nichtleinenzwang in ein Gesetz schreiben und das beschließen. – und wenn Sie dann den Quatsch noch wiederholen, obwohl Sie Hundegesetze durchaus lesen könnten, Herr Schmidt,

dann sind Sie auf dem Niveau, auf dem die Debatte zu diesem Gesetz geführt wurde, sind auch richtig in der CDU-Fraktion. Das hilft uns aber nichts. Wir haben in Berlin nach wie vor keinen Leinenzwang. Das ist auch ein Kompromiss, darüber gibt es auch Diskussionen. Wir haben den Leinenzwang nur präzisiert.

Es gibt Orte, Treppenaufgänge oder öffentliche Verkehrsmittel beispielsweise, wo der Hund kurz gehalten werden soll, an einer einen Meter langen Leine.

Das hat Herr Schmidt jetzt schon bestätigt. Wir werden Sie dann noch länger miterleben. – Herr Schmidt, ich kann Ihnen die Frage, warum wir so oft in diesem Haus über dieses Thema debattieren, gern beantworten:

[Zuruf des Abg. Schmidt (CDU)]

Weil diese Opposition ständig diese Debatten und ständig Anhörungen beantragt und ständig dieselben Experten vorlädt, die wir dann ständig hören müssen und die uns ständig dasselbe sagen.

[Beifall bei der PDS und der SPD – Hoffmann (CDU): Weil die Probleme auch mal gelöst werden müssen!]

Worum geht es? – Wir hatten in Berlin eine Verordnung. Sie war aus verschiedenen Gründen nicht mehr rechtssicher, und da war der Senat in der Pflicht, aus der Verordnung ein Gesetz zu machen. Das ist kein besonders spektakulärer Vorgang und eigentlich auch kein Grund, hier – auch parlamentarisch – darüber solch ein Brimborium zu machen. Der Senat hätte es sich einfach machen können. Er hätte das Wort „Verordnung“ durch das Wort „Gesetz“ ersetzen und Ergänzungen vornehmen sollen. Wir hätten ein Gesetz, so wie es in fast allen Bundesländern gemacht worden ist, insbesondere in den CDUregierten Ländern Bayern, Baden-Württemberg, Hessen – übrigens alle auch mit Rasseliste. Das hätten wir so machen können, haben wir aber nicht. Denn wenn wir schon einmal an ein Gesetz herangehen, gehen wir auch ins Detail.

Kommen wir erst einmal zur Rasseliste. Sie war schon Teil der Verordnung. Sie gilt bereits, bis jetzt ohne Beanstandungen. Wir haben auch einen Koalitionspartner, der die Rasseliste für ein sehr geeignetes Instrument hält und sich auch eine längere Rasseliste hätte vorstellen können. Wir hätten uns eher gar keine vorstellen können. Wir haben darüber diskutieren müssen, das Ergebnis war ein Kompromiss. Wir haben jetzt eine kürzere Rasseliste – ein Schritt in die richtige Richtung. – Aber der Verursacher der Rasseliste war die CDU.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Es waren Herr Schönbohm und Ihr damaliger Fraktionsvorsitzender, die die Rasseliste damals in der Verordnung „untergebracht“ haben. Sie haben die Rasseliste eingeführt,

[Hoffmann (CDU): Erzählen Sie doch nicht so einen Blödsinn!]

und jetzt lügen Sie die Leute an und behaupten, Sie wollen sie abschaffen. Die große Koalition hat sie eingeführt.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Zusätzlich zu der Verkürzung der Rasseliste haben wir für so genannte Kampfhunde noch eine Befreiung vom Maulkorbzwang ermöglicht. Es gab ein hartes Ringen mit dem Koalitionspartner, aber das ist der einzige Wermutstropfen an dem Gesetz.

[Schmidt (CDU): Sie haben Leinenzwang! Definitiv!]

[Schmidt (CDU): Quatsch!]

[Zuruf des Abg. Schmidt (CDU)]

Sie erzählen Quatsch!

[Schmidt (CDU): Ich erzähle keinen Quatsch, das steht hier!]

Jeder, der behauptet, wir hätten einen generellen Leinenzwang, ist zu faul, dieses Gesetz zu lesen.

In zwei Punkten betreten wir Neuland und setzen eine Forderung um, die noch kein Bundesland umzusetzen geschafft hat: Wir führen die Pflichthaftpflicht ein. – Zuerst waren alle Fraktionen dafür, Herr Schmidt. Heute machen Sie die Absatzbewegung. Aber gut, das sind wir von Ihnen gewohnt, Sie wollen keine Verantwortung tragen. – Noch dazu führen wir die Chippflicht ein. In einem Punkt haben wir eine andere Meinung als Herr Garstka. Wie die Daten der Hundehalter geschützt werden, die im Zuge der Chippflicht ermittelt werden müssen, lässt sich in einer Verordnung regeln.

[Ritzmann (FDP): In welcher denn?]

Da braucht man keine Regelung im Gesetz. Aber dass wir eine datenschutzrechtliche Regelung brauchen, darüber sind wir uns einig.

Mit anderen Worten: Wir haben nicht eine Verordnung zu einem Gesetz umgeschrieben, sondern mit der Chippflicht und mit der Pflichthaftpflicht nicht mehr und nicht weniger vorgelegt als das beste Hundegesetz, das es – ab Inkrafttreten – in der Bundesrepublik Deutschland geben wird. Dafür ist Rot-Rot angetreten. Von uns war auch nichts anderes zu erwarten.

[Beifall bei der PDS und der SPD – Heiterkeit bei der PDS]

Warum haben wir eigentlich alle an den gefährlichen „Kampfhund“ geglaubt? – Es ist ja wahr: Auch die CDU hat in der Vergangenheit einen Waffenschein für die Besitzer so genannter „Kampfhunde“ gefordert. Warum haben wir daran geglaubt? – Bei der Beantwortung dieser Frage ist es hilfreich, die aktuelle Diskussion von Medienexperten zu verfolgen. Vor wenigen Wochen fand an der Uni Hamburg eine Diskussion von hochrangigen Journalisten zum Thema „Wie viel Macht hat der Journalismus?“ statt. Ex-„Panorama“-Chef Haberbusch brachte es auf den Punkt. Er sagte, zwar gebe es in Deutschland einen Pressekodex. Allerdings würden die Recherchekultur nur sehr wenige Leute aufrechthalten. Und sein dpaKollege Koch bemängelte:

Die Politik reagiert mit Gesetzen auf Schlagzeilen, die durch Medienhysterie um explosive Knüller entstanden.

und nennt die Kampfhundeverordnungen als Beispiel dafür.

Vor 25 Jahren stand der Deutsche Schäferhund im Kreuzfeuer der Medienkritik. N. Frank bezeichnete ihn im „Stern“ als „Mörder, als „Pershing 2 im schwarzgelben Fell“, als „verbrecherisch-unmoralisch“ und als „Monster“. Der Schäferhund wurde unter großem Volksapplaus als „frühfaschistoides Tier“ bezeichnet und war und ist doch nur ein Hund. Um ihn ist es still geworden. Statt seiner dominiert seit 15 Jahren der „Kampfhund“ die Medien. Noch einmal zur Erinnerung die Fakten: An 58 tödlichen Hundebissen in Deutschland in den letzten 35 Jahren waren sechsmal so genannte „Kampfhunde“ beteiligt, an den Berliner Hundebeißattacken 6 %. Völlige Schmerzunempfindlichkeit, eine Beißkraft bis zu 5 Tonnen, 86 messerscharfe Zähne werden diesen Hunderassen bestätigt. Die Botschaft verfing: „Kampfhunde“ müssen eine Art Mischung aus Tyrannosaurus rex und Krokodil sein. Das Verbot dieser Tiere ist der einzige Ausweg aus dem Dilemma. – Unter der Überschrift „Kampfhundeattacken“ finden sich Beißvorfälle von Dalmatinern, Boxern und allen anderen Hunderassen. Aber die Botschaft zieht: Die „Kampfhunde“ sind die Bösen, und wir müssen nur sie bekämpfen, dann haben wir kein Problem mit gefährlichen Hunden. – Wolf Schneider schrieb in seinem Buch „Wörter machen Leute“:

Danke schön, Herr Kollege! – Wir fahren fort mit den Grünen. Frau Hämmerling hat das Wort und das Mikrofon. – Bitte schön!

Schönen Dank! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Damen und Herren der Regierungsfraktion! Ihr Hundegesetz schafft nicht mehr, es schafft weniger Sicherheit vor Hundeattacken. Aber es enthält auch zwei gute Elemente, die will ich voranstellen: die Haftpflicht und den Chip. So sind die Opfer von Hundeattacken wenigstens finanziell abgesichert, die Hundehalter sind ermittelbar, und es werden auch weniger Hunde ausgesetzt.

Aber noch einmal zur Leinenpflicht. Ihr Gesetz führt den generellen Leinenzwang ein. Nichts anderes ist es. Sie haben definiert, wo überall Hunde an der Leine zu führen sind. Dazu gehören quasi alle Orte, wo Menschen sind. Zeigen Sie mir einen Platz in dieser Stadt, wo keine Menschen sind! Dieser De-facto-Leinenzwang, den Sie in diesem Gesetz festschreiben, ist kontraproduktiv. Damit verhindern Sie ohne entsprechende Auslaufgebiete eine artgerechte Hundehaltung. Wenn Sie das tun, dann können die Hunde neurotisch werden, und sollten sie neurotisch werden, dann sind in erster Linie Kinder die Leidtragenden, denn 70 % aller Hundbisse ereignen sich im eigenen Haushalt der Hundehalter, und meist sind die eigenen Kinder oder die Spielgefährten betroffen. Zu Hause – das sagte Herr Schmidt schon – helfen Leinen und Maulkörbe eben nicht, da helfen nur Sachkunde und ein gut geführter Hund. Dann können Hunde die liebsten und besten Spielgefährten der Kinder sein. Das gilt auch für den generellen Maulkorbzwang bei einigen so genannten „Kampfhunderassen“.

Noch einmal zu der Rasseliste. Insgesamt werden die Hundebisse zu 94 % von Hunden verursacht, die nicht auf dieser Rasseliste stehen. Die Rasse Tosa Inu z. B. ist eine Art Sumoringer, die für unblutige Hundekämpfe in Japan benutzt wird. Wenn diese Hunderasse dabei beißt, wird sie disqualifiziert. Diese Hunderasse ist auf der Liste. Es gibt sie nicht in Berlin. Warum ist dieser Hund auf der Rasseliste? – Sie haben es nicht erklären können. Das Resümee: Auf der Rasseliste befinden sich ausnahmslos ausländische Hunderassen, sieben davon waren in Berlin völlig unauffällig. Die deutschen Hunderassen, die die Beißstatistik anführen, fehlen. Zwei Hunderassen haben sie von der Liste genommen. Aber warum? Wo ist die Begründung dafür? Warum nicht die anderen?

[Klemm (PDS): Sollen die anderen nun rauf?]

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Schlecht ist nicht, wer Schlechtes dabei denkt. Die Fachexperten sagen unisono: Die Gefährlichkeit ist eine individuelle Eigenschaft und nicht rasseabhängig. Also sind Rasselisten der falsche Weg für mehr Sicherheit. Auch ich war unsicher, ob diese so genannten „Kampfhunde“ nicht doch gefährlicher sind als andere Hunde, aber im Unterschied zu Ihnen habe ich gelernt, dass meine Meinung manipuliert wurde. Es gibt sie nicht, die so genannten „Kampfhunde“. Das Einzige, was gegen gefährliche Hunde hilft,

ist der Hundeführerschein mit dem Nachweis der Sachkunde und einem Wesenstest – so, wie es unser Gesetzentwurf vorsieht.

[Beifall bei den Grünen]

Die Massenmedien schaffen einen Konformitätsdruck der öffentlichen Meinung. Bei übereinstimmender Berichterstattung eilen sie der öffentlichen Meinung voraus.

Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Welches Tier wird wohl als nächstes das Opfer einer solchen Berichterstattung sein – oder sind es vielleicht gar Menschen?

Lassen Sie mich aber noch ein paar grundsätzliche Dinge zum Thema „Kampfhunde“ sagen: Wir lehnen die Beibehaltung einer Rasseliste ab – trotz der berechtigten Empörung und Betroffenheit über Beißunfälle. In allen Hunden schlummert ein artgerechtes Aggressionsverhalten. Gerichte und Experten bestätigen unisono, dass nicht die genetische Disposition Ursache für Aggression ist. Vielmehr beruht eine solche auf zahlreichen anderen Gründen. Neben der Erziehung und Ausbildung eines Hundes sind Sachkunde und Eignung des Halters für das

Verhalten eines Hundes maßgeblich. Bisse sind außerdem immer die Folge eines bestimmten situativen Einflusses. Es gibt nicht einen einzigen Kynologen, Verhaltensforscher oder Polizeiexperten, der einen rassebezogenen Regulierungsansatz für sinnvoll hält.

Mit Ihrem Gesetz fördern Sie zudem nicht den Schutz der Bevölkerung, ganz sicher aber die Bürokratie. Sie verpflichten jeden Besitzer zur Kennzeichnung seines Hundes mit einem Chip. Bereits die Tatsache der generellen Kennzeichnungspflicht stellt in den Augen diverser Sachverständiger einen unverhältnismäßigen und damit rechtlich bedenklichen Eingriff in die Handlungsfreiheit der Hundehalter dar. Selbst die Stellungnahme der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz vom Mai dieses Jahres stellt fest, dass der durch die Chippflicht zu erwartende Nutzen in keinem Verhältnis zu dem mit der Einführung verbundenen Aufwand steht. Aber Sie hören noch nicht einmal auf Ihre eigene Verwaltung! Statt dessen belasten Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der SPD und der PDS, den Hundehalter nicht nur mit dem finanziellen und organisatorischen Aufwand der Kennzeichnung. Sie schaffen eine neue Bürokratieebene, die sich mit der Erhebung, Speicherung und Verwaltung der Daten beschäftigen dürfte. Die Kosten hierfür darf dann der Steuerzahler begleichen.

Frau Kollegin, darf ich Sie kurz unterbrechen? – Die Redezeit ist schon lange abgelaufen.