Mir bleibt abschließend festzuhalten: Wenn wir bei Ihren Anträgen den Schaum, der sozusagen um die Anträge herum ist, und die heiße Luft abstreichen und uns auf die Kernaussagen, die in den Anträgen enthalten sind, konzentrieren werden, glaube ich, werden wir eine sehr interessante und wahrscheinlich auch ergebnisorientierte Diskussion haben. – Herzlichen Dank!
Danke schön, Frau Kollegin Michels! – Das Wort zu einer Kurzintervention hat nunmehr der Kollege Hahn. – Bitte schön, Herr Hahn!
Danke schön, Herr Präsident! – Liebe Frau Kollegin Michels! Was mich wirklich ärgert, ist diese Genügsamkeit, die Art, mit der Sie sich zufrieden geben mit dem wenigen, was wir in den Wirtschaftsbeziehungen zu Osteuropa erreicht haben. Da werden ein paar Treffen arrangiert, und Sie meinen, das reicht, Berlin voranzubringen. Wir sind so meilenweit entfernt davon, Drehscheibe für den Ost-West-Handel zu werden, dass wir dringend aufwachen müssen. Da können wir uns nicht mit dem Stand der Dinge zufrieden geben, den es hier gibt. Ich will Ihnen einmal nennen, was die Stadt Wien dagegen alles macht.
Das können Sie im Internet abrufen, da steht, wie Wien die europäische Erweiterung nutzt. Unter der Überschrift: „Europa geht weiter – Wien geht voran. Wien nutzt aktiv die Chancen der Erweiterung.“ ist aufgeführt, was die Wiener da machen. Sie unterhalten schon seit langen Jahren eigene Verbindungsbüros,
in 11 MOE-Städten. Sie sind in Belgrad, in Bratislava, in Budapest, Bukarest, Krakau, Laibach, Prag, Sarajewo, Sofia, Warschau und Zagreb mit eigenen Büros präsent. Wir dagegen haben einen One-Dollar-Man, der alles allein und ehrenamtlich für uns wahrnehmen muss. Wir werden so, wenn wir nicht bald aufrüsten in dieser Beziehung, noch weiter abgehängt werden. Im Vierländereck rund um Wien ist die Staatsgrenzen überschreitende Europaregion längst geschaffen worden. Man formuliert längst gemeinsame Entwicklungsziele und baut Partnerschaften konkret aus. Das können Sie auch an den Außenhandelszahlen ablesen. Wien ist wesentlich weiter als wir, auch Kopenhagen ist weiter als wir. Wir können uns nicht mehr begnügen mit den kleinen Anfangserfolgen, Wir müssen hier endlich aufwachen, und darum wiederhole ich erneut: Berlin muss jetzt klotzen, nicht länger kleckern.
Herr Hahn, ich kann ja nicht dafür. Mich geht auch nichts an, mit wem Sie sich treffen. Aber Europapolitik zu reduzieren auf einige wenige Treffen, halte ich für eine platte Behauptung, ein Plattitüde allerersten Ranges. Sie haben hier Histörchen erzählt. Dann erzähle ich auch einmal eine, wie Sie Europapolitik machen, aus dem letzten Ausschuss. Sie bringen einen Antrag ein, fordern den Senat auf – Herr Schmitz wird sich sicherlich daran erinnern –, dass der Senat nun endlich mal ein Treffen mit allen Wojwoden aus den Nachbarstaaten machen soll. Und die Antwort des Senats ist:
Seit Jahren oder seit Monaten bestehen regelmäßige Kontakte, wo es Treffen gibt zwischen dem Senat, der Berliner Regierung, ja sogar Berlin-Brandenburger Regierung und den Wojwoden. Sie hinken also immer hinterher. Dafür kann ich nicht. Wenn Sie jetzt aufwachen zu Europa, dann ist das Ihre Sache.
Es wäre schön, wenn Sie auch einmal ein bisschen hinter die Kulissen schauten und mit uns gemeinsam Ergebnisse transportierten. Dann haben Sie uns auf Ihrer Seite. Aber ansonsten lassen wir uns Erfolge, die nun einmal da sind – schade, dass sie nicht von Ihnen sind, ich finde das richtig –, auch nicht klein reden. Daran werden auch Sie nichts ändern.
Danke schön, Frau Kollegin Michels! – Das Wort für die Grünen hat nunmehr der Kollege Cramer. – Bitte schön, Herr Cramer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 1. Mai 2004 ist in der Tat ein historischer Tag. Denn mit der Erweiterung der EU wird auch die Nachkriegsepoche vom geteilten Europa abgeschlossen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam es z. B. zwischen Deutschland und Frankreich zu guter Nachbarschaft, zu persönlichen Beziehungen, ja zu Freundschaft. Und dieser Verständigungsprozess muss jetzt auch mit den mittel- und osteuropäischen Nachbarn gelingen. Daran sollten wir mitwirken, auch weil die Erfahrungen mit der Überwindung der Spaltung Berlins dabei sicherlich nützlich sein können.
Die CDU-Fraktion hat dazu mehrere Anträge eingebracht, deren Inhalt wir in vielen Fällen unterstützen können. Nur, das müssen Sie sich schon gefallen lassen, einen Monat vor dem entscheidenden Datum sind Sie auch aktionistisch.
Denn natürlich hätte man diese Initiativen schon vor 5 Jahren ergreifen können, ja müssen. Denn seit 10 Jahren wird mit den mittel- und osteuropäischen Staaten verhandelt. Während Berlin immer von der Drehscheibe zwischen Ost- und Westeuropa redet, hat Österreich z. B., insbesondere die Stadt Wien – Herr Hahn, da haben Sie Recht –, gehandelt. Kulturaustausch, grenzüberschreitende Verkehrsverbünde, gemeinsame Wirtschaftsprojekte – all das findet dort bereits seit Jahren statt.
Zurückweisen möchte ich allerdings die rein finanziellen Erwartungen an die EU, die sich in den CDU-Anträgen wiederfinden. Es geht nicht um das Thatcher-Modell – wir müssen aus der EU mehr herausholen, als wir hineingeben. Nein, wir müssen doch wissen: Deutschland ist eine Exportnation. Deshalb ist der mit 450 Millionen Menschen größte Binnenmarkt der Welt für unser Land und für unsere Region ein Gewinn jenseits der Nettozahlen. Ich jedenfalls fordere die CDU auf, sich von der rein
buchhalterischen Sichtweise zu verabschieden und ein wenig über den finanzpolitischen Tellerrand zu schauen.
Und auch die Ängste zu schüren, sollten Sie stoppen. Freier Binnenmarkt und nationale Abschottung – das passt nicht zusammen. Es gibt Übergangszeiten für die Freizügigkeit. Es gibt aber auch Initiativen, gerade in den Grenzregionen, in Grenzstädten wie Frankfurt an der Oder, die wollen, dass die Zeiten sich verkürzen, weil sich dann Vorteile für beide Seiten der Oder ergeben. Darauf sollten wir hinweisen und nicht die Ängste schüren.
Deutschland, jahrzehntelang im toten Winkel der zweigeteilten Welt gelegen, wird künftig Drehscheibe in Europa sein und damit Transitland. Damit wir, insbesondere die Menschen in Berlin und Brandenburg, nicht in Stau und Abgasen ersticken, brauchen wir ein intaktes Eisenbahnnetz – da haben Sie durchaus Recht mit Ihren Anträgen – von Lissabon nach Helsinki, von London nach Athen und von Paris nach Warschau. Die EUOsterweiterung ist wirtschaftlich für Berlin und Brandenburg eine Chance, auch weil es seine Randlage verliert. Aber Voraussetzung für wirtschaftlichen Aufschwung ist der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur nach Mittel- und Osteuropa. Notwendig ist es daher, die fünf von Berlin ausgehenden Eisenbahnstrecken unverzüglich zu sanieren und auszubauen. Die entsprechenden Anträge dazu hat das Abgeordnetenhaus bereits beschlossen. Die müssen wir nicht noch einmal beschließen, aber trotzdem, wir müssen den Senat auffordern, auch zu handeln und nicht nur die Beschlüsse zur Kenntnis zu nehmen.
Dann wird man in Zukunft auch von Berlin aus bequem, umweltfreundlich und schnell in alle mittel- und osteuropäische Staaten reisen können. Denn nur mit intakten Verkehrswegen können grenzüberschreitende Regionen gebildet werden, kann das Europa der Regionen von unten wachsen.
Leider setzt der Senat die Prioritäten anders, Herr Wowereit. Und jetzt hören Sie zu! Vor die Wahl gestellt, mit dem bestehenden Finanzvolumen z. B. die Ostbahn zu sanieren oder die neue Stadtautobahn zum Treptower Park zu bauen, entschieden sich SPD und PDS gegen Europa und für den Treptower Hinterhof.
Kein Wunder, dass mit dieser Prioritätensetzung weder die lokalen noch die globalen Umweltziele erreicht werden können. Die Eisenbahnverbindungen nach Mittel- und Osteuropa sind auch für den Regionalverkehr, den kleinen Grenzverkehr, der das Zusammenwachsen fördert, von großer Bedeutung. Sie müssen ergänzt werden durch grenzüberschreitende Verkehrsverbünde. Denn leider fährt die Straßenbahn in Frankfurt auch 15 Jahre nach dem Fall der Mauer, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, noch immer nicht über die Oder nach Slubice.
Und die Neiße ist für den Regionalverkehr noch immer eine unüberwindbare Grenze zwischen Görlitz und Zgorzelec. Während zwischen Österreich, Slowakei und Ungarn grenzüberschreitende Verkehrsverbünde seit Jahren existieren, wurde zwischen dem Verkehrsverbund BerlinBrandenburg und Westpolen kürzlich erst eine Arbeitsgruppe eingerichtet. So wird das nicht gelingen!
Das ansteigende Verkehrsaufkommen kann nur durch eine Wende in der regionalen und in der europäischen Verkehrspolitik bewältigt werden. Sie wissen, die EU hat sich im Kyoto-Protokoll verpflichtet, bis 2012 den CO2Ausstoß um 8 % zu senken. Nach den Industrieanlagen ist der Verkehr mit einem Anteil von 20 % der größte Klimakiller der Region. Auch das Ziel, die Zahl der Verkehrstoten drastisch zu reduzieren – derzeit sind jährlich 40 000 Todesopfer auf den Straßen der EU zu beklagen – ist nur mit einer Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene zu erreichen. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU, es ernst meinen, haben Sie unsere Unterstützung für den Ausbau der Schienenwege nach Mittel- und Osteuropa.
Um die Vergangenheit nicht aus dem Blick zu verlieren, haben wir in Berlin anlässlich des 40. Jahrestages des Mauerbaus die Initiative ergriffen und den Berliner Mauerweg vorgestellt. Das Projekt wurde vom Senat aufgegriffen und wird jetzt umgesetzt. Darüber freuen wir uns. Auch Europa war geteilt. Deswegen übertragen wir die Berliner Idee auf die europäische Ebene. Mit dem „Iron Curtain Trail“, dem „Europäischen Grenzweg“ entlang dem früheren Eisernen Vorhang wollen wir an die Spaltung Europas von der Ostsee bis zur Adria erinnern und auch an die Überwindung des Ost-West-Gegensatzes, an das Verschwinden der Atomraketen auf beiden Seiten der Blockgrenzen und an die Erweiterung der Europäischen Union.
Als ich die Idee vom „Iron Curtain Trail“ neulich vorgestellt hatte, kamen zwei Zyprioten auf mich zu. Die türkische Zypriotin kam aus dem nördlichen, der griechische Zypriot aus dem südlichen Teil der Insel. Beide forderten eine weitere Etappe auch in Nikosia.
Deshalb: Wir sollten uns alle wünschen, dass das Referendum am 24. April positiv ausgeht. Damit würde die Stadt Nikosia dem Beispiel Berlins und Europas folgen und die Spaltung überwinden. Eine schöne Vision; denn eine gespaltene Insel passt nicht zum wiedervereinten Europa.
Ich freue mich auf das gegenseitige Kennenlernen und das Verstehen und erwarte gegenseitige Toleranz auch für die kulturellen Unterschiede. Ich wünsche mir ein Europa. in dem nicht nur die Staaten, sondern auch die Menschen
Ich wünsche mir – und wir alle sollten uns das wünschen –, dass diese Sehnsucht von Nazim Hikmet auch in der erweiterten Europäischen Union Realität wird – und selbstverständlich perspektivisch auch mit einer demokratischen Türkei, in der die Menschenrechte nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch geachtet und respektiert werden. – Schönen Dank!
Danke schön, Herr Kollege Cramer! – Herr Tromp wünscht eine Kurzintervention und hat dazu das Wort. – Bitte schön, Herr Tromp!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Cramer! Es war schön, Ihre erste Wahlkampfrede zu hören. Bloß eins darf ich mir im Namen meiner gesamten Fraktion verbitten: dass Sie so tun, als betrieben wir Aktionismus. Meine Vorgänger als der europapolitische Sprecher der CDU-Fraktion Andreas Apelt und der mittlerweile leider verstorbene Peter Kittelmann haben dieses Thema seit den 90er Jahren in diesem Hause immer wieder angesprochen.
Auch Peter Radunski, damals noch Senator für Bundes- und Europaangelegenheiten, und der ehemalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen haben dieses Thema immer verfolgt. Also hier von Aktionismus zu reden und zu sagen, wir würden das Thema jetzt entdecken, Kollege Cramer, aber auch verehrte Kollegin Michels, das greift in die unterste Schublade und ist ein Stück weit auch Ausdruck von Hilflosigkeit.
Richtig ist: Wir haben wieder den Anlass gesehen, auf das Thema aufmerksam zu machen. In der Debatte ist deutlich geworden: Es gibt Defizite in dieser Stadt. Wir tun gut daran, die Defizite in der Europapolitik jetzt gemeinsam aufzuarbeiten und voranzubringen. – Herzlichen Dank!