Protocol of the Session on February 19, 2004

[Zurufe von der PDS]

Zuhören, Kollege, dann werden Sie es sehen! Wenn ihr mich reden lasst, liebe Kollegen von der PDS, dann wisst ihr auch, wo ich stehe. Wenn ihr mal ab und zu Zeitungen und sonstige Publikationen lest, dann werdet ihr auch wissen, wo ich stehe. – Mehrere Bundesländer haben ein Verbot angekündigt, allen voran die CDU-Bundesländer.

[Brauer (PDS): Ja, eben! – Wansner (CDU): Gute Länder!]

Das Problem ist, dass bei diesen Debatten, die in anderen Bundesländern geführt werden, die Regierungen nur ein Ziel vor Augen haben, nämlich eine Lex Kopftuch. Eine Lex Kopftuch wird es mit uns in Berlin nicht geben. Wir werden Derartiges in keiner Weise unterstützen.

[Beifall der Frau Abg. Ströver (Grüne)]

Für uns ist es schon ein Unterschied, ob eine Lehrerin, eine Erzieherin oder eine Sachbearbeiterin im Bürgerbüro, im Bezirksamt oder sonstwo ein Kopftuch trägt. Deshalb begrüße ich, dass Herr Körting – so war es heute zumindest in der Zeitung zu lesen – von seiner ursprünglichen Absicht abgerückt ist, ein generelles Kopftuchverbot für den öffentlichen Dienst als Gesetz einzubringen.

[Zurufe von der CDU]

Anscheinend hat sich die PDS wenigstens an dieser Stelle durchsetzen können. Ich hoffe, dass am Ende nicht dieselbe Naivität bei dem Gesetz durchschlägt, wie wir es heute von Udo Wolf gehört haben. Das ist auch deshalb wichtig, weil dieses Gesetz endlich der CDU und entsprechend denkenden Personen die Möglichkeit aus der Hand nehmen wird, dieses Thema künftig immer wieder für ihre teilweise „schwachsinnigen“ Argumente – sage ich mal in Anführungsstrichen, damit ich keine Beleidigungsklage an den Kopf kriege – zu instrumentalisieren.

[Heiterkeit bei der SPD – Wansner (CDU): So wichtig sind Sie doch gar nicht!]

Denn Sie, Kollegen von der CDU, verkennen mit Ihren Argumenten eines: Dieses Land hat sich längst zu einem anderen Land entwickelt, auch wenn Sie damit nicht einverstanden sind. Dieses Land ist ein multireligiöses, ein multikulturelles Land. Und das Kopftuch gehört dazu. Wir sind nur der Meinung, dass in der Schule die negative Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler gegenüber der Religionsfreiheit der Lehrerin überwiegt. Deswegen sind wir in diesem sensiblen Bereich dafür, dass die Lehrerin in der Schule kein Kopftuch trägt. Was sie in ihrem Privatleben tut, das ist ihr überlassen. Das ist auch durch das Grundgesetz geschützt.

[Beifall der Abgn. Frau Dr. Tesch (SPD) und Frau Radziwill (SPD) – Wansner (CDU): Dann sind wir uns ja alle einig!]

Für unsere Fraktion steht bei der landesgesetzlichen Konsequenz aus diesem Kopftuchurteil des Bundesgerichtshofs die weltanschauliche, religiöse Neutralität des Staates im Vordergrund. Sie ist unserer Meinung nach die entscheidende Voraussetzung für ein freies, gerechtes und friedliches Zusammenleben der über hundert unterschiedlichen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Im Kern muss es darum gehen, die grundgesetzlich verbürgten Prinzipien der Gleichberechtigung der Geschlechter, der Religionsfreiheit, der weltanschaulichen Neutralität des Staates mit der interkulturellen Realität dieses Landes, dieser Gesellschaft in Einklang zu bringen. Das ist sicherlich nicht einfach. Vielleicht ist das der Grund, warum sich die PDS und die SPD so lange darüber streiten. Aber im Endeffekt muss das Ergebnis lauten – –

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schaub?

Ich habe gar keine Zeit mehr.

Die würde ich zugeben. Wir sind tolerant!

Ich habe nur noch 60 Sekunden. – Im Ergebnis kommen wir zu dem Schluss, dass die negative Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler überwiegt. Hinzu kommt, dass ich persönlich der Meinung bin, dass das Kopftuch – getragen von Lehrerinnen und Erzieherinnen – nicht gerade geeignet ist, die Integration der Muslime in Berlin zu fördern. Ich meine, der soziale Druck, der von einer kopftuchtragenden Lehrerin ausgeht, egal ob gewollt oder ungewollt, egal ob in dem Kopf eine Fundamentalistin steckt, ist so groß, dass den Schülerinnen der letzte Raum, die Schule als Raum der Freiheit und der Emanzipation, genommen wird. Aus dem Grund sind wir der Meinung, dass dies in der Schule reglementiert werden müsste.

An dieser Stelle möchte ich noch betonen, dass eines bei der Debatte, wie es auch vorhin anklang, nicht passieren darf: Eine Stigmatisierung der Muslime und Versuche, die Kopftuchdebatte zur Stimmungsmache gegen Muslime zu instrumentalisieren, sind mit uns nicht zu machen. Sie müssen eines endlich akzeptieren und verstehen: Die überwältigende Mehrheit der hier lebenden Muslime erkennt die Verfassungsordnung einschließlich der Prinzipien des säkularen Staates und der Gleichberechtigung der Geschlechter an. – Und das gehört auch zur Wahrheit.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Mutlu! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Jugend, Familie, Schule und Sport – federführend –, an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung sowie an den Rechtsausschuss. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 10:

I. Lesung

Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin

Antrag der FDP Drs 15/2513

Ich eröffne die I. Lesung. Für die Beratung stehen den Fraktionen nach der Geschäftsordnung bis zu 5 Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion der FDP. Der Kollege Dr. Lindner hat das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion legt Ihnen einen Entwurf zur Änderung der Verfassung von Berlin vor. Gegenstand ist das, was auch Teile des Parlaments – zumindest die SPD durch ihren Fraktionsvorsitzenden – schon mehrfach gefordert haben, was auch von anderen Fraktionen unter

stützt, ärgerlicherweise aber jetzt noch nicht vorgelegt wurde, nämlich die Richtlinienkompetenz für den Regierenden Bürgermeister einzuführen.

[Frau Ströver (Grüne): Das scheint ihn nicht zu interessieren, er ist ja gar nicht da!]

Das kann man ihm dann auch hinterher mitteilen.

[Gram (CDU): Ist er ja nicht mehr so lange!]

Ich glaube auch, es stellt sich die Frage, ob er dann noch so lange in den Genuss kommt. Das werden wir im weiteren Verlauf des Themas, das wir am Anfang der heutigen Sitzung hatten, sehen.

[Doering (PDS): Dann können Sie Ihren Antrag auch lassen!]

Lassen Sie uns ernsthaft diskutieren. Es geht hier um ein Thema, das jenseits der Tagespolitik und jenseits der Frage, ob aktuelle Akteure in der Lage sind, eine solche Richtlinienkompetenz intellektuell auszufüllen, um die generelle Frage, ob wir in Berlin bei der Richtlinienkompetenz, bei der Verantwortlichkeit – und darum geht es letztlich – ein Stück Normalität und Vergleichbarkeit mit anderen Bundesländern haben oder eine bestimmte Berliner Eigenheit weiter pflegen wollen. Ich glaube, es ist auch im Interesse der Bürger – und das ist das Entscheidende – wichtig, dass man hier die Verantwortung einzelner Personen klar festmachen und sie zur Rechenschaft ziehen kann. Wenn es im Moment in der Verfassung heißt, dass die Richtlinienkompetenz vom Regierende Bürgermeister zusammen mit dem Senat und zusammen mit dem Abgeordnetenhaus ausgeübt wird, dann heißt das, dass im Grunde genommen überhaupt niemand die Richtlinienkompetenz hat. Das ist verwaschen und eine nicht zulässige Vermischung der Kompetenzen der Exekutive und der Kompetenzen der Legislative. Wir wollen hier ein klare Abgrenzung haben: Hier sitzt die Legislative, da sitzt die Exekutive. Und die Exekutive muss für das Parlament handeln, das sie gewählt hat. Der Regierende Bürgermeister, der dann seine Senatoren ernennen kann, muss klar die Zuständigkeit haben, um nicht in die Lage zu geraten, sich herausreden und sagen zu können: Sorry, ich habe hier gar keine Richtlinienkompetenz. – Das ist jetzt so sortiert, dass man es gar nicht mehr erkennen kann. Deswegen ist es ein vernünftiger Vorstoß.

Man kann sich nur wundern, dass von der SPD zweimal – nämlich schon einmal vor einem Dreivierteljahr mit einer gewissen Medienwirksamkeit, es war Schlagzeile in der „Morgenpost“ – gefordert wurde: Wir brauchen Richtlinienkompetenz für den Regierenden Bürgermeister. – Dann haben wir alle auf den Antrag gewartet, dann ist ein Dreivierteljahr nichts passiert, und dann ist wieder kein Antrag, aber die Schlagzeile gekommen, ich glaube, sogar in der gleichen Zeitung: Richtlinienkompetenz für den Regierenden Bürgermeister. – Jetzt sitzen wir hier zusammen und können gucken, ob es der SDP und der Koalition tatsächlich ernst ist oder nur um das Produzieren von Schlagzeilen geht.

[Beifall bei der FDP – RBm Wowereit: Genau!]

Eins möchte ich, Herr Regierender Bürgermeister, zum Schluss klarstellen: Wenn wir diesen Vorschlag machen, dann geht es keinesfalls darum, Ihnen zu attestieren, dass Sie sich, solange Sie die Richtlinienkompetenz nicht haben, hier nicht noch ein erhebliches Stück mehr einbringen und mehr Führung, auch geistige Führung, in dieser Stadt zeigen könnten.

[RBm Wowereit: So?]

Ich glaube, dafür braucht man keine verfassungsmäßige Richtlinienkompetenz, sondern ein Stück mehr Visionen, Ideen für diese Stadt und dann auch den nötigen Druck, die Sache in der Öffentlichkeit durchzusetzen. Die Defizite, die Sie auf diesem Gebiet haben, werden Sie durch keine Verfassungsänderung der Welt beheben. Aber durch die Richtlinienkompetenz werden Sie künftig nicht mehr in der Lage sein, Defizite, die sich in den Senatsreihen zeigen, mit dem Hinweis abzuwenden, dafür seien Sie letztlich gar nicht zuständig, hier koche jeder seine eigene Brühe. – Stimmen Sie also mit uns, es ist ein Stück Vernunft in Berlin.

[Zurufe der Abgn. Frau Ströver (Grüne) und Zimmermann (SPD)]

Das kann nur der erste Schritt sein. Es gibt auch noch andere Merkwürdigkeiten, z. B. Polizeipräsidenten im Abgeordnetenhaus zu wählen. Auch dies ist eine Sache, die unsinnig ist.

[Zuruf der Frau Abg. Ströver (Grüne)]

Warum, Frau Ströver? – Die ist deswegen unsinnig, weil wir die Auswahl gar nicht treffen können.

[Sen Dr. Körting: Sehr richtig!]

Das ist ganz klar. Der Innensenator muss die Sache vorbereiten, er führt das Auswahlverfahren durch, also muss er auch am Ende des Tages die Ernennung durchführen und die Verantwortung für den Herrn oder die Dame tragen und nicht darauf verweisen können, dass ihn oder sie das Abgeordnetenhaus Berlin gewählt hat. Wir können gar nichts steuern, gar nichts entscheiden. Deswegen sind das alles Dinge, die wir hier sortieren müssen. Das sind Berliner Spezialitäten, die aus irgendwelchen Gründen, die in der Vorwendezeit liegen, eingeführt wurden oder Stadtstaatenusancen entsprechen, aber nicht sinnvoll sind. Hier muss endlich zu einer klaren Trennung gekommen werden. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP – Frau Ströver (Grüne): Jetzt hätten Sie nur noch die Abschaffung des Parlaments fordern müssen, dann wäre alles perfekt! – Dr. Lindner (FDP): Altgediente Kulturstaatssekretärin!]

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lindner! – Die SPD fährt fort. Der Herr Kollege Schimmler hat das Wort! – Bitte schön!

[Sen Dr. Körting: Das mit dem Polizeipräsidenten können Sie aufnehmen!]

Das können wir machen! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Lindner! Wir haben uns in den Reihen der SPD gerade gefragt, welche Vision Sie haben. Wir haben sie gefunden, Ihre Vision ist, wichtig zu sein, aber das ist eine Illusion.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Sie haben immer schöne Anträge bei der FDP. Sie haben so schöne Überschriften,