Protocol of the Session on April 29, 2004

bürger, die derzeit bei 42 Prozent liegt, um 15 Prozentpunkte zu senken?

[Zuruf der Frau Abg. Breitenbach (PDS)]

Warum nehmen wir uns ebenfalls nicht vor, dass jeder Schüler im Bezirk Neukölln zumindest einen Hauptschulabschluss erwirbt? Bislang bleibt jeder zweite ohne Abschluss auf der Straße.

Das Quartiersmanagement kann solche Probleme jedenfalls nicht lösen. Es schafft auch keine neuen Arbeitsplätze. Es wurde viel Geld fehlgeleitet. Das Quartiersmanagement kann im besten Fall eine positive Entwicklung positiv begleiten. Das Quartiersmanagement ist nicht in der Lage, die Ursachen der Misere zu bekämpfen.

[Beifall bei der FDP]

Der Sozialstrukturatlas ist eine Beschreibung der Misere. Er leistet allerdings keinen Beitrag zur Bekämpfung dieser Kalamitäten.

Ich fasse zusammen: Arbeitsmarktpolitik, Standortpolitik, Wirtschaftspolitik, Bildungspolitik und Integrationspolitik für Migrantinnen und Migranten müssen die Schwerpunkte jeglicher Politik in Berlin sein. Alles andere rückt im Hinblick auf die Sozialstruktur der Stadt ins zweite Glied. Im Übrigen gilt das auch für verschiedene Empfänge und Parties. Der Regierende weiß wohl, wovon ich spreche. Das Quartiersmanagement muss neu geregelt werden. Finanzielle Zuwendungen sollten von dem Lieblingsprojekt Strieders direkt in die oben genannten Politikfelder fließen. Außerdem ist es nötig, das Geld nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip auszugeben. Von sozial starken Bezirken muss man verlangen können, dass sie eher auf eigenen Füßen stehen. Schwächere Bezirke dagegen sollten verstärkt unterstützt werden. Damit ist den Menschen in Berlin mehr geholfen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Lehmann! – Es folgt Bündnis 90/Die Grünen. Frau Jantzen hat das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Sozialstrukturatlas ist Aufforderung zum gemeinsamen Handeln“, das erklärte Frau Knake-Werner bei der Vorstellung des Sozialstrukturatlasses 2003 am vergangenen Freitag. Weiter sagte sie:

Politik für eine soziale Stadt, die wir trotz aller Probleme weiter gestalten werden, muss sich an den Problemen orientieren und eingefahrene Gleise verlassen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Stadt ihren sozialen Zusammenhalt verliert und ganze Stadtteile auf der Strecke bleiben.

Frau Knake-Werner, das sehen wir auch so. Wo Sie allerdings eingefahrene Gleise verlassen, das sehen wir derzeit noch nicht.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Hoffmann (CDU)]

[Doering (PDS): Das ist doch Quatsch! Was ist denn der nächste Tagesordnungspunkt!]

Auch im politischen Umgang fahren Sie von PDS und SPD auf alten Gleisen. Sie schüren damit noch die Politikverdrossenheit nicht nur bei den Bürgerinnen und Bürgern, nein, Sie schüren auch die Politikverdrossenheit bei uns Abgeordneten.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen – Doering (PDS): Nein! Nächster Block!]

Selbstverständlich halten auch wir die Auseinandersetzung dieses Parlaments mit den Ergebnissen des Sozialstrukturatlas und möglichen Konsequenzen für dringend notwendig. Fünf Tage nach seiner Veröffentlichung, immerhin 356 Seiten – Sie haben ja gehört, Herr Hoffmann ist offensichtlich schon bis Seite 205 gekommen –

[Hoffmann (CDU): Alle Seiten!]

in der Langfassung ist es einfach zu früh, die Ergebnisse tatsächlich zu bewerten und fundierte Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir hätten uns etwas mehr Zeit dazu lassen sollen und wie verabredet zunächst erst einmal im Ausschuss für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbraucherschutz grundsätzlich darüber diskutieren sollen.

[Frau Dr. Schulze (PDS): Das tun wir doch!]

Offenbar spielen in dem Gefühl oder der Wahrnehmung der Menschen in der Stadt andere Faktoren, wie z. B funktionierende Nachbarschaften, gegenseitige Hilfe, bürgerschaftliches Engagement, die Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums und eine gute Infrastruktur – das geht von Grünanlagen über Geschäfte im Kiez, in denen man seine täglichen Einkäufe erledigen kann bis zu Sozial- und Bildungseinrichtungen – eine größere Rolle.

Wollen wir dem Trend einer weiteren Entmischung der Bezirke oder Kieze entgegenwirken und besonders den Wegzug junger Familien mit Kindern aus der Innenstadt aufhalten, dann müssen wir die Wohn- und Lebensqualität verbessern. Gefragt ist dabei zuallererst die Verkehrs- und Stadtplanungspolitik, aber auch die Jugend- und Bildungspolitik. Auf die verschiedenen Programme bei Kitas und Schulen ist bereits verwiesen worden. Zu warnen ist allerdings davor, zu meinen, dass mit Kürzungen in der Grundausstattung oder Erhöhung der Kitagebühr entgegengewirkt werden kann. So naheliegend es auch ist – wie von allen Seiten gefordert –, finanzielle Mittel und Angebote in den besonders belasteten Gebieten zu konzentrieren, so gefährlich ist es auch – das sieht man z. B. in den Gebieten in Spandau oder Marzahn –, weil sich andere Gebiete zu Problemgebieten entwickeln können, wenn es nicht gelingt, die Grundausstattung der sozialen Infrastruktur zu sichern.

Das tun wir dann trotzdem noch, aber ob dann noch neue Erkenntnisse kommen, Frau Dr. Schulze, das wage ich zu bezweifeln. Hier wird ja deutlich, dass jeder bereits vorher weiß, was enthalten ist, und auch irgendwie seine Rezepte auf der Platte hat, wie in den verschiedenen Debatten der Vergangenheit auch schon.

Ich erlaube mir, aus der Diskussion 1998 Frau Pohle zu zitieren und ihre Kritik sozusagen zu übernehmen:

Am Freitag vergangener Woche stellte Senatorin Hübner der Presse den Sozialstrukturatlas vor und verband das mit der Forderung nach einem so genannten Länderfinanzausgleich auf der Ebene der Bezirke. Anfang dieser Woche hatte jede Fraktion ein Exemplar dieses Atlas in der Hand. Wir debattieren also vor allem über das, was in der Presse nach der Pressekonferenz referiert wurde. Genau so sollte verantwortliche Politik, wenn sie glaubwürdig sein soll, nicht agieren.

So damals Frau Pohle von der PDS.

Genau diese doch recht oberflächliche Debatte zwingen Sie von der PDS uns jetzt mit Ihrem Koalitionspartner von der SPD auf, fahren offenbar auch dort in eingefahrenen Gleisen. Der Unterschied ist allenfalls, dass die Senatorin jetzt Knake-Werner heißt, sie für den Länderfinanzausgleich unter den Bezirken die treffendere Bezeichnung „Wertausgleich“ gefunden hat und wir – ITmäßig fortgeschritten – den Sozialstrukturatlas auf Anforderung im Internet herunterladen können bzw. ihn seit gestern auf einer CD-ROM in der Hand halten. Aber kommen wir noch etwas zum Ernst der Sache.

[Doering (PDS): Nach fünf Minuten!]

Neu ist an den Reaktionen auch nicht, dass die Menschen, wie z. B. die um den Viktoria-Park, die sich eigentlich in ihrem Kiez wohlfühlen und keinesfalls einen Problemkiez sehen, sich plötzlich nach der Veröffentlichung der Rangliste in einem Problemkiez wohnend wiederfinden. Nun sind zwar die im Sozialstrukturatlas zu Grunde gelegten Indikatoren wie die Zahl der Sozialempfänger und Sozialempfängerinnen, Ausländer, Einkommen, Bildungsstand und anderes weitaus fundierter als vor einigen Wochen die der veröffentlichten Problemkieze des Senators für Inneres, gegen die sich die Menschen in den betroffenen Gebieten zu Recht gewehrt haben, es stellt sich jedoch trotzdem die Frage, ob sie den Merkmalen entsprechen, an denen die Menschen in Berlin die Lebensqualität oder auch Problemlagen in ihrem Kiez festmachen. Aus diesen Reaktionen sollten wir auf jeden Fall schlussfolgern, dass wir uns vergegenwärtigen und das der Presse deutlich machen müssen, was der Sozialstrukturatlas leistet und was er nicht leistet. Er liefert zunächst Daten, die Anhaltspunkte dafür bieten, ob ein Stadtteil auf Grund der Häufung von besonderen Personengruppen oder Problemlagen ein Problemkiez sein könnte. Ob er das wirklich ist, muss dann genauer überprüft werden, bevor man derartige Sachverhalte zum Beispiel über die Presse verbreitet.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Auch unter Rot-Rot ist der Trend der großen Koalition fortgesetzt worden, den Bezirken die Hauptlast der Haushaltskonsolidierung aufzubürden. Die Folge sind weiterhin Kürzungen der Angebote der sozialen Infrastruktur, der Kinder-, Jugend-, Alten- und Migrantenarbeit und im baulichen Unterhalt für Schulen, Kitas, Straßen, Grün und Sportanlagen. Sonderprogramme wie das Schul- und Sportanlagensanierungsprogramm oder auch die EU- und Bundesprogramme zur sozialen Stadtentwicklung können diesen Mangel, den sozusagen selbst herbei geführten Mangel, nicht ausgleichen.

Wenn Herr Liebich, wie in der „Morgenpost“ zu lesen war, erklärt, dass man künftig koordiniert und gemeinsam alle jene sozialpolitisch relevanten Projekte unter dem Dach des Senats realisieren werde, dann stellt er dem rotroten Senat selbst ein Armutszeugnis zur Halbzeitbilanz aus. Warum haben Sie das eigentlich bisher nicht geschafft? – Als Rot-Rot die Regierung übernahm, gab es doch bereits eine Lenkungsgruppe Soziale Stadt auf Staatssekretärsebene, an der alle relevanten und hier aufgeführten Senatsverwaltungen beteiligt waren. Haben Sie diese erst einmal eingestampft, um sie jetzt wieder neu aus der Taufe zu heben?

Das Ziel und die Projekte zur Verbesserung der Lebensqualität in den Stadtteilen wie auch, die Verbesserung der Lebenslagen für die Menschen optimaler zu koordinieren und ressortübergreifend gemeinsame Handlungs- und Entwicklungsziele zu entwickeln, das steht alles in Ihrer Koalitionsvereinbarung. Aktivitäten im Rahmen des Gesunde-Städte-Netzwerkes, das Projekt der lokalen A

Was hier ermittelt wird, ist nicht die Wohlfühlqualität der Menschen, denn nicht jeder Wohnbezirk mit einer schwierigen Sozialstruktur ist zwangsläufig ein Problembezirk, schon gar nicht einer aus polizeilicher Sicht oder in der Wahrnehmung derjenigen, die dort leben oder ihre Freizeit gestalten.

Nein, das möchte ich jetzt nicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren ! Sie können sicher sein, ich habe diesen Sozialstrukturatlas nicht aufgelegt, Herr Hoffmann, um eine neue Elendsdiskussion in Berlin zu beginnen. Dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Ich habe ihn auch nicht aufgelegt, um einzelne Kieze schlecht zu reden oder gar untaugliche Vergleiche mit Rio de Janeiro zu provozieren. Mir ging es vor allem darum, nicht zu dramatisieren, sondern die vorhandenen Schwierigkeiten deutlich zu machen. Ich will damit die Debatte und die Lösung von Problemen voranbringen. Ich glaube, das haben wir auch nötig.

genda, die Umsetzung der Leitlinien für eine kinder- und jugendfreundliche Stadt, das Quartiersmanagement, die Weiterentwicklung des Konzepts der Stadtteilzentren, diese Ansätze laufen wie bisher in der Verantwortung einzelner Senatsverwaltungen immer noch relativ unkoordiniert nebeneinander. Sie hatten die Zeit, bessere Schritte zu gehen, als Sie das bisher getan haben.

Ich komme nun zum Schluss. –

[Niedergesäß (CDU): Wurde auch Zeit!]

Ansätze für ressortübergreifendes Handeln und gemeinsames Handeln sind durchaus vorhanden. Ich nenne nur die Sozialraumorientierung der Jugendhilfe, Settingansätze in der Gesundheitsförderung und Prävention. Diese Ressourcen zusammenzuführen und gemeinsame Entwicklungsziele zu bestimmen, wären die richtigen Schritte. Ich wünsche der Koalition im Interesse der Stadt und der Bürgerinnen und Bürger, die hier wohnen, dabei ein gutes Händchen bis zum Ende der Legislaturperiode.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Kollegin Jantzen! – Wir kommen nun zum Senat. Frau Senatorin Dr. Knake-Werner ergreift das Wort und hat es. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat stellt sich zuerst die Frage, was kann ein Sozialstrukturatlas und was kann er nicht.

Ein Atlas zeigt Fakten auf, zum Beispiel die Höhe der Berge und die Lage von Seen. Aber das sagt noch nichts darüber aus, ob die Berge eine schöne Aussicht haben oder ob man in diesem See baden kann. Anhand der Fakten kann man Rückschlüsse ziehen; z. B. je höher der Berg, desto schöner die Aussicht, oder je höher der See liegt, desto kälter das Wasser. Diese Rückschlüsse müssen aber nicht in jedem Einzelfall zutreffen, denn wir haben es beim Atlas mit einer Draufsicht zu tun, Betroffene aber gehen meistens von einer Binnensicht aus. Das zeigt sich z. B. darin – um im Bild zu bleiben –, dass Eisschwimmer vermutlich noch den kältesten Bergsee mollig warm finden. Diese Probleme, die ich hier an einem normalen Atlas aufgezeigt habe, kann man durchaus auf den Sozialstrukturatlas beziehen. Er bildet die tatsächliche soziale Lage der Bevölkerung in Berlin detailliert und sozialräumlich ab, nicht mehr und nicht weniger.

[Niedergesäß (CDU): Das bezweifeln wir!]

Er stützt sich dabei auf Daten des Statistischen Landesamtes zwischen 1998 und 2002. – Hören Sie gut zu, Herr Hoffmann, das ist nämlich hier keine Bilanz rot-roter Regierungspolitik,

[Hoffmann (CDU): Ich weise entschieden zurück, dass ich nicht zuhören würde, Frau Senatorin!]

sondern wenn es überhaupt um Schuldzuweisungen geht, die ich hier für völlig unangebracht halte, dann höchstens solche an eine große Koalition.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Frau Senatorin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Czaja?