Protocol of the Session on November 27, 2003

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 41. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreterinnen und -vertreter sehr herzlich.

Am Montag sind vier Anträge auf Durchführung einer

Aktuellen Stunde eingegangen:

0. Antrag der Fraktion der SPD und der PDS zum Thema: „Beteiligungsmanagement neu ordnen – Steuerungsmöglichkeiten verbessern“,

1. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Planlos in die Beteiligungspleite – wie der Senat Verkäufe verschleppt, das Controlling schleifen lässt und immer mehr Risiken anhäuft.“,

2. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Internationaler Terrorismus bedroht die liberale Gesellschaft – Freiheitsrechte schützen, ohne sie aufzugeben!“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Talfahrt der städtischen Wohnungsbaugesellschaften stoppen – mit neuen Konzepten in der Wohnungspolitik städtischen Wohnraum sichern!“.

Im Ältestenrat konnten wir uns nicht auf ein gemeinsames Thema verständigen. Ich rufe daher zur mündlichen Begründung der Aktualität der Vorschläge auf. Für die Fraktion der SPD erhält Frau Kolat das Wort. – Bitte schön, Frau Kolat!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Aktuelle Stunde schlagen die Regierungsfraktionen SPD und PDS das Thema „Beteiligungsmanagement neu ordnen – Steuerungsmöglichkeiten verbessern“ vor. Es geht um das Land Berlin in der Rolle des Eigentümers von 63 unmittelbaren und 243 mittelbaren Unternehmen. Wir reden über insgesamt 60 000 Beschäftigte in diesen Beteiligungen, einer Bilanzsumme von über 200 Milliarden € und über 1 Milliarde € Zuwendungen des Landes Berlin jährlich. Wir reden auch über wirtschaftliche Risiken, die wir zurzeit noch nicht beziffern können.

Wir haben unter den Landesbeteiligungen viele Branchen und Rechtsformen vertreten – beispielsweise Kredit- und Versicherungswirtschaft, die Bankgesellschaft Berlin und die Feuersozietät –, verschiedene Wohnungsunternehmen, die Verkehrsbranche ist mit der BVG vertreten, Landwirtschaft, Entsorgungswirtschaft, Kultur – z. B. der Friedrichstadtpalast –, Freizeit mit den Berliner Bäderbetrieben, Wissenschaft mit der Vista Management GmbH und die Gesundheitsbranche, vertreten durch Vivantes.

Wie soll die Beteiligungspolitik und -strategie zukünftig aussehen? Zunächst müssen für jede Beteiligung strategische Ziele definiert werden – die Landeshaushaltsordnung sieht dies vor. Es kann sich um Ziele wie den Erhalt der Infrastruktur in der Stadt oder die Sicherung der Wirtschaftsstandorte handeln, oder es kann sich auch um andere fachpolitische oder/und ökonomische Ziele handeln.

Wir werden unsere Beteiligungen in drei große Gruppen aufteilen. Die erste Gruppe wird aus Beteiligungen bestehen, die wir veräußern können und wollen. Die Privatisierungsbemühungen des Senats kennen wir, auch die Privatisierungsverhandlungen, die noch laufen und die gelaufen sind. Die zweite Gruppe der Beteiligungen wird aus Unternehmen bestehen, die wir langfristig erhalten wollen, von denen wir uns also nicht trennen wollen. Die dritte Gruppe besteht aus Unternehmen, die wir zunächst im Portfolio behalten, mittelfristig aber in den Wettbewerb schicken wollen. Abgeleitet von den strategischen Zielen müssen die Beteiligungen einem strengen Controllingverfahren unterworfen werden. Es muss ein einheitliches Verfahren eingeführt werden, mit dem die zeitnahe Verfolgung der wirtschaftlichen Entwicklungen des Unternehmens und die wirtschaftlichen Risiken ermöglicht wird. Es sollen Risiken frühzeitig erkannt werden, und ihnen soll gegengesteuert werden.

Es gibt bereits viele in der Privatwirtschaft und auch in der Berliner Verwaltung erprobte und angewandte Instrumente, die wir systematisch zur Beteiligungssteuerung einsetzen müssen und wollen. Hierzu nur einige Aufzählungen: Neben der strategischen Zieldefinition muss für jede einzelne Beteiligung ein Unternehmenskonzept definiert werden, abgeleitet davon Zielvereinbarungen mit dem Unternehmen und der Geschäftsführung, branchenspezifische Kennzahlen, Benchmarking und

Auch aus einem anderen Grund ist dieses Thema aktuell. Es ist keineswegs eine akademische Diskussion über theoretische Unternehmensführungsmodelle oder Betriebswirtschaftskurse I oder II. Stellen Sie sich vor, dieser Senat plädiert auf Haushaltsnotlage. Er sagt den anderen Bundesländern und dem Bund, dieses Land Berlin sei nicht mehr in der Lage, sich selbst zu helfen, alle Möglichkeiten seien ausgeschöpft. Und nun stellen Sie sich einmal vor, Herr Sarrazin, Sie hätten vielleicht einen Freund in Baden-Württemberg. Vielleicht gibt es das noch. Man weiß es nicht. Dieser hört nun die Nachricht und schaut ins Internet auf die Seite des Finanzsenators,

klickt sich dort durch und findet den Beteiligungsbericht des Landes Berlin. Er würde schon einmal erstaunt sein, wenn er bemerkt, dass dieser Beteiligungsbericht nicht weniger als 292 Seiten umfasst. Entweder ist das Land Berlin sehr vermögend oder die Finanzverwaltung sehr wortreich. Vermutlich ist eher das Letztere der Fall.

Wenn der Schwabe dann etwas näher auf diese Seiten schaut, wird er feststellen, dass wir nicht weniger als 350 000 Wohnungen im Landesbesitz haben und quer durch den Garten einen wunderbaren Ramschkonzern aller möglichen Firmen von Kulturförderung bis Verkehrsbetriebe über Wohnungsbaugesellschaften unser eigen nennen. Was glauben Sie, was ein sparsamer Schwabe dazu sagen würde, dessen Steuergelder in großem Umfang auch hier nach Berlin über den Länderfinanzausgleich gehen? Er würde sagen: „Mir gebbet nix!“ Genau das wird passieren. Genau das gefährdet auch den Erfolg einer Verfassungsklage. Der Senat gefährdet durch die Passivität gerade bei der Vermögensaktivierung und bei der Nutzung des Vermögens des Landes Berlin den Erfolg seiner eigenen Klage über die Haushaltsnotlage.

Deshalb müssen wir heute über das Unvermögen des Senats, mit dem Vermögen des Landes richtig und erfolgreich umzugehen, sprechen. Wir müssen reden über Sinn und Zweck von öffentlichen Beteiligungen, ob sie unmittelbar oder mittelbar sind. Welchen öffentlichen Zweck, Herr Sarrazin, der nicht anders wahrgenommen werden kann, erfüllt eigentlich die Berliner Milcheinfuhrgesellschaft mit beschränkter Haftung? Warum ist Berlin mittelbarer Eigentümer der Capital Catering GmbH, um Häppchen für den Senat zu beschaffen? Was hat das Land mit der VOVI-Beteiligungs AG zu tun – wohlgemerkt, in der Schreibweise mit V, denn Wowi-Aktien stehen im Moment auch nicht so hoch im Kurs.

Frühwarnsysteme auf Basis von Risikokennzahlen. Ah ein durchgehendes Reportingsystem als Kontrollinstrument für Eigentümer und Parlament gehören in diesem Zusammenhang dazu.

Als letzten Punkt wollen wir die Verantwortung der Aufsichtsratsgremien mit verschiedenen Maßnahmen stärken. Auch die Abstimmung zwischen Fach- und Renditezielen muss nicht nur strategisch, sondern regelmäßig bei aktuellen Fragen gewährleistet sein. Dies sind nur einige Punkte. Wir werden nachher in der Diskussion darstellen, wie sich die Regierungsfraktionen ein aktives und effektives Beteiligungsmanagement und Controlling vorstellen. Wir möchten gern heute mit Ihnen darüber diskutieren und dann Taten folgen lassen. Danke!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön, Frau Kollegin Kolat! – Für die Fraktion der CDU hat nunmehr der Kollege Kaczmarek das Wort zur Begründung. – Bitte schön, Herr Kaczmarek!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDUFraktion schlägt Ihnen heute für die Aktuelle Stunde das Thema „Planlos in die Beteiligungs-Pleite – Wie der Senat Verkäufe verschleppt, das Controlling schleifen lässt und immer mehr Risiken anhäuft“ vor. Dass diese Frage aktuell ist, kann kaum bestritten werden, jedenfalls nicht von denjenigen, die in der letzten Woche das Vergnügen hatten, Finanzsenator Sarrazin im Verkehrsausschuss zu erleben.

Dort lieferte er ein Meisterbeispiel von Definitionskunst und erzählte uns, dass eine Milliarde Euro Schulden bei der BVG keineswegs ein Schattenhaushalt seien. Ich habe ihn daraufhin gefragt, ob dies vielleicht bei 2 Milliarden, 4 Milliarden oder 10 Milliarden anfinge. Er erging sich dann in der Definition, dass man doch die Hoffnung haben könnte, die BVG zahle das Geld irgendwann zurück.

Mit diesen Verharmlosungen und Verniedlichungen muss Schluss sein. Wir müssen jetzt die Weichen richtig stellen, damit die Beteiligungen des Landes nicht weiterhin Geldvernichtungs- und Kapitalvernichtungsmaschinen sind.

[Beifall bei der CDU]

[Beifall bei der CDU]

Wir müssen uns darüber unterhalten, welchen Sinn und Zweck öffentliche Beteiligungen eigentlich haben. Es muss klare Entscheidungen des Senats geben, von welchen wir uns trennen müssen und welche sinnvoll weiterentwickelt werden können. Wir müssen uns auch über den Beitrag der öffentlichen Unternehmen zum wirtschaftlichen Erfolg Berlins unterhalten.

Gestiegen sind in den vergangenen Jahren in erster Linie die Geschäftsführungsgehälter der über 100 Vorstände. Der Fall Bielka zeigt deutlich, welche Selbstbedienungsmentalität in diesem Bereich inzwischen vorherrscht. Die Verluste sind gestiegen, und der Personalaufwand ist gestiegen. Gesunken ist die Gewinnabführung, und gesunken ist das Investitionsvolumen. Das sind keine guten Beiträge zur wirtschaftlichen Entwicklung dieser Stadt. Das sind schlechte Beiträge. Das ist Kapitalvernichtung. Damit muss ein für alle Mal Schluss sein!

[Beifall bei der CDU]

All diese Missstände, all diese Fehlentwicklungen sind ohne nennenswerte Gegenwehr des Senats geschehen. Die Beteiligungen sind heute eine riesige Kapitalvernichtungsmaschinerie, über deren Sinn und

Terrorismus erzielt seine Erfolge mehr durch die Androhungen als durch die tatsächlich ausgeführten Taten. Sein Hauptziel ist es, Angst und Schrecken zu verbreiten. Wir müssen uns aber auch bewusst sein, dass das Grundgesetz keine Schönwetterveranstaltung ist. Wir müssen es schaffen, unsere Freiheit zu verteidigen, ohne sie dabei selbst aufzugeben. Was ist also zu tun? Der Schutz der Freiheit ist eine staatliche Kernaufgabe. Wir müssen deswegen die Ausbildung und die angemessene Ausstattung unserer Sicherheitsbehörden sicherstellen. Wir müssen die internationale Zusammenarbeit verbessern. Wir brauchen mehr Partner im Kampf gegen den Terrorismus. Aber es ist, glaube ich, allen hier im Hause klar, dass allein mit polizeilichen und militärischen Mitteln langfristig dieser Kampf jedenfalls nicht zu gewinnen ist.

nichtungsmaschinerie, über deren Sinn und Zweck zwar viel gestritten wird, für die es aber keine klaren Richtlinien gibt. Es gibt keine klaren Controllingvorgaben. Wir können uns hier lange über Controlling-Modelle unterhalten und darüber sprechen, wie man es besser machen könnte, welche IT-Verfahren dort anzuwenden sind.

An erster Stelle muss aber die Frage stehen, was der Eigentümer, der Senat, mit diesem Vermögen anfangen will und welche Ziele er damit verfolgt. Will der Senat nun 350 000, 300 000, 250 000 oder 100 000 Wohnungen in dieser Stadt unterhalten? Ist es überhaupt noch zeitgemäß, Wohnungen im öffentlichen Eigentum zu unterhalten oder ist es ein Relikt aus den 50er Jahren.

Wir wollen Ihnen von der SPD und der PDS helfen, auf den richtigen Weg zu kommen,

[Doering (PDS): Danke!]

und Ihre Verbundenheit mit der Staatswirtschaft aus den 20er und 30er endlich überwinden zu können und zu einem modernen Staatsverständnis kommen zu können. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Kaczmarek! – Bevor ich Herrn Ritzmann das Wort für die Fraktion der FDP erteile, muss ich einen Fehler korrigieren, den ich selbst begangen habe. Der Antrag der Fraktion der FDP lautet: „Internationaler Terrorismus bedroht die liberale Gesellschaft – Freiheitsrechte schützen, ohne sie aufzugeben.“ Der Antrag der Fraktion der Grünen lautet: „Talfahrt der städtischen Wohnungsbaugesellschaften stoppen – Mit neuen Konzepten in der Wohnungspolitik städtischen Wohnraum sichern.“ Jetzt habe ich das korrigiert. Ich bitte um Entschuldigung. Es war ein Computerfehler. Nun hat Herr Ritzmann das Wort zum richtigen Antrag über die, wie Sie meinen, sicherlich richtige Aktuelle Stunde.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Danke für die Richtigstellung. Das erspart mir Redezeit. Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ist offensichtlich. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA sind 470 weitere Menschen Opfer von Terrorismus geworden. Wir alle haben sicherlich die schrecklichen Bilder aus Istanbul noch vor Augen.

Auch wenn es in Berlin und Deutschland im Moment keine konkreten Hinweise auf Anschläge gibt, müssen wir uns doch die Frage stellen, wie wir dieser Bedrohung begegnen. Von Seiten der CDU und von anderen Konservativen folgt wie üblich der Ruf nach schärferen Polizeigesetzen mit dem Resultat der Einschränkung von Bürgerrechten. Stattdessen benötigen wir jedoch aus Sicht der FDP erst einmal eine nüchterne Bestandsaufnahme. Seit 1990 haben wir mehr als 150 Gesetzesverschärfungen im Bereich der inneren Sicherheit auf Bundesebene, Ausweitungen von Kompetenzen der Polizei, des Verfassungsschutzes und anderer Sicherheitsbehörden gehabt.

[Zuruf des Abg. Henkel (CDU)]

Statt immer nach mehr zu rufen, Herr Henkel, ist es erst einmal sinnvoll zu prüfen, was notwendig ist, was sich bewährt hat und was überflüssig ist. Wir haben nämlich kein Defizit an Gesetzen, sondern es mangelt am Vollzug vorhandener Gesetze, an der Umsetzung.

[Beifall bei der FDP]

Wer nach immer mehr polizeilichen Befugnissen ruft, kann einmal einen Blick in die Türkei werfen. Dort wird zur Bekämpfung des Terrorismus immer noch gefoltert. Die Meinungsfreiheit wird teilweise drastisch eingeschränkt. Selbst damit konnten die Anschläge der vergangenen Woche nicht verhindert werden. Es ist aber auch richtig, dass sich die Türkei auf den Wertekonsens der EU zubewegt. Das begrüßen wir ausdrücklich!

[Beifall bei der FDP]

Die übergroße Mehrheit der Muslime sind friedliche und gesetzestreue Bürger, in Deutschland und auch in Berlin. Ihnen müssen wir, wie allen anderen auch, mit dem nötigen Respekt und Besonnenheit begegnen. Dies beginnt bereits bei der Debatte, ob das Kopftuch ein Ausdruck verfassungswidriger Gesinnung sei. Hierzu sind aus meiner Sicht Äußerungen einzelner Senatoren und auch der CDU unerträglich.

[Oh! von der CDU – Beifall bei der FDP]

Das Kopftuch ist sicher kein Symbol der Freiheit. Eine pauschale Diffamierung von muslimischen Frauen, die ein Kopftuch tragen, schürt jedoch Vorurteile, führt zu Diskriminierungen und treibt diese Menschen viel eher den Extremisten in die Arme.

[Beifall bei der PDS]