Protocol of the Session on April 1, 2004

Die Drucksache 15/2624 „ Vereinbarkeit von Familie

und Beruf gewährleisten – Differenzierte Arbeitszeiten erfordern flexible Kinderbetreuungsangebote“ ist außerdem im Ausschuss für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen mitberaten worden. Zu diesem Antrag hat die Koalition einen Änderungsantrag eingebracht, der Ihnen heute als Beschlussempfehlung vorliegt. Ich bitte Sie hiermit, dieser Beschlussempfehlung Ihre Zustimmung zu geben.

Ich möchte dazu noch einiges sagen. Die Debatte zu

den flexiblen Angeboten der Kinderbetreuungsprojekte, die bis heute zum größten Teil über arbeitsmarktpolitische Instrumente abgesichert wird, ist nicht neu und holt uns immer wieder ein. Für die, die nicht wissen, was damit gemeint ist: Es handelt sich um Angebote, die eine Betreuung von Kindern in der häuslichen Umgebung, bei Bedarf auch an Wochenenden, über Nacht oder in den frühen Morgenstunden beinhaltet oder eine Betreu

ung/Begleitung der Kinder bei Terminen außer Haus. Sie ist immer dann notwendig, wenn Eltern z. B. wegen flexibler Arbeitszeiten Hilfe benötigen. Diese Angebote wurden und werden von Betroffenen teilweise sehr intensiv in Anspruch genommen.

Doch es gibt ein Problem – das ist die Finanzierungs

abhängigkeit vom Arbeitsamt. Nach den Regelungen des KJHG wären diese Angebote entweder der Tagespflege im Sinne eines besonderen individuellen Betreuungsbedarfs oder, in begründeten Ausnahmefällen, der Betreuung in Notsituationen zuzuordnen.

Um eine entsprechende Finanzierungssicherheit zu

erlangen, müssten die Projekte ihre Angebote so definieren bzw. organisieren, dass sie damit den im Kinder- und Jugendhilferecht entsprechen. Deshalb kann es nicht schlechthin darum gehen, wie im Punkt 3 des Ursprungsantrages von den Grünen formuliert wurde, „die in den letzten Jahren entstandenen Angebote flexibler Kinderbetreuung – hauptsächlich finanziert über ABM und SAM – abzusichern“.

Wir sind der Meinung, dass nach einer aktuellen Be

standsaufnahme der gegenwärtigen Angebote und Bedingungen der flexiblen Kinderbetreuung außerhalb der Regelöffnungszeiten der Einrichtungen zunächst geprüft und dann entschieden werden muss, welche Modelle in Berlin zur Betreuung von Kindern über die vorhandenen Öffnungszeiten der Einrichtungen hinaus zu fördern sind bzw. erst entwickelt werden müssen. Und das ist nur im engen Zusammenwirken von Bezirken, Trägern und Betrieben möglich.

So weit zu diesem Thema. Was die anderen Anträge

angeht, so ist nur zu sagen: Wir lehnen sie ab. Die Gründe dafür sind ausreichend dargelegt worden.

Wir Liberalen treten für ein qualitativ anspruchsvolles, pluralistisches, aber auch bezahlbares Betreuungs- und Bildungsangebot für unsere Kinder ein. Dieses Angebot soll dazu beitragen, die Erziehungs- und Bildungsdefizite, insbesondere die Sprachdefizite, zu beheben und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erhöhen. Nur so schaffen wir ein zukunftsfähiges Berlin. Wir sind davon überzeugt, dass dies nahezu vollständig im Rahmen von privater Initiative leistbar ist und es dazu im Wesentlichen nur der richtigen Rahmensetzung bedarf. Wir haben jetzt schon viele sehr gute Kitas in freier Trägerschaft – dieses Angebot muss ausgebaut werden.

Daher fordern wir den Senat auf:

Die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Einführung des Kitagutscheins zu schaffen und dazu die Rahmenbedingungen, d. h. ein standardisiertes Antrags-, Planungs- und Bewilligungsverfahren, verbunden mit mehr Transparenz

für die Eltern und Anbieter von Kitaplätzen. – Der Gutschein soll die Wahlfreiheit der Eltern erhöhen und damit den Wettbewerb um qualitativ bessere Betreuung und Bildung der Kinder. Die bezirklichen Kitas unmittelbar in die freie Trägerschaft zu überführen und nicht über einen öffentlichen Großbetrieb, egal in welcher Rechtsform. – Alle Erfahrung lehrt uns, dass öffentliche monopolartige Großanbieter inflexibel und ineffizient und nur schwer wieder auflösbar sind. Eine Liste der Kinderbetreuungseinrichtungen zu erstellen, die in freie Trägerschaft überführt werden und die in öffentlicher Hand verbleiben sollen.

Alle drei Anträge hat die rot-rote Koalition im Aus

schuss für Jugend, Familie, Schule und Sport abgelehnt. Dies wäre verständlich, wenn etwa durch Handeln des Senats die Forderungen der Liberalen entbehrlich geworden wären. So stammen die Anträge der FDP aus dem Jahr 2002. Dies ist aber nicht so, obwohl uns die Koalition im Ausschuss das Gegenteil einreden wollte.

Zum einen wollte auch die rot-rote Koalition die

Überführung der bezirklichen Kitas in freie Trägerschaft – so noch deren Koalitionsaussage –, zum anderen stagniert der Prozess der Überführung. Stattdessen kommt es zu einer Überführung der bezirklichen Horte in die Schulen und was dann noch übrig bleibt, soll den Weg über eine „Zwischenlösung“ in einen der größten öffentlichen Kinderbetreuungsbetriebe in Deutschland und dieser Stadt mit mehreren Tausend Beschäftigten nehmen.

Auch die Kita-Card sollte nach der rot-roten Koaliti

onsvereinbarung eingeführt werden. Bereits zum Betreuungsjahr 2003/2004 sollte das Verfahren der Anmeldung bei Kitas evaluiert werden. Die Einführung der Kita-Card sollte mit dem Prozess der Überführung der Kitas in freie Trägerschaft und der Einführung vergleichbarer Kostensätze für die verbleibenden öffentlichen Kitas einhergehen. – Damit wird deutlich, was der eigentliche Grund

für die Ablehnung der Anträge ist: Die von den Liberalen eingeforderte Liste über die zu überführenden und die in öffentlicher Hand verbleibenden Kitas würde das Scheitern des Senats deutlich machen und damit dessen Glaubwürdigkeit erschüttern.

Die Einführung der Kita-Card und die damit verbun

denen vergleichbaren Kostensätze auch für öffentliche Kitas würden nicht zu einer Reduzierung der tatsächlichen Kosten beitragen. Schon bald wird erkennbar, was etwa beim Jugendaufbauwerk mit nur ca. 1 000 Beschäftigten als öffentlich-rechtliche Einrichtung mit Defiziten in Millionenhöhe schon längst erkennbar wurde, dass neben der Ausfinanzierung der Leistungen auf der Basis von Verrechnungssätzen noch erhebliche Defizite laufend durch das Land und damit durch den Steuerzahler finanziert werden müssen. Das Land Berlin wird die beabsichtigte Abwicklung des Jugendaufbauwerks noch viele Millionen kosten. Was wird aber eine Abwicklung einer um ein vielfaches größeren Einrichtung der Kinderbetreuung mit weit über 45 000 Kitaplätzen kosten?

Die PDS als Nachfolgepartei der SED sollte aus der

eigenen historischen Erfahrung mit großen Staatsbetrieben wissen, wie ineffizient öffentliche Strukturen der Leistungserbringung sind. Und die SPD muss endlich begreifen, dass die Stadt nicht länger auf die Alimentationsmechanismen des Kalten Krieges setzen darf. Die Stadt Berlin muss sich zunehmend aus eigener Kraft und damit Leistungsfähigkeit im Wettbewerb behaupten. Daher lehnt die FDP-Fraktion die Gründung einer landeseigenen Kita-GmbH grundsätzlich ab, sonst muss wieder der Steuerzahler haften.

Der Antrag der Grünen-Fraktion zur Vereinbarkeit

von Familie und Beruf ist durch die rot-rote Koalition weitgehend aufgeweicht. So soll nur noch ermittelt, berichtet, geprüft und entwickelt werden. Der Ursprungsantrag wiederum, dem wir weitgehend zustimmen können, lässt für die FDP-Fraktion ungeklärt, wie die Angebote flexibler Kinderbetreuung abgesichert werden können. Wir enthalten uns daher bei diesem Antrag.

Den Antrag der CDU-Fraktion, bei dem es darum

geht, die Tagespflege weiter zu entwickeln und zu qualifizieren, unterstützen wir. Wir sind der Ansicht, dass insbesondere im Ostteil der Stadt das private Engagement auszubauen ist, nicht nur, weil es kostengünstiger ist, sondern auch, weil es gesellschaftspolitisch zur Stärkung des Bewusstseins der Eigenverantwortung geboten ist. Berlin muss sich insofern auch einem Kosten- und Leistungsvergleich bei der Tagesbetreuung mit anderen Großstädten stellen.

Wer – wie die PDS – jedoch an alten Strukturen fest

hält, verweigert sich einem solchen Vergleich und einem notwendigen Mentalitätswechsel. So jedenfalls werden PDS und SPD die Stadt nicht in eine aussichtsreiche Zukunft führen. Dieser Strukturkonservatismus wird Berlin in keine verheißungsvolle Zukunft führen. Weniger Staat und mehr Eigenverantwortung und Eigeninitiative, wie sie durch freie Träger im Wettbewerb erbracht werden, sind das Gebot der Stunde.

Wir beraten unter diesem Tagesordnungspunkt eine

Reihe von Anträgen, die im Kern die Verbesserung der Qualität der Bildung, Erziehung und Betreuung sowie die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zum Inhalt haben. Es geht darum, die notwendigen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Väter und Mütter ihre Kinder in den Kitas gut aufgehoben wissen und die Erzieher und Erzieherinnen das ambitionierte Bildungsprogramm für die Kitas auch umsetzen können. Dazu müssen endlich die vom Senat geplanten Strukturreformen – Übertragung von Kitas an freie Träger, Ausgliederung aus den Bezirken, Ausbau der Tagespflege – in trockene Tücher gebracht werden. Die verschiedenen Baugruben im Kitabereich müssen gefüllt werden, damit sich die Kitas

endlich in Ruhe ihren eigentlichen Aufgaben – der Bildung und Erziehung der Kinder – und der Verbesserung der Qualität widmen können.

Dass dies dringend notwendig ist, darin sind sich

Opposition und Koalition nach ihren Aussagen auch einig. Schauen wir jedoch genau hin, stellen wir fest, dass SPD und PDS nicht bereit sind, die notwendigen Vorgaben im Parlament dann auch zu beschließen. In unserem Antrag „Vielfalt der Berliner Kitalandschaft erhalten – Qualität sichern“ fordern wir, die durch den im Anwendungstarifvertrag Freizeitausgleich entstandene Minderung der Personalausstattung in den kommunalen Einrichtungen vollständig auszugleichen und endlich die Rahmenbedingungen für die gewünschten Übertragungen und die Ausgliederung der Kitas aus den Bezirken zu schaffen. Die Entscheidungen sind überfällig und mitnichten – wie uns der Senat weismachen will – bereits geklärt. Die von PDS und SPD beschlossene geänderte Fassung, der Senat möge das vorgelegte Bildungsprogramm weiterhin umsetzen und mit allen Trägern eine

Qualitätsvereinbarung abschließen, können die Erzieher und Erzieherinnen in den Kitas nur als Hohn empfinden. Zum einen ist das Programm noch in der Abstimmung. Zum anderen ist es nicht der Senat, der es dann umsetzen muss. Umsetzen werden es die Erzieher und

Erzieherinnen in den Kitas. Wie aber sollen sie das mit immer weniger Personal schaffen? – Bereits im letzten Jahr wurde die Kitapersonalausstattung durch die Vergrößerung des Hortschlüssels und die Reduzierung der Freistellung für die Leitungsaufgaben verschlechtert. Jetzt fehlt in den kommunalen Kitas zusätzlich Personal, weil zwar für 50 % des Freizeitausgleichs Stellen bewilligt, aber noch nicht besetzt sind. Ob und wie die Erzieher und Erzieherinnen verpflichtet werden können, die anderen 50 % ihres Freizeitausgleichs erst zum Ende ihrer Lebensarbeitszeit zu nehmen, bleibt abzuwarten. Mit der Beschlussempfehlung zu unserem Antrag drücken Sie sich vor ihrer Verantwortung, in den Einrichtungen auch die Voraussetzungen für die Umsetzung des Bildungsprogramms klar zu setzen. Da spielen wir nicht mit. Der Beschlussempfehlung können wir so nicht zustimmen.

Meine Damen und Herren von PDS und SPD, mit

Ihren Kürzungen und den bis heute verschleppten Entscheidungen bewirken Sie das glatte Gegenteil von dem, was Sie im Wahlkampf versprochen und zu Beginn Ihrer Koalition vereinbart haben: Sie verschlechtern die Qualität der Bildung und Erziehung der Kinder. Und Sie machen es vielen Eltern – insbesondere allein

Erziehenden – schwerer, ihren Beruf mit der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder zu vereinbaren. Eltern werden mit kürzeren Öffnungszeiten und längeren Schließtagen in den Ferien konfrontiert. So wird der Bedarf an Betreuungszeiten außerhalb der regulären Öffnungszeiten erhöht. Die Eltern werden vor die schwierige Aufgabe gestellt, die Betreuung ihrer Kinder anderweitig sicher zu stellen, und damit alleine gelassen.

Im Zuge der Diskussionen um die Sozial- und Ar

beitsmarktreformen im Bund wird allenthalben geklagt, dass in unserem Land zu wenig Kinder geboren werden. Wer will, dass mehr Frauen und Männer sich für ein Leben mit Kindern entscheiden, der muss auch familienfreundliche Bedingungen schaffen. Eine wichtige Voraussetzung sind gute Bildungs- und Kinderbetreuungsangebote, auch in den Zeiten, die von regulären Öffnungszeiten der Kitas nicht abgedeckt werden. Wir können ja fordern, dass Menschen mit Kindern möglichst nur während der Kitaöffnungszeiten beschäftigt werden sollen. Die Realität ist jedoch eine andere. Untersuchungen bestätigen, dass auch in Berlin viele allein Erziehende Stellenangebote nicht annehmen können, weil die Arbeitszeiten eben nicht innerhalb der regulären Öffnungszeiten liegen. Hier gilt es, ergänzend flexible Angebote wie die auf Initiative der allein Erziehenden entstandenen Kinderbetreuungsprojekte oder auch

Tagespflege abzusichern. Wir erwarten, dass dies durch den Beschluss zu unserem Antrag über Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleisten – differenzierte Arbeitszeiten erfordern flexible Kinderbetreuungs

angebote geschieht und Eltern in Zukunft bei Bedarf auch problemlos und verlässlich auf diese Angebote

zurückgreifen können.

Damit kommen wir zu den Abstimmungen. Zum Antrag Drucksache 15/1513 – Stichworte: Vereinbarkeit von Familie und Beruf – empfiehlt der Ausschuss einstimmig bei Enthaltung der CDU, der FDP und der Grünen die Annahme in neuer Fassung. Wer so gemäß Drucksache 15/2624 beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Regierungsfraktionen. Die Gegenprobe! – Enthaltungen? Das sind die Oppositionsfraktionen. Dann ist das so beschlossen in der neuen Fassung im Wortlaut der Beschlussempfehlung.

Zum Antrag Drucksache 15/2313 – Stichworte: Tagespflege inhaltlich weiter entwickeln – empfiehlt der Ausschuss mehrheitlich gegen die Stimmen der CDU, FDP und der Grünen die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Opposition komplett. Die Gegenprobe! – Das sind die Regierungsfraktionen. Enthaltungen? – Dann ist der Antrag mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen ohne Enthaltungen abgelehnt.