Protocol of the Session on February 19, 2004

Aus gegebenem Anlass weisen wir die Übeltäter darauf hin: Wir müssen doch noch Unterschiede zum Rheinland haben, auch an diesem Donnerstag! – Fahren Sie bitte fort!

Also, kurz noch einmal: Wir benötigen eine gesetzliche Regelung, um ein Neutralitätsgebot für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen zu schaffen. Das war im Übrigen auch Sinn und Zweck unseres Antrages, den wir bereits vor Wochen, leider ohne Erfolg, wie so häufig, bei der Diskussion um das neue Schulgesetz eingebracht haben.

Bei dieser gesetzlichen Regelung sind folgende Aspekte zu klären.

Erstens: Der Gesetzgeber darf nicht mit zweierlei Maß messen. Das ist genau der Grund, warum wir diesem Antrag nicht zustimmen können. Ich zitiere: „Die Bekundung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen entspricht dem Bildungsauftrag der Schule.“ Dieser Appendix ist fragwürdig, schafft eine Ausnahme und würde einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten.

[Beifall bei der FDP und des Abg. Brauer (PDS)]

Zweitens: Es muss geklärt werden, was religiöses Bekenntnis, was lediglich ein Glaubenshinweis, was letztendlich Schmuck ist.

Drittens: Vom Neutralitätsgebot muss es sicherlich auch Ausnahmen geben. Auf Grund der Tatsache, dass der Staat das Monopol bei der Ausbildung besitzt, ist zu überprüfen, was mit den Lehramtsanwärterinnen ist. Selbstverständlich muss es eine Ausnahme für den Religionsunterricht geben – wenn wir denn einmal zu einer anständigen und klaren Lösung kämen. Der Senat ist aufgefordert, Regelungen zu schaffen, die für den gesamten Bereich des öffentlichen Dienstes gelten, so weit das Land hierfür zuständig ist.

Wenn Herr Piening und die von mir geschätzte Frau John gegen ein zukünftiges Kopftuchverbot kämpfen wollen, so müssen wir die Frage zulassen, ob es sich dabei nicht um eine falsch verstandene Solidarität handelt

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

oder um eine falsch verstandene Toleranz. Auch Religiosität, gleich welche, muss sich innerhalb der kulturellen Grundfesten der modernen Gesellschaft bewegen. Dazu gehört, dass Zeichen und Symbole, die als Ausdruck von Unterdrückung und Trennung interpretiert werden könnten, aus dem öffentlichen Leben zu verbannen sind.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass sich Lehrerinnen und Lehrer mit allen persönlichen, religiösen und weltanschaulichen Bekundungen zurückhalten sollten und der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern so neutral wie möglich gegenübertreten soll. Es muss gewährleistet sein, dass bestimmte Religionen nicht gleicher sind als andere. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall des Abg. Brauer (PDS)]

Danke schön, Frau Senftleben! – Die PDS fährt fort. – Bitte, Herr Kollege Wolf!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit staatlichen Verboten, die auf religiöse oder weltanschauliche Symbole zielen, sollte man nach unserer Auffassung sowohl aus grundsätzlichen bürgerrechtlichen und rechtsstaatlichen Erwägungen, aber auch hinsichtlich der praktischen Risiken und Nebenwirkungen vorsichtig sein. Es ist ja bekannt, dass wir in Sachen Kopftuchverbot Differenzen mit dem Koalitionspartner haben. Der Kollege Felgentreu hat es bereits erwähnt. Sie sind auch – entgegen anderslautenden Presseberichten – nicht ausgeräumt. Wir glauben nicht, dass ein Kopftuchverbot im Kampf gegen politischen Islamismus zielführend ist. Im Gegenteil: Das Verbot birgt die Gefahr, die mehrheitlich unpolitischen Muslima in unserer Stadt zu stigmatisieren,

Dr. Felgentreu

die Deutungen der Fundamentalisten aufzuwerten und damit Konflikte zu verschärfen, anstatt sie zu lösen.

[Beifall bei der PDS]

Wir wissen, dass wir in einer Konstellation, in der alle Fraktionen in diesem Haus außer uns eine Verbotsregelung wollen, über Kompromisse verhandeln müssen. Wir haben uns in der Koalition geeinigt, der gesellschaftlichen Debatte Raum und Zeit einzuräumen, auch in der Hoffnung, dass mit der Dauer der Diskussion die integrationspolitischen Aspekte und Risiken genauer überprüft werden können. Sicher ist, dass wir keiner Regelung zustimmen werden, die allein gläubige Muslima unter den Verdacht stellt, das Neutralitätsgebot des Staates zu verletzen.

[Beifall bei der PDS]

Viele haben sich geäußert, die nachdenklichen, warnenden Stimmen werden mehr. Der Berliner Integrationsbeauftragte und die Integrationsbeauftragten der Bezirke – Frau Senftleben hat sie gerade erwähnt – haben gestern einen Text veröffentlicht. Seit längerem gibt es den Aufruf „Religiöse Vielfalt statt Zwangsemanzipation – Aufruf wider eine Lex Kopftuch“. Dort werden Argumente geliefert, von denen wir meinen, dass sie vernünftig und zu diskutieren sind. Wer allerdings Marie-Luise Beck, Barbara John, Renan Demirkan, Lieselotte Funke, Rita Süssmuth, Heidi Knake-Werner und andere, die diesen Aufruf initiiert haben, als

[Mutlu (Grüne): Da kann ich noch andere nennen!]

„naive, nützliche Idioten des Islamismus“ bezeichnet, wie es die Junge Union getan hat, zeigt, dass es in dieser Debatte um einen Kulturkampf und eine Angstdiskussion geht, nicht um die Prüfung von Argumenten.

[Beifall bei der PDS]

Wir müssen aufpassen, dass zugewanderte Frauen nicht stigmatisiert werden, nur weil sie ein Kopftuch tragen.

[Beifall des Abg. Pewestorff (PDS)]

Es ist nicht bewiesen und entspricht auch nicht der Realität, dass das Kopftuch in jedem Fall Ausdruck einer extremistischen, politisch fundamentalistischen Grundhaltung ist und zum Zweck der Missionierung getragen wird. Wir bestreiten überhaupt nicht, dass für islamische Fundamentalisten das Kopftuch ein politisches Symbol darstellt und auch ein Instrument zur Unterdrückung der Frau ist, dass sie versuchen, damit Politik zu machen. Wir wissen aber auch: Nicht jede muslimische Frau, die sich für das Kopftuch entscheidet, teilt diese Deutung, wurde dazu gezwungen, vertritt den politischen Islam oder sympathisiert mit dem Fundamentalismus. Selbst das Landesamt für Verfassungsschutz, dessen Studien die PDS eher selten zitiert, unterscheidet grob acht verschiedene individuelle Motive für das Tragen eines Kopftuches. Eines der Motive kann Missionierung und Agitation gegen das Grundgesetz sein. Es können aber auch andere, ungefährliche Motive sein. Wichtig ist, was in dem Kopf drin ist, was herauskommt, und nicht, was draufsitzt.

[Beifall bei der PDS]

Sollte eine Lehrerin oder ein Lehrer, den wir mit einem Kopftuchverbot nicht träfen, missionieren, agitieren oder in irgendeiner Weise gegen die freiheitliche Grundordnung verstoßen, kann dem mit Hilfe der individuellen Eignungsprüfung und dem Disziplinarrecht Einhalt geboten werden.

[Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Im Unterschied zur FDP, unserem Koalitionspartner und den Grünen, die zumindest das Problem einer Stigmatisierung der unpolitischen Muslime manchmal einräumen, treibt der CDU-Antrag die Sache auf die Spitze. In der Pose der Retter des Abendlandes vor den Heiden – ganz in der christlichen Tradition der Kreuzzüge – darf nicht nur, sondern soll auch der rechte Glaube bekundet werden, wohingegen das Bekenntnis zum Islam durch Tragen eines Kopftuches unzulässig sei

[Zurufe der Abgn. Wansner (CDU) und Gram (CDU)]

ich zitiere auszugsweise aus der Begründung –, weil „zumindest ein Teil seiner Befürworter mit ihm sowohl eine mindere Stellung in Gesellschaft, Staat und Familie als auch eine fundamentalistische, kämpferische Stellungnahme für ein theokratisches Staatswesen verbindet“.

[Henkel (CDU): Selig sind die, die da ahnungslos sind!]

Weil zumindest ein Teil etwas verbindet, werden alle in Sippenhaft genommen. Ist das die Logik, die dem zu Grunde liegt? – Ich für meinen Teil bin nicht bereit, alle Christen in Sippenhaft zu nehmen für die Haltung von einzelnen frauenfeindlichen Bischöfen oder die Machenschaften von Opus Dei.

[Beifall bei der PDS – Zurufe von der CDU]

Bei aller Anerkenntnis der realen Probleme, die mit der Gefahr einer zunehmenden Politisierung des Islam einhergehen, bei allen kulturellen Alltagskonflikten in einer Einwanderungsgesellschaft sollten wir uns der Mühe unterziehen, Argumente und Mittel zu prüfen.

[Hoffmann (CDU): Ihr Vergleich zeigt, dass Sie voll daneben liegen!]

Wem nutzt eine Stigmatisierung? – Die Gefahr, dass die Debatte, wie sie von der CDU geführt wird, die unpolitischen Muslime in die Arme von Fundamentalisten treibt, wird meines Erachtens von den Befürwortern eines Verbots unterschätzt. Integrationspolitisch ist und bleibt es jedenfalls problematisch. Wie auch immer am Ende von Verhandlungen mögliche Kompromisse zur Regelung aussehen, wichtig ist, dass damit nicht alle gläubigen Muslime an den Pranger gestellt werden. Muslime sind so plural in ihren Weltanschauungen wie Christen, Juden und Atheisten. Sie gehören zu Berlin. Für alle sollten die gleichen Regeln gelten.

[Zuruf der Frau Abg. Radziwill (SPD)]

Die Gefahr von Missionierung und Agitation im Schuldienst besteht immer, unabhängig von der Art des Glaubensbekenntnisses und der Kleidung.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss!

Ich komme zum Schluss. – Deshalb gibt es das Neutralitätsgebot, Mäßigungsgebot und Disziplinarrecht. Ich möchte SPD, FDP und Grüne inständig bitten, im Sinne ihrer bürgerrechtlichen Tradition noch einmal zu überprüfen, ob wir das Mäßigungsgebot auch mit anderen Mitteln für Lehrerinnen und Lehrer sichern und die Einzelfallprüfung als Prinzip erhalten können.

[Mutlu (Grüne): Sie sind doch an der Regierung!]

Zumindest aber möchte ich bitten, dass wir gemeinsam dem gefährlichen deutschen Leitkulturgerede der CDU entgegentreten und über Antidiskriminierungsregelungen für Muslime nachdenken. – Danke schön!

[Beifall bei der PDS – Beifall des Abg. Dr. Arndt (SPD)]

Vielen Dank, Herr Kollege Wolf! – Zum Abschluss hat Herr Kollege Mutlu das Wort. – Bitte schön!

Eines ist sicher, wir werden dieses Thema hier noch lange diskutieren und öfters auf der Tagesordnung haben. Wenn ich die Redebeiträge von der CDU und der PDS höre, dann passiert in mir folgendes: Wenn die CDU redet, werde ich zum Kopftuchbefürworter, weil Sie gezeigt haben, dass Sie nichts verstanden haben. Wenn ich mir die PDS anhöre, werde ich zum entschiedenen Kopftuchgegner, weil Sie mit Ihrer Naivität und der falschen Toleranz die Dinge miteinander vertauschen. Und das ist fatal!

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zurufe von der PDS]

Die Meinungen über dieses Thema sind geteilt. Es geht ein Spalt durch die Gesellschaft. Ich will nicht verheimlichen, auch in unserer Partei gibt es verschiedenste Betrachtungsweisen.

[Zurufe von der PDS]