Protocol of the Session on February 19, 2004

Sie haben immer schöne Anträge bei der FDP. Sie haben so schöne Überschriften,

[Zurufe von der FDP]

wenigstens die Überschriften sind hübsch: „Mehr Berlin, weniger Staat“ und so. Sie haben auch eine Reihe, die Sie aber nie überschrieben haben, dazu gehört dieser Antrag: „Mal wieder von anderen Fraktionen etwas gehört und schnell aufgeschrieben“.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Das, was Sie hier vorbringen, hat die SPD-Fraktion deutlich und frühzeitig hier in den Raum geworfen, und dazu stehen wir auch.

[Zurufe von der FDP]

Wir sind in der Tat dafür, eine Richtlinienkompetenz für den Regierenden Bürgermeister einzuführen. Aber man muss sich das auch genau ansehen.

Ich komme gleich zu Ihren Artikeländerungen. Wenn Sie sich das genau ansehen, dann werden Sie feststellen, dass es eine lange Geschichte der Diskussion über die Richtlinienkompetenz gibt. Das fing an, als Bismarck entlassen wurde und der Vater der Weimarer Reichsverfassung, Hugo Preuß, dazu eine ganze Aufsatzserie geschrieben hat. Das können Sie bis zur Kommentierung von Roman Herzog durchdeklinieren, was dort möglicherweise an Fallstricken und ähnlichem enthalten ist. Das muss man sich sehr genau ansehen. Dann muss man sich – erst einmal in den Koalitionen – entsprechend einigen. Das gehört auch mit dazu.

[Dr. Lindner (FDP): Darum geht es hier!]

Es reicht auch nicht, „Richtlinienkompetenz“ hineinzuschreiben. Roman Herzog weist in seiner Kommentierung darauf hin, dass es manchmal nicht bei den Richtlinien hängen bleibt, sondern bei einer wichtigen Frage auch das Einzeldurchgriffsrecht ist. Das ist dann mit enthalten und verfassungsrechtlich durchaus möglich. Das können Sie in jeder Kommentierung zum Grundgesetz nachlesen.

Wir jedenfalls haben nichts dagegen, im Gegenteil, wir sind dafür, solche Verfassungsänderungen zu machen. Wir haben auch einen Regierenden Bürgermeister, der durchaus entscheidungsfreudig ist, was in früheren Zeiten nicht immer der Fall war. Aber Sie von der CDU haben gerade einen, der eher der oberste Aktenleser war, zu Ihrem Ehrenvorsitzenden gemacht. Dennoch muss man

Dr. Lindner

noch auf einiges hinweisen, was Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben.

Herr Dr. Lindner, wenn Sie sich auf Brandenburg beziehen, dann müssen Sie allerdings auch die Brandenburger Texte lesen. Dort heißt es: Die Minister haben trotz der Ernennung durch den Ministerpräsidenten eine gewisse Parlamentsverantwortung, denn sie führen ihre Geschäfte in „eigener Verantwortung gegenüber dem Landtag“. Auch das muss man überlegen, ob man das haben will oder nicht. In Brandenburg ist es – zu Recht, glaube ich, anders als das bisher immer gesehen wurde – so, dass die Geschäftsverteilung im Senat – anders auch als in Ihrem Entwurf – nicht an die Zustimmung des Parlaments gebunden ist. Das wäre aus meiner Sicht systematisch richtig.

Ich wähle einen weiteren Punkt, der zeigt, dass man das im Ausschuss intensiv beraten muss, der nicht unwichtig ist. Sie haben das selbst eben mit angesprochen. Das betrifft das, was in Artikel 58 unserer Verfassung steht, dass die Richtlinien der Politik der Billigung des Abgeordnetenhauses bedürfen. Sie haben das in dem Zusammenhang angesprochen, dass jetzt die Richtlinien der Politik vom Regierenden Bürgermeister im Einvernehmen mit dem Senat und mit der Billigung des Abgeordnetenhauses festgelegt werden. Auch wenn der Regierende Bürgermeister entsprechende Richtlinien der Politik vorlegt, bedürfen sie also der Billigung des Abgeordnetenhauses.

In der Enquetekommission zur Verfassungsänderung in den 90er Jahre wurde sehr deutlich gesagt, dass das auch eine andere Funktion hat: Wir haben in der Regel Koalitionsregierungen, und insofern könnte das auch für Sie interessant sein, denn Sie haben ja noch immer entsprechende Illusionen und Hoffnungen. Die Enquetekommission sagt eindeutig, dass eine solche Billigung der Richtlinien auch dem Schutz der kleineren Koalitionspartner dient – auch wenn im ersten Band der Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte steht, dass sie letztendlich keine Wirkungen haben, weil sie nachher wieder einmal geändert werden können. Aber sie dient im politischen Bereich – und wir bewegen uns im politischen Bereich – auch dem Schutz der jeweiligen Koalitionspartner, wenn so etwas einmal festgelegt ist.

Insofern besteht hier noch eine Menge Beratungsbedarf. Ich habe nur einige Punkte kurz angesprochen, und wir werden das sicherlich im Ausschuss zügig und konsequent beraten.

[Beifall bei der SPD – Beifall des Abg. Pewestorff (PDS)]

Das Wort hat nun Herr Kollege Gram. – Bitte schön!

Lieber Kollege Schimmler! Wenn Sie nach dieser Rede nicht mal Ärger mit dem künftigen Parteivorsitzenden Wowereit bekommen! Also, da wäre ich doch ganz vorsichtig. – Jedenfalls ist im Moment

offenbar die FDP-Fraktion Vorreiter der Richtlinienkompetenz. Das ist schon ein bisschen irritierend, Herr Kollege Lindner,

[Lederer (PDS): Das ist wahr!]

und zwar zum einen deshalb, weil Sie nicht gerade als Freund des derzeitigen Regierenden Bürgermeisters bekannt sind, er aber als erster in den Genuss einer solchen Richtlinienkompetenz käme, und zum anderen deshalb – und das erwähnten Sie schon –, weil bereits vor gut einem Jahr Herr Müller von der SPD angekündigt hat, dass ein gleichgearteter Gesetzentwurf eingereicht wird. Ich verweise nur auf den Artikel in der „Berliner Morgenpost“ vom 6. Januar 2003. Das war damals für den Herbst des letzten Jahres angekündigt – vollmundig. Aber seitdem stupor finalis – für alle Nicht-Lateiner: endloser Verharrungszustand – bei der SPD! Ich habe nie wieder etwas davon gehört.

Nun ist die FDP offenbar zum Dornröschenprinzen der Regierungsfraktion erwacht.

[Heiterkeit bei der FDP – Dr. Lindner (FDP): Das haben Sie nett gesagt!]

Diese Frage stellt sich der geneigte Beobachter und verwirft es auch gleich wieder als absurden Gedanken, denn ein Wachküssen macht bei der rot-roten Koalition eh keinen Sinn. Und Hand aufs Herz: Wer würde sich freiwillig dafür hergeben?

[Beifall bei der CDU]

Also muss die FDP andere Gründe haben, und ich denke sogar, das sind ehrliche Gründe. Mein geschätzter Kollege Dr. Lindner weiß, dass selbst bei Verwirklichung des Projektes 180 er oder seine Kollegen niemals Regierender Bürgermeister in dieser Stadt werden. Das will ich einfach mal kühn behaupten. Deshalb unterstelle ich keinen Eigennutz, sondern politische Motive, und zwar deshalb, weil ich von der FDP weiß, dass sie sich als Verfassungspartei begreift.

Ich halte den FDP-Kollegen auch zugute, dass sie auf Grund mehrmaliger Auszeiten in diesem Haus die Endlosdebatte hierüber nicht am eigenen Leib erleben konnten und somit vom Elan der Erneuerer getrieben sind. Wir sind da etwas gelassener. Meine Fraktion hat schon in der ersten Legislatur nach der Wende mit Zähigkeit, aber ohne Erfolg versucht, den damaligen Koalitionspartner SPD von der Notwendigkeit einer Richtlinienkompetenz zu überzeugen. Das scheiterte damals an der blanken Angst der Sozialdemokraten davor, dass der SpitzenBürgermeister Eberhard Diepgen zu viel Macht bekommen könnte. Allein aus diesem Grunde wurde die Verfassung damals nicht geändert.

Selbstverständlich schob die SPD damals andere Argumente vor, und ich war schon sehr gespannt, lieber Kollege Schimmler, was Sie heute an Argumenten vortragen werden. Nun muss ich feststellen: Sie haben sich durchlaviert. So richtig sind Sie nicht dafür, aber richtig

Schimmler

dagegen sind Sie auch nicht. Doch in dieser Frage gibt es nur ein klares Ja oder Nein.

[Schimmler (SPD): Sie haben nicht zugehört!]

Das Ganze ist also nicht völlig neu und liegt für meine Fraktion auf der Skala der Politikdringlichkeiten nicht ganz oben, um das auch einmal zu sagen. Dennoch: Wenn von der FDP etwas kommt, soll man darüber nachdenken! Warum sollte man nicht trotzdem mal wieder einen neuen Anlauf in dieser Frage nehmen, fragt sich auch meine Fraktion, denn wir – das sage ich klar – stehen diesem Vorhaben nach wie vor sehr positiv gegenüber. Wir lassen uns bei der Positionsbestimmung auch nicht von der Sorge leiten, dass möglicherweise der derzeitige Regierende Bürgermeister von der Richtlinienkompetenz profitiert. Seine Amtszeit ist ohnehin endlich, und wenn ich die Dinge jetzt bei Lichte besehe, ist sie viel schneller endlich, als er glaubt.

Wir wollen dazu beitragen, dass die Stadt unabhängig vom Parteibuch – und das ist mir wichtig – des jeweiligen Regierungschefs effektiver als bisher regiert wird. Das Regierungshandeln in der Stadt sollte z. B. nicht mehr von irgendwelchen Parteigrüppchen in Hinterzimmern torpediert werden können, die im Ernstfall darüber entscheiden, ob der Senator XY zurücktritt oder nicht, und die somit das Schicksal eines Regierenden Bürgermeister mitbestimmen können, denn der hat immerzu Angst, es könne dann zu einem Koalitionsbruch kommen. Eine Richtlinienkompetenz gibt ihm da einfach mehr Möglichkeiten – auch Ihnen, Herr Wowereit!

[RBm Wowereit: Ich bin nicht ängstlich!]

Aber – und jetzt komme ich zu einem weiteren für uns entscheidenden Punkt, einer weiteren entscheidenden Maxime – die Verfassung ist ein zu hohes Gut, als dass an ihr isoliert herumgedoktert werden kann. Sie ist eben nicht ein bloßes Gesetz, das man beliebig ändert, sondern sie ist das höchste Gut, das wir kennen. Kollege Lindner hat es schon angesprochen: Es gibt zurzeit noch weitere Punkte, bei denen man über eine Verfassungsänderung diskutiert. Ich nenne als Beispiel den Bürgerentscheid in den Bezirken, den Fortbestand der Bezirksämter, die Stärke und Rolle der Bezirke, die Wahl des Bezirksbürgermeisters und so weiter – eine Vielzahl von Fragen. Diese gesamten Problematiken werden derzeit in unterschiedlichen Gremien diskutiert wie z. B. im Rat der Bürgermeister.

Der dortige Meinungsbildungsprozess sollte sorgfältig beobachtet und hier im Hause – nun kommt mein Vorschlag – von einer zu bildenden Verfassungskommission zur Vorbereitung der parlamentarischen Beratung gebündelt werden. So etwas Ähnliches hat es, wie Sie wissen, hier im Hause schon einmal gegeben. Die Rechtsexperten der Fraktionen sollten zunächst außerhalb des Rechtsausschusses in vertraulicher Runde beraten, dann ohne parteipolitische Scheuklappen die Dinge auf den Tisch legen und die Fragen sozusagen im Vorgriff behandeln. Selbstverständlich gehört dazu auch die Frage, ob es überhaupt

Sinn macht, die Verfassung vor einer Entscheidung über ein gemeinsames Land Berlin-Brandenburg zu ändern.

Meine Fraktion ist in den anstehenden Verfassungsfragen nicht unverrückbar festgelegt. Wir sind bereit, ergebnisoffen zu sprechen und zu diskutieren – aber in Ruhe, ohne Hast, mit dem nötigen Tiefgang und zum Wohle des Gemeinwesens. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Herr Kollege Lederer hat nun das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Gram hat darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem Vorschlag nicht um eine völlig neue Idee handelt, sondern um den x-ten Aufguss einer Debatte, die dieses Land offenbar in Wellen überkommt. Meine Fraktion hat in der Vergangenheit keinen Hehl daraus gemacht, dass sie von einer entsprechenden Verfassungsänderung nicht viel hält. Sicherlich müssen Vorschläge manchmal nach einer bestimmten Zeit neu überprüft werden, und dann muss festgestellt werden, ob sich Rahmenbedingungen möglicherweise geändert haben oder ob sich neue Handlungszwänge auftun. Gegebenenfalls muss man seine Position dann neu justieren oder ändern.

Der FDP-Antrag war für die PDS-Fraktion Anlass für eine solche Überprüfung, und meine Fraktion ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es keinen Grund gibt, die Position zu ändern. Die vorgeschlagene Verfassungsänderung hat zunächst nur zur Folge, dass die herkömmliche verfassungsrechtliche Machtverteilung im Verhältnis zwischen Regierung und Parlament verändert wird. Damit ist aber noch keine Veränderung der tatsächlichen Kräfteverhältnisse verbunden, da der Regierende Bürgermeister nach wie vor auf den Hintergrund einer parlamentarischen Mehrheit angewiesen ist. In Berlin gibt es seit Jahrzehnten Koalitionsregierungen – auch das hat Kollege Gram gesagt –, die auf der Basis einer politischen Vereinbarung zustande kommen. Insofern ist die beabsichtigte verfassungsrechtliche „Machtaufwertung“ reine Symbolik. Ohne eine parlamentarische Mehrheit kann auf Dauer kein Senat und kein Regierender Bürgermeister regieren.

Die PDS-Fraktion ist der Ansicht, dass es kein Defizit darstellt, wenn das Parlament Senatorinnen und Senatoren sowohl wählen als auch in die Wüste schicken kann. Es ist politisch sinnvoll und auch fortschrittlich, wenn mit parlamentarischen Wahl- und Kontrollbefugnissen die Möglichkeit verbunden ist, Konsequenzen zu ziehen.

[Beifall bei der PDS und den Grünen]

Wir halten es nicht für sinnvoll, wenn Differenzen zwischen dem Parlament und einzelnen Mitgliedern der Landesregierung nur dadurch aufgelöst werden können, dass der Regierungschef zur Verantwortung gezogen wird.

Den Vorschlag der FDP anzunehmen hieße, die parlamentarische Kontrolle auf den Regierungschef zu fokussieren. Es würde schwerer, eine konsistente, stabile

und transparente Regierungspolitik und den dafür notwendigen parlamentarischen Rückhalt zu gewährleisten. Man mag es beklagen oder als Zeichen politischer Schwäche werten, wenn innerhalb der Koalition und mit der gesamten Regierungscrew detailliert über politische Sachprobleme gestritten wird und dabei auch Differenzen zu Tage treten. Ich halte das für eine Stärke, denn die Alternative dazu sind genau die von Herrn Gram beschworenen informellen Prozesse der Politikaushandelung, informelle, getarnte Bündnisse und klandestine Politikverflechtungsmechanismen, die intransparent sind und die die Legitimation und den Rückhalt einer Regierung innerhalb des Parlamentes latent viel handgreiflicher untergraben. Mit intransparenten Politikprozessen hat Berlin einige Erfahrung. Ich finde, da muss es keinen neuen Aufschlag geben.

[Beifall bei der PDS]